Brasilien
Rund 150 Millionen Menschen in Brasilien entscheiden heute bei den Wahlen im Lande nicht nur über den neuen Präsidenten und Vizepräsidenten, sondern zugleich auch über die Senatoren im Nationalkongresses und die Gouverneure in den einzelnen Bundesstaaten. Eine Mammutwahl. Und eine Wahl, die überschattet wird vom "Kampf" zweier Männer - Lula da Silva und Jair Bolsonaro. Links- gegen Rechtspopulist, wenn man es darauf reduzieren möchte.

Bolsonaro hat sich in seiner Amtszeit bisher v. a. durch sehr markige Töne und teils auch Fake News gegenüber seinen Gegnern in Szene gesetzt. Kritiker werfen ihm zudem vor, dass unter seiner Herrschaft die Abholzung des Amazonas stark vorangeschritten ist. Zudem durchlitt Brasilien eine Wirtschaftskrise, aus der es sich derzeit erst langsam wieder erholt. Fairerweise muss man sagen, dass diese Krise auch durch Corona etc. mit verursacht wurde, dennoch blieben unter Bolsonaro wichtige Reformen aus, was derzeit diese Erholung verzögert. So haben Menschen zwar teils wieder Arbeit gefunden, aber geschätzte 30 Millionen Menschen arbeiten ohne Krankenversicherung bzw. ohne jegliche soziale Absicherung. Insgesamt gesehen ist seine Bilanz also nicht sonderlich schmeichelhaft.

Lula da Silva hatte Brasilien bereits einmal regiert - von 2003 bis 2010. Beobachter sehen seine Regierungszeit mit gemischten Gefühlen, einerseits erlebte das Land einen wirtschaftlichen Boom und Lula verbesserte die Lage der ärmeren Schichten im Lande erheblich durch Sozialprogramme (siehe Fome Zero), was ihm sehr viel Zuspruch einbrachte. Andererseits blühte in dieser Zeit auch die Korruption im Land, was später - nach seiner Amtszeit - auch dazu führte, dass er temporär ins Gefängnis musste. Das Urteil gegen ihn wurde zwar später von höherer Instanz wieder einkassiert und er selbst beteuert bis heute, er sei ein Opfer einer Verschwörung. Dennoch lässt sich nicht verleugnen, dass - selbst wenn er selbst unschuldig ist - er sehr wenig gegen die ausufernde Korruption unternommen hatte. Man kann ihn also mit gemischten Gefühlen betrachten...

Glaubt man aktuellen Umfragen, so liegt Lula vor Bolsonaro. Allerdings kann es dennoch sein, wenn er gewinnen sollte, dass wir noch einige protestgeladene Tage erleben könnten, denn Bolsonaro hat angekündigt, dass er die Wahl ggf. nicht anerkennen wird bzw. hat von Wahlbetrug gemunkelt - man fühlt sich an Trump erinnert...
Zitat:Brasilien vor einer Schicksalswahl

Stresstest für die Demokratie

Die Brasilianer stimmen über ihren neuen Präsidenten ab. In den Umfragen liegt der linke Ex-Staatschef Lula da Silva deutlich vorn. Allerdings hat Präsident Bolsonaro bereits im Vorfeld Zweifel am Wahlsystem geschürt. [...]

Wer vertraut den Zahlen? Laut allen relevanten Instituten liegt Lula deutlich vor Bolsonaro. Der allerdings schürt seit Monaten Zweifel an Umfragen, Medien und auch am Wahlsystem. "Schaut auf dieses riesige Menschenmeer in grün-gelben Farben. Hier herrscht nicht das Lügen-Umfrageinstitut Data-Folha, hier sehr ihr die Data des Volkes, hier herrscht die Wahrheit", erklärte Bolsonaro am Nationalfeiertag, Anfang September, vor Zehntausenden an der Copacabana. [...] Sollte Bolsonaro eine Niederlage erleiden, dann muss Betrug dahinterstecken, davon sind viele seiner Anhänger überzeugt. Fachleute bestätigen seit Tagen: Brasiliens elektronische Urnen sind zuverlässig. Doch das Misstrauen ist gesät - auch, weil Bolsonaro die Wahl zu einem Kampf des Guten gegen das Böse erklärte. "Auf der einen Seite, eine Person, die Familien, Gott und das Vaterland verteidigt, auf der anderen Seite, Lula der größte Dieb der Geschichte Brasiliens." [...]

