08.06.2024, 13:46
(07.06.2024, 19:00)Schneemann schrieb: Ich hatte in den ersten Monaten das Gaza-Krieges die These aufgestellt, dass die Hisbollah sich weitgehend zurückhaltend verhält. Einerseits deswegen, weil man die sunnitischen Hamas-Extremisten in Gaza aus der iranischen Perspektive nicht als wirkliche Verbündete sehen kann - das Gemetzel, das sunnitische Fanatiker in Syrien anrichteten, wirkt hier sicherlich nach, ebenso wie das sunnitisch-schiitische Schisma an sich -, andererseits, weil Teheran m. M. n. kein Interesse daran haben kann, die "Basis" Libanon und den dortigen Proxy Hisbollah dadurch zu gefährden, dass man die Hisbollah dahingehend instruiert, einen Angriff auf Israel zu führen, was verheerende Folgen für den Libanon und damit auch die Hisbollah hätte.
Da Deine These weiterhin auf sehr vereinfachenden Annahmen basiert, ist es nur folgerichtig, dass es sich im Effekt anders darstellt. Die Konflikte Israel vs. Palästina, Israel vs. Libanon, Israel vs. Syrien haben jeweils nur sehr unterschwellig überhaupt mit Religion zu tun. Zumindest auf der Seite der Nicht-Juden.
Zitat:Sicher, die Tragödie in Gaza - dies beziehe ich nun auf das Schicksal der Zivilbevölkerung - erregt Aufmerksamkeit und auch wachsenden Unmut, aber insgesamt, so meine Denke, trauert man in Teheran der Hamas keine großartigen Tränen nach, wenn Zahal dieses Terrornest aushebt. Zu tief ist hier die innermuslimische Abneigung.
Die Hamas hat mit dem Iran und der Hisbollah relativ wenig am Hut. Das ist insoweit richtig, wird aber oft falsch dargestellt. Die Gruppierung Hamas ist ein Geschöpf der in Westasien relativ mächtigen Muslimbruderschaft und nicht zuletzt von Israel selbst. Gemeinsame Feinde, gemeinsam zu bekämpfen ist aber auch nicht so fern als Strategie. Tatsächlich wird dieser Krieg aber nicht gemeinsam geführt, sondern nur zeitgleich. Darin liegt auch das eigentliche Problem für Israel.
Zitat:
Denn strategische und politische Fehleinschätzungen sind keine Prämissen der Russen oder des Westens oder der NATO, sondern genauso auch der Iraner. Und ich schätze, dass wir eine solche aktuell bald sehen könnten...
Die Theorien über die vermeintliche Befehlsgewalt Teherans über "seine Proxies" wird aber auch nicht richtiger, indem man sie wiederholt. Richtig ist aber, dass die Iraner bisher wenig Anzeichen gezeigt haben, dass frontale Kriegsführung zu den Mitteln der Wahl zählt. Der Iran ist weit davon entfernt, gegen einen Gegner wie Israel "All-In" zu gehen. Israels Feinde zu stärken, ist das strategische Mittel der Wahl. Die andere Seite macht das ja exakt ganz genauso.
Zitat:Nein. Die Hisbollah arbeitet derzeit eher daran, den Libanon aus dem Rennen zu nehmen. Und damit ihre Machtbasis.
Die angesprochene Macht-Basis der Hisbollah ist im Libanon innenpolitischer und militärischer Natur und da muss man auch unterscheiden. Die Besetzung durch bzw. der Konflikt mit Israel sowie israelischer Terror-Milizen im Libanon rechtfertigt ihre Bewaffnung unter Duldung und mit aktiver Kooperation der libanesischen Streitkräfte. Verfassungskonform. So ist sie damals entstanden und darüber legitimiert sie sich im Libanon weiterhin. Gerade da die Hisbollah in den libanesischen Staat politisch, sozial und militärstrategisch voll integriert ist, argumentiert Israel ja auch wiederholt, dass es den gesamten Libanon kollektiv zerstören würde. Kollektivstrafe wäre am Ende sogar eher hilfreich für die Hisbollah. Aber wenn Israel sich aus den besetzten, illegal annektierten Gebieten im Norden wieder zurückzieht (konkret die Shebaa Farmen und Golanhöhen), dann ginge der Hisbollah diese militärische Grundlage, nicht zuletzt auch im Rahmen der libanesischen Gesetzgebung, verloren.