Bürger- und Stellvertreterkrieg in Libyen
#35
Schneemann:

Zitat:Die Schweiz Nordafrikas, ein wahrlich idyllischer Ort. Was ist den unverschämten, undankbaren Menschen dort nur eingefallen, auf die Straßen zu gehen und zu demonstrieren?

Es sind nicht "die Menschen" gewesen welche auf die Straße gingen und demonstrierten was dann zum offenen Aufstand führte, sondern es kam zu einer Spaltung in den Machtstrukturen, insbesondere im Militär und dass war es, was den offenen bewaffneten Kampf auslöste. Und das hatte als Grund primär die sehr ungleiche Verteilung der Einnahmen aus dem Öl und dass Stämme im Osten hier eine Chance sahen sich diesen Reichtum anzueignen. Das war kein "Erwachen der einfachen Menschen mit dem Wunsch nach Freiheit", sondern ein ganz klassischer einfacher Verteilungskampf. Im übrigen kein neuer Konflikt, den es gab schon früher solche Putschversuche und Unruhen aus genau dem gleichen Grund.

"Die Menschen" sind in Libyen nämlich ihren Stämmen und Stammesführern gegenüber weisungsgebunden. Nichts da mit arabischer Frühling und Demokratie, sondern da wollten Machtgruppen welche benachteiligt waren die Gunst der Stunde nutzen, was sie früher auch schon mal hin und wieder erfolglos versucht haben.

Desweiteren war Libyen vor dem Krieg 2011 im Human Developement Index in ganz Afrika die am besten entwickelte Nation. Ebenso war es für Afrika führend im UN Bildungsindex. Primäre Probleme waren Korruption und Massen-Arbeitslosigkeit.

Und auch heute noch gibt es in Libyen Foltergefängnisse, nur mal so am Rande. Man hat heute alles negative der Gaddafi-Zeit, ohne die Vorteile dieser Zeit, zuzüglich einiger weiterer Nachteile.

Ein weiterer Aspekt den du hier außen vor lässt ist der religiöse Hintergrund der Demonstrationen. Im Osten ist die Bevölkerung in Teilen islamistisch und gab es schon früher, auch schon in den 90er Jahren religiös verursachte Unruhen und Übergriffe gegen Regierungsangehörige usw. Das ganze Geschehen war also schlussendlich auch ein Aufstand von Islamisten gegen die Zentralregierung, nur dass nun der Westen schlussendlich auf Seiten der Islamisten eingriff.

In diesem Kontext seit mal auf die LIFG verwiesen, und wie diese mit westlichen Geheimdiensten verbandelt ist, sowie auf die Aktivitäten von Abu Idris al-Libi, Abdel-Hakim al-Hasidi sowie des heute noch aktiven Abu Abdullah as-Sadiq und deren Gefolgsleuten unmittelbar vor Ausbruch des Krieges.

In diesem Kontext:

https://www.memri.org/reports/salafi-jih...d-al-hakim

https://web.archive.org/web/201406042005...-libye.pdf

https://web.archive.org/web/201106260140...-rosenthal

https://www.rfi.fr/en/africa/20110614-li...ort-claims

Nun beschließend noch zu deiner steilen These, Gaddafi hätte sich nicht durchgesetzt:

Dir ist die libyische Gegenoffensive im März 2011 schon bekannt, oder ?! Die Truppen Gaddafis drangen dabei recht rasch im Osten vor und schlugen die Aufständischen vernichtend. Gerade eben deshalb erfolgte ja dann der Einsatz der westlichen Streitkräfte, weil Gaddafi am Siegen war. Am 19 März standen die Truppen Gaddafis bereits vor Bengasi und alles sah nach einer zeitnahen Niederlage der Aufständischen aus. Genau deshalb griff man dann in der Operation Harmattan die libyischen Truppen vor Bengasi an.

Und wie stark die Streitkräfte Gaddafis waren, und wie schwach die Aufständischen im Vergleich sieht man allein schon daran, dass selbst nach dem 17 März es noch etliche Zeit brauchte bis man die libyischen Regierungstruppen geschlagen hatte. Anfangs bstand für Wochen hinaus eine Art Patt, trotz der massiven westlichen Luftangriffe und ständiger Luftunterstützung für die Rebellen. Es gelang Gaddafi sogar noch vorübergehend trotz massiver westlicher Luftangriffe die Städte Brega und Adschdabiya zurück zu erobern. Auch die Kämpfe um die Stadt Misrata die trotz massivster Bombardements den ganzen April hindurch andauerten zeigen klar auf, dass die Aufständischen ohne die westlichen Luftangriffe vollständig verloren hätten.

Aber es war ja von Anfang an der eigentliche Plan, sich das Öl Libyens zu günstigeren Konditionen anzueignen und einmal mehr setzte man dazu auf eine in weiten Teilen von Islamisten geführte Revolution in der Annahme, man könne die Fernwirkungen kalkulieren und dass man das Land danach im Griff hätte. Stattdessen produzierte der Westen TM in seiner Gier und seiner Hybris nur einen weiteren Scherbenhaufen.
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