11.11.2025, 05:35
Fachbeitrag bei Hartpunkt: Mythen der Drohnenkriegsführung
Auszüge (wegen Urheberrecht)
Auszüge (wegen Urheberrecht)
Zitat:Der tägliche Einsatz von Drohnen in allen Dimensionen hat die Drohnenkriegsführung in den vergangenen dreieinhalb Jahren des Ukraine-Kriegs in den Mittelpunkt militärischer Diskussionen gerückt. Da ein Großteil der Diskutierenden die eigenen Eindrücke der Drohnenkriegsführung aus Videos gewinnt, die täglich hundertfach in den sozialen Netzwerken geteilt werden, hat sich jedoch auch eine gewisse Verzerrung in der Wahrnehmung der tatsächlichen Rolle von Drohnen eingeschlichen. Das Grundproblem eines Erkenntnisgewinns, der sich hauptsächlich auf solche Videos stützt, ist, dass diese nur eine Schlüssellochperspektive der täglichen Kriegsführung in der Ukraine präsentieren.
Auch wenn russische und ukrainische Streitkräfte jährlich mehrere Millionen Drohnen unterschiedlicher Bauart und Bestimmung mehr oder weniger erfolgreich im Kampf einsetzen, landen mehrheitlich nur Videos im Netz, die erfolgreiche Einsätze zeigen. Die Gefahr ist hier recht groß, dass dann auf Basis dieser einzelnen Videos falsche Rückschlüsse hinsichtlich der Gesamtheit der Drohnenkriegsführung gezogen werden. In diesem Zusammenhang sind in manchen Kreisen Mythen der Drohnenkriegsführung entstanden, die es auszuräumen gilt, weil diese immer wieder auch durch politische Entscheidungsträger ungeprüft übernommen werden.
Zitat:Glaubt man den im Internet frei zugänglichen Videos, kann schnell der Eindruck gewonnen werden, dass Drohnen allmächtige Waffensysteme darstellen, die aufgrund technologischer Überlegenheit in Kombination mit einem günstigen Preis Gefechte ganz alleine für sich entscheiden können. Die Realität ist jedoch eine ganz andere: Drohnen sind mittlerweile zu einem mächtigen und unverzichtbaren Instrument des militärischen Truppenführers geworden, sie machen andere Waffensysteme jedoch nicht obsolet, sondern entwickeln ihr volles Potenzial erst in Kombination mit klassischer Waffentechnik. Zudem hat der Einsatz der Drohnentechnologie auch seine Grenzen.
Zitat:Die Drohnenkriegsführung der letzten Jahre hat mehrere technologische Sprünge durchlebt, die die Leistungsfähigkeit von Drohnen im Gefecht signifikant verbessert haben. In der aktuellen Phase des Ukraine-Krieges sollen Drohnen auf beiden Seiten für rund 70 bis 80 Prozent der menschlichen und materiellen Verluste verantwortlich sein. Erfahrene Beobachter der Kriegsgeschehnisse weisen jedoch darauf hin, dass diese Zahlen in direktem Zusammenhang mit der Art und Weise der jeweiligen Kriegsführung zusammenhängen. Die aktuell oftmals dominierende Sickertaktik, bei der nur einzelne Trupps oder Fahrzeuge angreifen, favorisiert den Drohneneinsatz gegenüber der Flächenwirkung der Artillerie. In den Fällen, wo die Angriffe durch größere Gruppierungen vorgetragen wurden, war die Feuerunterstützung der Artillerie für die Abwehrerfolge ausschlaggebend. Dies erklärt auch, warum beispielsweise ukrainische Kommandeure Berichten zufolge bis heute insbesondere gelenkte Artillerie und Panzerabwehrlenkflugkörper gegenüber FPV-Drohnen favorisieren.
Unabhängig von den taktikspezifischen Leistungsgrenzen der Drohnenkriegsführung bleiben Wetter, Infrastruktur, Bewuchs und Tageszeit die begrenzenden Hauptfaktoren für die Wirksamkeit des Drohneneinsatzes.
Zitat:Künstliche Intelligenz (KI) macht Drohnen zu günstigen und autonomen „Killerinstrumenten“, gegen die man sich nicht oder nur schwer schützen kann, weil sie sich in einem breiten und tiefen Gefechtsabschnitt gleich in ganzen Schwärmen auf Ziele stürzen. So oder so ähnlich kann man das Bild in einem Satz subsumieren, das in vielen Köpfen herumgeistert, wenn bereits an die heutige Drohnenkriegsführung gedacht wird. Die Realität ist jedoch differenzierter, denn fast keine Aussage des Satzes trifft so in der Gänze zu.
