11.05.2024, 11:16
Zu den aktuellen Entwicklungen und auch den eskalierenden Protesten in Georgien; ein Land, das ja in der Vergangenheit auch schon seine Konflikte mit Russland hatte, aktuell sieht es allerdings eher so aus, dass der russische Einfluss im Sinne von repressiven Gesetzen wieder zunehmen könnte - was die politische Landschaft und die Bevölkerung natürlich spaltet:
Schneemann
Zitat:PROTESTE IN TIFLIShttps://www.faz.net/aktuell/feuilleton/d...09067.html
Tränen, Atemnot, Beethoven [...]
In Tiflis reagiert die georgische Regierung mit massiver Polizeigewalt auf die Menschen, die gegen das „russische Gesetz“ demonstrieren. Es geht darum, die Chancen auf einen EU-Beitritt des Landes zu schwächen. [...]
Seit nunmehr fünf Wochen finden täglich und vor allem nächtlich Proteste statt, mit Zehntausenden Teilnehmern, häufig bis zum Morgengrauen, Wasserwerfer, Tränengas, knüppelnde Spezialkräfte. „Ara rusul kanons“ – „Nein zum russischen Gesetz“ und „Sad miwdiwart? – Ewropaschi!“ – „Wohin gehen wir? Nach Europa!“, hallt es durch die Nacht, in georgischer Sprache, die so konsonantenreich felsig klingt wie das Kaukasus-Gebirge.
Auslöser der Proteste war, dass die Regierungsfraktion einen neuen Entwurf des Ausländische-Agenten-Gesetzes ins Parlament eingebracht hat. Die dritte und entscheidende Lesung wird für kommenden Freitag erwartet. Das Gesetz soll alle Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten – NGOs, Medien, Stiftungen bis hin zu gänzlich unpolitischen Organisationen wie Tierheimen –, dazu verpflichten, sich als „Organisationen, die die Interessen eines ausländischen Einflusses verfolgen“ zu registrieren. Das Gesetz bietet den Behörden Möglichkeiten zum willkürlichen Zugriff und droht mit drakonischen Strafen. Damit wird vor allem das Ziel verfolgt, regierungskritische NGOs zu stigmatisieren, sie Repression auszusetzen oder zu vertreiben, fünf Monate vor den Parlamentswahlen. [...]
Das Gesetz gleicht in fataler Weise dem Ausländische-Agenten-Gesetz Russlands, dessen Beschluss im Jahre 2012 einen Meilenstein im Prozess der Unterdrückung der russischen Zivilgesellschaft dargestellt hat. [...] Im vergangenen Jahr hatte die Regierungsfraktion schon einmal den Versuch unternommen, ein solches Gesetz zu verabschieden. Nach tagelangen wütenden Straßenprotesten zog man den Entwurf zurück. Diesmal wirkt die Regierung jedoch zu allem entschlossen. Aber auch die Reaktionen aus Brüssel, Washington, Paris und Berlin sind deutlich entschiedener als noch vor einem Jahr. [...]
Die georgische Regierung ist vor allem ein Instrument des bizarren Milliardärs Bidsina Iwanischwili. Forbes schätzt seinen Besitz auf 4,5 Milliarden Euro. [...] Iwanischwili hat seinen Reichtum mit Bankgeschäften und Metallindustrie im Russland der Neunzigerjahre angehäuft. Seit 2012 regiert die von ihm gegründete Partei Georgischer Traum. Der wahre Traum dieser Regierung ist es, ewig im Spagat zwischen EU und Russland zu lavieren und mit beiden Seiten Geschäfte zu machen. Das bedeutet, den EU-Beitritt zu beantragen – und gleichzeitig zu hintertreiben, die europäische Flagge zu hissen – und die EU-Kommission zu beleidigen, die zerbrochenen diplomatischen Beziehungen zu Russland nicht wieder aufzunehmen – aber mit Russland kräftig Geschäfte zu machen. [...]
Doch seitdem die EU Georgien im Dezember nach langem Zögern tatsächlich den Status eines EU-Beitrittskandidaten verliehen hat und auf der anderen Seite der Kreml Druck gegen eine EU-Mitgliedschaft macht, lässt sich der Spagat kaum noch halten. [...]
Iwanischwili, der sich jahrelang als graue Eminenz dezent im Hintergrund gehalten hatte, tritt nun wieder öffentlich auf und beschuldigt die „globale Partei des Krieges, die entscheidenden Einfluss auf NATO und die Europäische Union“ habe, Georgien in einen Krieg mit Russland hineintreiben zu wollen. Mit solchen Auftritten betteln Iwanischwili und die georgische Regierung geradezu darum, von der EU wieder zurückgestoßen zu werden. So dient das „russische Gesetz“ auch ganz bewusst der Provokation des Westens. Applaus gibt es dafür nur aus Moskau, vom ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedjew. [...]
Die Oppositionsparteien sind geschwächt und zerstritten, und der letzte Regierungschef aus der Zeit vor dem Georgischen Traum, Michail Saakaschwili, sitzt in Tiflis im Gefängnis. So ist es innerhalb des politischen Systems vor allem Präsidentin Salomé Surabaschwili, die sich dem „russischen Gesetz“ widersetzt. Ihre Kompetenzen allerdings sind begrenzt, vergleichbar mit denen des Bundespräsidenten in Deutschland. [...] Die europäischen Politiker – von der Leyen, Macron, Michel und Scholz –, sie äußern sich kritisch und drohen für den Fall des Gesetzesbeschlusses mit Aufhebung der Visumfreiheit oder sogar dem Entzug des EU-Kandidatenstatus. [...]
Schneemann