(Zweiter Weltkrieg) Kriegsanteile
#33
@ Cyprinide

Mal ein kleiner Tipp, geh mal zu einem Geschichtsdozenten deiner Uni, der sich mit dem 20. Jhr. beschäftigt und frag ihn nach den Leuten, die diese Präventivkriegthese vertreten. Bei den meisten kann man froh sein wenn man nicht hochkant rausfliegt und dabei mit Beschimpfungen bedacht wird. Ich nehme gerade an einem Seminar teil mit dem Titel "Jahrhundert der Wölfe- Vertreibung und Genozid im 20. Jahrhundert", und da kam auch einer der werten Offizierskameraden mit der Präventivkriegsthese und führte irgendwelche "Historiker" an. Worauf unser Dozent sehr hitzig reagierte, da die meisten Vertreter dieser These a) keine ausgbildeten Historiker sind und b) es so gut wie keine schlüssigen belegbaren Beweise gibt, da die entsprechenden Archive der Sowjetunion/Russlands nichts dergleichen hergeben (Und kommt jetzt jemand mit einer Verschwörungstheorie soll er lieber gleich in ein Mythen&Sagen-Forum wechseln, eine solche Operation läßt sich nicht verschleiern). Und unter den Spezialisten, sprich Militärhistorikern, ist diese These auch mehr als umstritten.

Mal ein Beispiel wie Suworow behauptungen aufstellt, ohne Quellen zu belegen, sie falsch belegt bzw. interpretiert:

Zitat:Ein Beleg für diese Angriffspläne sei die Zahl der Fallschirmspringer, die Stalin ausbilden ließ - denn wozu, wenn nicht für einen Angriff, brauche man eine große Zahl von Fallschirmspringern? So hat Suworow diesen Fallschirmspringern denn auch ein ganzes Kapitel gewidmet, das er mit den folgenden Bemerkungen einleitet:

Luftlandetruppen sind für Angriffsoperationen bestimmt. Das ist ein Axiom, das keines Beweises bedarf.

Suworow, Der Eisbrecher, S. 129

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges habe die Sowjetunion "über eine Million ausgebildeter Fallschirmspringer" gehabt und damit "ungefähr zweihundertmal mehr (...) als alle Länder der Welt einschließlich Deutschlands" (Hervorh. Suworow).

Fünfzehn Seiten seines Buchs widmet Suworow ausschließlich den hundertfach überlegenen sowjetischen Luftlandetruppen, und er reichert seine Ausführungen mit vielen Detailbeschreibungen an.

Nur eines fehlt.

Suworow hat für seine detailreichen Ausführungen keine einzige Quelle. Im ganzen Kapitel über die Fallschirmspringer gibt es nur eine einzige (dazu noch sehr ungenaue) Quellenangabe, und die bezieht sich auf eine Marginalie, die mit den Luftlandetruppen nichts zu tun hat; es geht dort um einen Deutschen, der in einem russischen Regiment gedient und mit einem russischen Offzier in engem persönlichem Kontakt gestanden habe.

Man muss sich fragen, warum Suworow einen Nebenaspekt mit einer Quelle belegt, den wirklich wichtigen Teil jedoch als nicht belegte und nicht überprüfbare Behauptung in den Raum stellt, zumal er im Vorwort seines Buches ausdrücklich schreibt:

Meine Hauptquelle sind offen zugängliche sowjetische Publikationen.

V. Suworow, Der Eisbrecher, S. 14.

Warum nennt Suworow nicht die offen zugänglichen Quellen für die große Zahl von Fallschirmspringern, und warum nennt er ausgerechnet dort eine Quelle, wo es für seine Argumentation völlig belanglos ist?

Mindestens genauso gefährlich wie die nicht belegten Fallschirmspringer waren offenbar die sowjetischen Lastensegler, die im Gleitflug Material hinter die feindlichen Linien bringen konnten. Besonders praktisch ist es natürlich, wenn man diese Segelflieger wieder einsammeln und mehrfach benutzen kann:

P. Gorochowski entwickelte ein aufblasbares Segelflugzeug aus Gummi. Nach dem Absetzen ihrer Ladung im Rücken des Gegners konnten mehrere dieser Segelflugzeuge in ein einziges Transportflugzeug geladen und auf eigenes Gebiet für einen erneuten Einsatz zurückbefördert werden.

