Geschichte und Ethnogenese der Juden
#41
Werter Nightwatch:

genau genommen widersprechen wir uns überhaupt nicht.

Zitat:Ich will eigentlich nur darauf hinaus, dass es keine archäologischen Beweise gegen den biblischen Exodus gibt / geben kann und die Gesamtumstände sowie auch einige Details erstaunlich gut zu diesem Mythos passen. Insofern spricht eigentlich nichts dagegen in den Ereignissen einen auch potentiell erstaunlich wahren Kern zu sehen.

Es gibt schriftliche Quellen der Ägypter, welche von einer Deportation von Schasu nach Ägypten durch Ramses den II sprechen, und dass diese dann später zur Zeit Ramses des III Ägypten wieder verlassen haben. Desweiteren gibt es parallel dazu archäologisch nachweisbare Ein-Wanderungsbewegungen in Kanaan bzw. Verschiebungen dort. Von daher gibt es zwar keine archäologischen Beweise für den Exodus selbst, aber durchaus archäologische Beweise für Einwanderung in Kanaan wie auch für die Präsenz von Proto-Hebräern in Ägypten davor.

Zitat:Was nun die Eroberung Kanaans und speziell Jericho angeht - folgt man der Theorie eines frühen Exodus während der Zeit von Amenhotep II schlägt man nach dem biblischen Narrativ um das Jahr 1400BC vor Jericho auf. Es gibt etliche Archäologen, die um diese Zeit auch eine Zerstörung von Jericho sehen.

In Bezug auf Jericho gab es mehrere Zerstörungen, die Stadt wurde immer wieder mal angegangen. Das Jahr 1400 vChr halte ich aber eben für zu früh, weil es vor den von mir beschriebenen Geschehen liegt.

Und der Begriff der Eroberung Kanaans muss meiner Ansicht nach angesichts des archäologischen Befundes zurück gewiesen werden. Da fand keine Eroberung statt in dem Sinne, dass hier ein Volk geschlossen eingedrungen und Land erobert hätte. Die Übernahme Kanaans war vom archäologischen Befund her eher schleichend, zu weiten Teilen anscheinend kooperativ und vergleichsweise friedlich. In einem Machtvakuum übernahmen dort die Habiru dann einfach zunehmend die Herrschaft, ganz von selbst, bzw. anscheinend auch von vielen Kanaaitern gewollt.

Das deckt sich aber interessantererweise genau mit der Bibel, denn wie du es richtig betonst, wird in der Bibel nur von 3 Städten berichtet welche regelrecht erobert und zerstört wurden. Das heißt, auch die Bibel zeigt ein Bild auf, welches keine Eroberung darstellt, sondern eher eine schleichende Machtübernahme mit viel Klein-Klein, welche aber größtenteils friedlich ablief.

Zitat:Neben Jericho wurden nach dem biblischen Narrativ überhaupt nur Ai, Makkeda, Hebron und Hazor niedergebrannt/zerstört. Wenigstens für Ai sofern man es mit Khirbet el-Maqatir identifiziert und Hazor gibt es für Zerstörungen um 1400BC herum auch klare archäologische Nachweise.

Was aber rein von der Zeit her meiner Ansicht nach zu früh ist. Und gar nicht relevant, wenn die schleichende Machtübernahme und Besiedelung Kanaans überwiegend "friedlich" verlief. Also eben keine Eroberung war.

Im weiteren weiß man, dass es um 1400 v Chr durchaus regelmässig Konflikte zwischen den Kanaaitern selbst gab, also regelrechte Kriege zwischen Kanaaitischen Stadtstaaten, bei welchen diese sowohl Söldner einsetzten (Habiru) als auch in Ägypten um Hilfe nachsuchten.

Entsprechend ist eine Verlegung der Landnahme auf einen früheren Zeitraum (nach 1200 v Chr) kein Widerspruch zur Bibel und auch kein Widerspruch zu den archäologischen Funden von Zerstörungen 200 Jahre früher. Es gab früher Kriege dort in der Region unter den Kanaaitern selbst. Gerade dadurch erlangten die Stämme aus welchen die Habiru in Kanaan sich rekrutierten überhaupt erst den örtlichen Bezug in diese Region. Das passt also auch dann sehr gut zur Bibel, wenn man die Landnahme auf die Zeit nach 1200 v Chr setzt.

Zitat:Es werden im biblischen Narrativ zwar viele militärische Auseinandersetzungen und Massaker erwähnt, nicht aber das man die Ansiedlungen reihenweise geschleift und alles ausgelöscht hätte.
Das wird ja dann auch später im biblischen Narrativ so thematisiert, dass es ein Problem gewesen ist die Landnahme quasi nicht zu vollenden und alle bisherigen Bewohner auszulöschen. Stattdessen ist man einfach letztlich einfach zugezogen, sesshaft geworden und hat sich vermischt.

Exakt. Und der archäologische Befund passt sehr gut dazu. Zuerst wanderten die Proto-Hebräer, Nachfahren der Schasu, Stämme aus welchen Habiru rekrutiert worden waren in die Gebirge in Kanaan ein, dann von dort aus langsamg auch sonst in dieses Gebiet, und sie vermischten sich dabei mit den Kanaaitern oder diese schlossen sich teilweise ihnen an und dann übernahmen sie stückweise kanaaitische Städte etc. Das Bild in der Bibel ist eben nicht das einer Eroberung und passt sehr gut zu der Zeit von 1200 v chr bis 1000 v Chr und dem was man in diesem Zeitraum in Kanaan archäologisch beobachten kann.

