02.05.2024, 16:38
alphall31:
Potemkinsche Straßenzüge machen keinen erfolgreichen Wiederaufbau aus, geschweige denn bringen sie etwas für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung.
Umgekehrt ohne jede Regulierung alsbald zerfallenden Schrott hochzuziehen, von außen vorübergehend hübsch anzumalen und dass dann als Wirtschaftsaufschwung und Wiederaufbau zu verkaufen ist genau so schlecht.
lime:
Sehr gerne möchte ich dir meine Ansichten zu deinen interessanten Fragen darlegen:
1. Das System Putin ist nicht eine Machtübernahme des Staates durch die Mafia, sondern ein Sonderfall, in welchem die Mafia und der Staat sehr weitgehend ineinander verschmolzen sind, wobei der Staat hier mehr die Mafia übernommen hat als umgekehrt. Entsprechend ist die ganze Struktur der OK und wie diese mit dem Staat verbandelt ist völlig anders als dies beispielsweise in Italien der Fall ist. Russland ist also nicht deshalb ein Mafiastaat, weil die Mafia den Staat kontrolliert, sondern weil dieser selbst wie eine Mafia operiert (ohne die Mafia zu sein). Der russische Staat ist damit sozusagen für sich selbst die größte und stärkste Mafiagruppe und unterdrückt deshalb auch die anderen Mafiagruppen und zwingt diese unter seine Herrschaft.
2. Das BIP ist stark gestiegen, völlig richtig, aber es hätte angesichts der Umstände dieser Jahre ohne die Missstände in Russland noch sehr viel mehr steigen können. Das BIP von Russland entspricht zudem aktuell ungefähr dem von Italien (!) und dies trotz der größeren Bevölkerungszahl, des immensen Rohstoffreichtums und der vielen anderen herausragenden Grundlagen welche eigentlich da sind. Schlicht und einfach: unter einer optimalen Regierung wäre Russland heute immens viel reicher, mächtiger und hätte ein wesentlich größeres BIP, und das ist keine bloße These oder Annahme. Man hat die vielen Sondergewinne und Renteneinnahmen aus den Rohstoffverkäufen ineffizient verwendet, sich auch darauf ausgeruht und ist damit auch technisch zurückgefallen. Diese ganzen Strukturen sind daher keineswegs so gut wie sie sein könnten.
3. Zur Frage der Ungleichverteilung: in der Jelzinzeit herrschte eine bizarre Ungleichheit, weil die Reichsten sich das Staatsvermögen in unfassbarem Ausmaß aneigneten, während die Bevölkerung in extremer Armut und Elend lebte. Entsprechend führte das politische Versprechen des Systems Putin: Unterwerfung und Sicherung der Macht gegen Teilhabe am Wohlstand dazu, dass sich von diesem Extremzustand aus die Ungleichheit in jedem Fall stark reduzieren musste, ohne dass der Unterschied zwischen Arm und Reich in Russland heute gut wäre. Ganz im Gegenteil ist die Ungleichheit immer noch sehr hoch. Eine Verbesserung von lächerlich schlecht auf schlecht ist aber ebenso eine erhebliche Verbesserung, völlig klar.
Spaß am Rande: die USA stehen von der Ungleichverteilung her nochmal deutlich schlechter dar als Russland, aber niemand würde bestreiten, dass die wirtschaftliche und technologische Macht der USA weit über der Russlands stehen. Und damit kommen wir zu einem meiner Meinung nach wesentlichen Punkt:
4. Die Frage der Vermögensverteilung ist wie die Frage ob ein Staat praktisch eine Art OK darstellt oder nicht gar nicht so relevant für die Frage, wie wirtschaftliche erfolgreich ein Staat ist. Die Theorie ist, dass mehr Demokratie und weniger OK und eine geringere Ungleichheit wirtschaftlich immer förderlich sind. Ich bezweifle das. Sowohl die VR China als auch die USA hatten und haben eine größere Ungleichverteilung und sind dennoch wirtschaftlich immens viel erfolgreicher.
5. Die Idee, dass sich der "wirtschaftliche" Erfolg der Oligarchen positiv auf die Bevölkerung auswirkte erinnert mich nun stark an die Auffassungen in den USA, dass man am besten die Reichen bereichert, weil von denen dann das Geld nach unten zu den Armen sickert. Aus eigener Anschauung kann ich dir versichern, dass der wirtschaftliche Aufstieg der unteren Mittelschicht wie auch der Unterschicht in Russland trotz der Oligarchen stattfand, und nicht wegen ihnen. Und bezahlt wurde er vor allem vom Staat mit erheblichen Erlösen aus dem Rohstoffexport. Und da die Oligarchen dabei im Weg waren, ließ der Mafiastaat sie entweder an die Leine legen, oder defenstrieren oder anderweitig um ihr Vermögen bringen. Denn wer sich da nicht in den Mafiastaat einordnete, lernte ganz schnell, dass der Staat und vor allem die Clique um Putin herum schlussendlich eine Art OK sind.
