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Vorlesung 1. Weltkrieg
#13
Die Interpretation Wolfgang Mommsens und Hans-Ulrich Wehlers

Sie sehen eine Flucht nach vorne in einer verfahrenen innenpolitischen Lage.
• Die SPD war trotz aller Versuche sie klein zu halten bei der Reichstagswahl von 1912 zur stärksten Fraktion geworden
• Ein unaufhaltsamer Parlamentarisierungstrend drohte die Fundament der Verfassung von 1871 hinwegzuspülen und das monarchische System in seinem Grundfesten zu erschüttern, so daß die alten Eliten um macht und Einfluß fürchten mußten.
• Mit dem Reformstau im Inneren und einer Blockadeposition des Reichstages gegenüber de monarchischen Exekutive stand das deutsche konstitutionelle System vor der Unregierbarkeit

Dieser Ansatz ist daher schlüssig, als daß Machteliten gerne Risiken eingehen wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Läßt sich jedoch dieser Befund auch von Rußland und Österreich auf Berlin übertragen? Laßt sich dieser Kausalnexus auch auf die Julikrise belegen? Gibt es also einen Zusammenhang zwischen den Problemen und den Entscheidungen?

• Die Krise gab es, aber sie war nicht ausweglos. Die Gegenkräfte waren zu schwach und die Stützfaktoren des Systems waren zu stark.
• Die Krise war keine ausweglose, sondern eine stabile Krise. Das System war keineswegs am Ende. Dazu waren die Gegenkräfte zu schwach und dazu waren die Verteidiger des Systems zu stark. Die zerklüfteten Partikularinteressen im Reichstag verhinderten einen konzentrierten Angriff auf das System, der Monarchismus der Deutschen war eine feste Große, das weit verbreitet Gefühl des Antiparlamentarismus; die konservative Bastion Preußen war intakt und bildete einen Unüberwiegbahren Sperriegel gegen eine Erosion des Systems: Unter den Führungsschichten herrschte deshalb kein Konsens, daß von einem Krieg systemstabilisierende Wirkungen zu erwaten seinen und man ihn aus diesem Grunde führen müsse
• Klein quellengestützter Konnex zwischen Problemlage und Kriegsbereitschaft. Von Bethmann Hollweg sind zahlreiche Äußerungen

Die „Theorie des kalkulierten Risikos“ von Egmont Zechlin, Karl Dietrich Erdmann, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand


Sie entwickelten ihre Theorie in der Auseinandersetzung mit Fischer. Die Entscheidungen bis Juli 1914 müssen vor allem im Lichte außenpolitischer Gesichtspunkte gefällt werden.
Das Deutsche Reich nahm bewußt durch eine kalkulierte Politik hart am Rande des Krieges das Risiko einer Entfesselung des Krieges in kauf, beabsichtigte diesen jedoch nicht als primäre Option außenpolitischen Handelns
Das Ziel war es, den Bündnisring gegen das Deutsche Reich aufzusprengen, die französisch-russisch-englische Allianz durch eine Politik gezielter Eskalation und einer Drohung mit dem Krieg auseinanderzumanövrieren
Es war eine begrenzte Offensive mit dem defensiven Ziel der Selbstbehauptung als Großmacht. Ein Weltmachtsstreben ist nicht die Ursache!

