06.07.2024, 16:55
(06.07.2024, 12:47)Schneemann schrieb: Ergo: Der Vorwurf, wonach der Westen bzw. die USA, wenn es politisch oder strategisch opportun ist, auch anrüchige Systeme stützen würde/n, hat also einen wahren Kern - denn es gab dieses Verhalten ja auch tatsächlich und es gibt es teils auch immer noch. Der hieraus abgeleitete Versuch einer politischen und gesellschaftlichen Nivellierung allerdings, ja die generalisierende Gleichsetzung des Westens bzw. der USA und der demokratischen Länder hinsichtlich ihres Verhaltens mit den totalitären oder autokratischen Regimen sozusagen, ist aber eben genau das, was es ist: Eine beschämende Heuchelei, die nur dem zweifelhaften Versuch dient, sich selbst die Totalitarismen dieses Planeten schönzureden.
Ne, so habe ich das ja gar nicht geschrieben. Hier wurde die Auffassung vertreten, der Westen würde durch ethische moralische Grundsätze und durch eine nicht näher definierte Form der gewaltbezogenen "Degenerierung" in seiner Gewaltausübung signifikant gehemmt. Das war die These der Diskussionsteilnehmer. Dem habe ich nur ein paar Fakten entgegen gelegt, wo Gewalt durchaus sehr, sehr umfänglich (u.a. gegeneinander) und ohne größere Limits tatsächlich eingesetzt wurde. Das habe ich auch nicht als moralischen Vorwurf formuliert, sondern das ist eine faktenbasierte Feststellung, die nicht mit der eigenen Wahrnehmung seitens der Diskussionsteilnehmer in Bezug auf vermeintliche Schranken harmonisiert.
Dass man die demokratischen Fortschritte Ägyptens und Jordaniens lobt, aber die Rechte von LBGTQ in Russland anprangert, o.Ä. ist doch sonnenklar, wäre vielleicht in einem ganze anderen Kontext ein angemessener Vorwurf, aber den habe ich hier gar nicht gemacht. Daher bleiben wir doch lieber bei dem was schrieben wurde und konzentrieren uns darauf. Gleichwohl kann ich sehr gut mit Quintus Vorschlag leben, den moralischen Aspekt mal vollkommen außen vor zu lassen. Entsprechend habe ich meine Punkte auch nur fortgeführt und dargestellt wo aus meiner Sicht der sachliche Fehler liegt und da wurden von mir ganz andere Punkte, strategische Fehler Europas, angesprochen. Dass nur der Russe der Aggressor wäre ist ebenso falsch, wie nur dem Russen aggressive Aussenpolitik zuzugestehen. Also lassen wir das doch einfach mal raus.
Zitat:Die Aneinanderreihung von irgendwelchen Kriegen, an denen westlichen Staaten beteiligt waren, um ein (Schein-)Argument zu schaffen für die Verrohung oder Skrupellosigkeit des Westens ist nicht zielführend, da jeder Konflikt unterschiedliche Ursachen und Hintergründe hat.
Keine Ahnung, warum es für dich Sinn macht, meinen Aussagen aus dem Zusammenhang zu nehmen. Soll ich jetzt eine Position verteidigen, in die ich hier gar nicht eingestiegen bin? Ich bin schlicht der Auffassung, dass der Fokus auf Friedensmissionen aus einer regional sehr friedlichen und wirtschaftlich sehr dominanten Rolle heraus entstanden ist, aber der Westen gemäß Faktenlage durchaus in der Lage ist Gewalt in sehr umfänglicher Form und ohne größere moralische Hemmschuhe auszuüben. Wir waren uns einig, dass dies vielleicht jeweils Momentaufnahmen sind.
Zitat:Bspw. frage ich mich, wieso hier der Koreakrieg von dir genannt wird? Nordkorea überfiel den Süden und die UN (der Sicherheitsrat konnte einen Beschluss fassen zur Unterstützung, da die Sowjets das Gremium schmollend - da man Westtaiwan die Aufnahme verweigert hatte - zeitweise verlassen hatten) entschieden sich zur Hilfeleistung. Ein völkerrechtlich einwandfreier Vorgang.
