17.07.2025, 09:58
Häng ich noch was dran, über die Anfänge der Ukrainer: Wo kommen sie überhaupt her und woher ihre Sprache ?
In der Endzeit der Kiewer Rus, welche sowohl für die heutigen Russen als auch für die Ukrainer, Weißrussen und Russinen der gemeinsame Ursprung ist, in welchem sie allesamt praktisch gesehen noch ein Volk waren, trat eine starke Zersplitterung, Feudalisierung und ein völliger Verfall der Zentralgewalt auf, welcher die Eroberung der Rus durch die Mongolen stark beförderte. Vor allem der Süden der Rus (die heutige Ukraine) wurde stark entvölkert, und nur im Norden konnten sich noch russische Staaten eigenständig behaupten.
Im Gebiet der heutigen Ukraine, Weißrusslands und auch noch weiter im Westen überlebten aber durchaus auch Ostslawen orthodoxen Glaubens, welche direkte Abkömmlinge der Kiewer Rus waren. Diese gerieten unter eine unmittelbarere, direktere Herrschaft der Goldenen Horde als der Norden Russlands, wo die Mongolen / Tataren sich russischer Kollaborateure bedienten um dort ihre Herrschaft indirekt auszuüben und Steuern und Tribute dort einzutreiben.
Als Kollaborateur für die Mongolen / Tataren taten sich dabei vor allen anderen die Fürsten von Moskau hervor, welche schlussendlich Verräter an der russischen Welt waren, und für die Eintreibung der Steuern und Tribute für die Mongolen von diesen Vorteile, Macht und Gebiete erhielten, auf Kosten anderer russischer Fürstentümer. Damit begann der Aufstieg Moskaus als führendem russischen Staat, durch Verrat an den Russen und als Knecht und Exekutive der Mongolen.
Die vielen kleinen, ostslawischen, orthodoxen Fürstentümer im Süden und Westen hingegen, welche früher auch alle Teil der Kiewer Rus waren, standen unter viel direkterer Herrschaft der Goldenen Horde. Als diese jedoch durch innere Wirren, Einfälle von Außen (Tamerlan / Timur Lenk) stark geschwächt wurde, erlangten sie eine wachsende Unabhängigkeit, obwohl sie immer noch Tribute zahlen mussten. Die Verräter in Moskau hatten aber zu diesem Zeitpunkt ihre Macht noch nicht nach Süden ausgedehnt und waren zu dieser Zeit noch stark im Norden gebunden, insbesondere gegen die Republik Novgorod und die Republik Pskow. Dabei beanspruchten die Fürsten von Moskau den Titel eines Großfürsten von Wladimier als nominellen Oberherrn über Nordrussland, owohl dieser Titel eigentlich den Fürsten von Twer gehörte. Und nominell unterstand Novgorod dem Großfürsten von Wladimir, womit Moskau seinen Herrschaftsanspruch auf diese Republik begründete.
Das hatte auch weitere politische Gründe, denn Novogorod war zu einem Vorkämpfer für die russische Sache und gegen die Goldene Horde geworden, während Moskau ein Büttel der Goldenen Horde war. Heere aus Novgorod fielen regelmäßig in das Gebiet der Goldenen Horde ein und schwächten diese dadurch substanziell und trugen damit ebenfalls weitgehend zum Zerfall der Goldenen Horde bei. Und es war dieser Zerfall, der im Gebiet der heutigen Ukraine dann komplett neue Möglichkeiten und drastische Veränderungen schuf.
Unter einer ganzen Reihe von sehr fähigen Herrschern gelang es zu dieser Zeit dem immer noch heidnischen (!) Staat Litauen, sich immer weiter nach Osten und nach Süden hin auszudehnen. Dabei übernahmen die Litauer ostslawische, orthodoxe Fürstentümer und Kleinstaaten, welche aus der Kiewer Rus hervor gegangen waren. Ein Grund für diese ständige Expansion war der endlose Krieg der Litauer mit dem Deutschen Orden im Westen. Die Litauer waren gezwungen ihre Macht fortwährend zu vergrößern, um im Westen überhaupt militärisch bestehen zu können. Ein wesentlicher Grund für ihren Erfolg war wiederum ihre erstaunliche Toleranz (auch bedingt dadurch, dass der litauische Hochadel noch bis 1387 Heidnisch war) und dass sie die eroberten Ostslawen nicht nur auffallend gut behandelten (weniger Steuern, innere Autonomie usw.), sondern auch deren Sprache als Amtssprache übernahmen.
