06.12.2024, 10:13
@lime
In der Folge sprangen Golfaraber in die Lücke und haben dann gerade und gezielt die sunnitisch-extremistischen Gruppen gefördert und finanziert - die dann auch zum Problem wurden, die die säkularen Rebellen ins Hintertreffen drängten und die das Regime ins Wanken brachten. Und spätestens dann, als der "IS-Komplex" aus dem Irak herüberschwappte und mehrere Anschläge auch im Westen geschahen, haben sich die Westmächte endlich mühsam aufgerafft, gegen die sunnitischen Extremisten aktiv zu werden. (D. h. mit dem Kampf gegen Daesh haben sich die Westmächte sogar an der Seite von Assad engagiert.) Parallel dazu griffen auch die Russen und die Iraner ein und haben v. a. am Boden eine Stabilisierung der Regimetruppen bewirkt.
Und ich erinnere: Als du selbst diesen Strang hier 2021 aufgemacht hast, war der Tenor weitgehend, dass "es in Syrien ja nun ruhig geworden sei". Der IS war faktisch zerschlagen, die restlichen Rebellen vegetierten eher stiefmütterlich vor sich hin - und Assad schien auf der Siegerstraße. Er gewann dann auch viele der zuvor verlorenen Gebiete wieder zurück, auch dank russischen und iranischen Engagements. Das war meiner Meinung nach der Kippfaktor, denn ab diesem Zeitpunkt verschwand das Land vom Bildschirm. Syrien schien wieder halbwegs ruhig, man konnte sich anderen Aufgaben zuwenden, die NATO beendete ihre Intervention etc. Und in Moskau sah man dies wohl ähnlich und beschloss, sich nun auf die Ukraine zu stürzen.
Und aktuell? Moskau hat sich heillos in der Ukraine verrannt, kann also in Syrien nicht mehr allzu viel unternehmen - und gibt darüber hinaus auch zentralasiatische und kaukasische hegemoniale Kontrollfunktionen auf -, ja es hat alle Hände voll zu tun, den menschen- und ressourcenverschlingenden Ukrainekrieg noch irgendwie als Erfolg zu verkaufen. Die Iraner beschäftigen sich lieber mit ihrer "Achse des Widerstandes" und müssen einige heftige Rückschläge kompensieren, gerade auch hinsichtlich des Totalausfalls der Hisbollah. Und für die Westmächte ist Syrien ebenso seit dem Ende des IS und dem (v. a. psychologisch betrachtet) desaströsen Kabul-Abzug 2021 schlicht uninteressant geworden, zumal man sich auch auf die Ukraine und vielleicht noch das Wirrwarr im Roten Meer und den Nahostkrieg konzentriert. Und nebenbei geht es innenpolitisch in einigen westlichen Ländern auch recht hitzig zur Sache. Kurzum: Syrien ist derzeit nicht auf dem Tapet. Bei niemandem.
Und plötzlich erscheint über Nacht - zu aller Überraschung zwischen Washington und Moskau - eine recht schlagkräftige, sunnitische Rebellenkoalition, die dem Assad-Regime zunehmend den Boden unter den Füßen wegzieht.
Insofern: Wir haben es hier also nicht mit einer "15-jährigen Kampagne" des bösen Westens zu tun, sondern hier hat jemand die Gunst der Stunde und das seit 2021 bestehende Desinteresse der halben Nordkugel an Syrien und die Ablenkung auf andere Brennpunkte geschickt ausgenutzt. Und ich vermute, dass die Türkei hier eine gewisse Rolle spielt...
Dazu übrigens mal ein älterer Artikel von ESuT von 2019:
Waren es nicht die Republikaner, die auf Biden herumgehackt haben?
Schneemann
Zitat:Tja im Westen hat man mindestens 15 Jahre darauf hingearbeitet Assads säkuläres Regime zu demontieren.Was so nicht ganz stimmt. Eher war die Reaktion des Westens eine des Ignorierens, Wegduckens und zögerlichen Überlegens. Ich hatte dies schon mal erläutert: 2011 gab es zwar Proteste aus der EU und den USA gegen die brutale Vorgehensweise des Regimes gegenüber (zunächst wenig islamistisch geprägten) Widerständlern und Demonstranten, aber eine Lieferung von Rüstungsgütern, Finanzhilfen oder gar eine direkte Unterstützung durch Truppen wurde v. a. von der EU dann rasch abgeblockt. Hier vergab man die große Chance, eine säkulare Rebellenarmee zu fördern.