Wer wem mit welchem Argument zuerst in den Vorgarten gesch*** hat, interessierte mich in diesem Kontext relativ wenig, muss ich ehrlich zugeben. Das ist vollkommen korrekt.
Zitat:@Schwabo Elite
Wir sollten uns, gerade auch in Deutschland, bitteschön darüber einig werden, was wir denn wollen? Entweder droht der Untergang des Abendlandes und der Bedeutungsverlust des Westens - wird ja auch gerne öfters kolportiert - oder aber der Westen bzw. die USA hat mit geradezu dämonischen Kräften den ganzen Planeten im Griff und ist die finstere Krake, die die armen unterdrückten Völker herumschubst. Passt für mich schlecht zusammen.
Und gerade auch die Deutschen sollten sich darüber im Klaren werden, dass sie es sind, die jahrzehntelang von Uncle Sam profitiert haben.
Unser, Westdeutschlands, großes Glück war dass die Amerikaner moderne, wirtschaftlich effiziente Maschinen nach dem Krieg in hoher Stückzahl liefern konnten, was der Ostblock nicht konnte. Nach dem Krieg war man in Deutschland weiterhin vom Knowhow und Organisationsgeschick sehr weit. Die Engländer hatten das selbe Knowhow, aber veraltete Maschinen und so begab es sich mit dem "Wirtschaftswunder" um es ganz vereinfacht zu sagen.
Daher die Disparität. Der Amerikaner hat auch nicht uns als Menschen verteidigt, sondern seinen Markt, seine internationale Währungsdominanz und die Pflicht der Partner amerikanische Interessen zu verteidigen. Eine Unipolare Welt ist ohne Europa und relevante Teile Asiens nicht durchsetzbar. Militärisch schon nicht. Da das besser funktioniert als, was die Sowjets auf die Beine gestellt haben, haben wir lange Zeit davon profitiert. Niemand hier stellt das in Frage denke ich. Gleichwohl haben die Amerikaner im angesprochenen Billionen Gasgeschäft, von Anfang an immense diplomatische Anstrengungen unternommen gegen europäische Gasdeals mit Russland. Das ist schon seit den Gründungsjahren der BRD ein trilaterales Konfliktthema gewesen.
Tatsache ist in diesem Zusammenhang auch, dass weltweit die größten Investitionen in den Bereich Öl- und Gasförderung in den USA getätigt wurden, mit denen die USA vom Importeur zu einem der größten Exporteure für diese Produkte geworden ist. Aberwitzige Summen wurden unter Umgehung jeglicher Auflagen und Gesetze in den USA in die Erdöl und Gasförderung mit staatlich-privater Kapitalgewalt investiert. Das machen die nicht zum Spaß. Die wollen Zahlen sehen. Und der Markt dafür war von Anfang nicht China, sondern Europa.
Mit der Beendigung von Nort/South Stream ist Europa zu 100% abhängig aus den USA. War vorher nicht so.
Nochmal. Ich mache hier keine Vorwürfe. Ich sage nur, dass Europa nicht vorrangig durch vermeintlichen Gewaltmangel und ethische Schranken in der Verfolgung seiner Interessen behindert wird, sondern irgendwie gescheitert zu sein scheint, eine eigenständige Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die eigenen Interessen sind nicht immer deckungsgleich mit den amerikanischen. In der Ukraine machen die Amerikaner diesen Aufstand nur aus energiepolitischen Gründen und man erklärt es zum europäischen Thema. Das ist ein Schachzug und Europa hat so reagiert, wie vorhergesehen. Aber Europa spielt dieses Spiel nicht. Wir sind weder Dame noch König. Das ist eine relative Schwäche Europas.
