15.05.2024, 09:25
Schneemann:
Ihr schreibt übrigens ein klein wenig aneinander vorbei, da Milspec explizit von einem Zeitpunkt schrieb - 400 n Chr - während du hier von der Reichskrise im 3 Jahrhundert schreibst. Das ist nicht der gleiche Zeitraum.
Ergänzend und in Stichpunkten und ohne irgendeine Ordnung oder Reihenfolge mal ganz Grob in Grundzügen:
Veränderungen in der Demographie und ethnischen Zusammensetzung:
Die Römer hatten im Verhältnis zu den "Barbaren" außerhalb der Reichsgrenzen demographische Probleme (aus einem ganzen Faktorenbündel heraus); das römische Bürgerrecht war nicht mehr exklusiv, sondern wurde sehr weitgehend an fremde Ethnien vergeben und schließlich auch an nicht in die römische "Leitkultur" integrierte Gruppen; während Römer noch in der mittleren Republik eine Ethnie waren, und selbst im frühen Kaiserreich noch eine elitäre Gruppe innerhalb des Reiches, wurde das römische Bürgerrecht dem folgend eine beliebige Sache ohne größeren Wert;
wirtschaftliche Faktoren:
die Urbane mediterane Kultur ließ sich ökonomisch mit der damaligen Technologie und den damaligen Mitteln nicht nachhaltig aufrecht erhalten; es gab daraus folgend massive Umweltzerstörungen und eine allgemeine Übernutzung der Ressourcen; der Handel regionalisierte sich und der weitreichende Handel aus dem frühen und mittleren Kaiserreich ging immer mehr zurück und kam schließlich zwischen bestimmten Provinzen teilweise ganz zum erliegen; es herrschte eine immer extremere Ungleichverteilung in der Gesellschaft, noch viel extremer als sie schon vorher gewesen war und unter Exkludierung der Sklaven, also nur in Bezug auf Freie; da man keine großen Mengen an Sklaven und Reichtümern durch weitere Eroberungszüge einbringen konnte, geriet dadurch die auf Raubkriege ausgelegte Wirtschaft in eine langsame Abwärtsspirale; Das Kolonat als Ersatz für die Sklaverei erwies sich als unzureichend, verschärfte aber die sozialen Konflikte; Versuche der Zentralregierung mit planwirtschaftlichen Methoden dem entgegen zu wirken, unter Beibehaltung des obszönen Reichtum einer winzigen Oberschicht bewirkten dann noch eine Verschärfung der wirtschaftlichen Krise; gerade in der Spätantike wurde die freie Wirtschaft im Reich immer mehr durch planwirtschaftliche Methoden ersetzt um damit zumindest kurzfristig weiter das Militär unterhalten zu können, was aber schon mittelfristig noch größere wirtschaftliche Probleme aufwarf und die Herrschaft immer weiter deligitmierte bis schließlich die Barbaren als die besseren Herrscher erschienen (was sie dann tatsächlich waren);
Militär:
Das Militär wurde "barbarisiert" indem man immer mehr Truppen aus fremden Völkern für die Kriegsführung verwendete; Schon zur Zeit der "Soldatenkaiser" waren die entscheidenden Truppenverbände und auch die hochrangigen Offiziere in weiten Teilen keine ethnischen Römer mehr, sondern beispielsweise Illyrer usw.; das römische Militär war in der Defensive mit den damaligen Mitteln und Methoden auf eine übergroße Quantität angewiesen, diese konnte aber nicht nachhaltig refinanziert werden; wo man diese Quantität nicht aufrecht erhalten konnte, waren die Truppen deshalb stark überdehnt; man wollte und konnte trotzdem die lokale Bevölkerung nicht militärisch ertüchtigen, weil dies sofort regionale Instabilität und Revolten zur Folge hatte, weshalb man lieber Einfälle von Feinden in Kauf nahm als vor Ort lokale leistungsfähige Militärstrukturen zu installieren; das Militär degenerierte durch Inkompetenz und Korruption, ganz viele Verbände bestanden nur auf dem Papier; das Militär wurde schließlich immer weiter geschwächt, trotz einer "Übermilitarisierung" des Reiches, weil die reale Kampfkraft der Truppen immer mehr degenerierte, obwohl der Staat immense Mittel für die Armee aufwandte; die Gesellschaft diente schließlich nur noch der Versorgung und den Pfründen der Streitkräfte, aber diese konnten trotzdem den Schutz der Gesellschaft nicht mehr gewährleisten und delegitimierten dadurch den Staat;