Denn im entstehenden Großfürstentum Litauen war es der Ostslawische, von der Kiewer Rus abstammende Adel, welcher dort militärisch, wie wirtschaftlich, wie kulturell eine immer größere Rolle spielte, was die heidnischen Litauer im Hochadel dieses erstaunlichen Staates nicht nur hinnahmen, sondern sogar aktiv förderten. So wurde das Ruthenische (!) die Amtssprache des Großfürstentums Litauen. Und bestanden die Heere der Litauer zu einem großen Teil aus Rus (!) also aus Ostslawen in der Abstammung von der Kiewer Rus.
Das Ruthenische aber, welches sich aus dem Altkirchenslawischen heraus entwickelt hatte, war schlussendlich nichts anderes als Alt-Ukrainisch (damals noch sehr viel näher am Russischen und faktisch fast identisch mit dem Alt-Weißrussischen). Durch die lange Herrschaft der Litauer über all diese Gebiete, und dieser folgend nach der Personalunion Litauens mit Polen der Herrschaft von Polen-Litauen setzte sich dann der Begriff Ruthenen für die de facto orthodoxen Russen unter Herrschaft der Litauer und später der Litauer-Polen durch. Und in dieser Zeit der Trennung der Ruthenen von den anderen Russen entwickelten sich diese sprachlich, und schließlich auch ethnisch von den Russen welche immer weitergehender unter die Herrschaft Moskaus fielen auseinander. Es entstand damit im Gebiet des Großfürstentums Litauen das Alt-Ukrainische, welches für Litauen die Amts- und Verkehrssprache wurde (vor der Union mit Polen und der dieser folgenden Polonisierung).
Entsprechend bezeichneten sich die Herrscher von Litauen immer als Fürsten der Litauer und der Russen !
In der Schlacht am Irpen (in der heutigen Ukraine) im Jahr 1321 besiegten die Litauer dann die vereinten Heere der Südrussen und besetzten Kiew und auch die Gebiete welche heute die Ost-Ukraine darstellen. Im Jahr 1362 besiegten die Litauer dann die Goldene Horde in der Ostukraine in der Schlacht am Blauen Wasser und konnten damit praktisch fast das gesamte Gebiet der heutigen Ukraine unter litauische Herrschaft bringen und dauerhaft sichern. Es sah zu dieser Zeit so aus, dass Litauen die Nachfolge der Kiewer Rus übernommen hätte, und dass die Russen schlussendlich allesamt im litauischen Reich aufgehen würden.
Und die Litauer beanspruchten auch diese Nachfolge – die litauischen Herrscher erklärten, sie seien die Rechtsnachfolger und der Erbe der Kiewer Rus, und als Herrscher der Russen dazu ausersehen, alle russischen Fürstentümer zu einen und die Kiewer Rus wiederherzustellen.
Damit war eine Zweiteilung der russischen Welt entstanden – zum einen die Russen (orthodoxe Ostslawen) unter Herrschaft der Litauer (wobei Litauen zu dieser Zeit de facto ein russischer Staat war). Diese Russen nannte man dann Ruthenen. Daraus gingen die heutigen Weißrussen, Ukrainer und Russinen hervor. Zum anderen die Russen welche vom Großfürstentum Moskau unterworfen worden waren, welches sich mit dem Zerfall der Goldenen Horde ebenfalls unabhängig geworden war. Und auch Moskau beanspruchte das Erbe der Kiewer Rus für sich und die Herrschaft über alle Russen.
