10.08.2024, 03:55
@Schneemann
Es fällt wirklich auf, dass praktisch alle Argumente gegen die Wehrpflicht eher Argumente sind, nichts tun zu müssen, als Gründe, die gegen die Wiedereinführung sprächen.
Aus der aktiven Truppe und von Verteidigungspolitikern hört man z.B. oft, dass dazu erst einmal die Strukturen aufgebaut werden müssten (Infrastruktur, Wehrersatzverwaltung, Ausbilder usw.) Das ist natürlich richtig, aber auf diesen Einwand könnte man auch antworten: "Dann wird es Zeit, dass wir mit dem Aufbau anfangen."
Ebenso das Argument, dazu müsse erst wieder eine Struktur für den Zivildienst errichtet werden, und am Ende würden die Wehrverweiger doch nur als billige Pflegekräfte und Straßenkehrer missbraucht. Auch das ist nur vorgeschoben. Man könnte den Zivildienst durchaus anders organisieren, und sei es nur dadurch, dass Verweigerer grundsätzlich bei ihrer örtlichen Feuerwehr antanzen müssen, die ohnehin unter Personalknappheit leiden. Und wer nicht fit genug ist, um in brennende Häuser zu klettern, hilft halt dem Gerätewart beim Waschen der Fahrzeuge.
Herrje, man könnte sich sogar an der Schweiz orientieren. Dann entrichtet der Verweigerer einen kleinen Obolus, statt 9 oder 12 Monate Zeit und Arbeitskraft zu opfern.
Wenn man wollte, würde es gehen.
Warum will man nicht? Die Antwort lautet: Es gibt eine deutliche gesellschaftliche Opposition, vor der sich die von AfD und BSW gejagten sogenannten Altparteien fürchten.
Was Du, @DorJur und andere zu den gesellschaftlichen Problemen schreiben, trifft den Nagel auf den Kopf.
Wir leben in einer zunehmend individualistischen, hedonistischen Zeit. Der Dienst an der Gemeinschaft wird weniger angestrebt. Es findet eine zunehmende Verstädterung statt, junge Leute drängen in anonyme Ballungsräume, wo sie nicht mehr in einer Gemeinde verankert sind. Die zunehmende Einwanderung führt zu Milieus, die nicht im Gastland verankert sind und es nicht verteidigen würden.
Natürlich besteht nach wie vor Interesse, sich für die Gemeinschaft einzusetzen, aber es muss viele Hürden überspringen. Allgemein tendieren junge Menschen eher zur politischen Linken; Streitkräfte sind jedoch, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz, konservative Organisationen, was schon das autoritäre Element der Hierarchie gebietet. Progressiv denkende junge Menschen, und Pazifisten zumal, werden sich also kaum für eine Karriere im Militär entscheiden, selbst wenn sie der Allgemeinheit dienen wollen.
Aber auch eines der – ob wir es anerkennen wollen oder nicht – Hauptreservoirs für die Rekrutierung fällt ganz offenbar zunehmend trocken: die politische Rechte. In diesem Segment breitet sich schleichend das Gift der Fundamentalopposition aus. Der Patriotismus alter Schule, seinem Land auch dienen zu wollen, wenn man mit der Regierung unzufrieden ist, weicht immer mehr einem Nationalismus, der nicht Repräsentant einer abgelehnten oder gar verhassten Regierung sein will.
Und dann ist da noch das allgemeine Problem, dass die Generation Z sich zu Lasten der Älteren ausgenutzt fühlt – Stichwort Klimawandel, Sicherheit der Rente, Freizügigkeitsbeschränkungen zugunsten von Oma und Opa während Corona. Natürlich sind die Argumente teils hanebüchen; dem emblematischen "You destroyed my future" von Greta Thunberg etwa könnte man entgegenhalten, dass ihre Zukunft von ihrer Elterngeneration nicht zerstört, sondern erst geschaffen wurde, und der Klimawandel ein Begleitprodukt des beispiellosen Wohlstands ist, den ihre Generation genießt.
Nur verfangen Argumente halt kaum noch, der Diskurs liegt am Boden.
Und die sozialen Umwälzungen sind enorm. Längst gilt es als "toxische Maskulinität", wenn Männer sich mit Rollenbildern identifizieren, die dem Soldatenberuf jedenfalls näherstehen als dem des Krankenpflegers. Last but not least verändert sich infolge der sozialen Umwälzungen auch die Arbeitswelt. Wir brauchen uns wahrlich nicht zu wundern, dass die Generation Teilnehmerurkunde-und-Viertagewoche nicht in einen traditionell entbehrungsreichen Beruf strebt, wie es der Soldatenberuf nun einmal ist.
