Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Russland sieht sich bereits jetzt nicht als Sieger, und selbst bei einem russischen de facto Sieg wird man sich als Verlierer sehen, weil hier einfach die Kosten und der Nutzen in keinerlei Verhältnis mehr stehen. Entsprechend kursieren jetzt schon in Russland Dolchstoßlegenden und legitimiert man das eigene Scheitern noch damit, dass man ja gar nicht gegen die Ukraine, sondern völlig alleine gegen die gesamte NATO kämpfen würde. Aber zunehmend breitet sich das Narrativ von den Verrätern im eigenen Land aus, welche der unbesiegten russischen Nation hier den Sieg gestohlen haben.

Entsprechend ist die meiner Meinung nach beste Analogie bei einer solchen Betrachtung, Russland mit dem Deutschen Reich 1918 ff gleichzusetzen.

Ich stimme dir zu, dass es immer die Tendenz gibt, den letztmaligen Krieg von der Erfahrung zu überhöhen und alles so einzurichten, dass man diesen in einer besseren, perfekteren Form erneut führen kann. Das betraf aber nach dem 1WK durchaus alle Kriegsparteien. Und umgekehrt waren es nicht allein die Deutschen, welche zu neuen Formen der Kriegsführung fanden, sondern insbesondere auch die Sowjets, nur dass dort deren grundsätzlich richtige Ideen dann in der stalinistischen Säuberung wortwörtlich mitsamt ihren Vertretern ausgelöscht wurden.

Die Ideen der Deutschen über die Kriegsführung waren im weiteren auch von den Briten her beeinflusst und deren Vorstellungen zukünftiger mechanisierter Kriegsführung, bzw. man wollte eigentlich deutscherseits genau dorthin, hatte aber nicht genug Panzer - so dass man die Panzer mit mehr Infanterie begleitete als in den radikaleren britischen Konzepten dieser Zeit vorgesehen (die ebenfalls keineswegs den zukünftigen Krieg so dachten wie den 1WK, sondern ganz im Gegenteil von einem vollständig anderen Kriegsbild ausgingen).

Wo ich dir zustimmen kann ist, dass der aktuelle russische Staatsapparat dysfunktional und vor allem inovationsfeindlich ist. Keine Frage, Innovationen haben es schwer in Russland, wegen der aktuellen Führung. Das heißt aber eben nicht, dass unter einen neuen Führung dies immer noch so wäre und dass die aktuelle Führung für immer bestehen bleiben wird (Stichwort Deutschland 1918 ff)

Und innovativ sind die Russen als Volk selbst durchaus. Gerade die widrigen Umstände in Russland befördern eigentlich Innovation. Man sieht das nicht zuletzt auch an den vielen (jungen) Russen welche in Folge des Krieges nach Serbien, Georgien usw. geflohen sind. Befreit von der lähmenden Korruption und Unfähigkeit in Russland blühen die dort regelrecht auf. Eine Unzahl an neuen Firmen wurde von ihnen gegründet, neue Technologien entwickelt, einheimische Arbeitskräfte eingestellt, die ganze Sache zeigt auf, wozu Russen eigentlich fähig wären, wenn man sie lassen würde statt alles in der lähmenden Agonie des Systems Putin zu ersticken.

Dazu kommt noch ironischerweise der Zustand der Streitkräfte in Russland. Die können ohne groß in moderne teure Systeme gebunden sein praktisch auf dem Reißbrett neu anfangen, wenn die Führung dies den zulassen würde. Was ja exakt in der Weimarer Republik einer der Gründe für die spätere Leistungsfähigkeit der Wehrmacht war, nämlich die Einschränkung der Reichswehr als Streitkraft, welche nicht nur quantiativ völlig unzureichend war, sondern auch von den ihr erlaubten Systemen her.

Als kurze Zusammenfassung: ich gehe fest davon aus, dass es in einigen Jahren nach einem Friedensschluss einen weiteren Krieg geben wird. Ob und inwieweit Russland dann im Zuge einer Revolution in den Streitkräften eine sehr viel größere Kampfkraft haben wird, hängt davon ab, ob das System Putin überlebt oder nicht. Besteht das System Putin weiter, dann stimme ich dir zu, dass Russland sich nicht ausreichend modernisieren wird können. Trotzdem wären die russischen Streitkräfte aufgrund ihrer Praxis-Erfahrung immer noch extrem gefährlich, denn nichts, absolut nichts schlägt Praktische Erfahrung im Krieg.

Sollte das System Putin im Zuge des nun folgenden (vorübergehenden) Friedens fallen, könnte Russland dahin kommen seine Streitkräfte zu modernisieren und würde dann in kurzer Zeit ein erhebliches militärisches Problem werden. Denn sowohl die Kenntisse und Erfahrungen, als auch die Technologie, als auch der Wille, als auch die Rohstoffe im eigenen Land wären eigentlich alle da.
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