Imperium Romanum
#26
Schneemann:

Zitat:Gleichwohl aber ist der Schnitt zwischen den Zeiträumen nur schwer zu machen. Die Krise setzte im 3. Jahrhundert ein unter den Soldatenkaisern, die Folgen dieser Politik schwappten in die Zeit nach 300 n. Chr. massiv mit hinüber. D. h. dieser Niedergang war ein Prozess, der über die Grenzen der Jahrhunderte hinausreicht.

Hab ich ja explizit geschrieben. Ich schrieb explizit, dass man das Reich zwar stabilisieren konnte, dass die entscheidenden Probleme aber nicht gelöst wurden. Und das gerade eben deshalb das Reich trotz der Stabilisierung nach der Reichskrise im 3 Jahrhundert viel instabiler war als dies bei einem oberflächlichen Blick den Eindruck macht.

Zitat:Die barbarischen Stämme waren allerdings noch keine Christen und das Christentum selbst stand im römischen Reich zu Beginn des 4. Jahrhunderts noch nicht auf festen Beinen.

Hier muss man die Chronologie beachten und von was für einem Zeitpunkt wir hier sprechen. Ich sprach von 400 n Chr ff - und nicht vom Beginn des 4 Jahrhunderts und sicher nicht vom 3 Jahrhundert. Sondern von der Zeit des Kaisers Honorius ff weil dies der Zeitraum ist über den Milspec schrieb.

Die germanischen Stämme welche für den Untergang des weströmischen Reiches wesentlich waren - Westgoten, Ostgoten, Vandalen - waren weitestgehend christlich, und insbesondere in der Oberschicht christlich. Ebenso war ein Gros der germanischen Kämpfer in den weströmischen Armeen Christen. Stilicho war Christ, Alarich war Christ, Geiserich war Christ, Odoaker war Christ, Theoderich war Christ, letztgenannter sogar am Hof in Konstantinopel aufgewachsen usw. um nur mal die allerbekanntesten zu nennen.

Zitat:Hinzu kam, dass das Christentum eigentlich nur schwer als "das Christentum" bezeichnet werden kann, denn die Anhängerschaft war stark zerstritten,

Was ja exakt das ist, was ich geschrieben habe und was sogar in dem Zitat direkt steht was du angeführt hast. Ich schrieb, dass das Christenum die Wehrkraft schwächte, nicht weil es schwach war, sondern weil es zu Intoleranz, inneren Konflikten und Verfolgungen (von anderen Christen und von Heiden) führte. Das Christentum spaltete und förderte innere Konflikte und schwächte die Kohäsion. Das habe ich doch explizit beschrieben.

Insbesondere natürlich verschärfte es noch darüber hinaus die Problematik der Integration der Germanen im weströmischen Reichsgebiet weil diese wie ich es ja auch schon angeführt hatte und du hier ebenso: Arianer waren, also einer anderen Form von Christentum angehörten. Aber selbst innerhalb der Trinitarier gab es fortwährend Spaltungen und interne Konflikte und dies selbst noch zu einem Zeitpunkt, als das gesamte weströmische Reich bereits direkt am zerfallen war und die Barbaren längst direkt vor den Toren standen. Als eines der bekanntesten Musterbeispiele selbst innerhalb der trinitarischen Kirche könnte man für den von mir benannten Zeitraum beispielsweise den theologischen Konflikt zwischen Pelagius und Augustinus anführen.

Zitat:Seltsamerweise konnte sich die Wirtschaft im 4. Jahrhundert aber dennoch stabilisieren. Die Hintergründe sind immer noch umstritten, eine der Thesen ist die, dass durch die Dominanz von patrocinium und colonia der Bauer zwar unter das "Joch" der Großgrundbesitzer geriet, aber seine Abgaben an diesen und nicht mehr an den Staat leisteten. Dadurch hatte zwar der Staat sinkende Einnahmen, aber der Bauer teils mehr Freiheiten als früher, zumal er ja das Schollenrecht weiter innehatte (also sein Land nur mit ihm, der nur Pächter war, selbst veräußert werden durfte), was zu einer besseren Produktivität beitrug.

Das Kolonat als eine Stärkung der Rechte der Bauern zu sehen ist eine meiner Ansicht nach höchst eigenwillige Interpretation. Tatsächlich verloren die Bauern im Kolonat innerhalb des 4 Jahrhunderts ihre Rechte Stück für Stück, bis sie de facto Sklaven waren. Sie hatten im 4 Jahrhundert fortwährend weniger Freiheiten und im Jahr 400 n Chr ff war ihre Freiheit auf einem absoluten Tiefpunkt. Warum aber stieg die Produktivität nochmal an ?!

Die Antwort liegt gerade eben im Freiheitsverlust der Bauern und dass ihre Rechte als Kolonnen immer mehr eingeschränkt wurden. Schlicht und einfach stieg die Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung, insbesondere der Kolonnen massiv an. Gerade eben deshalb auch solche Erscheinungen wie die Bagauden, Circumcellionen usw.

