Irak
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Zitat:Eine Fahrt durchs sunnitische Dreieck: ''Als Amerikaner bist du so gut wie tot''
Die Strecke von der jordanischen Hauptstadt Amman nach Bagdad gilt als eine der gefährlichsten der Welt. Aufständische lauern an dieser für den Irak wichtigsten Verbindung Ausländern auf.
"Fang an zu schlafen, wir sind da." Achmed muss es wissen. Der Jordanier mit irakischem Familienanhang arbeitet als Spediteur und hat sich spezialisiert: Sein einträgliches Geschäft ist es, Ausländer im Handumdrehen von Amman nach Bagdad zu befördern. Wenn möglich, lebend.

Dass Reisende unversehrt durch das sunnitische Dreieck gelangen, dafür soll eigentlich das Visum sorgen, sichtbarer Ausdruck einer neuen Rigorosität. Seit der Irak ein souveränes Land ist, benötigen Privatpersonen eine Einladung, Geschäftsleute und Journalisten die Referenzen ihrer Arbeitgeber.

Offizielle Einreise birgt LebensgefahrAber der 28. Juni 2004 ist lange her - und die Verhältnisse verschlimmern sich im Wochenrhythmus. Wer an der Grenze stolz den mühselig erworbenen Stempel vorzeigt, hat nur geringe Überlebenschancen, denn die irakischen Grenzposten sind längst vom Widerstand infiltriert. Penibel melden die Beamten nicht nur der vorgesetzten Stelle die Namen, Daten und Passnummern der interessanten Ausländer. Die Meldung geht auch an die Mujaheddin. Ihr Empfangskommando wartet ein paar Kilometer weiter hinten.

"Die einzige Lösung ist, an der Grenze nicht gesehen zu werden", schlussfolgert Achmed messerscharf. "Also leg dich hin und tu, als ob du schläfst. Ich kümmere mich um den Rest."

Deutsche haben Chancen - Amerikaner sind so gut wie totMit einem deutschen Pass, das fügt er noch hinzu, hätte man im Fall des Falles sogar gute Karten. Amerikaner, die den Widerständlern in die Hände fallen, seien so gut wie tot, desgleichen Briten und Australier. Und wie sieht es mit Franzosen aus? Franzosen... Der umtriebige Jordanier wiegt den Kopf, so wie ein Broker, der sich den Börsenstand ins Gedächtnis ruft. "Franzosen...tja - zur Zeit mal so, mal so."

Um diese Stunde, drei Uhr früh, sind die Posten nur schwach besetzt. Von der Schlafposition auf der Rückbank klingen die Stimmen der Grenzer wie ein amorphes Gemurmel. Manchmal ein Lachen, durch das heruntergekurbelte Autofenster ein Handschlag. Es raschelt, es knistert. Geldscheine wechseln den Besitzer. Und dann sind wir drüben.

Benzin ist knapp im ölreichen Irak
Erst hinter der Grenze wird es stressig: Achmed muss sich auf die Suche nach Benzin begeben - und das gehört im ölreichen Irak mittlerweile zu den größten Kostbarkeiten. Wohl dem, der in Jordanien genügend Sprit gebunkert hat, um an sein Endziel zu gelangen. Hinter der Grenze erreichen die Literpreise schwindelerregende Höhen. "Die Amerikaner wollten den Irakern doch Freiheit und Wohlstand bringen", knurrt der Spediteur kopfschüttelnd, "und jetzt haben sie in ihrem eigenen Land nicht mal genügend Öl."

Am Ende wird Achmed fündig: Einer der zahlreichen Schwarzhändler saugt am Straßenrand mithilfe eines Gummischlauches Benzin aus seinem Kanister und lässt es in unseren Behälter prasseln. Als die Sonne aufgeht, können wir uns endlich auf den Weg begeben.

''Ruinen, so weit das Auge reicht: Falludscha''
Die Autobahn ist leer. Traumhafte Zustände. Freie Fahrt für unfreie Bürger. Von Zeit zu Zeit laden am Rand der Piste leicht verbogene Sonnenschirme aus Metall die Reisenden zu Rast und Muße ein, darunter jeweils ein Metalltischchen und zwei Metallhocker montiert, eines der letzten Geschenke des gestürzten Saddam Hussein an das Volk. Wer aber will hier schon aussteigen, wer will Straßenräubern in die Hände fallen?

Plötzlich schwirren zwei US-Hubschrauber über uns - Deckung für einen Konvoi. Erst kommt uns ein US-Geländefahrzeug entgegen, die Luken mit MG-Schützen besetzt, dahinter mehr als 20 Tanklastwagen mit jordanischen Kennzeichen. Die Fahrer bringen das im Irak so knappe Benzin ins Haschemitenkönigreich.