Religiöse und Kulturelle Veränderungen:
Es breitete sich dann das Christentum massiv in der Bevölkerung aus, was die Wehrkraft meiner rein persönlichen Meinung nach schwächte, aber nicht weil das Christentum weich war, sondern aufgrund der religiösen Intoleranz, der dadurch verursachten inneren Konflikte und Verfolgungen im Kontext mit der religiösen Toleranz der Barbaren die auch Christen waren; Der römische Staatskult und die althergebrachte römische Kultur verfielen und wurden durch ein beliebiges Gemisch aus hellenistisch-römischen Versatzstücken ersetzt; damit verfielen die vorher den Römern eigenen Werte welche sie militärisch befähigt hatten; dies hat aber nichts mit Dekadenz zu tun, ganz im Gegenteil; gerade in der Spätantike war Rom im Vergleich so wenig dekadent wie seit den frühesten Tagen der Republik nicht mehr, aber es war halt eine insgesamt ganz andere Kultur im Vergleich;
Politische Faktoren:
Es wurde fortwährend versucht die politische Macht zu zentralisieren, um den Zerfall des Reiches in mehrere Staaten zu verhindern oder (wo dies vorübergehend geschah Palmyra, Gallien, Britannien diese wieder einzugliedern) - obwohl diese Zentralisierung angesichts der Probleme des Reiches insgesamt ein Fehler war; gleichzeitig diente dieser ständige Kampf um die Zentralmacht der Sicherung der Pfründe einer winzigen extremst reichen Oberschicht die sich völlig von der normalen Bevölkerung entkoppelt hatte und parasitär schlussendlich das ganze Reich zu ihren Gunsten aussaugte; dadurch wurde eine immer schärfere Unterdrückung nach unten notwendig, insbesondere in Bezug auf das fortwährende Eintreiben der Steuern; Schlussendlich erschien dann mit der Zeit der Bevölkerung ein Leben unter barbarischen Herrschern als freiheitlicher; Der Rentenkapitalismus der Spätantike war tödlicher für das Reich als alle Barbarenangriffe;
Man könnte noch sehr viel mehr dazu ausführen, aber als erster sehr grober Überblick sollte es reichen.
Und auch meiner Meinung nach gibt es durchaus Parallelen zu heutigen Entwicklungen, wenn auch ganz andere als die welche Milspec_1967 hier nannte.
Als wesentlichsten Punkt sollte man meiner Meinung nach mitnehmen, dass es nicht Verweichlichung und Dekadenz waren, welche den Untergang des weströmischen (!) Reiches bewirkten (Ostrom existierte als römischer Staat noch etliche Zeit weiter), sondern dass ganz im Gegenteil die Dekadenz in der Spätzeit des Reiches massiv abnahm, dass man dann gerade zu anfing hypermoralisch zu werden und dass man auch nicht verweichlicht war.
Tatsächlich hauptverantwortlich waren demographische und kulturelle Veränderungen welche die Kohäsion beeinträchtigten, massivste wirtschaftliche Probleme die man nicht mehr in den Griff kriegte und der Versuch das Reich in seiner Gesamtheit zu erhalten, dass mit den damaligen Möglichkeiten aus sich selbst heraus nachhaltig so nicht erhaltbar war und schlussendlich die aus all diesem folgende Delegitimierung des Staates bis dahin, dass der Bevölkerung eine Herrschaft der Barbaren als freiheitlicher und auch sonst in jedem Aspekt besser erschien.
Die wesentlichste Erkenntnis meiner Meinung nach ist, dass diese Delegitimierung des Staates welcher sich dann nur noch durch Zwang erhalten konnte bereits bei der sogenannten Stabilisierung nach der Reichskrise gegeben war. Es gelang zwar nach der Reichskrise noch einmal das Reich zu stabilisieren, aber diese Herrschaft wurde nicht mehr von der Bevölkerung getragen, sondern ihr aufgezwungen, das Reich war trotz der Stabilisierung delegitimiert. Und entsprechend benötigte es dann gar nicht mehr so massive Störfaktoren um der vorübergehenden Stabilisierung folgend eine bis zum Kollaps Westroms führende Abwärtsspirale einzuleiten, zumal die Stabilisierung darüber hinwegtäuscht, dass die wesentlichsten Grundprobleme der Reichskrise zuvor nicht gelöst waren.