Lula regierte Brasilien von 2003 bis 2010. Es waren goldene Jahre, die Wirtschaft boomte - gleichzeitig blühte die Korruption, nicht nur, aber eben auch in Lulas Arbeiterpartei. Er selbst wurde, in einem umstrittenen Prozess, zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Später wurden die Urteile aber annulliert. Lula beteuerte stets seine Unschuld. [...]

Steht bei dieser Wahl wirklich Grundsätzliches auf dem Spiel? Kommt es bei einer möglichen Niederlage Bolsonaros gar zu chaotischen Szenen wie beim Kapitolsturm in Washington? Das Klima ist angespannt, es gab sogar tödliche Angriffe. Bolsonaro jedenfalls kippt weiter Öl ins Feuer. "Es ist notwendig, dass wir Lulas Gang bekämpfen. Wir werden kämpfen. Und ich wiederhole: Ein bewaffnetes Volk lässt sich nicht versklaven", erklärte er bei einem Auftritt im Bundestaat Sao Paulo vor wenigen Tagen.
https://www.tagesschau.de/ausland/afrika...l-119.html

Bedenklich ist, dass Bolsonaro anscheinend Teile des Militärs dazu gebracht hat, die Korrektheit der Wahl in Frage zu stellen. Das muss nicht gleich auf einen Putsch hindeuten, aber könnte die Situation unnötig verschärfen...
Zitat:Friedlicher Machtwechsel nicht sicher: Brasilien fürchtet einen Putsch

Präsident Jair Bolsonaro hat angekündigt, eine Wahlniederlage nicht zu akzeptieren. Seine Anhänger sind bewaffnet und entschlossen. [...] Er werde das Wahlergebnis akzeptieren – solange bei den Wahlen alles mit rechten Dingen zugehe, wiederholt Präsident Jair Bolsonaro gegenüber seinen Anhängern. [...]

Denn es sieht nicht gut für ihn aus: In den Umfragen liegt nicht er, sondern sein Kontrahent Luiz Inacio Lula da Silva 14 Prozentpunkte vor ihm. Ein Wahlsieg des Ex-Präsidenten Lula scheint jüngsten Umfragen zufolge schon im ersten Wahldurchgang möglich. [...]

Seit dem Jahr 2000 finden die Wahlen in Brasilien vollständig elektronisch statt. Damit konnten die vorher üblichen Manipulationen an den Wahlurnen verhindert werden. Auf Anweisung Bolsonaros säen auch die Militärs hartnäckig Zweifel gegen das System. Für die Bolsonaro-Anhänger ist klar, dass das System manipulierbar ist. Bolsonaro könnte deswegen am Wahltag das Wahlergebnis anfechten mit Hinweis auf angebliche Unregelmäßigkeiten. [...]

Das würde eine explosive Situation schaffen: Denn Bolsonaro hat in dreieinhalb Jahren an der Macht die Voraussetzungen geschaffen, um Unruhen anzetteln zu können. Viele seiner Anhänger auch in der Mittelschicht sind heute bewaffnet. Bolsonaro hat die Waffengesetze systematisch gelockert. Die Zahl der Waffen in der Zivilbevölkerung hat sich in seiner Regierungszeit auf zwei Millionen verdoppelt. Einige der föderalen Polizeieinheiten hat Bolsonaro zu gefürchteten Eliteeinsatztruppen aufgebaut. Die Autobahnpolizei etwa – Policia Rodoviaria Federal – tritt auf wie eine Leibgarde des Präsidenten.
https://www.handelsblatt.com/politik/int...15526.html

Schneemann
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