Zitat:Die später auftauchenden Seevölker wären dann auch überhaupt kein Widerspruch zum biblischen Narrativ, die Auseinandersetzungen mit derartigen Gruppen (zu denen ich auch die Apiru zählen würde)

Habe ich ja auch nicht behauptet. Die Apiru aber zählten nicht zu den Seevölkern und bildeten überhaupt kein Volk sondern waren noch zur Zeit der Seevölker schlicht und einfach eine soziale Gruppe, die sich zwar weitgehend aus semitischen Nomaden rekrutierte, aber nicht auf diese allein beschränkt war.

Zitat:Das Siedlungsgebiet der Hebräer damals war Nomadenstämmen entsprechend eher das fruchtbare Hochland was heutzutage als Galiläa und Judäa bekannt ist bis nach Jordanien hinein. Wahrscheinlich schlicht weil die Küstenregionen schon vor den Seevölkern weiterhin von Ägypten kontrolliert wurden.

Und weil die Kanaaiter sich entlang der Küste eher halten konnten als im Hinterland und dort schon vorher weniger präsent waren. Aber das gibt ja keine Antwort darauf, woher die Hebräer gekommen sind. Sie siedelten dann dort in diesem Gebiet, aber von woher kamen sie in dieses Gebiet ?! Und da ist die Antwort, dass sie in Folge der Wirren des Seevölkersturmes von der Sinai-Halbinsel dorthin gelangt sind, bzw. in Anteilen wahrscheinlich auch aus Ägypten selbst (Exodus). Und warum dorthin? Weil sie schon lange vorher eine räumliche Beziehung zu Kanaan hatten, aufgrund der Söldnertätigkeiten für die Kanaaitischen Stadtstaaten.

Und vom Hochland aus gelang es ihnen dann im Zuge des Kollaps der bronzezeitlichen Reiche mit dem Seevölkersturm sich in Kanaan auszubreiten. Meiner Meinung nach ist dies ein gutes Argument gegen die Verortung des "Exodus" und der Landnahme in den Bereich um 1400 n Chr. Denn zu dieser Zeit war Ägypten dort in der Region noch viel zu mächtig / einflussreich und die Kanaaiter selbst ebenso. Erst der Kollaps der Stadtstaaten dort, der Untergang der bronzezeitlichen Kulturen dort und das dadurch entstehende Machtvakuum erlaubte es den Proto-Juden sich in Kanaan breit zu machen, wobei dies eben ein langsamer stückweiser Prozess war, exakt so wie es in der Bibel in Wahrheit ja auch beschrieben wird.

Zitat:Wie man sieht, passt das erstaunlich gut zu den Überlieferungen in der Bibel.

Das tut es, und zwar auch dann, wenn man die Landnahme auf einen späteren Zeitpunkt setzt.

Die wichtigste Erkenntnis sowohl aus der Bibel als auch aus dem archäologischen Befund wie auch aus ägyptischer Überlieferung sollte sein, dass es keine Eroberung Kanaans gab in dem Sinne, dass dort ein Volk von außen aus Ägypten kommend geschlossen eindrang und dieses Gebiet eroberte, sondern dass dieses Gebiet über einen längeren Zeitraum zunehmend von Nomaden und Halbnomaden übernommen wurde, wobei die Urbevölkerung nicht nur erhalten blieb, sondern zum Teil der Nomaden wurde so wie diese umgekehrt auch die vorherige Stadtkultur übernahmen. Die Hebräer entstanden also (These) aus einer Vermischung von in Kanaan vordringenden Nomaden, mit den Kanaaitern und diese Nomaden hatten schon lange vorher einen vergleichsweise engen Kontakt und ständigen Bezug zu Kanaan, da sie dort schon lange vorher als Söldner aktiv gewesen waren (sowohl in ägpytischen Auftrag als auch im Auftrag der Kanaaiter), oder als Räuber in dieses Gebiet über lange Zeit eingefallen waren.

Entsprechend ist die wesentlichste Kernerkenntnis meiner Ansicht nach die, dass es eine Bevölkerungskontiunität gab. Es wurde also nicht eine vormalige Bevölkerung durch eine neue ersetzt, sondern die Hebräer stammen in weiten Teilen direkt von den Kanaaitern ab und stellen daher eine direkte Linie von diesen aus dar. Wobei sie dann als Volk eben den vormaligen sozialen Begriff Apiru Hapiru / Habiru übernahmen, der vorher primär Söldner bedeutete. Es gab also keinen Abriß von den Kanaaitern zu den Hebräern, sondern die von den Schasu abstammenden Nomaden und Halbnomaden welche da in Kanaan ansiedelten, hatten vorher schon einen engen Bezug zu diesem Gebiet und vermischten sich dann auch weitgehend mit den Kanaaitern, bei wechselseitiger Übernahme von Kulturelementen und Religion. Entsprechend stammen die Hebräer ganz genau so von den Kanaaitern ab wie von den Schasu und entstanden gerade eben aus dem Verbund dieser beiden Gruppen, also der Integration von vormaligen Stadtkulturen in die ländlichen Nomadenkulturen und umgekehrt !

Damit bestand ungeachtet der Zuwanderung besagter Nomaden eine durchgehende Bevölkerungs- und Siedlungskontiunität.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Geschichte und Ethnogenese der Juden - von Quintus Fabius - 21.10.2024, 12:18
RE: Sechster Nahostkrieg - von Broensen - 18.10.2024, 20:00
RE: Sechster Nahostkrieg - von Kongo Erich - 17.10.2024, 22:08
RE: Sechster Nahostkrieg - von Nightwatch - 17.10.2024, 22:51
RE: Sechster Nahostkrieg - von Broensen - 18.10.2024, 00:08
RE: Sechster Nahostkrieg - von Nightwatch - 18.10.2024, 10:19

Gehe zu: