Geschichte und Ethnogenese der Juden
#31
So, wie am Freitag versprochen, hier einmal der erste Teil. Smile

Vorab: Das ganze Thema ist recht schwierig zu erfassen. Ich muss dazu sagen, dass man natürlich die rein biblischen Quellen nicht als gesichert ansehen kann und darf. Sie sind sehr interessant hinsichtlich der Schaffung eines Rahmens um die Thematik herum, aber sie können nicht als gesicherter Beweis gelten, zumal auch archäologisch eine direkte Erfassbarkeit nicht immer möglich ist.

Ich werde Elemente, die nur in biblischen Texten erfasst sind, kursiv setzen zwecks besserer Abgrenzung.

- um 9.000 v. Chr./Neolithikum: Gründung der Stadt Jericho (manche Fundstücke, die aber nicht "städtisch" zu werten sind, könnten bis zu 12.000 Jahre alt sein). Diese Zahl ist ein Schätzwert, Festungs- und Mauerbauten lassen sich erst ab ca. 8.200 v. Chr. nachweisen. Die Besiedlung des Gebietes, eine Oase im Jordangraben, erfolgte vermutlich durch Jäger und Sammler, die vom Karmelgebirge her stammten. Nachweisbar ist, dass das Klima am Jordangraben - nach dem Ende der letzten Eiszeit - lange Zeit relativ mild und für den Anbau von Getreide geeignet war. Bis ca. 8.000 v. Chr. wächst die Stadt an zu einer Fläche von rund vier Hektar.

- bis 7.000 v. Chr.: Im Gebiet westlich des Jordan lassen sich fast 40 Siedlungen nachweisen, die aber oftmals auch wieder aufgegeben werden.

- um 3.000 v. Chr.: Gründung der Stadt En Esur (im heutigen Nordisrael, nahe Haifa).

- 2.166 bis 1.991 v. Chr.: Nach chronologischem Eichmaß und entsprechend der Angaben im 1. Buch Mose (Genesis) wären dies die Lebenseckdaten des Urvaters Abraham. Gemeinsam mit seinem Sohn Isaak und Jakob (seinem Enkel) ist er einer der drei Väter des Volkes Israel - zumindest gemäß der biblischen Überlieferung. Es handelt sich um mythologische Daten, die nicht anhand realer Funde belegbar sind. Hier haben wir aber ein Quellenproblem und auch ein erhebliches Problem auf der Zeitschiene (siehe unten). Darüber hinaus gibt es auch andere Unschärfen - so berichtet die Bibel, dass Abraham Kamele gehütet habe. Das Kamel wurde vom Menschen jedoch erst ab ca. 1.700 v. Chr. genutzt, die direkte Domestizierung erfolgte noch später. Zudem soll Abraham ein Zeitgenosse des Philisterkönigs Abimelech (König von Gerar) gewesen sein. Die Philister lassen sich aber erst um 1.300 v. Chr. archäologisch nachweisen.

- etwa um 1.600 v. Chr.: Der Begriff Kanaan lässt sich erstmals in babylonischen und hethitischen Schriftzeugnissen nachweisen. Mit Kanaan kann grob das Gebiet westlich des Jordan und zwischen den Südausläufern des Libanon bis zum mittleren Negev umrissen werden. Die Herkunft des Begriffes selbst ist unsicher bzw. umstritten. Möglicherweise bezieht sich der Namen auf umherziehende, nomadisierende Völkerschaften in dieser Region, in altägyptischen Texten wird der Begriff auch teils abwertend verwendet, da mit ihm ein gewisses Wegelagerer- und Räuberunwesen in Verbindung bringt. Als Namen im biblischen Kontext lässt sich der Begriff erstmals im 1. Buch Mose (Genesis) finden. Hier ist Kanaan jenes Gebiet, das Abraham und seinen Nachkommen von Gott versprochen wird (Gelobtes Land). Bevölkert, nach dem 5. Buch Mose (Deuteronomium), ist das Gebiet von Hethitern, Hiwitern, Jebusitern, Girgaschitern, Amoritern, Perisitern und Kanaanitern - wobei sich jedoch manche Völkerstämme in der Definition und im Namen überschneiden.

- um 1.800 v. Chr.: Der Stamm der Jebusiter, ein vermutlich kanaanitisches Volk, gründet die Stadt Jebus. Aus dieser kleinen Siedlung wird später Jerusalem werden.

- 1.446 v. Chr.: Gemäß Chronologie im 2. Buch Mose (Exodus) Auszug des Volkes Israel unter Mose aus Ägypten. Dieses Datum ist ein rein rechnerischer Wert, denn zwischen dem Tod Abrahams (1.991 v. Chr.) und dem Auszug aus Ägypten sollen 545 Jahre liegen - bzw. lt. dem 1. Buch der Könige fand der Auszug 480 Jahre vor dem Bau des ersten (salomonischen) Tempels statt. Dies kann aber rein chronologisch nicht stimmen, denn die Israeliten verließen Ägypten vermutlich im 13. Jhdt. v. Chr. bzw. wirkten lt. Bibel als Sklaven an den Bauten des berühmten Pharaos Ramses II. mit. Dieser historisch erfasste Herrscher lebte von 1.303 bis 1.213 v. Chr. Insofern haben wir hier eine Diskrepanz von rund 200 Jahren. Und i. d. T. könnte ein Auszug rund 200 Jahre später eher wahrscheinlicher sein (siehe unten).

