Explosionswelle erschüttert Madrid
Übungsfiasko verstärkt Angst der Polen (DER STANDARD, 18.3.2004)http://derstandard.at/

Terrorwarnungen und politische Debatten nach den Anschlägen von Madrid

Das Europäische Wirtschaftsforum, zu dem Ende April knapp tausend Politiker, Manager und Wirtschaftsexperten erwartet werden, wird nicht im Warschauer Kulturpalast stattfinden.
Eine verpatzte Antiterrorübung im 24-stöckigen Warschauer Kulturpalast, dem ursprünglich vorgesehenen Tagungsort des Europäischen Wirtschaftsforums, hat in Polen die Angst vor Anschlägen verstärkt. Die Rufe nach einem Rückzug aus dem Irak werden immer lauter.

Szenario:
Sechs schwer bewaffnete "Terroristen" stürmten um 20 Uhr den Kongresssaal, warfen mehrere "Bomben" und nahmen rund 300 Geiseln. Die "Rettungsaktion" war ein einziges Fiasko. Niemand wusste, wer in einem solchen Fall die Einsatzleitung übernehmen sollte. Die Feuerwehrleute rannten ungeschützt ins Gebäude und wären im Ernstfall sofort erschossen worden. Weder Kino-noch Konzertsäle wurden evakuiert. Nicht einmal die Eingänge wurden so gesichert, dass niemand mehr in das Gebäude gekommen wäre. Noch eine Stunde nach der "Terrorattacke" konnte man im Kulturpalast Kinokarten kaufen. Erst um 23 Uhr wurden Antiterroreinheiten aus Lodz, Lublin, Kielce und Radiom zur Verstärkung angefordert.

Wenige Tage später war klar: Das Europäische Wirtschaftsforum, zu dem Ende April knapp tausend Politiker, Manager und Wirtschaftsexperten erwartet werden, kann nicht im Kulturpalast stattfinden. Tagungsort soll nun das Hotel Victoria sein, das sich hermetisch abriegeln lässt.

Wie sehr die Angst vor einem Terroranschlag den Polen im Nacken sitzt, zeigt eine aktuelle Umfrage des Nachrichtenmagazins Newsweek Polska. Knapp 80 Prozent der Polen fürchten, dass ihr Land Ziel eines Anschlags wie in Madrid werden könnte. Auch Geheimdienstchef Zbigniew Siemiatkowski warnt vor einem Anschlag: "Wir sind ein Verbündeter der USA und sind politisch und militärisch am Golf präsent", sagte er im Radio. "Uns muss klar sein, dass wir nicht nur ein hypothetisches Ziel, sondern vielleicht auch ein reales sind."

Wenn Spanien tatsächlich, wie vom designierten Premier José Luis Rodríguez Zapatero angekündigt, seine Soldaten aus dem Irak abzieht, hat das für Polen weit reichende Konsequenzen. Denn, so berichtete ein polnischer Radioreporter aus Babylon, mit den Spaniern ziehen womöglich auch die Soldaten aus San Salvador, Nicaragua und Honduras ab, die bisher unter dem Kommando der Spanier standen. Dann würden in der polnischen Zone bis zu 3000 Soldaten weniger dienen.

Isoliert in der EU

Schon heute will jeder zweite Pole die polnischen Soldaten lieber heute als morgen aus dem Irak zurückholen. Inzwischen fordern dies auch fast alle Oppositionsparteien. Die vom postkommunistischen Bündnis der demokratischen Linken (SLD) geführte Minderheitsregierung gerät dadurch immer mehr unter Druck. Spanien war nicht nur Polens treuester Bündnisgenosse im Irak, sondern auch der einzige in der Blockadeachse gegen die EU-Verfassung. Nach den Wahlen in Spanien steht Polen nun allein auf weiter Flur. Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz zeigte sich denn auch "offen für Kompromisse".

Nach den Anschläge in Spanien bröckelt zusehends die Bereitschaft weiterhin am bisherigen Irakkurs festzuhalten , auch wenn die US Regierung nicht müde wird diesen weiterhin zu rechtfertigen und zu verteidigen.
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