Türkei
IMF will Kredit an die Türkei nicht auszahlen
Streit um neu gesprochene Subventionen

Wegen fehlender Haushaltsdisziplin und schleppender Reformen droht der Türkei die Aussetzung eines Stand-by-Abkommens des Internationalen Währungsfonds. Gleichzeitig boomt jedoch die türkische Wirtschaft, und das Land zieht immer mehr Wertpapier-Investitionen aus dem Ausland an.

Die türkische Regierung Präsident Erdogans hat zum ersten Mal vom Internationalen Währungsfonds (IMF) eine kalte Dusche bekommen. Die Regierung beschloss, die Zahl der Provinzen, für die der Staat Investitionszulagen gewährt, von 36 auf 49 zu erhöhen (das Land besteht aus 81 Provinzen). Der für die Türkei zuständige Vertreter des IMF, Hugh Bredenkamp, erklärte daraufhin in einem Interview, der Fonds könne unter diesen Umständen das neue Stand-by-Abkommen mit der Türkei nicht anwenden. Die Erweiterung der Investitionsanreize hindere die Türkei daran, ihre Budgetziele zu erreichen. Hohe Defizite im Haushalt und in der Handelsbilanz sind ohnehin die Schattenseiten des türkischen Wirtschaftswunders unter Erdogan.

Sparempfehlungen
Bredenkamp empfahl der türkischen Regierung, entweder die Entscheidung über die Ausweitung der Subventionen zu prüfen oder an anderer Stelle zu sparen. Wenn die Budgetvorgaben nicht eingehalten würden, könne der IMF mit seinem Programm nicht weitermachen. Es geht um einen Kredit von immerhin 10 Mrd. $, den die Türkei an sich gut gebrauchen könnte. Ihre Auslandsschulden sind hoch, und in Anbetracht der steigenden Zinsen in den USA könnten die privaten ausländischen Investoren beim Kauf türkischer Staatsanleihen zu zögern anfangen.

Der IMF hatte sich schon zuvor beunruhigt gezeigt über die Langsamkeit, mit der die Türkei an die Reformen des Steuersystems, des Bankwesens und des Rentensystems herangeht. Die Regierung sieht die Sache allerdings anders. Gemäss Äusserungen des stellvertretenden Ministerpräsidenten Adüllatif Sener bringt die Erweiterung des Förderungsgebietes überhaupt keine Kosten für den Staatshaushalt mit sich. Die türkische Lira reagierte auf die Nachricht der Unstimmigkeiten zwischen Regierung und IMF dennoch mit einem Verlust von gut 1% gegenüber dem allgemein wieder etwas zu Kräften gekommenen Dollar.

Sehr gute Wirtschaftsdaten
Abgesehen von den Ungleichgewichten im Staatshaushalt und in der Handelsbilanz sowie einer noch immer hohen Arbeitslosigkeit, steht die türkische Wirtschaft allerdings derzeit sehr gut da. Die Industrieproduktion hat im letzten Jahr um durchschnittlich 9,8% zugelegt. Im Jahr davor waren es bereits 8,5% gewesen. Die Einführung der neuen Lira (YTL) im Verhältnis 1 zu 1 000 000 gegenüber ihrer von jahrzehntelanger Inflation aufgeblähten Vorgängerin hat ebenfalls vorzüglich geklappt. Die einfache Umrechnungsrelation hat vermutlich dazu beigetragen, dass die Umstellung nicht für heimliche Preiserhöhungen ausgenutzt wurde. Obwohl der Januar in der Türkei im Allgemeinen ein typischer Inflationsmonat ist, stiegen die Lebenshaltungskosten in diesem Jahr lediglich um 0,55%. Auf das Gesamtjahr umgerechnet wäre das eine Teuerung von weniger als 7% nach etwas unter 10% im Vorjahr - für türkische Verhältnisse fast traumhafte Zustände. Lediglich teilweise sind die guten Inflationszahlen einer Bereinigung des Warenkorbs zum Jahreswechsel zu verdanken. Der Anteil des besonders inflationsträchtigen Postens der Mieten wurde auf ein realistischeres Niveau gesenkt.

Besonders türkische Staatsanleihen, aber auch die Aktien erfreuen sich eines anhaltenden Interesses ausländischer Anleger. Dazu tragen die immer noch hohen Realzinsen, eine seit Monaten starke Lira und der Blick auf die boomende Wirtschaft bei. Die Höhe der ausländischen Investitionen in türkische Wertpapiere hat sich im letzten Jahr auf 27,2 Mrd. $ verdoppelt. Die gute Börsenentwicklung zu Jahresanfang spricht dafür, dass der Trend bis jetzt ungebrochen ist. Auch der legendäre Investor George Soros hat neue Engagements in der Türkei in Aussicht gestellt.

Allerdings zieht die Türkei weit mehr flüchtiges Finanzkapital an als beständigere Direktinvestitionen. Der Streit mit dem IMF birgt die Gefahr in sich, dass sich Finanzinvestoren rasch wieder aus dem türkischen Markt verabschieden könnten. Türkische Börsenexperten schätzen dieses Risiko jedoch als gering ein, denn die Regierung hat bei Streitigkeiten mit dem IMF bisher noch jedes Mal nachgegeben. Dass die Regierung an anderer Stelle Subventionen zu kürzen gedenkt, zeigte sich jüngst an ihrer unpopulären Ankündigung, die Einkommenssubventionen für die Tee- Bauern streichen zu wollen. Betroffen ist besonders die Gegend von Rize mit ihren 19 000 Tee- Produzenten, aus der auch die Familie des Ministerpräsidenten stammt.

quelle:http://www.nzz.ch/2005/02/10/wi/articleCL4OL.html
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