- um 1.350 v. Chr.: Ägyptische Überlieferungen berichten von einem Volk von Halbnomaden, die als Apiru bezeichnet wurden, das - von Hunger infolge einer Dürre getrieben - um Hilfe gebeten haben soll und in Ägypten angesiedelt wurde. Die ägyptischen Quellen sprechen von Halbnomaden, die vom Sinai kamen und die vom Pharao zu Zwangsarbeiten eingesetzt wurden. Manche Theorien sagen aus, dass dies die frühen Hebräer gewesen sein könnten. Interessant hierbei ist, dass diese Nomaden angeblich einem Gott Jahwe huldigten, der wiederum bei Völkern des Sinai bekannt gewesen sein soll. Ob dies nun eine Umdeutung der Bibelgeschichte ist oder aber ob die Bibel die Geschichte wiederum umdeutete, ist unsicher. Die früheste Nennung des Begriffes Apiru (auch teils Hapiru) geht bis ins 17. Jhdt. v. Chr. zurück.

- zwischen 1.250 und 1.200 v. Chr.: Laut der Überlieferung im 2. Buch Mose (Exodus) dauerte die Wanderung der Hebräer über den Sinai 40 Jahre - eine kaum vorstellbare Zeit angesichts des Umstandes, dass es nur wenige hundert Kilometer Landweg sind. Dies lag auch am Zorn Gottes, denn in einem Augenblick, als Mose auf dem Berg Sinai Zwiesprache mit Gott hielt, errichtete sein Bruder Aaaron auf Bitten seines Volkes, das ob seiner langen Abwesenheit in Sorge war, ein Götzenbild - das berühmt-berüchtigte Goldene Kalb. Um dieses tanzten die Hebräer zur Ablenkung herum, als Mose wieder mit den Gesetzestexten eintraf. Ob dieses Frevels war Gott voll des Zornes und es gelang Mose nur mit viel Mühe, diesen wieder zu besänftigen. Gleichwohl verdonnerte er die Israeliten, dass sie 40 Jahre brauchen würden, um das Gelobte Land zu erreichen. (Mose selbst hat es übrigens nie erreicht.) So die Legende. Interessanterweise lassen sich auf dem Sinai um diese Zeit Siedlungsspuren nachweisen, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten ausgebreitet haben müssen. War dies also die Rückwanderung von halbnomadisierenden Apiru, der frühen Hebräer? Und wurde aus dieser Wanderung die Legende vom Auszug aus Ägypten?

- um 1.200 v. Chr.: Es lassen sich Spuren einer verstärkten Einwanderung in die zentralen Gebiete von Kanaan nachweisen. Diese Landnahme erfolgte allem Anschein nach friedlich, bspw. gibt es keine Brandschichtnachweise oder entsprechende Knochenfunde. Aus dieser Zeit könnte (auch) die biblische Legende von den Trompeten vor Jericho stammen - wobei, wenn denn die Mauern tatsächlich gefallen wären, eher ein Erdbeben eine Rolle gespielt haben könnte. Um 1.200 v. Chr. sind im kanaanäischen Bergland bereits rund 200 bis 300 verschiedene Siedlungsorte nachweisbar. Möglicherweise waren diese Einwanderer jene Apiru (vgl. Hebräer), die zuvor in Ägypten sich aufgehalten hatten, von dort wieder ausgezogen waren und die Ende des 13. Jhdts. v. Chr. schließlich Kanaan erreichten. Dass die Einwanderung nach dem bergigeren (d. h. im Landesinneren) Kanaan stattfand, wäre zudem denkbar, da die Orte dort weitgehend unabhängig waren, während in Gaza ein Statthalter des Pharao saß. Zu diesem Zeitpunkt, wenn man die Apiru als die Hebräer ansehen will, hatte diese Gemeinschaft ganz klar eher einen Volkscharakter und nicht alleine jenen einer religiösen Gemeinschaft, zumal die Verehrung eines Gottes Jahwe lt. ägyptischen Quellen auch in anderen Volksgruppen zu finden gewesen sein soll.

- 1.208 v. Chr.: Auf einer Stele des Pharaos Merenptah (regierte bis 1.203 v. Chr.) ist erstmals der Name "(Isra)-(el)" nachweisbar. Es ist dies die älteste Nennung des Namens überhaupt. Darüber hinaus finden sich weitere ägyptische Zeugnisse aus dieser Zeit, die berichten, dass der Pharao ein Volk besiegt habe, das Israel heißt. Dieser Widerspruch konnte bislang nicht aufgelöst werden, denn einerseits nennt der Pharao ein unterworfenes Volk Israel, andererseits aber auch ein Gebiet Israel in Kanaan, das derart ausgedörrt und unwirtlich gewesen sei, dass seine Armee einen Bogen darum herum geschlagen habe (?).

Fortsetzung folgt...

PS: Kritik und Anregungen sind natürlich gerne erwünscht.

Schneemann
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