Die Grundgedanken der Politik des kalkulierten Risikos:
1. Aus den Verhalten der Großmächte im Krisenjahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg folgerte Riezler, daß Großmachtpolitik in der Gegenwart immer mehr zu einer Politik des Aufschubs kriegerischer Auseinandersetzungen geworden sei. Alle Großmächte setzten darauf, den großen Krieg zu vermeiden und ihm letztlich aus dem Wege zu gehen. Solche Gründe des Aufschubs waren für Reizler die immer noch mögliche Parallelexpansion der Großmächte in außereuropäische Gebiete, die starke Verflechtung wirtschaftlicher Interessen sowie der zerstörerische Charakter moderne Großkriege, die an der Existenzgrundlagen der Großmächte rührten. Für alle europäischen Großmächte bedeutet ein verlorenen Krieg gegen eine Großmacht, menschlicher Voraussicht nach, den politischen Ruin.
2. Machtgleichgewicht ist vom Faktor der Rüstung bestimmt. Das Wettrüsten ist die moderne Form des Aufschubs. Die Wahrung des Rüstungsgleichgewichts ist daher für die Erhaltung des Friedens bestimmend. Die Kanonen schießen nicht, aber sie reden mit in den Verhandlungen. Die Rüstungen sind aber vorwiegen politisch und nicht militärisch motiviert, um den Gegner erpressen zu können und zum nachgeben zu bringen
3. In einer außenpolitischen Krise ist entscheiden, wer am glaubwürdigsten mit dem Krieg droht, in Europa stehen sich in zwei Lager erstarrte, hochgerüstete Bündnissysteme gegenüber. Deshalb kann nur der Staat eine Verschiebung der Mächtekonstellation erreichen, der mit der Methode des diplomatischen Bluffs die Kriegsdrohung möglichst überzeigend vorträgt. Der Bluff so Riezler ist das Hauptrequisit der Diplomatie
4. Die Kunst der Politik ist es, um selbst nicht ins Hintertreffen zu geraten und die eigenen Position verbissen zu können dem Gegner die Verantwortung für die Auslösung des großen Konflikts zuzuschieben Da so Riezler zwischen zwei streitenden Teilen niemand den krieg will wird auch der Mächtigere vor die Alternative Krieg oder Frieden gestellt zurückweichen
5. Da Deutschland mit einer stagnierenden Macht, Ö-U verbündet ist und sich einer auf lange Sicht überlegenen Mächte Konstellation gegenübersieht. das Kräfteverhältnis zwischen beiden Bündnissystemen verschiebt sich.

Riezlers Tagebuch als Schlüsselquelle für die Strategie der Reichsleitung in der Julikrise
1. Der Blankoscheck entsprang keiner Kriegswilligkeit, um einen großen Krieg unter allen Umständen herbeizuführen; aber man tat alles um die Krise eskalieren zu lassen und den Krieg möglich zu machen. Sie gehen zwar das Risiko des Krieges ein, wollen ihn aber nicht unbedingt
2. Es gab in der Julikrise weder ein festumrissenes Eroberungsprogramm noch eine sozialimperialistische Krisenstrategie, die die Flucht in den Krieg aus innenpolitischen Gründen nahelegte.
3. In Berlin war man geplagt von der Vorstellung, der morsche Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn könne über kurz oder lang auseinanderbrechen. Bethmann Hollweg klar „Österreich-Ungarn wird immer schwächer. Die Unterhöhlung aus dem Süden und Nordosten schreitet immer weiter voran. Es ist unbedingt notwendig Ö-U einen Prestigeerfolg zu verschaffen“ Also. Schnelle Aktion gegen Serbien, dann Schock und den Rest aushalten bis die Entente zerfällt
4. Die fatalistische Phobie vor der wachsenden politischen und militärischen Stärke Rußlands.
5. Das Eskalationskalkül. Es galt, die Krise so eskalieren zu lassen, daß sie bis an den Rand des Krieges trieb, daß Rußland, Frankreich und England unter Kriegsdruck gestellt wurden, daß ihnen die Entscheidung über Krieg oder Frieden oblag. Deshalb durfte eine Vermittlung nicht zu früh einsetzen. Vielmehr war gemäß der Bluff-Theorie genau zu kalkulieren, bis zu welcher Eskalationsstufe die Krise hochgetrieben werden durfte
6. Man nahm den Krieg als denkbares Ergebnis des Krise bewißt in Kauf. Dieser war jedoch nicht die angestrebte Option. Die gewünschte und gedeckte Strafaktion gegen Serbien sollte der Prüfstein für die russische Kriegsbereitschaft sein. Wenn der sich Zar auf die Seite der Fürstenmörder stellt, dann ist es besser den Krieg jetzt zu führen.
7. Die beste Krisenlösung: ein diplomatischer Triumph. „kommt der Krieg nicht, will der Zar nicht oder rät das bestürzt Frankreich zum Frieden, so haben wir doch noch Aussicht, die Entente über diese Aktion auseinanderzumanövrieren.