Und es ist diese Zweiteilung der Russen, in orthodoxe Ostslawen unter litauischer Herrschaft und orthodoxe Ostslawen unter der Knute Moskaus, welche zur Entstehung der ukrainischen Sprache, der Ethnie der Ukrainer und schließlich der ukrainischen Identität führte. Denn diese (anfängliche) Zweiteilung hielt für eine erstaunlich lange Zeit an. Beispielsweise kam Kiew erst 1667 wieder unter die Herrschaft Moskaus ! Damit hatte beispielsweise Kiew nicht weniger als 367 Jahre nicht unter der Herrschaft Moskaus, sondern unter litauischer Herrschaft gestanden ! (von 1321 bis 1667)
Man muss sich das mal gezielt vor Augen halten ! Kiew war 367 Jahre lang nicht unter russischer, sondern unter litauischer, also ruthenischer Herrschaft ! Und in dieser Zeit entstand dort und in den Gebieten westlich davon eben das Alt-Ukrainische, aufgrund dieser räumlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Trennung und damit die Ethnie der Ukrainer (Ruthenen).
Schließlich geriet Litauen als russischer Staat (die Litauer verstanden sich zu dieser Zeit nämlich tatsächlich als russischer Staat !) dadurch zwingend in den Krieg mit Moskau. Es kam zu einer über mehr als hundert Jahre andauernden Abfolge von Kriegen, in welchen Moskau anfangs durchaus regelmäßig verlor bzw. nicht voran kam. Dennoch gelang es den Russen von Moskau aus mit der Zeit Litauen immer mehr unter Druck zu setzen, und die Russisch-Litauischen Kriege zogen sich schlussendlich von 1368 bis 1570 hin. Die Litauer, welche über die Einheirat ihrer Fürsten in die polnische Krone (Jagiello) und den gemeinsamen Sieg mit den Polen zusammen über die Deutschen eng mit dem Königreich Polen verbunden waren, reagierten auf diesen ununterbrochenen Druck mit der Personalunion mit Polen. Damit verbunden wandten sie sich vom Heidentum als auch von der Orthodoxie ab, und dem Katholizismus und der polnischen Kultur zu. Es kam zu einer massiven Polonisierung der Litauer und des Adels im Großfürstemtum Litauen, zumal die Fürsten der Litauer die Polnischen Könige stellten. Damit war Litauen scheinbar auf dem absoluten Höhepunkt seiner Macht und Größe angelangt.
Dies veränderte aber den Charakter des litauischen Staates, welcher vor der Personalunion, der Machtübernahme der Litauer auch in Polen und der daraus folgenden Polonisierung eben ein russischer Staat gewesen war ! Damit wuchs der litauische Adel, welcher sich immer mehr dem Polentum zuwandte mit dem ruthenischen Adel auseinander. Militärische Erfolge Moskaus und die im Wilden Feld im Südosten des litauischen Reiches herrschende Anarchie und das dort entstehende Kosakentum führten dazu, dass die Ruthenen im Südosten sich immer mehr von den Litauern entfremdeten. In den ersten hundert Jahren des Großfürstentums hatte man die Fürsten von Litauen noch als Herrscher der Russen verstanden und auch so gesehen, jetzt erkannte man zunehmend die kulturelle Eigenständigkeit und vor allem lehnte man die Polonisierung ab. Damit wurde die Position der Litauer im Gebiet der heutigen Ukraine fortwährend geschwächt.
Ein perfektes Beispiel für diese Entwicklung ist beispielsweise die Abschaffung des Ruthenischen (Proto-Ukrainischen) als Amtssprache in Litauen, und die Ersetzung desselben durch das Polnische. Dies und vieles weitere, vor allen anderen aber die religiöse Frage (!) führten zu einem zunehmenden Verfall der Macht der Litauer über die Ruthenen. Die offiziell bis 1387 heidnischen Litauer waren insgeheim teilweise noch bis 1450 herum Heiden, und ausgesucht tolerant gegenüber der orthodoxen Kirche gewesen. Unter dem Einfluss der Polonisierung und der Durchsetzung des katholischen Glaubens, entstand hier eine Spaltung, auch wenn man diese in der Union von Brest 1596 und der Schaffung der sogenannten griechisch-katholischen Kirche zu überwinden versuchte.