Sogar in der Ukraine und in Russland kann man diese Wohlstandsverwahrlosung bereits in Ansätzen beobachten, obwohl die Wehrbereitschaft dort viel größer ist als in Westeuropa. Die wohlhabende städtische Mittelschicht verweigert sich überproportional häufig der Teilnahme an den Kämpfen; die Hauptlast wird von der Landbevölkerung und dem Entbehrungen gewohnten wirtschaftlichen Prekariat getragen.
Letztlich fällt diese Entwicklung unter das Stichwort: Good times make weak men.
Die Bundeswehr kann da wenig ausrichten, jedenfalls nichts gegen das grundsätzliche Problem. Es bräuchte hier ein gesellschaftliches Gegensteuern, das sich auch in der Erziehung abspielt.
Kurzfristig wäre wohl nur durch eine massive Erhöhung der Bezüge Abhilfe zu schaffen. Es müssen nämlich direkte, konkrete, zeitnah spürbare Vorteile mit der freiwilligen Verpflichtung erfahren werden – oder sie wirken eher nicht. Nicht einmal mit Rentenpunkten könntest Du heute Bewerber locken.
Die Ironie ist: Eine Wehrpflicht könnte sich durchaus positiv auswirken, indem sie die Menschen dazu zwingt, sich mehr mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass sie nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten, und dass man nicht von anderen erwarten kann, die Voraussetzungen für die eigene materielle und politische Sicherheit zu schaffen.
Sehr typisch: Der Leitartikel in der 'Berliner Zeitung' neulich, wo sich der (junge) Autor brüstet, er würde für Deutschland nicht mal an der Gulaschkanone stehen wollen, was habe ihm dieses Land schon Gutes getan? (Link)
Dabei gab es zuletzt sogar 15% mehr Bewerber! (Quelle) Man kann sich aber natürlich auch wunderbar selbst ins Bein schießen.
Es fällt wirklich auf, dass praktisch alle Argumente gegen die Wehrpflicht eher Argumente sind, nichts tun zu müssen, als Gründe, die gegen die Wiedereinführung sprächen.
Aus der aktiven Truppe und von Verteidigungspolitikern hört man z.B. oft, dass dazu erst einmal die Strukturen aufgebaut werden müssten (Infrastruktur, Wehrersatzverwaltung, Ausbilder usw.) Das ist natürlich richtig, aber auf diesen Einwand könnte man auch antworten: "Dann wird es Zeit, dass wir mit dem Aufbau anfangen."
Ebenso das Argument, dazu müsse erst wieder eine Struktur für den Zivildienst errichtet werden, und am Ende würden die Wehrverweiger doch nur als billige Pflegekräfte und Straßenkehrer missbraucht. Auch das ist nur vorgeschoben. Man könnte den Zivildienst durchaus anders organisieren, und sei es nur dadurch, dass Verweigerer grundsätzlich bei ihrer örtlichen Feuerwehr antanzen müssen, die ohnehin unter Personalknappheit leiden. Und wer nicht fit genug ist, um in brennende Häuser zu klettern, hilft halt dem Gerätewart beim Waschen der Fahrzeuge.
Herrje, man könnte sich sogar an der Schweiz orientieren. Dann entrichtet der Verweigerer einen kleinen Obolus, statt 9 oder 12 Monate Zeit und Arbeitskraft zu opfern.
Wenn man wollte, würde es gehen.
Warum will man nicht? Die Antwort lautet: Es gibt eine deutliche gesellschaftliche Opposition, vor der sich die von AfD und BSW gejagten sogenannten Altparteien fürchten.
Was Du, @DorJur und andere zu den gesellschaftlichen Problemen schreiben, trifft den Nagel auf den Kopf.
Wir leben in einer zunehmend individualistischen, hedonistischen Zeit. Der Dienst an der Gemeinschaft wird weniger angestrebt. Es findet eine zunehmende Verstädterung statt, junge Leute drängen in anonyme Ballungsräume, wo sie nicht mehr in einer Gemeinde verankert sind. Die zunehmende Einwanderung führt zu Milieus, die nicht im Gastland verankert sind und es nicht verteidigen würden.
