(Allgemein) Bundeswehr im Ausland
#28
Feysabad - Krise des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan

Zitat:Feysabad - Krise des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan

Manuskript des Beitrags
von Florian Meesmann
Bei Übergriffen auf eine NGO in Feysabad hätte die Bundeswehr nicht eingreifen können, behauptet das Verteidigungsministerium. Doch das Protokoll der Ereignisse lässt andere Rückschlüsse zu.


Ausrücken zur Patrouille in Feysabad im Nordosten Afghanistans. Bis zu 100 deutsche Soldaten sollen hier die bevorstehenden Wahlen absichern und internationale Helfer schützen. Nur ein paar Straßen weiter wird sichtbar: Der Bundeswehr ist das in Feysabad bisher nicht gelungen. Vor zwei Wochen brannte ein wütender Mob diese Häuser ausländischer Hilfsorganisationen nieder, bis zu 1000 Demonstranten Entwicklungshelfer werden verprügelt, sechs von ihnen verletzt.

Die Bundeswehr konnte die Helfer nicht schützen, obwohl die Truppe schon frühzeitig über die Demonstration informiert war.
Ein Vorwurf, den das Verteidigungsministerium öffentlich bisher bestritten hat. Doch ein FAKT vorliegende Bericht des Ministeriums schildert minutiös diesen Ablauf der Ereignisse:

9:00 Uhr: Ein Demonstrationsaufruf wird gemeldet - von der Bundeswehr. Beim Morgengebet wurden Gerüchte bekannt Angestellte ausländischer Hilfsorganisationen, so genannter NGOs, hätten afghanische Mädchen vergewaltigt. Schon bald beginnen die Proteste, so der Bericht.

O-Ton: Michael Pohly, Afghanistanexperte
"Auf Vergewaltigung steht im traditionellen Recht Steinigung, auspeitschen, erschlagen, das gibt es keine Diskussion daran vorbei und das muss man wissen, wenn man dort oben ist. Und die Meldung, soweit ich weiß, ist recht früh eingegangen, dass dieses Gerücht gestreut worden ist. So hätte man normalerweise sofort die betreffende NGO absichern oder deren Mitglieder in Sicherheit bringen."

11:05 Uhr: Drei verletzte Aufbauhelfer flüchten in den deutschen Stützpunkt, von Demonstranten angegriffen. Jetzt erfolgt der Befehl: Sammeln im Hauptquartier für die knapp 70 Soldaten, auf dem Weg dahin muss eine Gruppe dem Demonstrationszug sogar ausweichen.

12:15 Uhr: Etwa 1000 Menschen demonstrieren, Häuser brennen, doch die Bundeswehr greift noch immer nicht ein. Weitere Aufbauhelfer werden zwischenzeitlich angegriffen, so der Bericht.


O-Ton: Günther Friedrich Nolting, FDP BT-Fraktion sicherheitspolitischer Sprecher
"Es ist für mich weiter unverständlich, dass selbst nachdem schon Verletzte versorgt wurden durch die Bundeswehr, dass auch danach noch mal zwei Stunden vergangen sind, bis es also endlich zu dieser Lageaufklärung gekommen ist."

13:30 Uhr: Ein Aufklärungstrupp erreicht die Demonstration in Auflösung, mehr als vier Stunden nach der ersten Meldung. Traurige Bilanz: Sechs verletzte Helfer. Niedergebrannte Häuser. Die Soldaten haben das nicht verhindern können, das geht aus dem Bericht des Ministeriums klar hervor.


O-Ton: Michael Pohly, Afghanistanexperte
"Solche Fälle können jederzeit an jeder Stelle da oben, und auch woanders in Afghanistan initiiert werden und passieren, und zwar sogar mehrmals täglich. Die Bundeswehr muss sich da etwas anderes einfallen lassen, sie muss prophylaktisch wirksam werden und nicht erst wenn das Haus abgebrannt ist kommen, um festzustellen, es ist abgebrannt."

Im Verteidigungsministerium lehnt man ein Interview zu den FAKT-Recherchen ab. Per Fax wird der zeitliche Ablauf der Ereignisse insgesamt bestätigt. Seit Monaten beschreiben vertrauliche Lageeinschätzungen der Bundeswehr die instabile Sicherheitslage in Feysabad. Trotzdem sollen in der abgelegenen Bergregion nur ganze 80 bis 100 Soldaten für mehr Sicherheit sorgen. Jetzt warnt auch der ehemalige Inspekteur des Heeres vor den Risiken des Einsatzes.


O-Ton: Helmut Willmann, General a. D.
"Wir haben das ja jetzt gesehen, vor ein paar Tagen, dass eine Demonstration plötzlich von tausend Menschen entsteht. Und wenn hier die Truppe gefordert ist, dann ist es schwierig mit 80 Mann, das unter Kontrolle zu bringen, und da muss gewährleistet sein, dass Verstärkung jederzeit herangebracht werden kann, sonst ist diese Truppe eventuell auf hoffnungslosem Posten."

Doch die schnelle Verstärkung aus der Luft ist alles andere als garantiert. Die Jahrzehnte alten Hubschrauber sind im afghanischen Hochgebirge nur bedingt einsatzfähig. Die Alternative: 16 Stunden Fahrt, wenn diese Pisten frei sind. Andernfalls ist die Truppe in Feysabad auf sich gestellt.

O-Ton: Günther Nolting
"Ich habe hier den Eindruck, es wird geschönt, die Risiken werden heruntergespielt, um eben auch die Zustimmung des Parlamentes zur Verlängerung dieses Einsatzes zu bekommen. Und dies macht mich umso kritischer."

Die Ruinen von Feysabad mahnen. Auch 80 bis 100 Soldaten können hier keine Sicherheit garantieren. Wer das verschweigt, bringt die Soldaten immer wieder in Gefahr.
http://www.mdr.de/fakt/aktuell/1599716.html
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