21.08.2024, 04:23
(21.08.2024, 02:22)Schwabo Elite schrieb: Die russische Leidensfähigkeit ist einfach ein zeitloser Klassiker, der insbesondere in Deutschland gerne von Generation zu Generation weitergereicht wird.@Schwabo, ich denke, dass diese Leidensfähigkeit objektiv existiert. Auch heute noch. Wenn man sich ansieht, was russische Soldaten ihrer Führung alles durchgehen lassen; wie sie sich militärisch sinnlos zu Massen verheizen lassen; muss man sich fragen, warum es nicht regelmäßig zu Meutereien und "Fragging" kommt.
Erst vor ein paar Wochen habe ich ein Drohnenvideo gesehen, wie etwa 60 Mann eine ukrainische Stellung in Awdijiwka angreifen, in Wellen zu etwa zehn Mann. Die zu überwindende Distanz ist ziemlich kurz, vielleicht 100 m. Will sagen, die hinten sehen, hören und riechen, was vorne passiert.
Das Gelände ist eine Todeszone. Trotzdem wird stur und ohne jede Deckung durch eigenes Feuer angegriffen. Jede einzelne Gruppe wird von den Ukrainern aus überhöhter Position mit Kleinwaffenfeuer und einem automatischen Granatwerfer niedergemäht. Trotzdem kommt die nächste. Und die nächste. Und die nächste.
Bis alle tot oder verwundet sind. Das Ganze dauert vielleicht zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten, wo die hinteren Zeit haben, darüber nachzudenken, ob das alles einen Sinn hat.
Es muss doch selbst der fanatischste Nationalist, der aus ganzem Herzen an die Ziele der "speziellen Militäroperation" glaubt, etwas dagegen haben, sinnlos zu sterben.
Übrigens, in dem Video dreht ein einziger Hansel um und rennt zurück.
Wo ihm mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit das Schicksal drohte, das vielfach durch Videos und Bilder in den russischen sozialen Medien belegt ist, und sogar als gerecht und richtig beworben wird: Bestenfalls bindet man ihn mit Klebeband an eine Laterne und lässt ihn einfach mal ein paar Stunden zum Beschimpfen stehen.
Schlimmstenfalls wandert er in die Jama (яма, Grube). Heißt: Er wird nackt ausgezogen, verprügelt, in ein Erdloch gestoßen und bepisst. Und darf da die ganze Nacht ausharren, auch bei Minusgraden.
Auch für zehn Jahreslöhne Verpflichtungsprämie tut sich das niemand aus bloßem Gewinnstreben an, wenn er es nicht als normalen Vorgang internalisiert hat. Sogar im Kaukasus und östlich des Ural, den ärmsten Gebieten Russlands, gibt es auch heute noch wesentlich einfachere Wege, Geld zu verdienen.
Ebenso bemerkenswert ist, wie achselzuckend die Gesellschaft das alles hinnimmt.
Die übrigens durchaus weiß, was in der Ukraine passiert, über Telegram und VK fließen die Fronterfahrungen noch ungefiltert in die Gesellschaft ein.
Mediazona schätzt (ich verlinkte es vor ein paar Wochen), dass seit Jahresanfang täglich mindestens 250 Russen fallen. Das wären Stand heute 58.000 Gefallene seit Jahresbeginn. Für einen Geländegewinn, der sich nach Abzug der ukrainischen Rückeroberungen seit 2022 und des Sudscha-Brückenkopfs auf etwa 900 km² beläuft.
Ich glaube wirklich nicht, dass westliche Staaten zu solchen Verlusten bereit wären, schon gar nicht im Kontext eines Abfangens einer möglichen Aggression jenseits der eigenen Grenzen. Nicht einmal die Amerikaner, wesentlich wehrbereiter als wir, sind zu einem Konsens dazu in der Lage, ob Länder wie Estland es wert sind, für sie zu kämpfen, Verluste zu erleiden und den Weltkrieg mit Russland zu riskieren.
(21.08.2024, 02:22)Schwabo Elite schrieb: Und manche Teutonen haben eben eine Überdosis dieser DNA abbekommen, bspw. MP Kretschmer aus Sachsen.Es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr sich die Ostdeutschen von den Menschen anderer Staaten des vormaligen Ostblocks unterscheiden, was die vorherrschende Haltung gegenüber Russland angeht. Allenfalls in der Slowakei und in Bulgarien findet man das noch, und auch da längst nicht so krass.
In den 1980ern glaubten die Sowjets, dass die DDR der einzige Staat im Warschauer Pakt sei, auf den sie sich im Kriegsfall vollauf verlassen könnten: (Link)
Persönlich glaube ich, dass da nicht nur die massive anti-amerikanische Propaganda nachwirkt (ich sage nur: Kartoffelkäfer), sondern auch, dass in der DDR sozialisierte Menschen eine Art Stockholm-Syndrom gegenüber Russland entwickelt haben. Ihre ganze Identität, ihr Nationalgefühl, war sozusagen ein Geschenk Russlands.
Denn Stalin war schon kurz nach Kriegsende zur Wiedervereinigung bereit, wenn auch unter der Maßgabe der Neutralität. Für ihn, der sagte, der Tod von Millionen sei bloß eine Statistik für ihn, und der in der Tat Millionen in den Tod geschickt hatte, waren die NS-Verbrechen nicht so erschreckend wie für die Demokratien des Westens.
Die sowjetische Besatzungszone und spätere DDR entwickelte sich unter seiner Ägide sehr viel schneller zu einem formal gleichberechtigten und anerkannten Teil der (östlichen) Staatengemeinschaft, als die BRD dies konnte. Die Ideologie der sozialistischen Brüderlichkeit ersparte den Ostdeutschen im Kontakt mit ihren sozialistischen Nachbarn so manche unschöne Erfahrung, die deutsche Touristen in Frankreich und Großbritannien noch in den 1980ern machen mussten.
Bis zu Brandts Ostpolitik (und eigentlich bis zu Gorbatschow) war es die offizielle Lesart der Sowjetunion, die in der DDR entsprechend vermittelt wurde, dass die BRD ein quasi-faschistisches Staatsgebilde unter der Fuchtel der Amerikaner sei, menschenunwürdig und durchsetzt von Altnazis, während in der DDR die erwiesenermaßen antifaschistischen "guten Deutschen" lebten, die stolz auf ihr Land sein und sich sagen durften, dass der Makel der Geschichte ihnen nicht anhaftete.