Es war aber trotz der Union von Brest die ruthenisch-orthodoxe Kirche, welche maßgeblich sich von der Polonisierung abgrenzte und zunehmend Einfluss darauf nahm, dass die orthodoxen Ostslawen unter polnisch-litauischer Herrschaft doch eher zu Moskau, als rechtgläubig orthodoxen Staat gehören sollten, als unter die Herrschaft der katholischen Polen.
Damit verlor Litauen seinen Anspruch ein russischer Staat zu sein und der Nachfolger der Kiewer Rus. Was das Großfürstentum Litauen bis zur Personalunion mit Polen aber tatsächlich, also de facto wirklich gewesen ist – einschließlich russischer Sprache als Amtssprache.
Bezeichnend übrigens als Randnotiz, dass die Weißrussen die Zeit der Herrschaft der Litauer über Weißrussland heute noch als das Goldene Zeitalter Weißrusslands sehen und dass nach Weißrussischer Sichtweise das Großfürstentum Litauen kein litauischer, sondern ein weißrussischer Staat war ! Das wird heute noch so in Weißrussland verstanden, dass die über 300 Jahre währende Herrschaft der Litauer über die Ukraine in Wahrheit eine weißrussische gewesen sei.
Mit dem im Eintrag oben schon beschriebenen orthodoxen Kosakentum entwickelte sich dann im Gebiet der heutigen Ukraine eine militärische Kraft, welche die Ostslawen aus der Polnisch-Litauischen Herrschaft heraus führte, dies aber anfangs durchaus mit der Idee einer Eigenstaatlichkeit. Die Umstände aber, und die Position zwischen Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich und Moskau führten wie oben schon beschrieben dann dazu, dass die Ruthenen im Süden sich schlussendlich Moskau anschließen musssten.
Kurzusammenfassung:
Die Ukrainer, das ukrainische als Sprache und die gesonderte ethnische Identität entstanden also in der mehr als 300 Jahre währenden Herrschaft der Litauer über die südrussischen Fürstentümer (Ruthenen). In dieser Zeit entwickelten sich die orthodoxen Ostslawen dort eigenständig von den orthodoxen Ostslawen im Norden und Osten welche unter die Herrschaft Moskaus fielen. Daraus entstand das Alt-Ukrainische, welches über lange Zeit die Amtssprache des Großfürstentums Litauen war. Dieses war ein de facto russischer Staat, in welchem proto-weißrussische und proto- ukrainische Adelige und Bevölkerungsgruppen die wesentlichste Rolle inne hatten. Dieser de facto russische Staat beanspruchte das Erbe der Kiewer Rus, verlor dieses jedoch durch eine Unzahl an Kriegen und durch die Polonisierung Litauens im Laufe von über hundert Jahren dann an Moskau.
Und die orthodoxen Ostslawen (Proto-Ukrainer) welche über 300 Jahre lang unter litauischer Herrschaft gestanden hatten (welche sie selbst jahrhundertelang massgeblich mitgetragen hatten !) wandten sich dann über das Kosakentum Moskau zu, weil die religiöse, kulturelle und sonstige Kluft zu den Polen größer wurde als die zu Moskau, vor allem aber um eigentlich die Selbstständigkeit zu erlangen, was ihnen aber aufgrund der politischen Gesamtumstände nicht gelang. So wurden sie entgegen ihrem eigenen Wollen Teil der russischen Welt im Sinne Moskaus.
Die Ukrainer entstanden also zu der Zeit, als das Großfürstentum Litauen ein russischer Staat war und das Erbe der Kiewer Rus beanspruchte. Sie wandten sich von Polen-Litauen ab als dieses Staat dieses Erbe nicht mehr beanspruchen wollte. Sie wurden aufgrund äußerer Zwänge dann Teil des russischen Imperiums unter der Führung Moskaus.
Die Ukrainer sind damit wie die Russen auch Erben der Kiewer Rus, aber schon seit 1321 auf einem eigenen Weg gewesen, der schlussendlich in der Zeit zwischen 1321 und 1667 in der Entstehung einer eigenen ethnischen Identität und einer eigenen Sprache mündete, wobei die ukranische Sprache der direkte Erbe der ruthenischen Amtssprache des Großfürstentums Litauen ist.
