Krieg im 21. Jahrhundert
Um bestimmte Aspekte die in mehreren Beiträgen genannt wurden zusammengefasst aufzugreifen:

1. Geschwindigkeit:
heutige motorisierte wie auch mechanisierte Verbände sind aufgrund der Umstände keineswegs schneller als Infanterie zur Fuß, wenn man die durchschnittlichen Geschwindigkeiten pro Tag nimmt. Das war schon im Irak 2003 auffällig, wie langsam mechanisierte Großkampfverbände voran kamen und dies hat sich seitdem noch verschlechtert. Es ist schön und gut (auf dem Papier), dass Panzer mit extrem hoher Geschwindigkeit vordringen könnten, sie tun es aber im realen Krieg nicht. Damit bleibt diese Fähigkeit in ganz vielen Fällen völlig ungenutzt und wird damit sinnlos in sich selbst. Nun ist das Gegenargument, dass die Panzer dann halt einfach schnell vordringen sollen, dies führt aber heute zu genau so hohen Verlusten wie wenn Infanterie zu exponiert agieren würde.

2. Schutz: Heutige Panzer sind von oben her sehr verwundbar, es hat schlicht und einfach seinen Grund, warum derart viel an zusätzlichem Schutz, Käfigpanzerungen usw. oben aufmontiert wird. Gegenüber ernsthaften Wirkmitteln nützen aber auch diese nichts. Es gab früher diese Bedrohung von oben so nicht, weshalb die Panzerung sehr weitgehend nur nach vorne hin konzentrierbar war. Eine ausreichend starke Rundumpanzerung macht die Fahrzeuge aber zu schwer. Diese Quadratur des Kreises muss daher nicht durch Panzerung, sondern durch andere Schutzkonzepte überwunden werden, insbesondere abstandsaktive Schutzmaßnahmen.

Umgekehrt ist für Infanterie das Gelände der Schutz. Es ist (entsprechendes Gelände vorausgesetzt) gar nicht so leicht, Infanterie in diesem tatsächlich sicher auszuschalten. Es gibt erstaunlich große Anteile der Gesamtfläche, in welchen Fahrzeuge aller Art, einschließlich der schwersten Fahrzeuge eher ausgeschaltet werden kann als Infanterie.

3. Missverständnisse in Bezug auf das von mir angerissene Konzept: ich habe explizit eine ganze Reihe von Fähigkeiten beschrieben, die nicht zur Fuß mitgeführt werden. Entsprechend meine ich mit Infanterie-Verbänden keine die nur zur Fuß agieren. Und umgekehrt soll mein Konzept keineswegs bedeuten, dass man keine mechanisierten Einheiten mehr hat oder einsetzt, sondern ganz im Gegenteil: es soll die Schaffung wirklich relevanter mechanisierter Großkampfverbände überhaupt erst ermöglichen - dazu später noch mehr unter 11.

4. Aufklärung und feindliche Fernwirkung: ich schrieb explizit, dass die Voraussetzung für das Vorgehen eines entsprechenden Verbandes ein Sieg im Konterartillerieduell ist. Ich beschrieb explizit was für eine Konzentration von Raketenartillerie hier im Verhältnis zur Quantität der Infanterie erforderlich ist.

Darüber hinaus ist auch bei jedem mechanisierten Vorstoß dies ganz genau so erforderlich, da heutige moderne Artilleriemunition selbst sehr schnell fahrende Panzer präzise treffen kann. Kein Panzer aber übersteht den Einschlag eine 155mm, völlig gleich was für Panzerung er haben mag oder was für abstandsaktive Schutzmaßnahmen ihn zusätzlich decken. Umgekehrt bietet das Gelände für die Infanterie einen besseren Schutz gegen solche Munition, bzw. wird der Munitionsansatz um dislozierte infiltrierende Infanterie im Gelände heraus zu schießen für den Gegner schnell untragbar.