Tatsächlich ist es so, dass mittlerweile sehr viel Künstliche Intelligenz – oder zumindest etwas, was im allgemeinen Sprachgebrauch als KI bezeichnet wird – selbst bei der Nutzung vergleichsweise kostengünstiger Systeme zum Einsatz kommt. Die genutzte KI-Technologie ist jedoch weit davon entfernt, die Systeme „intelligent“ oder autonom werden zu lassen. Vielmehr sind die KI-Applikationen mit Assistenzsystemen zu vergleichen, wie man sie beispielsweise aus modernen Fahrzeugen kennt.
Zitat:Es wird zwar an Technologien gearbeitet, die es zukünftig ermöglichen sollen, dass ein Bediener mehrere unterschiedliche Drohnen parallel mittels Erteilung von Aufträgen steuern kann, in den breiten und vollumfänglichen Fronteinsatz haben es diese Systeme bis dato jedoch aus unterschiedlichsten Gründen nicht geschafft. Systeme, die in der Lage sind, komplexe Missionen gänzlich ohne menschliche Kontrolle genauso gut zu erfüllen, wie es erfahrene Drohnen-Piloten können, sind heute nur in wenigen Stückzahlen vorhanden. Es kann gut sein, dass solche Drohnen in Zukunft das Gefechtsfeld entsprechend prägen können. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch hoch, dass solche wirklich autonomen Systeme aufgrund der benötigten Autonomie-Kits signifikant teurer sein werden, als dies aktuell der Fall ist.
Zitat:In diesem Zusammenhang ist wichtig, mit einem weiteren Mythos aufzuräumen, wonach die Drohnenkriegsführung den Personaleinsatz in den Streitkräften reduziert. Zumindest angesichts des aktuellen technologischen Entwicklungszustandes ist es für die Ukraine oder Russland ganz und gar nicht der Fall. Ein Drohnenteam – das nur eine Drohne, egal ob für den Angriff oder die Abwehr, gleichzeitig einsetzen kann – besteht oftmals aus mehreren Personen. Neben dem Piloten, wird oftmals ein Co-Pilot benötigt, der bei der Navigation unterstützt, dazu ein Techniker, der den Umgang mit der Munition übernimmt, sowie Personal für die Sicherung. Es hilft in vielen Fällen auch wenig, wenn einzelne der Aufgaben in Personalunion übernommen werden können. Erschwerend kommt hinzu, dass die Drohnenteams die jeweiligen Einsatzräume nicht gänzlich motorisiert erreichen können. Die letzten Kilometer müssen, damit die Teams nicht durch den Feind aufgeklärt werden, zumeist zu Fuß zurückgelegt werden. Die Drohnenteams müssen hier dann eine Vielzahl von Drohnen, der dazugehörigen Munition sowie weiterer Ausrüstung mit eigener Kraft mitführen, alleine dafür sind mehrere Personen notwendig, wenn der Einsatz durchhaltefähig gestaltet werden soll und ständige Bewegungen zur Nachversorgung vermieden werden sollen. […] Gegenwärtig ist es so, dass der Personalbedarf mit zunehmender Drohnenkriegsführung nicht abnimmt, sondern eher zunimmt. Aus der Ukraine wird von einzelnen Gefechtsabschnitten berichtet, an denen teilweise mehr Personal für den Drohneneinsatz tätig ist als Infanteristen vor Ort sind. Interessant ist zudem, dass körperliche Fitness und kognitive Belastung für den Drohneneinsatz aktueller Ausprägung einen ähnlichen Stellenwert einnehmen, wie für den infanteristischen Kampf.
Zitat:[…] Schwarmfähigkeit stellt einen weiteren Mythos dar. Dieser technologische Entwicklungssprung wird seit Beginn des Ukraine-Kriegs immer wieder als der nächste große Wurf der Drohnenkriegsführung angepriesen, der in Kürze einsatzfähig sein soll. Dieses Versprechen wurde jedoch bis heute nicht eingelöst. Unter echter Schwarmfähigkeit im Zusammenhang mit der Drohnenkriegsführung versteht man in den Streitkräften deutlich mehr als nur den Formationsflug, bei dem eine größere Zahl von Drohnen gemeinsam den gleichen Weg abfliegt und gemeinsam ein Ziel angreift. […] Was sich auf den ersten Blick nach Science-Fiction anhört, wird in der Tat gerade durch unterschiedliche Unternehmen entwickelt. Einige Teilaspekte der Schwarmfähigkeit sind bereits sehr weit fortgeschritten und operationalisiert. Wann diese Funktionalität in Gänze so verfügbar sein wird, dass sie den Herausforderungen des Gefechtsfeldes (unklare Lage, Störmaßnahmen, feindliche Gegenmaßnahmen, …) zuverlässig gewachsen ist, steht in den Sternen.