In der Endzeit der Kiewer Rus, welche sowohl für die heutigen Russen als auch für die Ukrainer, Weißrussen und Russinen der gemeinsame Ursprung ist, in welchem sie allesamt praktisch gesehen noch ein Volk waren, trat eine starke Zersplitterung, Feudalisierung und ein völliger Verfall der Zentralgewalt auf, welcher die Eroberung der Rus durch die Mongolen stark beförderte. Vor allem der Süden der Rus (die heutige Ukraine) wurde stark entvölkert, und nur im Norden konnten sich noch russische Staaten eigenständig behaupten.
Im Gebiet der heutigen Ukraine, Weißrusslands und auch noch weiter im Westen überlebten aber durchaus auch Ostslawen orthodoxen Glaubens, welche direkte Abkömmlinge der Kiewer Rus waren. Diese gerieten unter eine unmittelbarere, direktere Herrschaft der Goldenen Horde als der Norden Russlands, wo die Mongolen / Tataren sich russischer Kollaborateure bedienten um dort ihre Herrschaft indirekt auszuüben und Steuern und Tribute dort einzutreiben.
Als Kollaborateur für die Mongolen / Tataren taten sich dabei vor allen anderen die Fürsten von Moskau hervor, welche schlussendlich Verräter an der russischen Welt waren, und für die Eintreibung der Steuern und Tribute für die Mongolen von diesen Vorteile, Macht und Gebiete erhielten, auf Kosten anderer russischer Fürstentümer. Damit begann der Aufstieg Moskaus als führendem russischen Staat, durch Verrat an den Russen und als Knecht und Exekutive der Mongolen.
Die vielen kleinen, ostslawischen, orthodoxen Fürstentümer im Süden und Westen hingegen, welche früher auch alle Teil der Kiewer Rus waren, standen unter viel direkterer Herrschaft der Goldenen Horde. Als diese jedoch durch innere Wirren, Einfälle von Außen (Tamerlan / Timur Lenk) stark geschwächt wurde, erlangten sie eine wachsende Unabhängigkeit, obwohl sie immer noch Tribute zahlen mussten. Die Verräter in Moskau hatten aber zu diesem Zeitpunkt ihre Macht noch nicht nach Süden ausgedehnt und waren zu dieser Zeit noch stark im Norden gebunden, insbesondere gegen die Republik Novgorod und die Republik Pskow. Dabei beanspruchten die Fürsten von Moskau den Titel eines Großfürsten von Wladimier als nominellen Oberherrn über Nordrussland, owohl dieser Titel eigentlich den Fürsten von Twer gehörte. Und nominell unterstand Novgorod dem Großfürsten von Wladimir, womit Moskau seinen Herrschaftsanspruch auf diese Republik begründete.
Das hatte auch weitere politische Gründe, denn Novogorod war zu einem Vorkämpfer für die russische Sache und gegen die Goldene Horde geworden, während Moskau ein Büttel der Goldenen Horde war. Heere aus Novgorod fielen regelmäßig in das Gebiet der Goldenen Horde ein und schwächten diese dadurch substanziell und trugen damit ebenfalls weitgehend zum Zerfall der Goldenen Horde bei. Und es war dieser Zerfall, der im Gebiet der heutigen Ukraine dann komplett neue Möglichkeiten und drastische Veränderungen schuf.
Unter einer ganzen Reihe von sehr fähigen Herrschern gelang es zu dieser Zeit dem immer noch heidnischen (!) Staat Litauen, sich immer weiter nach Osten und nach Süden hin auszudehnen. Dabei übernahmen die Litauer ostslawische, orthodoxe Fürstentümer und Kleinstaaten, welche aus der Kiewer Rus hervor gegangen waren. Ein Grund für diese ständige Expansion war der endlose Krieg der Litauer mit dem Deutschen Orden im Westen. Die Litauer waren gezwungen ihre Macht fortwährend zu vergrößern, um im Westen überhaupt militärisch bestehen zu können. Ein wesentlicher Grund für ihren Erfolg war wiederum ihre erstaunliche Toleranz (auch bedingt dadurch, dass der litauische Hochadel noch bis 1387 Heidnisch war) und dass sie die eroberten Ostslawen nicht nur auffallend gut behandelten (weniger Steuern, innere Autonomie usw.), sondern auch deren Sprache als Amtssprache übernahmen.