5. Munitionsverbrauch: moderne Infanterie kämpft im modernen Krieg nicht dadurch, dass sie Unmengen an Munition einsetzt. Genau dieses konzeptlose veraltete Denken will ich ja überwinden. Neue Formen von Infanteriewaffen ermöglichen es, ohne eigene Exposition die feindlichen Stellungen zu vernichten, während man selbst komplett in Deckung bleibt, und dies mit einem viel geringeren logistischen Fußabdruck insgesamt.

Das ganze Bild von 1000 Mann zur Fuß die 100 Mann im Graben mit Unmengen an Munition ausschalten ist schon vollständig falsch und zeigt auf, dass man meine Aussagen hierzu anscheinend nicht verstanden hat.

6. Russische Taktiken: Nur scheinbar haben die Russen so ein Konzept wie von mir beschrieben umgesetzt. Ironischerweise war es sogar primär der Mangel an Infanterie, der ihren hochgradig mechanisierten Bataillons-Taktischen-Gruppen in der Anfangsphase des Krieges das Genick gebrochen hat. Und ich spreche nicht von Massenangriffen von Infanterie, sondern diese greift durch ihre Infanteriewaffen an, wozu sie sich selbst nicht einmal exponieren muss. Relevant ist sie in größerer Anzahl primär dadurch, dass dann wesentlich mehr dieser Infanteriewaffen zugleich in einem Raum konzentriert und eingesetzt werden können.

7. Erhöhung der Luftraumverteidigung: Diese muss auch und gerade bei Verwendung von mechanisierten Einheiten drastisch erhöht werden, anders können diese heute nicht mehr agieren. Das Gefechtsfeld umfasst aber viel mehr Bereiche und der am meisten unterschätzte ist die Frage von Anti-Fahrzeug-Minen. Die Verseuchung des Geländes mit Anti-Fahrzeug-Minen in der Ukraine ist beispiellos. Es ist vor allem anderen die Kombination solcher Minen mit Drohnen, welche Fahrzeuge vor extreme Probleme stellt. Die meisten Drohnenerfolge beruhen ebenfalls darauf, dass Fahrzeuge damit zerstört werden, die vorher schon einer Mine zum Opfer gefallen sind.

In diesem Kontext muss man betonen, dass man Fahrzeuge auch mit Minen überschütten kann, dass Minen per Artillerie und heute auch per Drohne verlegt werden und damit selbst in soeben geräumten Gebieten sofort wieder Minen auftreten. Anti-Fahrzeug-Minen wirken aber gegen Infanterie nicht.

8. Erfüllbarkeit der Voraussetzungen: die von mir genannten Voraussetzungen müssen für jeden Einsatz einer mechanisierten Einheit ganz genau so erfüllt sein. Wenn sie also nicht erfüllbar sind, können auch mechanisierte Einheiten nicht erfolgreich offensiv operieren. Was auch einer der primären Gründe dafür ist, warum sie dass in der Ukraine nicht tun.

9. Raum nehmen: erneut wurde hier geschrieben, die Infanterie würde Raum nehmen, dass dies und das sein müsse, bevor sie Möglichkeit hat Raum zu nehmen etc. Genau das ist der Punkt der überwunden werden muss. Das Ziel eines solchen Angriffes ist es nicht Raum zu nehmen, sondern feindliche Soldaten zu vernichten (im weiteren Sinne des Begriffes). Jede Methode welche darauf abzielt Raum zu nehmen, verkennt, dass dies in der Ukraine inzwischen vollständig sinnlos geworden ist. Die desolate Lage der Ukraine basiert nicht zuletzt auf diesem anscheinend nicht überwindbaren Denkfehler, der Raum zum Selbstzweck werden lässt.

