Kulturen im Konflikt
um das Thema hier aufzugreifen:
Erich schrieb:@Hunter:
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Zu den Ausführungen zum Islam:
Den von Dir geforderten Schritt haben die Muslime u.a. in der "Deklaration europäischer Muslime" getan. Nur - leider - macht sowas weniger Schlagzeilen als die negativen Beispiele.

Ich kann Dir "aus dem Stand" weiter zwei Gegenbeweise zu Deine These geben.

Ein "prominentes" Gegenbeispiel ist die Entwicklung des Islam in der Türkei, die ich hier "klick" unter der Überschrift "Zukünftige Tendenzen?" etwas skizziert habe:
Zitat:...
Die in der Türkei führenden theologische Fakultät in Ankara wurde 1949 gegründet. Sie ist heute eine wichtige Reformstimme für die Koran-Interpretation in der Welt des Islam. Fast alle Dekane der 23 theologischen Fakultäten des Landes sind Absolventen der islamischen Universität von Ankara und haben starken Einfluss bei der staatlichen Religionsbehörde DIB, die vom Reformtheologen Bardakoglu von der Marmara-Universität in Istanbul geleitet wird.
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Der Spitzenvertreter des türkischen Islam, Ali Bardakoglu , der im November 2002 von der neu gewählten moderat islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) ernannt wurde, steht für einen wissenschaftlich fundierten Islam, dessen Interpretation nicht in der blinden Rezitierung von Versen sondern im hitsorischen Kontext erfolgen müsse.

Quelle: "Der Koran muss im historischen Kontext interpretiert werden" - (<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.welt.de">http://www.welt.de</a><!-- m -->)

Unter Bardakoglu nimmt der Einfluß der theologischen Fakultäten der Türkei und ihrer modernistischen Theologen auf das Diyanet zu. Auch Dozenten in Ankara betrachten den Koran als an seinen historischen Kontext gebunden. Dieser kritisch-historische Ansatz der wissenschaftlichen Theologie ist konservativ-fundamentalistischen Islamisten wie den Wahabiten fremd. Bei den heute von der DIB aprobierten Geistlichen handelt es sich zumeist um gebildete Kleriker, die den Islam auf wissenschaftlicher Ebene kennen. Es sind im westlichen Sinne aufgeklärte und liberale Denker, die den muslimischen Glauben, den Koran, als demokratische Religion und Kultur verstehen, der auch die Rechte der Frauen schützt und bewahrt.

Aischa als Vorbild
Bardakoglu hat die Einstellung von Frauen als Predigerinnen durchgesetzt. Die Türkei folgt damit dem Beispiel Indiens. Anwar Muazzam, Ex-Dekan ihrer Fakultät der Osmaniyya-Universität, sagte dem britischen Sender BBC: "Es gibt keinen einzigen Koranvers und keinen einzigen Hadith, dass Frauen nicht Mufti werden dürfen." Muazzam erinnerte daran, dass Aischa, die Lieblingsfrau des Propheten, nach seinem Tod zu einer religiösen Autorität wurde und der Gemeinde zur Verfügung stand. "Es gibt im Islam weibliche Gelehrte, warum soll es keine weiblichen Muftis geben?" so der indische Theologe.

Frauen in leitenden religiösen Ämtern werden in Istanbul, Ankara, in Berlin oder Paris erstmals Fatwas zu Frauenangelegenheiten erlassen. Damit werden sie an eine Tradition anknüpfen, die zu Lebzeiten des Propheten lebendig war. Nach einer authentischen Überlieferung ("sahih hadith") kam eines Tages eine Gruppe von Frauen zum Propheten und fragten ihn, wie sie sich am besten waschen sollten. Der Prophet drehte sich daraufhin zu seiner Frau Aischa und sagte: "Erkläre du es ihnen."

Ein Schritt zum richtigen Islam?
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Ein anderes Beispiel - wesentlich näher - ist die Islamische Gemeinde Penzberg *klick*. Und ich denke, diese "vor Ort gezeigte Präsenz" trägt mehr zur Aufklärung bei als der Verweis auf eine ferne theologische Fakultät in Ankara. Die islamische Gemeinde ist voll in Penzberg integriert. Sie wird von allen politischen Parteien, auch den Vertretern der konservativen CSU, geschätzt. und hat beste Kontakte zu den örtlichen Kirchengemeinden. Ich kenne dem Iman Idriz persönlich, seine Informationen waren wesentlich zu meinen Ausführungen zu Bosnien-Herzegowina *klick*.
Zitat:...
Römsich-katholische Kirche, griechisch-katholische Kirche, serbisch-orhtodoxe Kirche, evangelische Kirche, Juden und Muslime erhielten schon in der K u K Monarchie den gleichberechtigten Status einer anerkannten Religion. Der bosnische Islam wurde "verkirchlicht" und konnte so institutionalisiert ein Partner gegenüber der staatlichen Autorität werden - mit der Beibehaltung etwa eines eigenen Schulwesens. Das Oberhaupt der bosnischen Muslime, der "Reisu-I-ulema" (Oberhaupt der Gelehrten) mit einem dem Erzbischof vergleichbaren Status wurde aufgrund eines von bosnischen Korangelehrten erstellten Dreivorschlages vom österreichischen Kaiser ernannt und dann vom "Shaikh ul-Islam" in Istanbul förmlich bestätigt. Damit war einerseits die Anerkennung durch die staatliche Autorität gewährleistet und andererseits die Anbindung an die muslimische Ummah gesichert.