Denn im entstehenden Großfürstentum Litauen war es der Ostslawische, von der Kiewer Rus abstammende Adel, welcher dort militärisch, wie wirtschaftlich, wie kulturell eine immer größere Rolle spielte, was die heidnischen Litauer im Hochadel dieses erstaunlichen Staates nicht nur hinnahmen, sondern sogar aktiv förderten. So wurde das Ruthenische (!) die Amtssprache des Großfürstentums Litauen. Und bestanden die Heere der Litauer zu einem großen Teil aus Rus (!) also aus Ostslawen in der Abstammung von der Kiewer Rus.
Das Ruthenische aber, welches sich aus dem Altkirchenslawischen heraus entwickelt hatte, war schlussendlich nichts anderes als Alt-Ukrainisch (damals noch sehr viel näher am Russischen und faktisch fast identisch mit dem Alt-Weißrussischen). Durch die lange Herrschaft der Litauer über all diese Gebiete, und dieser folgend nach der Personalunion Litauens mit Polen der Herrschaft von Polen-Litauen setzte sich dann der Begriff Ruthenen für die de facto orthodoxen Russen unter Herrschaft der Litauer und später der Litauer-Polen durch. Und in dieser Zeit der Trennung der Ruthenen von den anderen Russen entwickelten sich diese sprachlich, und schließlich auch ethnisch von den Russen welche immer weitergehender unter die Herrschaft Moskaus fielen auseinander. Es entstand damit im Gebiet des Großfürstentums Litauen das Alt-Ukrainische, welches für Litauen die Amts- und Verkehrssprache wurde (vor der Union mit Polen und der dieser folgenden Polonisierung).
Entsprechend bezeichneten sich die Herrscher von Litauen immer als Fürsten der Litauer und der Russen !
In der Schlacht am Irpen (in der heutigen Ukraine) im Jahr 1321 besiegten die Litauer dann die vereinten Heere der Südrussen und besetzten Kiew und auch die Gebiete welche heute die Ost-Ukraine darstellen. Im Jahr 1362 besiegten die Litauer dann die Goldene Horde in der Ostukraine in der Schlacht am Blauen Wasser und konnten damit praktisch fast das gesamte Gebiet der heutigen Ukraine unter litauische Herrschaft bringen und dauerhaft sichern. Es sah zu dieser Zeit so aus, dass Litauen die Nachfolge der Kiewer Rus übernommen hätte, und dass die Russen schlussendlich allesamt im litauischen Reich aufgehen würden.
Und die Litauer beanspruchten auch diese Nachfolge – die litauischen Herrscher erklärten, sie seien die Rechtsnachfolger und der Erbe der Kiewer Rus, und als Herrscher der Russen dazu ausersehen, alle russischen Fürstentümer zu einen und die Kiewer Rus wiederherzustellen.
Damit war eine Zweiteilung der russischen Welt entstanden – zum einen die Russen (orthodoxe Ostslawen) unter Herrschaft der Litauer (wobei Litauen zu dieser Zeit de facto ein russischer Staat war). Diese Russen nannte man dann Ruthenen. Daraus gingen die heutigen Weißrussen, Ukrainer und Russinen hervor. Zum anderen die Russen welche vom Großfürstentum Moskau unterworfen worden waren, welches sich mit dem Zerfall der Goldenen Horde ebenfalls unabhängig geworden war. Und auch Moskau beanspruchte das Erbe der Kiewer Rus für sich und die Herrschaft über alle Russen.