10. Kampfkraft: die klassischen Konzepte, in welche man die Kampfkraft einer Einheit mit Kampfpanzern auf das zwei- bis dreifache einer motorisierten Infanterie-Einheit einstuft, greifen nicht mehr, weil sie überholt sind. Im weiteren erstaunt es mich, dass dieses Argument genau von dem hervor gehoben wird, der vorher noch so sehr auf den psychologischen Aspekten, indirekter Wirkung, Furcht vor Einkesselung und dem folgend Rückzug etc. insistiert hat.

Aber bleiben wir bei der bloßen Kampfkraft. Ein modernes Infanterie-Bataillon (keines wie die bisherigen konventionellen) könnte mit Leichtigkeit so aufgestellt werden, dass seine Kampfkraft dem eines Panzer-Bataillons entspricht.

11. Verluste: wenn ich ein Panzerbataillon verliere, werden damit nicht nur Unsummen an Material vernichtet, sondern ganz genau so viele Soldaten, aber noch darüber hinaus wird die ganze Logistikkette nach hinten damit sinnlos, weil sie ins Leere läuft. Entsprechend werden damit viele Soldaten die vorher dem Panzer-Bataillon zugearbeitet haben mit entwertet und generieren ganz genau so keine Kampfkraft mehr. Ein Panzer-Bataillon bindet insgesamt immer deutlich mehr Soldaten als ein Infanterie-Bataillon.

Im weiteren ist die Verlust-Aversion zur Zeit eine der größten Schwächen westlicher Streitkräfte und wird uns im nächsten Krieg das Genick brechen. Das bedeutet nicht umgekehrt, dass man leichtfertig nach russischer Manier Verluste hinnehmen sollte, aber auch mechanisierte Verbände erleiden sehr schnell sehr hohe Verluste, nur dass diese dann praktisch nicht mehr ersetzbar sind, wie es der Ukrainekrieg zeigt.

Wenn ich also mechanisierte Großkampfverbände aufbauen will, die ich dann natürlich ebenfalls einsetzen kann, so muss ich dazu meine mechanisierten Einheiten aufsparen, spärlich einsetzen, schonen und nicht für jedwede Aufgabe verschleißen, weil sonst die Abnutzung schnell zu groß wird.

12. Geringe Beweglichkeit: Es gibt jede Menge Terrain, in denen Infanterie zur Fuß gesamt deutlich beweglicher ist. Denn mechanisierte Großkampfverbände hängen an ihrer Logistik und benötigen immens viel mehr davon und diese Logistikkette (wortwörtlich) schränkt die Beweglichkeit ganz genau so ein. Natürlich ist dies Geländeabhängig, Infrastrukturabhängig, aber man unterschätzt die Beweglichkeit von Infanterie bei weitem und überschätzt die Beweglichkeit mechanisierter Einheiten noch mehr.

Das hat seinen Grund in unserer vollmotorisierten Gesellschaft, in welcher Bewegung zur Fuß schon aus sozialkulturellen Gründen nicht mehr nachvollzogen werden kann. Schließlich hat jeder ein Auto und fährt auf Autobahnen weite Strecken. Das verstellt völlig den Blick darauf, in was für einem Kriegsraum wir agieren werden müssen. Wer glaubt, dass er da überall mit mechanisierten Einheiten schlagen kann, der war noch nie im Baltikum oder Ostpolen, geschweige denn in Russland selbst.

Wo mechanisierte Einheiten aber entsprechend eingeschränkt sind, als mindestes durch ihre Logistik selbst, stellt sich wie seit jeher die Frage, wer in alle dem anderen Terrain kämpfen soll, welches der Feind zweifelsohne explorieren wird, da wir uns zu sehr auf mechanisierte Einheiten für alles verlassen.

Und am Ende sehen wir dann dem 38 Tonnen Radpanzer dabei zu, wie er vollständig aufsitzend im Acker versinkt, während eine feindliche ultraleichte zielsuchende Munition die aussteigende Besatzung tötet. Während feindliche Infanterie in größerer Anzahl längst hinter die eigenen Positionen infiltriert hat.
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