Ihr schreibt übrigens ein klein wenig aneinander vorbei, da Milspec explizit von einem Zeitpunkt schrieb - 400 n Chr - während du hier von der Reichskrise im 3 Jahrhundert schreibst. Das ist nicht der gleiche Zeitraum.
Ergänzend und in Stichpunkten und ohne irgendeine Ordnung oder Reihenfolge mal ganz Grob in Grundzügen:
Veränderungen in der Demographie und ethnischen Zusammensetzung:
Die Römer hatten im Verhältnis zu den "Barbaren" außerhalb der Reichsgrenzen demographische Probleme (aus einem ganzen Faktorenbündel heraus); das römische Bürgerrecht war nicht mehr exklusiv, sondern wurde sehr weitgehend an fremde Ethnien vergeben und schließlich auch an nicht in die römische "Leitkultur" integrierte Gruppen; während Römer noch in der mittleren Republik eine Ethnie waren, und selbst im frühen Kaiserreich noch eine elitäre Gruppe innerhalb des Reiches, wurde das römische Bürgerrecht dem folgend eine beliebige Sache ohne größeren Wert;
wirtschaftliche Faktoren:
die Urbane mediterane Kultur ließ sich ökonomisch mit der damaligen Technologie und den damaligen Mitteln nicht nachhaltig aufrecht erhalten; es gab daraus folgend massive Umweltzerstörungen und eine allgemeine Übernutzung der Ressourcen; der Handel regionalisierte sich und der weitreichende Handel aus dem frühen und mittleren Kaiserreich ging immer mehr zurück und kam schließlich zwischen bestimmten Provinzen teilweise ganz zum erliegen; es herrschte eine immer extremere Ungleichverteilung in der Gesellschaft, noch viel extremer als sie schon vorher gewesen war und unter Exkludierung der Sklaven, also nur in Bezug auf Freie; da man keine großen Mengen an Sklaven und Reichtümern durch weitere Eroberungszüge einbringen konnte, geriet dadurch die auf Raubkriege ausgelegte Wirtschaft in eine langsame Abwärtsspirale; Das Kolonat als Ersatz für die Sklaverei erwies sich als unzureichend, verschärfte aber die sozialen Konflikte; Versuche der Zentralregierung mit planwirtschaftlichen Methoden dem entgegen zu wirken, unter Beibehaltung des obszönen Reichtum einer winzigen Oberschicht bewirkten dann noch eine Verschärfung der wirtschaftlichen Krise; gerade in der Spätantike wurde die freie Wirtschaft im Reich immer mehr durch planwirtschaftliche Methoden ersetzt um damit zumindest kurzfristig weiter das Militär unterhalten zu können, was aber schon mittelfristig noch größere wirtschaftliche Probleme aufwarf und die Herrschaft immer weiter deligitmierte bis schließlich die Barbaren als die besseren Herrscher erschienen (was sie dann tatsächlich waren);
Militär:
Das Militär wurde "barbarisiert" indem man immer mehr Truppen aus fremden Völkern für die Kriegsführung verwendete; Schon zur Zeit der "Soldatenkaiser" waren die entscheidenden Truppenverbände und auch die hochrangigen Offiziere in weiten Teilen keine ethnischen Römer mehr, sondern beispielsweise Illyrer usw.; das römische Militär war in der Defensive mit den damaligen Mitteln und Methoden auf eine übergroße Quantität angewiesen, diese konnte aber nicht nachhaltig refinanziert werden; wo man diese Quantität nicht aufrecht erhalten konnte, waren die Truppen deshalb stark überdehnt; man wollte und konnte trotzdem die lokale Bevölkerung nicht militärisch ertüchtigen, weil dies sofort regionale Instabilität und Revolten zur Folge hatte, weshalb man lieber Einfälle von Feinden in Kauf nahm als vor Ort lokale leistungsfähige Militärstrukturen zu installieren; das Militär degenerierte durch Inkompetenz und Korruption, ganz viele Verbände bestanden nur auf dem Papier; das Militär wurde schließlich immer weiter geschwächt, trotz einer "Übermilitarisierung" des Reiches, weil die reale Kampfkraft der Truppen immer mehr degenerierte, obwohl der Staat immense Mittel für die Armee aufwandte; die Gesellschaft diente schließlich nur noch der Versorgung und den Pfründen der Streitkräfte, aber diese konnten trotzdem den Schutz der Gesellschaft nicht mehr gewährleisten und delegitimierten dadurch den Staat;
