(Europa) Schweizerische Heeresstreitkräfte
#56
@AKINCI

Bei dieser Sichtweise könnten eine ganze Menge Staaten ihre Streitkräfte, die sie zur Heimatverteidigung brauchen, abschaffen. Spontan fallen mir ganz Europa mit Ausnahme von Spanien, Griechenland und vielleicht der Balkanstaaten ein. Die USA, Kanada, Australien, Neuseeland - die brauchen ja eigentlich auch keine Armee zur Heimatverteidigung, oder? Eine direkte Bedrohung ihres Territoriums gibts ja nicht! Sieht man von Terroranschlägen, Engagements in Übersee und Kontrolle der Ozeane mal ab, sind in all diesen Staaten keine Streitkräfte zur Sicherung nötig. Terrorbedrohungen wehrt man mit Geheimdienst- und Polizeiarbeit ab, für die Seeherrschaft genügt eine starke Flotte (die Schweiz braucht bekanntlich keine) und für Überseeoperationen würde eine genug starke Interventionstruppe ausreichen.
Zu Hause stellt man ganz einfach eine solide Luftverteidigung auf, dazu etwas Raketenabwehr, betreibt atomare Abschreckung und rüstet zur inneren Ruhe die Polizeikräfte auf. Das würde ja wirklich genügen, oder?

Lustigerweise macht keiner der angesprochenen Staaten irgendetwas in der Richtung bzw. schafft seine Armee ab. Am auffälligsten sind dabei die Australier, die momentan kräftig aufrüsten und es vermutlich von allen am wenigsten nötig haben.
Europa braucht vorerst keine Feinde mehr zu fürchten, die Sowjetunion und der Warschauer Pakt sind Vergangenheit, also ruck-zuck Armeen abschaffen! Wenn ich mich da so umsehe, ist davon weit und breit nicht die Rede.

Was die Schweiz im Speziellen betrifft, so ist die direkte Berechtigung ihrer Verteidigungsarmee seit dem Ende des Kalten Krieges genauso in Bedrängnis geraten wie im übrigen Europa.
Die GSoA, die "Gruppe für eine Schweiz ohne Armee", kämpft seit Jahren für die Abschaffung der schweizerischen Streitkräfte; regelmässig gibts aus deren Lager Volksinitiativen mit diesem Ziel und regelmässig werden diese verworfen, wenn auch von Mal zu Mal weniger deutlich. Eine politische Diskussion zu massiver Verringerung bzw. bis hin zur Abschaffung der Armee findet also statt.
Man darf aber nicht vergessen, dass die Schweiz zwar im Grossen und Ganzen dem europäischen Standard folgt, dies aber meistens mit erheblicher Verzögerung tut und sogar häufig ihren berühmten "Sonderweg" einschlägt, was sich zum Beispiel bei der Europapolitik niederschlägt. Zu diesen "Sonderwegen" gehört die bewaffnete Neutralität, welche in der Schweiz seit der Staatsgründung vor ca. 150 Jahren Tradition hat. Politisch konservative Kreise haben in den letzten Jahren in der Schweiz stark zugelegt und es sind genau diese Kreise, welche die Tradition der schweizerischen Neutralität und des schweizerischen Sonderweges in Europa weiterhin befürworten, die zudem Auslandeinsätze der Armee im Rahmen von UNO- oder NATO-PfP-Mandaten ablehnen. Wenn der Trend zu dieser konservativen Politik anhält, was im Rahmen der allgemeinen Verunsicherung seit dem 11. September gut möglich ist, dann wird die schweizerische Armee vermutlich nie abgeschafft werden. Und selbst wenn sich eine Wende innerhalb der schweizerischen Politik vollziehen sollte, eine Ausrichtung zur EU und zu einer europäischen Verteidigungspolitik hin, selbst dann wird die schweizerische Armee nicht verschwinden, da man sie dann fit für Auslandeinsätze machen und zu einer Interventionstruppe ausbauen wird.

Zusammenfassend: Das einzige Argument, wofür man als global nicht besonders wichtiger Staat in einer friedlichen Umgebung eine Armee aufrechterhält, ist Zukunftsangst. Oder weise Voraussicht. Denn was in 20 Jahren ist, kann niemand sagen. Und wenns dann brennt, kann man nicht einfach ne gute Truppe aus dem Boden stampfen. Worüber man sich streiten darf und das auch zu Recht tut, ist die Verhältnismässigkeit, mit der man diese 20 Jahre überbrücken will.
Daneben gibts viele unlogische Argumente wie "die Armee als Arbeitgeber", "Subsidiäre Einsätze", "die Armee als Lebensschule und zur Führungsausbildung", "Katastrophenschutz", etc. Für all diese Dienste bräuchte man ja keine bewaffnete Miliz-Truppe, aber für politische Auseinandersetzungen im Inneren und vor den Parlamentswahlen ziehen solche Daseinsbegründungen des Militärs immer.
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RE: Streitkräfte der Schweiz - von Schneemann - 15.08.2022, 10:06
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