Zitat:Nachdem die Aspekte der Intelligenz, Autonomie und Schwarmfähigkeit besprochen wurden, werden nun die Punkte Preis-Leistungsverhältnis und Abwehrfähigkeit diskutiert.
Wirkdrohnen – insbesondere FPV-Drohnen, die nur wenige hundert US-Dollar kosten – gelten allgemein als besonders günstige Wirkmittel. Gleichwohl ist auch diese These so nicht voll zutreffend. Die FPV-Drohne an sich mag zwar günstig sein, die „Unzuverlässigkeit“ dieser Wirkmittel wird bei solchen Rechnungen nur selten oder gar nicht eingepreist.
Unterschiedliche Berichte aus der Ukraine und Russland deuten darauf hin, dass aufgrund der umfänglichen Störmaßnahmen und der generellen Problematik eines möglichen Kommunikationsabrisses im Endanflug nur ein Teil der gestarteten FPV-Drohnen überhaupt das geplante Ziel erreicht. Je nach Bericht und Können der Piloten spricht man davon, dass im Durchschnitt nur 30 bis 40 Prozent das Ziel treffen. Zum Vergleich: Bei ausgebildeten Panzervernichtungstrupps geht man von einer Trefferquote von rund 90 Prozent aus, mit dem Nebeneffekt, dass ein Treffer fast immer mit einem Totalausfall des Panzers endet.
Rechnet man die angesprochene Trefferquote mit ein, wäre der effektive durchschnittliche Stückpreis der FPV-Drohnen rund drei bis vier Mal höher. Hier ist jedoch noch nicht berücksichtigt, dass je nach Zielkategorie mehrere FPV-Drohnen für die Zielvernichtung notwendig sind. Insbesondere für Kampfpanzer, die mit zusätzlichem passivem Schutz modifiziert wurden, müssen zumeist von mehreren Kampfdrohnen getroffen werden, bis diese immobilisiert oder zerstört werden. So berichtet beispielsweise der Kriegsforscher Rob Lee, ehemaliger Offizier des U.S. Marine Corps und Senior Fellow beim Foreign Policy Research Institute’s Eurasia Program, der mehrmals im Jahr Front-Forschungsreisen in der Ukraine durchführt, in einer Ende Oktober erschienen Folge des Podcasts China Talk von einer Begebenheit, in der zwei besonders gut gegen Drohnen geschützte Kampfpanzer von insgesamt 60 FPV-Drohnen getroffen wurden. Während einer der Kampfpanzer zerstört werden konnte, ist der zweite nur aufgrund eines Getriebeschadens ausgefallen.
Zitat:Schlussendlich bleibt noch der Mythos, dass man sich vor Drohnen kaum oder nur schwer schützen kann. Als Begründung für die Behauptung wird oftmals das Argument ins Feld geführt, dass Drohnen so günstig seien und daher praktisch jegliche Abwehrmaßnahme übersättigen können. Häufig wird dabei auch auf die sogenannte Todeszone verwiesen, einen rund 40 km tiefen Gefechtsstreifen entlang der Frontlinie, in dem Drohnen alles und jeden bekämpfen würden. Die Behauptung, dass es diesen Gefechtsstreifen gibt, ist korrekt. In der allgemeinen Diskussion sowie im Großteil der Berichterstattung wird jedoch suggeriert, dass es sich um eine „homogene“ Bedrohungslage in dieser „Todeszone“ handeln würde.
Wie jedoch eingangs aufgeführt, sorgen unterschiedliche Wetterbedingungen, Jahreszeiten sowie Abwehrmaßnahmen für eine generell schwankende Bedrohungslage. Hinzu kommt der Umstand, dass die tatsächliche Bedrohung abhängig von der feindlichen Schwerpunktbildung sowie dem Abstand zur Front variiert. Während beispielsweise in der unmittelbaren Frontnähe das Risiko für quantitativ gesehen größere Drohnenangriffe recht hoch ist, sinkt dieses Risiko mit zunehmendem Abstand.
Drohnen an sich sind eine vergleichsweise einfache Technologie, genau dieser Umstand bildet die Basis für die aktuelle Drohnenkriegsführung. Sie legt aber auch den Grundstein für eine „einfache“ Abwehr dieser Waffensysteme.