Die vorübergehende Stabilisierung der Wirtschaft wurde als durch den Verlust an Freiheit bei den Kolonnen und durch eine wesentlich massivere Ausbeutung des Volkes erkauft. Es kam zu einer massiven Umverteilung von Unten nach Oben. Und weil die Rechte und die Freiheit der einfachen Bevölkerung immer mehr eingeschränkt wurden, gerade eben deshalb konnte man Sondereinkünfte generieren, welche dann zu einer Stabilisierung der Wirtschaft führten, auf Kosten des Volkes. Was das Reich aber in den Augen der einfachen Bevölkerung zweifelsohne stark delegitimiert, im günstigsten Fall zu einer völligen politischen Indifferenz der einfachen Bevölkerung gegenüber dem Reich führte. Analog zur Gleichgültigkeit, vollständigen Passivität und Indifferenz von Leibeigenen in der Moderne in Preußen und Russland über welche sich dann Junker oder russische Landadelige fortwährend beklagten.

Und auch wenn sich die Wirtschaft nochmal stabilisierte, so entwickelte sie sich zu weitgehend zu einem bloßen Rentenkapitalismus mit all den negativen Folgen die ein solcher hat.

Zitat:Was auch interessant ist, ist, dass der Fernhandel zwar rückläufig war, aber man dafür Hinweise hat, wonach die Produktion von "einfacheren" Gütern des Fernhandels, z. B. Getreide oder Wein, lokal abgewickelt wurde (soweit möglich).......Und dadurch, dass die lokale Produktion einen Aufschwung in einfacheren Gütern sah, nahm die Wirtschaftsleistung zu.

Auch eine sehr interessante und diskussionswürdige Interpretation. Auch wenn ich die Schlussfolgerung, dass daraus die Wirtschaftsleistung zunahm explizit nicht teile, so stimmt es natürlich dessen ungeachtet, dass die Produktion sich regionalisierte (und damit teilweise ineffizienter wurde). Diese Regionalisierung führte aber dazu, dass sich die Zentrifugalkräfte welche das Reich auseinander trieben stark zunahmen. Wenn alles regional produziert wird, fördert das die Autarkie der Regionen und damit stellt sich für diese die Frage, wozu sie überhaupt noch weiter dem Reich angehören sollen.

Ungeachtet der rein wirtschaftlichen Bewertung also führte diese Regionalisierung der Wirtschaft dazu, dass die Kohäsion des Reiches dadurch geschwächt wurde. Sie ist also rein politisch eine negative Entwicklung gewesen, ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Einordnung.

Zitat:Vor diesem Hintergrund ersann man in Rom die Logik, dass es einfacher ist, barbarische Völker an den Grenzen anzusiedeln als sie zu bekämpfen. Denn wenn man diese ansiedelt, übernehmen sie nicht nur den Grenzschutz (und man muss sie auch nicht bekämpfen), sondern sie erwirtschaften auch noch ihren Unterhalt selbst und führen entsprechend Abgaben ab.

Ich hatte ja die Föderaten explizit benannt. Und nicht nur wurden sie dafür eingesetzt die Grenze zu schützen, sondern auch zur Unterdrückung der römischen Bevölkerung und zur Eintreibung besagter Abgaben von dieser.

Das führt zu einer interessanten Fragestellung: warum waren die Föderaten überhaupt notwendig ?!

Weil das Reich wirtschaftlich immer schlechter aufgestellt war und sich daher die notwendigen Sicherheitsstrukturen nicht mehr leisten konnte. Das spricht also ganz klar gegen die These, dass die Wirtschaftsleistung durch die Regionalisierung zunahm. Ein hochinteressantes Dokument in diesem Kontext ist die Notitia dignitatum, welche in mehreren Schritten von 394 n Chr bis 425 nChr verfasst wurde. Wenn die in dieser angeführten Militäreinheiten allesamt so existiert hätten, stellt sich die Frage, warum man überhaupt je hätte Föderaten ansiedeln müssen und warum das weströmische Reich überhaupt jemals unterging. Es stellt sich dann aber zugleich die Frage, wie die schwindende Wirtschaftsleistung dieses Reiches die in der Notitia dignitatum genannten Militäreinheiten überhaupt je finanzieren konnte. Die zwingende Schlussfolgerung daraus ist für mich, dass diese Militäreinheiten in Wahrheit so nur auf dem Papier existierten, in Wahrheit aber hohle Strukturen waren, ohne Substanz dahinter, und sehr viel schwächer als dies durch das genannte Handbuch erscheint. Das zeigt sich in Bezug auf die weströmischen Einheiten allein schon dadurch, dass diese nach 400 n Chr nicht mehr mit neu rekrutierten Soldaten aufgefüllt wurden, sondern bestehende andere Verbände geteilt und umbenannt wurden, und dass man die Einheiten durch Statusveränderung bestehender weniger kampfkräftiger Verbände "aufrecht erhielt". Rein von den Einheiten her stieg die Größe und Kampfkraft der westörmischen Armee nach 400 n Chr, aber in der Realität sank sie stark ab und die Einheiten schrumpften weit unter die eigentlich für Verbände ihrer Art angedachte Größe.

