23.08.2024, 19:37
(23.08.2024, 17:51)Hinnerk2005 schrieb: ....ich denke, das ist der entscheidende Punkt.
Da es keinen völkerrechtlich erklärten Kriegszustand zwischen Russland und der Ukraine gibt, ist dieser Angriff der Ukrainer nicht genau so als Angriffskrieg zu werten wie der russische Angriff 2024?
...
Es muss keine "formale Kriegserklärung" geben, um einen Kriegszustand zu haben.
Im III Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 ist zwar eindeutig geregelt:
Zitat: „Artikel 1.- allerdings belegt die Kriegserklärung lediglich "beweisbar", dass es einen Kriegszustand gibt. D. h. die Gesetze des Krieges gelten nach dem Kriegsvölkerrecht schon nach einseitiger Kriegserklärung. Diese ist wohl nur "nachrichtlich" und nicht "konstitutiv".
Die Vertragsmächte erkennen an, daß die Feindseligkeiten unter ihnen nicht beginnen dürfen ohne eine vorausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muß.
Artikel 2.
Der Kriegszustand ist den neutralen Mächten unverzüglich anzuzeigen und wird für sie erst nach Eingang einer Anzeige wirksam, die auch auf telegraphischem Wege erfolgen kann. Jedoch können sich die neutralen Mächte auf das Ausbleiben der Anzeige nicht berufen, wenn unzweifelhaft feststeht, daß sie den Kriegszustand tatsächlich gekannt haben.
Artikel 3.
Der Artikel 1 dieses Abkommens wird wirksam im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren Vertragsmächten. Der Artikel 2 ist verbindlich in den Beziehungen einer kriegführenden Vertragsmacht und den neutralen Mächten, die gleichfalls Vertragsmächte sind.“
Nur gibt es nämlich auch "unerklärte Kriege". Das ist der Fall, wenn ein Staat einen anderen mit Krieg überzieht, ohne seine vertragliche Verpflichtung aus dem Haager Abkommen nachzukommen.
Sollte dann etwa das Kriegsvölkerrecht nicht gelten? Wäre der angreifende Staat dann frei, sich ohne jede Beschränkung sämtlicher Kriegshandlungen zu bedienen?
Dann gäbe es auch keine Kriegsverbrechen, weil ja kein "erklärter Krieg" und damit kein Kriegszustand vorlag.
Das kann es doch nicht sein.*)
Da es vielfach an Kriegserklärungen fehlt, sprechen die wissenschaftlichen Autoren heute regulär von „internationalen bewaffneten Konflikten“ - und schließen damit den "erklärten Krieg" wie auch den "unerklärten Krieg" mit ein.
Nun gibt es in der Vergangenheit einige Beispiele für "unerklärte Kriege".
Hitlers Überfall auf das Sudetenland wird als "unerklärter Krieg" bezeichnet (SPIEGEL).
In dem Sinne können auch die "grünen Männchen" auf der Krim (2014) als Teil eines "unerklärten Krieges" bezeichnet werden.
Allerdings könnte man diese beiden Ereignisse auch noch als "bewaffnete Zwischenfälle" bezeichnen.
Etwas anderes gilt wohl für den Vietnamkrieg **). Auch da gab es keine "Kriegserklärung" - und trotzdem ist die h.M. wohl, dass es sich tatsächlich um einen richtigen internationalen Krieg (und nicht nur einen Bürgerkrieg) handelte. Dafür sprechen sowohl die Beteiligung offizieller bzw. regulärer Truppeneinheiten auf beiden Seiten (hier Nordvietnam und USA), die Intensität der Kämpfe zwischen den Beteiligten wie auch die lange Zeit der Auseinandersetzungen.
Etwas weiter zurück: würdest Du Hitlers Ansprache "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen" als formale Kriegserklärung einschätzen? Das "Zurückschießen" könnte man doch genauso als "militärische Sonderoperation" abtun, die nicht mehr als einen "bewaffneten Zwischenfall" zum Inhalt hat.
Und doch wird Hitlers Überfall als Beginn des zweiten Weltkriegs gewertet.
Die Heftigkeit der Kämpfe an der russisch-ukrainischen Grenze, die Beteiligung regulärer Truppeneinheiten und die Dauer der Auseinandersetzung seit 2022 lassen nicht mehr die Einordnung als "bewaffneter Zwischenfall" zu. Es handelt sich tatsächlich um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine.
Und damit sind auch den von Dir aufgeworfenen Fragen die Grundlagen entzogen.
*)
Ich weiß, ich vertrete hier eine Meinung, die nicht überall geteilt wird. Aus der Sicht der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags bedarf es dagegen zweier Elemente: 1) des bewaffneten Kampfes zwischen Staaten oder Staatengruppen und 2) einer Kriegserklärung oder eines entsprechenden Ultimatums.
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Die völkerrechtliche Definition von Krieg. Sachstand WD 2 – 3000 -175/07
**)
Eine Liste der bewaffneten Militäroperationen der USA gibt es bei "Tante Wiki". Schau Dir einfach einmal diese Liste an und entscheide selbst, was Du als "bewaffneten Zwischenfall" oder als "Krieg" beurteilen würdest.
Und danach googelst Du einfach mal, wo es bei diesen "Kriegen" tatsächlich eine formale Kriegserklärung gab.