Und es ist diese Zweiteilung der Russen, in orthodoxe Ostslawen unter litauischer Herrschaft und orthodoxe Ostslawen unter der Knute Moskaus, welche zur Entstehung der ukrainischen Sprache, der Ethnie der Ukrainer und schließlich der ukrainischen Identität führte. Denn diese (anfängliche) Zweiteilung hielt für eine erstaunlich lange Zeit an. Beispielsweise kam Kiew erst 1667 wieder unter die Herrschaft Moskaus ! Damit hatte beispielsweise Kiew nicht weniger als 367 Jahre nicht unter der Herrschaft Moskaus, sondern unter litauischer Herrschaft gestanden ! (von 1321 bis 1667)
Man muss sich das mal gezielt vor Augen halten ! Kiew war 367 Jahre lang nicht unter russischer, sondern unter litauischer, also ruthenischer Herrschaft ! Und in dieser Zeit entstand dort und in den Gebieten westlich davon eben das Alt-Ukrainische, aufgrund dieser räumlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Trennung und damit die Ethnie der Ukrainer (Ruthenen).
Schließlich geriet Litauen als russischer Staat (die Litauer verstanden sich zu dieser Zeit nämlich tatsächlich als russischer Staat !) dadurch zwingend in den Krieg mit Moskau. Es kam zu einer über mehr als hundert Jahre andauernden Abfolge von Kriegen, in welchen Moskau anfangs durchaus regelmäßig verlor bzw. nicht voran kam. Dennoch gelang es den Russen von Moskau aus mit der Zeit Litauen immer mehr unter Druck zu setzen, und die Russisch-Litauischen Kriege zogen sich schlussendlich von 1368 bis 1570 hin. Die Litauer, welche über die Einheirat ihrer Fürsten in die polnische Krone (Jagiello) und den gemeinsamen Sieg mit den Polen zusammen über die Deutschen eng mit dem Königreich Polen verbunden waren, reagierten auf diesen ununterbrochenen Druck mit der Personalunion mit Polen. Damit verbunden wandten sie sich vom Heidentum als auch von der Orthodoxie ab, und dem Katholizismus und der polnischen Kultur zu. Es kam zu einer massiven Polonisierung der Litauer und des Adels im Großfürstemtum Litauen, zumal die Fürsten der Litauer die Polnischen Könige stellten. Damit war Litauen scheinbar auf dem absoluten Höhepunkt seiner Macht und Größe angelangt.
Dies veränderte aber den Charakter des litauischen Staates, welcher vor der Personalunion, der Machtübernahme der Litauer auch in Polen und der daraus folgenden Polonisierung eben ein russischer Staat gewesen war ! Damit wuchs der litauische Adel, welcher sich immer mehr dem Polentum zuwandte mit dem ruthenischen Adel auseinander. Militärische Erfolge Moskaus und die im Wilden Feld im Südosten des litauischen Reiches herrschende Anarchie und das dort entstehende Kosakentum führten dazu, dass die Ruthenen im Südosten sich immer mehr von den Litauern entfremdeten. In den ersten hundert Jahren des Großfürstentums hatte man die Fürsten von Litauen noch als Herrscher der Russen verstanden und auch so gesehen, jetzt erkannte man zunehmend die kulturelle Eigenständigkeit und vor allem lehnte man die Polonisierung ab. Damit wurde die Position der Litauer im Gebiet der heutigen Ukraine fortwährend geschwächt.
Ein perfektes Beispiel für diese Entwicklung ist beispielsweise die Abschaffung des Ruthenischen (Proto-Ukrainischen) als Amtssprache in Litauen, und die Ersetzung desselben durch das Polnische. Dies und vieles weitere, vor allen anderen aber die religiöse Frage (!) führten zu einem zunehmenden Verfall der Macht der Litauer über die Ruthenen. Die offiziell bis 1387 heidnischen Litauer waren insgeheim teilweise noch bis 1450 herum Heiden, und ausgesucht tolerant gegenüber der orthodoxen Kirche gewesen. Unter dem Einfluss der Polonisierung und der Durchsetzung des katholischen Glaubens, entstand hier eine Spaltung, auch wenn man diese in der Union von Brest 1596 und der Schaffung der sogenannten griechisch-katholischen Kirche zu überwinden versuchte.