Es ist ein defensives Kalkül der Selbstbehauptung als Großmacht. Es speist sich nicht aus einem Gefühl der Stärke sondern aus Einsicht des eigenen Machtverfalls
Es ist eine Strategie mit unkalkulierbarem Risiko. Das beruht schon auf der Tatsache daß man auf Österreich keinen Einfluß nehmen kann. Die Gegenseite kann darüber hinaus viel länger das Risiko durchhalten. Darüber hinaus gibt es das Risikospiel der deutschen Militärkraft, die überhaupt nicht vorhanden ist Kalkulierbar ist dieses Risiko nur wenn Österreich die Situation für einen sofortigen Schlag gegen Serbien ausnutzt, wozu die Österreicher überhaupt nicht in der Lage sind.

Die Eskalation der Julikrise:
Österreich regiert trotz des deutschen Blankoschecks nur sehr zögernd, wofür es drei Gründe gibt:
1. Meinungsverschiedenheiten in der Österreichischen Führungskrise, was man mit einem besiegten Serbien überhaupt machen soll. Alle sind für einen Krieg gegen Serbien, aber es gibt den ungarischen Ministerpräsident Tisza, der auf keinen Fall weitere Slawen in der Monarchie haben will, da er die ungarische Monarchie im östlichen Reichsteil befürchtet. Man einigt sich schließlich auf einen Sattelitenstaat.
2. Konrad muß eingestehen daß die Armee überhaupt nicht schlagfertig ist. Beträchtliche Truppenteile befinden sich bis zum 15. Juli auf Ernteurlaub, von dort können sie ohne großen Volkswirtschaftlichen Schaden nicht zurückgerufen werden
3. Man befürchtet ein Eingreifen Bulgariens und Rumäniens. Erst als die Deutsche Regierung zusagt Bulgarien an den Dreibund heranzuführen und Rumänien neutral zu halten gibt Tisza nach.

Am 19. Juli ist der Text des Ultimatums fertig. Das Datum der Übergabe wird auf den 23. Juli festgelegt, da der französische Präsident gerade in Sankt Petersburg ist. Das ist Vier Wochen nach dem Attentat, damit ist das Überraschungsmoment weg.
Der österreichische Gesandte gibt das Ultimatum an die serbische Regierung mit einer Zeitspanne von 48Stunden. Dies ist die erste Fehlrechnung in der Deutschen Strategieplanung
Das Ultimatum ist so abgefaßt, daß es für Serbien unannehmbar ist, es wird aber dennoch angenommen.
Serbien kommt den österreichischen Forderungen weit entgegen. Es verwehrt sich gegen die eingriffe der Souveränität, sagt aber massives Vorgehen gegen die anti-österreichischen Umtriebe zu.
Wenn nun Österreich dennoch den Krieg erklärt ist klar daß man nur einen Kriegsgrund sucht.
Am 25. Juli mobilisieren Serbien und Österreich-Ungarn ihre Armeen. Serbien erhält noch am gleichen Tag von Rußland die Ermutigung gegenüber Wien fest zu bleiben und nicht mehr nachzugeben. Dahinter liegt ein französischer Blankoscheck gegenüber Rußlands.