Die Scharia-Gerichte wurden mit Kompetenz im Gebiet des Erb- und Familienrechts in die österreichische Justiz eingegliedert. Die islamischen Theologen der Universität von Sarajevo sind etwa seit 1880 zunehmend auch in westlichen Traditionen verwurzelt.
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Die "Fakultät an für islamische Studien" der Universität Sarajevo (Hochschulpatenschaften mit Erfurt und Tübingen) mit Professoren, die an verschiedenen europäischen Universitäten studierten, bildet die wichtigste islamische Hochschule auf dem Balkan. Die namhaften islamischen Theologen der Universität wie Husein Djozo, Enes Karic, Dzevad Hodzic und Adnan Silajdzic bemühen sich um eine Verbindung von Islam und westlicher Kultur. Gastdozenten der franziskanisch-theologischen Fakultät in Sarajevo tragen zu einem breiten theologischen Verständnis der dort ausgebildeten Imame bei.

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Die "Deklaration europäischer Muslime" baut auf dieser Koexistenz auf und intendiert einen "Gesellschaftsvertrag", der Treue zum Staat und zur Verfassung mit der Freiheit der Religionsausübung kombiniert.

Externer Link: Die islamische Gemeinde von Bosnien und Herzegowina <!-- m --><a class="postlink" href="http://www.rijaset.ba/en/">http://www.rijaset.ba/en/</a><!-- m -->
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Natürlich wird es diese örtliche Entwicklung nur dauerhaft geben, wenn auch in den Heimatländern - also im rein islamischen Umfeld - eine entsprechende Basis geschaffen wird. Aber damit komme ich zurück auf das zitierte Beispliel Türkei und die aktuelle Situation in Bosnien.

@Hunter:
Zitat:P.S. Je nachdem wie sich die Diskussion hier entwickelt, werde ich ab den letzten paar Beiträgen in den "Migration und Integration"-Strang verschieben.
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es geht in der nachfolgenden Meldung nicht um den Islam in Europa, sondern um einen Wandel des Islam ausserhalb Europas:
<!-- m --><a class="postlink" href="http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/wo-sich-der-islam-als-flexible-weltreligion-zeigt-13361933.html">http://www.faz.net/aktuell/politik/ausl ... 61933.html</a><!-- m -->
Zitat:Islam und Reformen

Die flexible Weltreligion

Reformen, die der christliche Westen schon hinter sich hat, erfassen die islamische Welt und verändern sie. Auch wenn der Terrorfeldzug von IS und Al Qaida Ängste schürt: Längst gibt es im Islam eine anpassungsfähige Mitte. Ein Kommentar.

10.01.2015, von Rainer Hermann
Kann ein Muslim seine Religion praktizieren und trotzdem modern sein? Kann er sich in die Zeitläufte einfügen und dennoch Muslim bleiben? Die Antworten darauf fallen verschieden aus: Die Attentäter von Paris verweigern sich unserer Moderne und wurden zu Terroristen; die meisten Muslime, zumal im Westen, fügen sich aber in diese Moderne ein, sind Bürger geworden und verabscheuen den Terror – wie alle anderen auch.

Die Muslime leben längst nicht mehr in einer Welt, die allein vom Islam geprägt ist. Die westliche Moderne ist auf allen Ebenen in ihr Leben eingedrungen. Was der christliche Westen schon hinter sich hat, erfasst die islamische Welt.

... die modernen Muslime aber wollen den Wohlstand heute – und das Paradies dann später. Das eine ist der fanatische Dschihad-Islam, das andere ein gemäßigter Business-Islam. Für den stehen zwei Beispiele: die türkische AKP, deren Basis das prosperierende anatolische Unternehmertum ist, und Dubai, wo nicht der Islam radikal ist, sondern der Kapitalismus.

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Die Muslime haben eine solche Mitte, haben einen gemäßigten, zeitgemäßen Islam hervorgebracht, der gerne mit dem Wort „Wasatiya“ bezeichnet wird. In dem Wort steckt ebendieser Begriff der „Mitte“.

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Es ist kein Zufall, dass die Protagonisten dieses Islams überwiegend Unternehmer, Händler und Selbständige sind – wie es auch Mohammed war und später jene waren, die die strengen puritanischen Mahner der Reformation überwanden.

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Denn im Islam ist alles außer dem Glaubensbekenntnis relativ, kann also angepasst werden. Die modernen Muslime, die so verfahren, leiten ihre Flexibilität aus den Quellen des Islams ab, dem Koran, den Aussprüchen Mohammeds und der Tradition der islamischen Rechtsprechung.
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Nachrichten in diesem Thema
Kulturen im Konflikt - von Erich - 05.05.2004, 21:27
RE: Kulturen im Konflikt - von Schneemann - 06.09.2023, 08:56
RE: Kulturen im Konflikt - von Quintus Fabius - 01.11.2023, 11:13
RE: Kulturen im Konflikt - von Quintus Fabius - 01.11.2023, 11:14
RE: Kulturen im Konflikt - von Nightwatch - 01.11.2023, 16:17
RE: Kulturen im Konflikt - von Schneemann - 07.11.2023, 11:59

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