Natürlich besteht nach wie vor Interesse, sich für die Gemeinschaft einzusetzen, aber es muss viele Hürden überspringen. Allgemein tendieren junge Menschen eher zur politischen Linken; Streitkräfte sind jedoch, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz, konservative Organisationen, was schon das autoritäre Element der Hierarchie gebietet. Progressiv denkende junge Menschen, und Pazifisten zumal, werden sich also kaum für eine Karriere im Militär entscheiden, selbst wenn sie der Allgemeinheit dienen wollen.
Aber auch eines der – ob wir es anerkennen wollen oder nicht – Hauptreservoirs für die Rekrutierung fällt ganz offenbar zunehmend trocken: die politische Rechte. In diesem Segment breitet sich schleichend das Gift der Fundamentalopposition aus. Der Patriotismus alter Schule, seinem Land auch dienen zu wollen, wenn man mit der Regierung unzufrieden ist, weicht immer mehr einem Nationalismus, der nicht Repräsentant einer abgelehnten oder gar verhassten Regierung sein will.
Und dann ist da noch das allgemeine Problem, dass die Generation Z sich zu Lasten der Älteren ausgenutzt fühlt – Stichwort Klimawandel, Sicherheit der Rente, Freizügigkeitsbeschränkungen zugunsten von Oma und Opa während Corona. Natürlich sind die Argumente teils hanebüchen; dem emblematischen "You destroyed my future" von Greta Thunberg etwa könnte man entgegenhalten, dass ihre Zukunft von ihrer Elterngeneration nicht zerstört, sondern erst geschaffen wurde, und der Klimawandel ein Begleitprodukt des beispiellosen Wohlstands ist, den ihre Generation genießt.
Nur verfangen Argumente halt kaum noch, der Diskurs liegt am Boden.
Und die sozialen Umwälzungen sind enorm. Längst gilt es als "toxische Maskulinität", wenn Männer sich mit Rollenbildern identifizieren, die dem Soldatenberuf jedenfalls näherstehen als dem des Krankenpflegers. Last but not least verändert sich infolge der sozialen Umwälzungen auch die Arbeitswelt. Wir brauchen uns wahrlich nicht zu wundern, dass die Generation Teilnehmerurkunde-und-Viertagewoche nicht in einen traditionell entbehrungsreichen Beruf strebt, wie es der Soldatenberuf nun einmal ist.
Sogar in der Ukraine und in Russland kann man diese Wohlstandsverwahrlosung bereits in Ansätzen beobachten, obwohl die Wehrbereitschaft dort viel größer ist als in Westeuropa. Die wohlhabende städtische Mittelschicht verweigert sich überproportional häufig der Teilnahme an den Kämpfen; die Hauptlast wird von der Landbevölkerung und dem Entbehrungen gewohnten wirtschaftlichen Prekariat getragen.
Letztlich fällt diese Entwicklung unter das Stichwort: Good times make weak men.
Die Bundeswehr kann da wenig ausrichten, jedenfalls nichts gegen das grundsätzliche Problem. Es bräuchte hier ein gesellschaftliches Gegensteuern, das sich auch in der Erziehung abspielt.
Kurzfristig wäre wohl nur durch eine massive Erhöhung der Bezüge Abhilfe zu schaffen. Es müssen nämlich direkte, konkrete, zeitnah spürbare Vorteile mit der freiwilligen Verpflichtung erfahren werden – oder sie wirken eher nicht. Nicht einmal mit Rentenpunkten könntest Du heute Bewerber locken.
Die Ironie ist: Eine Wehrpflicht könnte sich durchaus positiv auswirken, indem sie die Menschen dazu zwingt, sich mehr mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass sie nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten, und dass man nicht von anderen erwarten kann, die Voraussetzungen für die eigene materielle und politische Sicherheit zu schaffen.
Sehr typisch: Der Leitartikel in der 'Berliner Zeitung' neulich, wo sich der (junge) Autor brüstet, er würde für Deutschland nicht mal an der Gulaschkanone stehen wollen, was habe ihm dieses Land schon Gutes getan? (Link)
(09.08.2024, 13:01)veut schrieb: Mal wieder (oder immer noch) das Planstellenproblem!Das ist halt auch typisch. Personalamt und Personalplanung sind mindestens mal so schädlich wie die gesellschaftlichen Umwälzungen.
https://suv.report/personalmangel-zu-wen...offiziere/
Dabei gab es zuletzt sogar 15% mehr Bewerber! (Quelle) Man kann sich aber natürlich auch wunderbar selbst ins Bein schießen.