Dass wir Dankbarkeit mit den USA haben müssen, dass uns nur in die Bronzezeit aber nicht in die Steinzeit gebombt haben für unsere Verbrechen ist alles gut. Irgendein ein neuer Diskussionspunkt, aber nehmen wir mit. Bedingungslos führt dieser Weg an der Seite der USA im globalen Machtgefüge aber nicht mehr nach oben, sondern gemeinsam nach unten. Das muss dann auch in der Konsequenz bewusst sein. Die BRICS haben bereits eine größere Wirtschaftsleistung als die G7. Statt sich mit den Russen und Chinesen zu überwerfen (der China Handel ist für Deutschland derzeit existentiell und bilanziell ausgeglichen!), sollte man die Türen offen halten, um weiter bzw. wieder oben mitzuspielen. Die Rufe nach Krieg mit China und Russland und das diese unausweichlich wäre, halte ich für vollkommen fatalistisch.
Zitat:es waren federführend die USA, die sich unter Bush Senior 1989/90 für die Wiedervereinigung einsetzten, während unsere europäischen Verbündeten Thatcher und Mitterand übrigens strikt dagegen waren
Das ist mir wohl bekannt. Rein historisch gesehen sind die Franzosen unsere Feinde, Besatzer und Aggressor, also noch mehr, als wir gegen sie. Darf man das noch oder schon sagen?
Das Rezept des friedlichen Zusammenlebens, welches man sich in Europa erarbeitet hat, bestand darin, bestehende Feindschaft auf vertragliche Grundlagen zu stellen und von gemeinsamen Interessen zu profitieren. Montanunion. Das bringt es im Kern auf den Punkt. Bis zur Wiedervereinigung haben sich diese historischen Erfahrungen nicht in Vertrauen umgemünzt und es wurde im Rahmen von EU Projekten sehr viel darin investiert seitens Deutschlands und Frankreichs um auf beiden Seiten diese Vorbehalte abzubauen. Ich kann mich nur gut erinnern an Vorbehalte gegen Deutsche unter Engländern und Franzosen meiner Generation. Deutschlands defensive Rüstungspolitik war nicht zuletzt auch nach innen gerichtete Beschwichtigung an die eigenen Bündnispartner und neue Partner in Europa. Da hat man sich als Partner für Friedenssicherung, unterstützende Maßnahmen, Brunnenbohren, Polizeischulung wahrnehmen lassen wollen nichts zuletzt, lange auch vorrangig, aus einem außenpolitischen Kalkül heraus. So würden wir uns ja nicht aufstellen, wenn wir vorhaben würden das Elsass oder Siebenbürgen zurückzuerobern. In Europa gelang das Schritt für Schritt und bis zur Wiedervereinigung war des gegenseitige Restvertrauen noch beschränkt. Ganz offensichtlich. Wir sind schon lange darüber hinaus denke ich. Aber da ist Russland, bzw. ein Konflikt mit Russland, vielleicht auch sehr hilfreich, wenn Rüstung bzw. ein Umbau der Europäischen Armeen angestrebt wird hin zu Armeen für Abnutzungskriege.
Zitat: - und sich an der Globalisierung nebenher noch eine goldene Nase verdient, während man es sich gemütlich unter dem Schutz der mächtigen Schwingen der US Air Force eingerichtet hatte. Aber wehe, man sah sich irgendwelcher Kritik ausgesetzt ob dieses Verhaltens, dann wurde schnell mit dem moralisierenden Finger über den Atlantik gedeutet
Basiert die Wiederholung Deiner Dankbarkeitshymnen auf der Annahme, die USA hätten nicht von uns profitiert, sondern wir einseitig von ihnen? Wäre das so, wäre das echt nett. Da gebe ich Dir Recht.
Zitat: und Ami – go home! gerufen. Angesichts dieses deutscherseits geradezu arrogant-parasitären Verhaltens - man verzeihe die derbe Wortwahl - überlege ich mir manchmal, ob ein König Donald II. im Weißen Haus wirklich so schlecht wäre...
Dass Deutschland im amerikanischen System ein parasitäres Element darstellt oder Verhalten zeigt, halte ich für eine sehr gewagte These.
Sehr interessant finde ich, dass Du mit der notwendigen, unzureichenden Dankbarkeit gegenüber den USA ein neues Thema hier sehr umfangreich in diesen Kontext des Konflikts mit Russland einbringst. Der Punkt bereichert die Diskussion durchaus, weil ich darüber zu wenig nachgedacht habe.