Es war aber trotz der Union von Brest die ruthenisch-orthodoxe Kirche, welche maßgeblich sich von der Polonisierung abgrenzte und zunehmend Einfluss darauf nahm, dass die orthodoxen Ostslawen unter polnisch-litauischer Herrschaft doch eher zu Moskau, als rechtgläubig orthodoxen Staat gehören sollten, als unter die Herrschaft der katholischen Polen.
Damit verlor Litauen seinen Anspruch ein russischer Staat zu sein und der Nachfolger der Kiewer Rus. Was das Großfürstentum Litauen bis zur Personalunion mit Polen aber tatsächlich, also de facto wirklich gewesen ist – einschließlich russischer Sprache als Amtssprache.
Bezeichnend übrigens als Randnotiz, dass die Weißrussen die Zeit der Herrschaft der Litauer über Weißrussland heute noch als das Goldene Zeitalter Weißrusslands sehen und dass nach Weißrussischer Sichtweise das Großfürstentum Litauen kein litauischer, sondern ein weißrussischer Staat war ! Das wird heute noch so in Weißrussland verstanden, dass die über 300 Jahre währende Herrschaft der Litauer über die Ukraine in Wahrheit eine weißrussische gewesen sei.
Mit dem im Eintrag oben schon beschriebenen orthodoxen Kosakentum entwickelte sich dann im Gebiet der heutigen Ukraine eine militärische Kraft, welche die Ostslawen aus der Polnisch-Litauischen Herrschaft heraus führte, dies aber anfangs durchaus mit der Idee einer Eigenstaatlichkeit. Die Umstände aber, und die Position zwischen Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich und Moskau führten wie oben schon beschrieben dann dazu, dass die Ruthenen im Süden sich schlussendlich Moskau anschließen musssten.
Kurzusammenfassung:
Die Ukrainer, das ukrainische als Sprache und die gesonderte ethnische Identität entstanden also in der mehr als 300 Jahre währenden Herrschaft der Litauer über die südrussischen Fürstentümer (Ruthenen). In dieser Zeit entwickelten sich die orthodoxen Ostslawen dort eigenständig von den orthodoxen Ostslawen im Norden und Osten welche unter die Herrschaft Moskaus fielen. Daraus entstand das Alt-Ukrainische, welches über lange Zeit die Amtssprache des Großfürstentums Litauen war. Dieses war ein de facto russischer Staat, in welchem proto-weißrussische und proto- ukrainische Adelige und Bevölkerungsgruppen die wesentlichste Rolle inne hatten. Dieser de facto russische Staat beanspruchte das Erbe der Kiewer Rus, verlor dieses jedoch durch eine Unzahl an Kriegen und durch die Polonisierung Litauens im Laufe von über hundert Jahren dann an Moskau.
Und die orthodoxen Ostslawen (Proto-Ukrainer) welche über 300 Jahre lang unter litauischer Herrschaft gestanden hatten (welche sie selbst jahrhundertelang massgeblich mitgetragen hatten !) wandten sich dann über das Kosakentum Moskau zu, weil die religiöse, kulturelle und sonstige Kluft zu den Polen größer wurde als die zu Moskau, vor allem aber um eigentlich die Selbstständigkeit zu erlangen, was ihnen aber aufgrund der politischen Gesamtumstände nicht gelang. So wurden sie entgegen ihrem eigenen Wollen Teil der russischen Welt im Sinne Moskaus.
Die Ukrainer entstanden also zu der Zeit, als das Großfürstentum Litauen ein russischer Staat war und das Erbe der Kiewer Rus beanspruchte. Sie wandten sich von Polen-Litauen ab als dieses Staat dieses Erbe nicht mehr beanspruchen wollte. Sie wurden aufgrund äußerer Zwänge dann Teil des russischen Imperiums unter der Führung Moskaus.
Die Ukrainer sind damit wie die Russen auch Erben der Kiewer Rus, aber schon seit 1321 auf einem eigenen Weg gewesen, der schlussendlich in der Zeit zwischen 1321 und 1667 in der Entstehung einer eigenen ethnischen Identität und einer eigenen Sprache mündete, wobei die ukranische Sprache der direkte Erbe der ruthenischen Amtssprache des Großfürstentums Litauen ist.