04.06.2004, 02:49
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Zitat:Modernes Leben - Wir und Ikea
In Teheran hält der Konsum Einzug. Die Schweden haben einen weiteren Winkel der Welt erobert. Doch nicht alle kommen mit der neuen Zeit hundertprozentig klar. Ein Erfahrungsbericht aus der Welt urbaner Möbelhäuser zeigt: Die Kluft zwischen Anspruch und Realität ist unüberbrückbar
VON SIMA SAEEDI
Es ist noch nicht so lange her, da kamen die Schweden. Nicht selbst, sondern in Form ihrer Mittelklasseprodukte, die ihren Weg in den Markt unserer Möchtegern-Oberschicht fanden. Durch die Werbespots im Satellitenfernsehen und die zahlreichen Auslandsaufenthalte vieler Iraner hielt die moderne Möblierung Einzug in die Haushalte.
Das Ergebnis kann man heute deutlich sehen: In vielen unserer Häuser stehen Ikea-Produkte in unterschiedlichsten Größen und Farben. Lampenschirme, Stühle und Tische, Kerzen und Kerzenhalter, Seifenschalen und Zahnbürsten, Möbel und Bücherregale, was immer Sie wollen. Bezeichnenderweise waren wir an die Ikea-Sachen gewöhnt, lange bevor sie unsere Wohnungen eroberten. Das geschah wie durch Zauberhand durch die Verbreitung der Ikea-Kataloge, die in gewisser Weise ein ebenso kostbares Gut waren, wie es heute die Modemagazine sind. Und jetzt verkaufen bereits zwei Läden der Stadt Ikea-Produkte. Vermutlich liegt das auch daran, dass die iranischen Manufakturen keinen Cent für Design ausgeben und ewig dasselbe alte Zeug nach bekanntem Muster zusammenkloppen. Im Konkurrenzkampf mit den Mittelklasseprodukten aus dem Ausland können sie nur verlieren.
Ohne sich die Ikea-Produkte einzuverleiben, ist ein weiterer Laden mit einem ähnlichen Namen entstanden: Nun hat Idea eröffnet mit einem noch umfassenderen Angebot: Möbel, Kücheneinrichtungen und Küchenzubehör, Kerzen, Kerzenständer, Vasen, Tischdecken, Duschvorhänge und so weiter. Angesichts der Inflation und dem hohen Maß an Armut sind die Preise von Idea geradezu astronomisch.
Die Konservativen im Establishment kritisieren die Regierung wegen der stetig ansteigenden Armutsrate. Die Mittelschicht schrumpft weiter. Die Armen hat man seit der Revolution mehrfach umbenannt: einst die "Unterdrückten" sind sie heute zur "verletzlichen Klasse" geworden. Der Anteil der Bevölkerung, den man aufgrund seines Lebensstandards zu dieser Klasse zählen muss, ist durch die Abwanderung in die großen Städte und durch die allgemeine wirtschaftliche Krise des Landes noch gestiegen. Wie kann ein Arbeiter oder eine Angestellte mit einem Gehalt von 200 Dollar im Monat sich Möbel leisten, die teurer sind als sein/ihr Jahresgehalt?
Trotzdem sind die Idea-Läden voll gestopft mit Besuchern; natürlich sind keineswegs alle auch Käufer. Idea ist ein neues Phänomen, und ein Besuch dort wird zum Familienereignis, vorausgesetzt, die Familie kann sich wenigstens ein paar lumpige Anschaffungen leisten. Ansonsten sind, wie wir wissen, unerfüllte Wünsche die Ursache unerwünschter Minderwertigkeitsgefühle.
Heute kann Teheran mit noch einer weiteren Möbelladenkette prahlen. Die Läden des Türkei-Imports Istikbal schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Verkäufer sind jung, smart und kundenfreundlich. Sie bedienen Kundenanfragen mit ungeteilter Aufmerksamkeit und schaffen es tatsächlich, dir Respekt entgegenzubringen. Sie sind so nett, dass man sich verpflichtet fühlt, wenigstens irgendetwas zu kaufen. Auch wenn man dazu eigentlich gar nicht in der Lage ist.
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