In der Folge sprangen Golfaraber in die Lücke und haben dann gerade und gezielt die sunnitisch-extremistischen Gruppen gefördert und finanziert - die dann auch zum Problem wurden, die die säkularen Rebellen ins Hintertreffen drängten und die das Regime ins Wanken brachten. Und spätestens dann, als der "IS-Komplex" aus dem Irak herüberschwappte und mehrere Anschläge auch im Westen geschahen, haben sich die Westmächte endlich mühsam aufgerafft, gegen die sunnitischen Extremisten aktiv zu werden. (D. h. mit dem Kampf gegen Daesh haben sich die Westmächte sogar an der Seite von Assad engagiert.) Parallel dazu griffen auch die Russen und die Iraner ein und haben v. a. am Boden eine Stabilisierung der Regimetruppen bewirkt.
Und ich erinnere: Als du selbst diesen Strang hier 2021 aufgemacht hast, war der Tenor weitgehend, dass "es in Syrien ja nun ruhig geworden sei". Der IS war faktisch zerschlagen, die restlichen Rebellen vegetierten eher stiefmütterlich vor sich hin - und Assad schien auf der Siegerstraße. Er gewann dann auch viele der zuvor verlorenen Gebiete wieder zurück, auch dank russischen und iranischen Engagements. Das war meiner Meinung nach der Kippfaktor, denn ab diesem Zeitpunkt verschwand das Land vom Bildschirm. Syrien schien wieder halbwegs ruhig, man konnte sich anderen Aufgaben zuwenden, die NATO beendete ihre Intervention etc. Und in Moskau sah man dies wohl ähnlich und beschloss, sich nun auf die Ukraine zu stürzen.
Und aktuell? Moskau hat sich heillos in der Ukraine verrannt, kann also in Syrien nicht mehr allzu viel unternehmen - und gibt darüber hinaus auch zentralasiatische und kaukasische hegemoniale Kontrollfunktionen auf -, ja es hat alle Hände voll zu tun, den menschen- und ressourcenverschlingenden Ukrainekrieg noch irgendwie als Erfolg zu verkaufen. Die Iraner beschäftigen sich lieber mit ihrer "Achse des Widerstandes" und müssen einige heftige Rückschläge kompensieren, gerade auch hinsichtlich des Totalausfalls der Hisbollah. Und für die Westmächte ist Syrien ebenso seit dem Ende des IS und dem (v. a. psychologisch betrachtet) desaströsen Kabul-Abzug 2021 schlicht uninteressant geworden, zumal man sich auch auf die Ukraine und vielleicht noch das Wirrwarr im Roten Meer und den Nahostkrieg konzentriert. Und nebenbei geht es innenpolitisch in einigen westlichen Ländern auch recht hitzig zur Sache. Kurzum: Syrien ist derzeit nicht auf dem Tapet. Bei niemandem.
Und plötzlich erscheint über Nacht - zu aller Überraschung zwischen Washington und Moskau - eine recht schlagkräftige, sunnitische Rebellenkoalition, die dem Assad-Regime zunehmend den Boden unter den Füßen wegzieht.
Insofern: Wir haben es hier also nicht mit einer "15-jährigen Kampagne" des bösen Westens zu tun, sondern hier hat jemand die Gunst der Stunde und das seit 2021 bestehende Desinteresse der halben Nordkugel an Syrien und die Ablenkung auf andere Brennpunkte geschickt ausgenutzt. Und ich vermute, dass die Türkei hier eine gewisse Rolle spielt...
Dazu übrigens mal ein älterer Artikel von ESuT von 2019:
Zitat:Syrien-Abzug: Realpolitik auf dem Rückzughttps://esut.de/2019/02/fachbeitraege/10...-rueckzug/
Der US-amerikanische Präsident Donald Trump arbeitet stärker als zuvor am Rückzug der US-Streitkräfte aus Syrien und Afghanistan, ohne eine solide Nachfolgestrategie zur Durchsetzung westlicher Stabilitätsinteressen zu haben.
Der amerikanische Abzug aus den Konfliktgebieten ist Ausdruck eines außenpolitischen Wandels, den Trump unter dem Motto „America First“ angekündigt hat. Sie stehen so im Zusammenhang mit der Absetzbewegung aus den Vereinten Nationen, wo die US-Regierung die amerikanischen Beiträge signifikant absenkt, der Absage an den internationalen Klimaschutz und der Austrittsdrohung aus der NATO, die der US-Präsident im letzten Jahr wohl öfter ins Gespräch gebracht hat. [...]
Maßnahmen wie der Rückzug aus Syrien und Afghanistan reflektieren die Überzeugung Trumps, dass die USA sich durch die institutionelle Einbindung und die Führungsrolle in Militärmissionen von den internationalen Partnern und Verbündeten ausnutzen lassen. Von Anfang an ein Gegner der Auslandseinsätze in Irak und Afghanistan, hat er die geringen Fortschritte in den Einsatzgebieten für seine Wahlkampfstrategie genutzt und den Abzug angekündigt. In Syrien und Afghanistan wird man beobachten können, wie es sich auswirkt, wenn der US-Präsidenten seine Wahlversprechen hält.
Waren es nicht die Republikaner, die auf Biden herumgehackt haben?
Schneemann