V. Suworow, Der Eisbrecher, S. 139

Aufblasbare Segelflugzeuge aus Gummi? Man glaubt es kaum, aber so ist es tatsächlich in Suworows Buch nachzulesen.

Eine weitere Variante der sowjetischen Angriffspläne habe darin bestanden, Panzer flugfähig zu machen, also mit Leitwerken und Tragflächen usw. zu versehen, damit die Panzerfahrzeuge im Gleitflug hinter die feindlichen Linien gelangen konnten.

Und wie wurden diese Wunderwerke der Technik im Flug gesteuert? Auch dafür gibt es eine verblüffend einfache Lösung:

Die Seilzüge von Höhen- und Seitenruder wurden an der Panzerkanone befestigt. Die Panzerbesatzung steuerte den Flug von innen durch Drehung des Turm und Änderung des Anstellwinkels seines Kanonenrohrs.

V.Suworow, Der Eisbrecher, S. 139

Einige dieser seltsamen Fluggeräte bildet Suworow in den beiden Bildteilen seines Buches ab, und wenn man Glück hat, findet man in der Legende sogar eine Quellenangabe:


[Bild: http://www.h-ref.de/lit/s/suworow/flugpanzer.jpg]

Suworows Bildunterschrift:

Der flugfähige Panzer KT ist der A-40 (Antonow - 1940) in der Luft, geflogen von dem Piloten S. Anochin. Hitler hatte durch seine Invasion dergleichen Experimente überflüssig gemacht. (Abb. aus Steven J. Zaloga and James Grandsen, Soviet Tanks and Combat Vehicles of World War Two. London: Arms and Armor Press 1984)

Suworow, Der Eisbrecher, Abb. 15

Für Suworow scheint es erwiesen, dass die Sowjets für den Bau dieser Offensivwaffe konkrete Pläne entwickelt haben, deren Verwirklichung nur durch Hitlers Angriff ("Präventivkrieg") zunichte gemacht wurde.

Wer bei Zaloga/Grandsen nachschlägt, gewinnt allerdings einen etwas anderen Eindruck.

The A-40T, seen here as the designer's model, was a bizarre attempt to fly in light tanks to support airborne formations. It proved impracticable because the tank suspension could not stand up to the high speeds at take-off or landing.

[Der A-40T, hier als Modell abgebildet, war ein bizarrer Versuch, leichte Panzer zur Unterstützung von Luftkampfverbänden einzufliegen. Dies erwies sich als nicht durchführbar, weil das Fahrwerk des Panzers die hohen Geschwindigkeiten bei Start oder Landung nicht aushalten konnte.]

Steven J. Zaloga and James Grandsen
Soviet Tanks and Combat Vehicles of World War Two

Es handelt sich hier also nicht um einen flugfähigen Panzer, sondern bestenfalls um ein Modell, oder noch genauer, um eine Zeichnung. Ob das Modell tatsächlich gebaut worden und geflogen ist, erfahren wir im erwähnten Buch nicht.

Deshalb frage ich mich, wie Suworow auf die Idee kommt, dieses Modell - oder besser, diese Zeichnung eines Modells - wäre von einem Piloten namens Anochin geflogen worden. Im zitierten Buch wird der Pilot in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt, aber genau diese Stelle in genau diesem Buch gibt Suworow als Quelle für den Modellflieger an.
...
Quelle: <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.h-ref.de/lit/s/suworow/eisbrecher.shtml">http://www.h-ref.de/lit/s/suworow/eisbrecher.shtml</a><!-- m -->

Also ganz ehrlich meiner bescheidenen Meinung als Nicht-Historiker nach ist diese These unhaltbar und wird meistens nur von Revisionisten hervorgebracht. Ich habe das Buch von Suworow nicht gelesen, wenn ich es lesen würde, würde ich auch die "Gegenseite" zu Rate ziehen und mir erst dann eine Urteilsbildung erlauben bei einem derart heiklen und kontroversen Thema.

Gruß NoBrain
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