Iran
Iraner sind verrückt nach Luxus aus Europa
Von Silke Mertins, Teheran

Dem Atomkonflikt zum Trotz: Das Geschäft des Westens mit Iran boomt. Ausländische Hersteller starten in Kürze die Fertigung von Autos - vor Ort.


Mariam kann vor Begeisterung kaum an sich halten. "Seht mal hier!" und "Ist das schön!", entfährt es der 24-jährigen Studentin, während sie Schwester und Mutter vom Sofa zum Regal zur Lampe zerrt. "Ich könnte hier einfach alles kaufen." Grund ihrer Verzückung ist eine Art improvisierter Ikea-Shop im Einkaufszentrum Jam-e-Jam in der Teheraner Vali-Asr-Straße.

Offiziell ist der Möbelgigant in Iran nicht vertreten. "Dem Konzern ist der Zoll für eine eigene Filiale zu hoch", sagt der Verkäufer. Aber sein cleverer Chef importiert die Ware aus Deutschland und Dubai. Ikea-Schilder kopiert er einfach selbst. In Iran legen die Kunden für Möbel und Zubehör des Massenproduzenten rund das Doppelte des Einkaufspreises auf den Tisch. "Das Geschäft läuft prima", so der Verkäufer, "junge Leute stehen auf europäisches Design."



Deutsche Exporte boomen


Die Begeisterung ist nicht auf Ikea beschränkt. Iraner sind verrückt nach Produkten aus dem westlichen Ausland. Sie gelten als Inbegriff von Qualität, Luxus und Modernität. Und das Geschäft boomt. Trotz des Atomkonflikts haben die deutschen Exporte zwischen Januar und September 2004 mit 2,5 Mrd. Euro im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ein Drittel zugelegt. Damit ist Iran, das mit mehr als 60 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Land des Mittleren Ostens, zum wichtigsten Handelspartner der deutschen Wirtschaft in der Region geworden.


Der iranischen Kaufwut werden in naher Zukunft zudem weniger Grenzen gesetzt sein. Denn im Zuge der Wirtschaftsreformen ist in diesem Jahr eine Reihe von Gesetzen verabschiedet worden, die den Markt für ausländische Unternehmen öffnen. "Wir erleben eine Trendwende", sagt Michael Tockuss, Geschäftsführer der deutsch-iranischen Handelskammer. "Das läuft richtig gut."



Autoindustrie profitiert von neuer Wirtschaftspolitik


Von der neuen Wirtschaftspolitik in Teheran profitieren nicht die Branchen Möbel, Chemie und Lebensmittel, sondern vor allem auch die Autoindustrie. Bis vor sechs Monaten konnten keine ausländischen Autos importiert werden. Jeder Iraner wusste Geschichten von iranisch produzierten Pkw zu erzählen, die schon kollabierten, kaum dass sie vom Band gelaufen waren. Selbst die seit einigen Jahren vor Ort hergestellten Peugeot-Modelle hatten bisher nicht europäisches Niveau.


Doch dies wird sich nun ändern. Renault wird den Logan in der islamischen Republik montieren. VW hat schon Verträge unterschrieben, um den Golf ab der zweiten Jahreshälfte 2005 in Iran herzustellen. Und DaimlerChrysler will sogar die E-Klasse vor Ort vom Band laufen lassen.


"Die Autoindustrie macht uns zurzeit viel Freude", frohlockt Tockuss. Bei dieser Entwicklung sei davon auszugehen, dass auch die iranische Zulieferindustrie sich qualitativ enorm steigern wird. Gleichzeitig eröffnen sich für deutsche Kfz-Zulieferer neue Perspektiven.



Ein chancenreicher Standort


Iran sei für sie ein "chancenreicher Standort", urteilt die Unternehmensberatung Management Engineers, die im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und der Handelskammer eine Studie erstellt hat. "Der Bedarf an neuen Automobilen im Inland ist hoch, und zwar sowohl zur Deckung eines Massenbedarfs im Niedrigpreissegment als auch im höherpreisigen Segment." Langfristig halten die Autoren es sogar für denkbar, in Iran Teile für den Export nach Europa zu produzieren.


Derzeit besitzt nur jeder 18. Iraner ein Auto; in Europa kommt auf zwei Einwohner ein Fahrzeug. Darüber hinaus sind die Straßen voll von stinkenden Schrottkarossen. Sie stammen entweder noch aus der Zeit des Schahs oder sind heimisch produziert. In beiden Fällen ist der Benzinverbrauch enorm hoch und sind die Umweltstandards gering. Teheran leidet deshalb unter Dauersmog.



Lukrativer Markt für Luxusgüter


"Die Kaufkraft ist zwar nicht in der Breite, aber im oberen Drittel der Gesellschaft gestiegen", so Tockuss. Abnehmer für teure Autos und Luxusgüter zu finden sei kein Problem.


Hinzu kommen zusätzliche Einnahmen durch den derzeit hohen Erdölpreis. Die rekordverdächtigen Erlöse kommen dem Staat sehr gelegen. Allein in der Ölindustrie sollen in den kommenden Jahren 40 bis 50 Mrd. $ investiert werden. Es sollen neue Felder erschlossen und die Raffinerien ausgebaut werden. Für die noch immer um 1,7 Prozent wachsende Bevölkerung steigt außerdem ständig der Bedarf an Strom und Infrastruktur.
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