Kulturen im Konflikt
Sagen wir so: Die USA waren nach 1990 im Grunde auf dem Gipfel ihrer Macht als einzige, zu diesem Zeitpunkt noch verbleibende Supermacht. Die UdSSR zerfiel, China war erst im Aufstieg begriffen und zudem nach Tiananmen 1989 diplomatisch diskreditiert, Indien war noch kein großes Thema (außer dem Bevölkerungswachstum), Europa - besonders auch Deutschland - stapfte vorsichtig durch die Irrungen und Wirrungen der Wiedervereinigung und die Folgen des Falls des eisernen Vorhangs und am Golf, besonders in Iran, waren die Folgen von Golfkrieg I noch eminent.

Die bittere Ironie ist indessen, dass die USA ihre Rolle als globale Instanz selbst nicht richtig einordnen konnten und über ein gewaltiges Arsenal auf dem Globus verfügten, das sie so nun nicht mehr brauchten. An sich schlaue Köpfe wie Francis Fukuyama schwadronierten gar schon vom "Ende der Geschichte" und vom endgültigen Sieg der westlich-demokratischen Staatsform, wie die WELT ja auch schreibt (indessen geschieht die Wiederlegung dieser These nicht erst jetzt, sondern sie nahm schon vor 15 Jahren ihren Anfang, an der WELT ist dies aber vorbeigegangen). In der Folge konzentrierten sich die USA, besonders nach dem Scheitern der Somalia-Mission zu Beginn der 1990er, vor allem und wieder einmal auf sich selbst und reduzierten ihr Arsenal und ihr Budget. Unter Clinton sah man dann innenpolitisch eine durchaus gute Entwicklung der Wirtschaft, man lehnte sich - fast schon isolationistisch - zurück und ruhte sich auf den Lorbeeren aus.

Doch die Geister, die man in der Vergangenheit teils aktiviert und selbst gerufen hatte, waren noch aktiv, was man aber naiverweise übersah. 1998 flogen dann in Ostafrika die US-Botschaften in die Luft, 2000 folgte der "Cole"-Anschlag und 2001 der monströse Akt des 11. September. Und in den USA war eine neue Regierung am Ruder, die sich aus kurzsichtigen, mit neokonservativem Sendungsbewusstsein versehenen Politikern (Bush jr., Rumsfeld, Cheney) zusammensetzte, die sich auf rigide Kriegstreiber wie Perle oder Wolfowitz stützte und die dachte, sie könnte den Orlog des "war on terror" sowie den Irak-Feldzug und eine globale Polizeirolle mit völlig unzureichenden Mitteln und teils arroganterweise unilateral stemmen. Dabei ruinierte man zugleich noch das eigene, durchaus auch teils sogar in der Umma bestehende hohe Ansehen als demokratisch-moralische Instanz mit fragwürdigen Geheimdienstmethoden und Skandalen wie Abu Ghraib und Guantanamo. Mit den Kriegen und einer miesen Wirtschafts- und Innenpolitik ramponierte man zudem noch den eigenen Haushalt und hinterließ der jetzigen Administration einen gewaltigen Schuldenberg. Wobei man außerdem völlig übersah, dass sowohl Russland als auch China und sogar der Iran oder Indien sich langsam aufrappelten oder wieder aufgerappelt hatten. Kurz: Die Phase von nach 2000 bis heute war ein verlorenes Jahrzehnt für die USA. Sie wird deswegen nicht untergehen oder zerbrechen, sie wird auch noch die Weltmacht Nr. 1 sein, aber sie wird an den Folgen dieses verlorenen Jahrzehnts noch lange knabbern müssen, vermutlich zehn bis 15 Jahre.

Was nun die Rivalen angeht: Diese brauchen sich deswegen nicht allzu sehr freuen. Russland etwa genießt zwar derweilen den Reichtum seiner Rohstoffreserven - was aber auch nur einem relativ kleinen Kreise zugute kommt -, hat aber ansonsten nachwievor wenig zu bieten, außer Rüstungsprodukten. Man ruht sich fataler Weise auf diesem neu geschaffenen Rohstoffreichtum aus, eine richtige Innovation bleibt jedoch aus, vom Rückfall in eine zunehmend autokratische Staatsform mal ganz abgesehen. Zudem sieht man sich enormen demographischen Problemen gegenüber, vor allem im östlichen Teil des Landes und hinsichtlich Chinas; im Süden lauert ferner eine nicht wegzudiskutierende Gefahr durch eine islamische Erneuerungsbewegung. Kurz: Auch wenn man im Geld schwimmt, hat man ein großes Problem...

China indessen ist ein gewaltiges Boomland, keine Frage, aber es haben grob nur 30% der Chinesen Anteil am Boom, der große Teil der Bevölkerung profitiert kaum davon. Von den religiösen und politischen Verwerfungen in den Westprovinzen (Uiguren, Tibet) rede ich mal noch gar nicht. Nein, es geht um die kleinen Unruhen, die lokalen Krawalle, die Arbeiterproteste in den Nord- und Südprovinzen, die bei uns in den Medien nur am Rande mal auftauchen, wobei aber teils tausende Menschen auf der Straße sind. Dabei sind gerade sie ein Zeichen, dass die negativen Folgen des ungehemmten Booms auch die zentralen Landesteile schon erreicht haben. Dazu kommt eine massive Umweltverschmutzung und außenpolitisch vor allem die drohende Gefahr eines Konfliktes mit den unmittelbaren Nachbarn (Japan, Südkorea, Taiwan, Philippinen), teils aus ideologischen, teils aus rein rohstoffkleptokratischen und nationalistischen Gründen. Insofern: Wirtschaftlich und finanziell ist das Reich der Mitte ein "global player", eine kontinentale oder gar globale Leit- und Identifikationsnation, eine Weltmacht im eigentlich Machtsinne, ist es aber nicht und bezüglich der jetzigen Situation kann es dies auch nicht werden, egal ob man einen alten CV neu anmalt oder nicht. Dazu sind die Probleme zu groß.

Der Iran wird allenfalls eine Regionalmacht werden, was aber schon schwierig genug werden wird, da es noch andere Staaten in seinem Umfeld gibt, die einem Erstarken des schiitischen Gottesstaates sehr kritisch bis feindlich gegenüberstehen (Saudi-Arabien, Israel, Türkei, Pakistan, teils Afghanistan). Von einer möglichen Eskalation um das Atomprogramm möchte ich dabei noch nicht einmal reden. Zudem sind der eigenen mutmaßlichen Machtausdehnung enge Grenzen gezogen, quasi ist sie nur auf die schiitischen Gebiete des Nahen Ostens möglich (und auch da fraglich). Ferner wird das Land von gravierenden innenpolitischen Sorgen gebeutelt, u. a. Korruption, Vetternwirtschaft, Inflation, eine verheerende Drogenproblematik, eine zunehmend sich vom Mullahstaat abwendende Jugend. Kurzum: Das Land ist von vielen Problemen gezeichnet, und solange diese nicht gelöst werden können, helfen auch keine groß in Szene gesetzten Weltraum- oder Waffenprojekte, um sich ein Platz als Regionalmacht zu sichern.

Schneemann.
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Kulturen im Konflikt - von Erich - 05.05.2004, 21:27
RE: Kulturen im Konflikt - von Schneemann - 06.09.2023, 08:56
RE: Kulturen im Konflikt - von Quintus Fabius - 01.11.2023, 11:13
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RE: Kulturen im Konflikt - von Schneemann - 07.11.2023, 11:59

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