US-Soldaten provozieren BlutracheAchmed flucht. "Warum geben die Jordanier sich zu so was her? Wer den Irak ausrauben hilft, ist ein Verräter an seinen arabischen Brüdern. Die Mujaheddin machen kurzen Prozess mit denen." Achmeds Meinung hat sich in den letzten Monaten geändert. "Früher", räumt er ein, "hatte ich auf dieser Strecke stets Angst vor den Mujaheddin. Jetzt sind die Amerikaner zum größeren Problem geworden: nervös und blind vor Wut. Sie fragen nicht mehr, sondern schießen gleich. Vor zwei Tagen hat ein irakischer Lastwagenfahrer einen US-Checkpoint übersehen. Die GI’s haben ihn in seinem Fahrerhaus abgeknallt. Dummerweise gehört der Mann zu einem Stamm, der in dieser Gegend sehr viel Einfluss hat. Jetzt müssen die Verwandten Rache üben, sie haben keine Wahl. Heute oder morgen passiert hier etwas, davon kannst du ausgehen."

Eigentlich, meint Achmed, seien die Mujaheddin sogar ganz nette Kerle. "’Fährst du Amerikaner, Australier oder Briten’, fragen sie mich, wenn sie mich stoppen. 'Arbeitest du mit der US-Armee zusammen? Nein? Dann Gott befohlen, gute Fahrt...’ Das sind beiliebe keine schlechten Menschen, sie haben mit den Saddam-Anhängern nichts am Hut. Alles was sie wollen, ist ein gottgefälliges Leben in einem islamischen Land zu führen."

Mujaheddin-Nachwuchs aus den Ruinen Falludschas
Auf einmal ein gespenstischer Anblick: Entlang der rechten Straßenseite ziehen sich Reihen sandfarbener Ruinen. Durch ihre leeren Fensterhöhlen fällt der Blick auf die Zerstörungen dahinter: Eine Wüste: Sandfarbene Ruinen, so weit das Auge reicht. "Falludscha", sagt Achmed trocken. "Verstehst du jetzt? In jeder Familie, deren Haus zerstört ist, wachsen neue Mujaheddin nach, Dutzende, Hunderte. Die Amerikaner können das nicht mehr verhindern, egal was sie noch tun, es ist zu spät. Die ganze Gegend von hier bis nach Amman und bis hinauf nach Mossul ist voller Widerständler. Und jeder unterstützt sie."

Abu Ghraib wächst weiter
Auf der nächsten Autobahnbrücke zeichnet sich eine lange Schlange ab: Menschen, die wieder in die Stadt hinein wollen, um nach ihren Häusern zu sehen. Bis zu zwei Tagen, weiß Ahmed, müssten sie oft vor dem Checkpoint warten. Den Amerikanern sei es überlassen, ob die Betreffenden hinein könnten oder nicht. Ein paar Kilometer hinter Falludscha liegt links neben der Straße hinter Stacheldraht und Betonmauern ein langgezogener Komplex, von Wachtürmen überragt. Der sandfarbene Anstrich ist frisch, in der Sonne glänzt der Stacheldraht - das Gefängnis von Abu Ghraib. "Hat Bush nicht nach den Folterungen zugesagt, dieses Gefängnis stillzulegen? Ich fahre diese Strecke zwei bis dreimal in der Woche. Ich sehe, wie das Gefängnis sich ausgeweitet hat, es wird nicht stillgelegt, es wird größer."

Wahlplakate: Farbtupfer in der Tristesse von Bagdad
Als wir in Bagdad ankommen, hat das Wetter sich geändert. Nieselregen fällt. Ansonsten der übliche Anblick: Betonwälle, Stacheldraht, abgeblätterte Fassaden, am Tigris noch die eine oder andere Ruine aus der Kriegszeit. Bunte Plakate kontrastieren mit dieser Tristesse: Hände, die irakische Fahnen in Wahlurnen stecken. Die vereinigte Schiitenliste wirbt mit dem weißbärtigen Konterfei von Großayatollah Sistani.

Auf den Straßen daneben tobt das Verkehrschaos, mitverursacht durch die unübersehbaren Autoschlangen, an deren Ende irgendwo eine Tankstelle liegen muss. Andere Staus bilden sich, wann immer US-Soldaten die Straßen abriegeln, weil ein Konvoi passieren will.

Auf ihren Panzern und schweren Geländewagen, den so genannten Humvees, unter den Helmen, hinter den Schutzbrillen, in ihren Panzerwesten eingemummt wirken die US-Soldaten wie Außerirdische. Die Zeit des Lächelns und des Winkens ist vorbei. "Verboten hinter diesem Militärfahrzeug zu fahren", steht auf Blechschildern, die an den Humvees herunterbaumeln. Jeweils der letzte MG-Schütze des Konvois kurbelt sich im Kreis herum, um Angriffsziele auszumachen.

"Jetzt bin ich für die Mujaheddin"Achmed zuckt die Achseln. "Ich versuche, die Amerikaner zu verstehen, aber ich schaffe es nicht. Kein Strom, kein Wasser, kein Benzin und keine Arbeit. Wollen sie die Menschen mit Alltagsproblemen von der Politik ablenken? Ich weiß nur eins: Ich war für sie, weil sie Saddam vertrieben haben. Jetzt bin ich für die Mujaheddin."

Am Abend melden die Nachrichten: "An einem Checkpoint, 50 Kilometer vor Bagdad, hat ein Selbstmordattentäter ein Dutzend Menschen mit sich in den Tod gerissen."
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