Und selbst in der Notitia dignitatum wurden dann nach 400 nChr mindestens ein Drittel aller weströmischen Armeeeinheiten vollständig aus Germanen aufgestellt. Der Grund hierfür waren vor allem Kostengründe, was ebenfalls klar die prekäre wirtschaftliche Lage aufzeigt und dass die Wirtschaftsleistung eben nicht stieg sondern sank. Ein germanischer Söldner kostete das Reich nur ungefähr ein Sechstel von dem was ein regulärer römischer Soldat kostete.

Zitat:Hieraus resultierten dann u. a. auch die von dir genannte Bagauden-Bewegung, vor allem in Gallien, da die Bauern ihr Recht selbst in die Hand nahmen und sich marodierenden Gruppen anschlossen. Zwar bekam Rom das Problem mit brachialer Gewalt wieder in den Griff, aber dafür fehlten dann, gerade in Gallien, die Besteller für das Ackerland.

Zumal, wie ich es ja schon explizit beschrieb das Reich gegen seine aufständischen Untertanen vor allem germanische Truppen einsetzte. Analog dazu, wie wenn man heute einen Aufstand von deutschen Linksextremisten mit angeheuerten Kämpfern der Taliban niederschlagen würde, denen man dafür Gebiete in Deutschland als ihr Eigentum überlässt. Und gerade dies führte - wie von mir bereits angeführt - zu einer massiven Delegitimierung des Reiches bei den römischen Bürgern.

Zitat:Nach meinem Verständnis gab es eher den Versuch, das Reich zu dezentralisieren. Dass Konstantin mit Byzantion 326 n. Chr. (am 11. Mai 330 n. Chr. offiziell als Konstantinopel zur Hauptstadt erklärt) eine neue Hauptstadt benannte, war ja auch seinem Wunsch geschuldet, von Rom sich loszulösen. Zwar gab es danach wieder Versuche, dass Reich zu "einen", aber wenn, dann gingen diese Versuche fast immer von Konstantinopel und nicht von Westrom aus. (Unter Ausnahme von Theodosius I.)

Meiner Ansicht nach zerfiel das Reich durch die Umstände wieder und wieder wie von selbst. Ich nannte ja beispielsweise die Sonderherrschaft in Gallien und/oder in Britannien. Und obwohl diese Dezentralisierung wie von selbst lief, versuchte man wieder und wieder ein geeintes Reich herzustellen und führte dafür interne Kriege, statt den Zerfall in mehrere Staaten hinzunehmen. Man versuchte nach Konstantin dem Großen nicht das Reich von oben her zu dezentralisieren, (ich spreche hier ja nicht von den Reformen von Diokletian, sondern von dem was um 400 n Chr geschah). Und diese Versuche der Zentralisierung führten zu internen Bürgerkriegen und schädigten das Reich intern immens.

Als exemplarisches Beispiel sollte man hier die Schlacht am Frigidus anführen, welche im Jahr 394 nChr geführt wurde und damit in den von Milspec genannten Zeitraum fällt. Theodosius einte das Reich durch seinen Sieg ein letztes Mal, aber mit was für Kosten !! Und nur ein Jahr später zerfiel es auch schon wieder wie von selbst durch seinen Tod und der Tod einer Unzahl von römischen Soldaten war völlig umsonst gewesen, ebenso die Verheerungen welche die Märsche und Züge der beiden Armeen über die durchquerten Länder gebracht hatten, zumal beide Armeen auch zu beachtlichen Anteilen aus Germanen bestanden. Die extrem hohen Verluste der weströmischen Armee in dieser einen Schlacht (einer der größten der Antike!) führten dann zu einer derartigen Schwächung der weströmischen Armee, dass dies schlussendlich überhaupt erst den Zusammenbruch der Front nach Germanien im Jahr 406 nChr wesentlich ermöglichte. Der Verlust der verbliebenen tatsächlich römischen Truppen des weströmischen Reiches in dieser einen Schlacht war auch so ein erster Dominiostein auf dem Weg in eine nicht mehr abwendbare Abwärtsspirale.

Zitat:So gibt es eine Beschwerde von 322 n. Chr., wonach ein Equites-Offizier die Pferde seiner Leute verkaufte und das Geld selbst einsteckte, was einen ziemlichen Wirbel verursachte. Da musste ich beinahe an die russische Armee denken.

Solche Beispiele gibt es einige, und wenn man mal ins Jahr 400 n Chr ff geht, noch umso mehr. Eine der wesentlichsten aber in dieser Zeit ist, dass die Soldaten nicht mehr bezahlt werden, was dann immer mehr um sich griff. Dabei wurden Gelder für die Bezahlung durchaus zur Verfügung gestellt, oder zumindest dafür von der Bevölkerung eingetrieben.
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