Weshalb setzt Frankreich jedoch nicht auf eine Beruhigung der Krise sonder auf eine Eskalation genau wie Deutschland?
Im Mai 1914 waren Wahlen in Frankreich die eine sozialistische Mehrheit erbracht hat. Diese Mehrheit hat die Wahl damit gewonnen, daß die Französische 3-jährige Dienstpflicht auf 2 Jahre verringert wird. Dies würde die Friedenstruppen massiv verringern, was den Plan 17 außer Kraft setzen würde. Für den Fall daß dies eintritt muß Frankreich eine schwere Belastung der Beziehungen zu Rußland befürchten. Aus den Aufzeichnungen des französischen Botschafters geht hervor das Frankreich alle Bündnisverpflichtungen erfüllen werde. Der französische Blankoscheck entspricht also dem Deutschen, wird jedoch zu einem ganz anderen Zeitpunkt gegeben. Die Deutschen erschaffen die Krise, Frankreich führt sie damit aber zum Krieg. Als der russische Außenminister von dem Ultimatum an Serbien hört ruft er aus „das ist der europäische Krieg“
Der Kaiser ist über die serbische Annahme des Ultimatums sehr befriedigt, er bemerkt daß damit jener Kriegsgrund fortfällt. Allerdings muß man die Krise noch verschärfen, man schlägt britische Vermittlungsversuche zurück, da eine Konferenz den anvisierten Erfolg nicht erbringen kann. An diesem Tag (27. JUuli) schickt Hollweg erneut ein Telegramm an Wien daß die Ösis auffordert die Welt vor vollendete Tatsachen zu stellen.
In St. Petersburg und Paris stuft man die Deutsche Politik als Kriegsbereit ein. AM 28. Juli erklärt Österreich Serbien den Krieg. AM 29. Juli beschießt die österreichische Artillerie die serbische Hauptstadt. Zu einer Besetzung Serbiens ist Österreich nicht in der Lage, vor dem 12. August kann kein richtiger Angriff passieren. Die Beschießung soll lediglich eine friedliche Einigung verhindern hat aber sonst keinen militärischen nutzen.

Rußland proklamiert schon am 26. Juli die Kriegsvorbereitung. Vier Bezirke beginnen mit der Teilmobilmachung. Für den 30. Juli wird die Russische Mobilmachung nach der Beschießung Belgrads angeordnet, was jedoch zunächst zurück gehalten wird als Kaiser Wilhelm an den Zar telegrafiert, was jedoch den Automatismus nicht mehr aufhalten kann.

Ab dem 28. Juli tritt Bethmann Hollweg massiv auf die Bremse und versucht die Eskalation abzubrechen. Er schickt die sogenannten Weltbrandtelegramme an Wien.
• Halt in Belgrad. Österreich sollte sich mit der Besetzung Belgrads als eines Faustpfandes zufrieden geben
• Empfehlung schnellstens Verhandlungen mit Rußland aufzunehmen
• Um den italienischen Dreibundpartner bei der Stange zu halten der sofort erklärt hatte, daß er das Vorgehen Wiens gegenüber Serbien mißbillige, schlug er Wien vergeblich vor, die italienischen Irredentabestrebungen durch die Abtretung Südtirols zu befriedigen.

Es gibt Vier Gründe weshalb er jetzt damit beginn Wien zum Einlenken zu bewegen.
1. Das schroffe Ultimatum, die serbische Annahme und die Kriegserklärung haben die europäische Situation auf die Seite Serbiens gezogen
2. Österreich hat sich als unfähig bewiesen vollendete Tatsachen zu schaffen und zeigt sich militärisch Unfähig
3. die Russische Teilmobilmachung läßt Hollweg erkennen daß man in St. Petersburg nicht gewillt ist sich vor vollendete Tatsachen stellen zu lassen. England erklärt am gleichen Tag daß es nicht abseits stehen werde wenn Frankreich mitmischt.
4. Die Aufnahme von Verhandlungen ist wichtig, damit man nicht als Kriegstreiber gilt und ihn nicht beginnt. Die Sozialdemokraten sind nicht zur Bewilligung von Mitteln zu bewegen, wenn der Krieg kein Verteidigungskrieg ist. Rußland muß rücksichtslos ins Unrecht gesetzt werden.
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