Religiöse und Kulturelle Veränderungen:
Es breitete sich dann das Christentum massiv in der Bevölkerung aus, was die Wehrkraft meiner rein persönlichen Meinung nach schwächte, aber nicht weil das Christentum weich war, sondern aufgrund der religiösen Intoleranz, der dadurch verursachten inneren Konflikte und Verfolgungen im Kontext mit der religiösen Toleranz der Barbaren die auch Christen waren; Der römische Staatskult und die althergebrachte römische Kultur verfielen und wurden durch ein beliebiges Gemisch aus hellenistisch-römischen Versatzstücken ersetzt; damit verfielen die vorher den Römern eigenen Werte welche sie militärisch befähigt hatten; dies hat aber nichts mit Dekadenz zu tun, ganz im Gegenteil; gerade in der Spätantike war Rom im Vergleich so wenig dekadent wie seit den frühesten Tagen der Republik nicht mehr, aber es war halt eine insgesamt ganz andere Kultur im Vergleich;
Politische Faktoren:
Es wurde fortwährend versucht die politische Macht zu zentralisieren, um den Zerfall des Reiches in mehrere Staaten zu verhindern oder (wo dies vorübergehend geschah Palmyra, Gallien, Britannien diese wieder einzugliedern) - obwohl diese Zentralisierung angesichts der Probleme des Reiches insgesamt ein Fehler war; gleichzeitig diente dieser ständige Kampf um die Zentralmacht der Sicherung der Pfründe einer winzigen extremst reichen Oberschicht die sich völlig von der normalen Bevölkerung entkoppelt hatte und parasitär schlussendlich das ganze Reich zu ihren Gunsten aussaugte; dadurch wurde eine immer schärfere Unterdrückung nach unten notwendig, insbesondere in Bezug auf das fortwährende Eintreiben der Steuern; Schlussendlich erschien dann mit der Zeit der Bevölkerung ein Leben unter barbarischen Herrschern als freiheitlicher; Der Rentenkapitalismus der Spätantike war tödlicher für das Reich als alle Barbarenangriffe;
Man könnte noch sehr viel mehr dazu ausführen, aber als erster sehr grober Überblick sollte es reichen.
Und auch meiner Meinung nach gibt es durchaus Parallelen zu heutigen Entwicklungen, wenn auch ganz andere als die welche Milspec_1967 hier nannte.
Als wesentlichsten Punkt sollte man meiner Meinung nach mitnehmen, dass es nicht Verweichlichung und Dekadenz waren, welche den Untergang des weströmischen (!) Reiches bewirkten (Ostrom existierte als römischer Staat noch etliche Zeit weiter), sondern dass ganz im Gegenteil die Dekadenz in der Spätzeit des Reiches massiv abnahm, dass man dann gerade zu anfing hypermoralisch zu werden und dass man auch nicht verweichlicht war.
Tatsächlich hauptverantwortlich waren demographische und kulturelle Veränderungen welche die Kohäsion beeinträchtigten, massivste wirtschaftliche Probleme die man nicht mehr in den Griff kriegte und der Versuch das Reich in seiner Gesamtheit zu erhalten, dass mit den damaligen Möglichkeiten aus sich selbst heraus nachhaltig so nicht erhaltbar war und schlussendlich die aus all diesem folgende Delegitimierung des Staates bis dahin, dass der Bevölkerung eine Herrschaft der Barbaren als freiheitlicher und auch sonst in jedem Aspekt besser erschien.
Die wesentlichste Erkenntnis meiner Meinung nach ist, dass diese Delegitimierung des Staates welcher sich dann nur noch durch Zwang erhalten konnte bereits bei der sogenannten Stabilisierung nach der Reichskrise gegeben war. Es gelang zwar nach der Reichskrise noch einmal das Reich zu stabilisieren, aber diese Herrschaft wurde nicht mehr von der Bevölkerung getragen, sondern ihr aufgezwungen, das Reich war trotz der Stabilisierung delegitimiert. Und entsprechend benötigte es dann gar nicht mehr so massive Störfaktoren um der vorübergehenden Stabilisierung folgend eine bis zum Kollaps Westroms führende Abwärtsspirale einzuleiten, zumal die Stabilisierung darüber hinwegtäuscht, dass die wesentlichsten Grundprobleme der Reichskrise zuvor nicht gelöst waren.