24.01.2025, 08:13
Zitat: Aber das wichtigste ist natürlich, dass Bibi keine Schuld hat und keinerlei Verantwortung......Es ist sicherlich nicht das wichtigste, zumal sich das Narrativ politisch sowieso nicht aufrecht erhalten lässt, aber ich sehe tatsächlich nicht, dass Bibi hier groß Schuld trägt. Politische Verantwortung sicherlich, aber Schuld impliziert explizites Versagen seiner Person.
Das Bild was sich aber zeichnet, ist ein systematisches Versagen der IDF, auch und gerade auf mittlerer und hoher Führungsebene. Beständige Warnungen, vor und am 7. Oktober wurden ignoriert und nicht auch nur in die Nähe der politischen Leitung eskaliert. Um Netanyahu hier größer etwas ans Bein flicken zu können benötigt es da angesichts konkret vorliegender und grotesk ignorierter Warnungen mehr als allgemein gehaltene Einschätzungen eines Geheimdienstchefs Monate vor dem Angriff.
Entscheidend wäre insofern die Frage, wie es zum der militärischen Hierarchien hat kommen können. Dabei steht für mich durchaus auch die Frage im Raum, ob es manche Kader vielleicht nicht so bewusst zugelassen und gewollt haben wie es dann gekommen ist, sondern ob sie in ihrer politischen Aversion gegen Netanyahu und seine Rechtsausleger als Akt des inneren Wiederstandes ihre Pflichten bewusst vernachlässigt haben. Man wird es nicht nachweisen können, aber die politische Lage in Israel vor dem Angriff war wie sie nun mal gewesen ist, mit Teilen der militärischen Hierarchien mehr damit beschäftigt Netanyahu ans Bein zu pinkeln und ihrer durchaus (im israelischen Kontext) linksgerichteten Weltsicht zu frönen als sich durch gewissenhafte Pflichterfüllung auszuzeichnen.
Das ist sicherlich nicht der einzige relevante Faktor und ich würde nicht einmal behaupten wollen, dass es das Hauptproblem gewesen ist. Aber es wird dazugehören.
Vor allem auf dem Mittleren Ebene wird gegenüber den weiblichen Grenztruppen Misogynie ein Faktor gewesen sein. Damit einhergehend, bzw. relevanter scheint mir aber eine systematische, strukturelle Arroganz durch alle Ebenen gewesen zu sein, der militärisch so deutlich unterlegenen Hamas derartige Aktionen nicht zutrauen zu wollen. Rassismus und Verachtung und Überlegenheitsgefühl gegenüber den Palästinensern spielen hier ohne Zweifel auch mit rein. Auf höherer Ebene womöglich auch der Umstand, dass es mit der Hezbollah einen militärisch augenscheinlich viel fähigeren Gegner gegeben hat, dem gegenüber man die Hamas als unfähiger einschätze als sie es tatsächlich gewesen ist bzw. sich im Verlauf des Krieges dann auch erwiesen hat (was nun wirklich auch einen Treppenwitz der ganzen Geschichte verkörpert).
Überhaupt die Hezbollah. Es war richtig (der Kriegsverlauf zeigte es auch auf, wobei man so wie es gekommen ist mehr Glück als Verstand hatte) sich auf die Hezbollah zu konzentrieren. Es war falsch die Hamas dabei links liegen zu lassen. Das Hauptproblem scheint hier aber schlich eine strukturelle Überforderung der militärischen Aufklärungskapazitäten und Nachrichtendienste gewesen zu sein. Man konnte sich nicht in dem Maße um die Hamas kümmern wie man sich um die Hezbollah gekümmert hat. Hinzu dürfte aber auch kommen, dass die Hamas als Assignment gegenüber Hezbollah/Iran als ziemlich unsexy gegolten haben dürfte und man dementsprechend die Beobachtung der Hamas nur zu gerne an sekundäre Stellen ausgelagert bzw. gleich ganz eingestellt hat.
Bleibt die Frage warum diese grob skizzierten Missstände nicht im Vorfeld erkannt und abgestellt wurden. Sicherlich kommt hier auch die politische Führung irgendwo ins Spiel, ich denke jedoch, dass die Ursachen für Militär und Gesellschaft systematisch sind und nicht so leicht abgestellt werden können. Ich möchte auch an dieser Stelle die Gesellschaft ausklammern weil das zu weit führt, aber ich denke das es in der IDF ein größeres bis massives Problem im va höheren Offizierskorps gibt. Es ist kein Zufall, dass es seit Rafael Eitan (in den Neunzigern!) keinen politisch aktiven (fast alle) IDF CGS gegeben hat, der nicht links des Likuds zu verorten gewesen wäre. Für sich ist das mehr eine Kuriosität als ein gesteigertes Problem, zeigt aber exemplarisch auf, dass es ein gewisses Ungleichgewicht bei der Frage gibt, welche Offiziere in höhere und höchste Führungspositionen aufsteigen. Und welche Persönlichkeiten eben nicht. Eine solche Entwicklung führt, vor allen Dingen wenn sie sich über Jahrzehnte verfestigt, zu einer institutionell verengten Weltanschauung, Arroganz und Konfliktunwilligkeit. Und diese Zustände sind dann eine Grundlage für das systematische Versagen der höheren Führung vor dem Feind.
Wie auch immer. Meine Befürchtung ist vor allen Dingen, dass bei dem politisch motivierten Versuch, möglichst viel Verantwortung auf Netanyahu abzuschieben, all die aufgeworfenen Problematiken nur unzureichend beleuchtet und nicht bearbeitet werden. Das nächste systematische Versagen ist dann nur eine Frage der Zeit, bzw. der nächsten Generation, wenn der Schock des 7. Oktobers erst einmal institutionell verflogen ist.