6. Deine These, dass die Korruption über die Schattenwirtschaft dem Volk zugute kam / kommt halte ich für sehr interessant. Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber ich halte das für eine Milchmädchenrechnung. Gesamt, volkswirtschaftlich gesehen war und ist die Korruption in Russland nur ein Schaden für die Wirtschaft. Wenn ich mir an der Uni den Abschluss erkaufen muss (und kann) und dann mit diesem die Führungssstelle im Unternehmen erkaufen kann, und dann dadurch Inkompetente in Führungspositionen kommen, wenn heutige russische "Ingenieure" keine Ahnung mehr haben was sie da tun und jeder nur in den Staatsdienst will um sich ebenfalls zu berreichen, dann führt das eben nicht dazu, dass die Korruption Geld in die Schattenwirtschaft spült, sondern dass alle dadurch wirtschaftlich geschädigt werden.
7. Schwarzarbeit ist in Russland nicht das, was den Russen in den letzten Jahren zu einem sehr bescheidenen Wohlstand verholfen hat. Und wenn man überhaupt bescheidenen Wohlstand erlangen wollte, musste man entweder für den Staat arbeiten um diese Position auszunützen oder sich entsprechend mit dem Staat verbandeln. Dies geht aber nicht über Schwarzarbeit, sondern über ganz offizielle Arbeitsplätze. Die Schattenwirtschaft dreht sich also um ganz normale Arbeitsplätze und Beamtenstellen herum und wie diese dafür eingesetzt und missbraucht werden. Schwarzarbeiter sind demgegenüber irgendwelche Zentralasiaten die brutal ausgenützt und fortwährend betrogen und geprellt werden.
Speziell über die russische Wirtschaft hat übrigens Kamil Galeev (kamilkazani) eine Menge sehr interessante Texte verfasst (findet man u.a. bei Twitter).
Potemkinsche Straßenzüge machen keinen erfolgreichen Wiederaufbau aus, geschweige denn bringen sie etwas für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung.
Zitat:enn man die Besetzung der Stadt nimmt und das Datum der Berichte in was für einer Zeit das erbaut wurde hätte bei uns nicht mal eine Baugenehmigung vorgelegen in der Zeit .
Umgekehrt ohne jede Regulierung alsbald zerfallenden Schrott hochzuziehen, von außen vorübergehend hübsch anzumalen und dass dann als Wirtschaftsaufschwung und Wiederaufbau zu verkaufen ist genau so schlecht.
lime:
Sehr gerne möchte ich dir meine Ansichten zu deinen interessanten Fragen darlegen:
1. Das System Putin ist nicht eine Machtübernahme des Staates durch die Mafia, sondern ein Sonderfall, in welchem die Mafia und der Staat sehr weitgehend ineinander verschmolzen sind, wobei der Staat hier mehr die Mafia übernommen hat als umgekehrt. Entsprechend ist die ganze Struktur der OK und wie diese mit dem Staat verbandelt ist völlig anders als dies beispielsweise in Italien der Fall ist. Russland ist also nicht deshalb ein Mafiastaat, weil die Mafia den Staat kontrolliert, sondern weil dieser selbst wie eine Mafia operiert (ohne die Mafia zu sein). Der russische Staat ist damit sozusagen für sich selbst die größte und stärkste Mafiagruppe und unterdrückt deshalb auch die anderen Mafiagruppen und zwingt diese unter seine Herrschaft.
2. Das BIP ist stark gestiegen, völlig richtig, aber es hätte angesichts der Umstände dieser Jahre ohne die Missstände in Russland noch sehr viel mehr steigen können. Das BIP von Russland entspricht zudem aktuell ungefähr dem von Italien (!) und dies trotz der größeren Bevölkerungszahl, des immensen Rohstoffreichtums und der vielen anderen herausragenden Grundlagen welche eigentlich da sind. Schlicht und einfach: unter einer optimalen Regierung wäre Russland heute immens viel reicher, mächtiger und hätte ein wesentlich größeres BIP, und das ist keine bloße These oder Annahme. Man hat die vielen Sondergewinne und Renteneinnahmen aus den Rohstoffverkäufen ineffizient verwendet, sich auch darauf ausgeruht und ist damit auch technisch zurückgefallen. Diese ganzen Strukturen sind daher keineswegs so gut wie sie sein könnten.
3. Zur Frage der Ungleichverteilung: in der Jelzinzeit herrschte eine bizarre Ungleichheit, weil die Reichsten sich das Staatsvermögen in unfassbarem Ausmaß aneigneten, während die Bevölkerung in extremer Armut und Elend lebte. Entsprechend führte das politische Versprechen des Systems Putin: Unterwerfung und Sicherung der Macht gegen Teilhabe am Wohlstand dazu, dass sich von diesem Extremzustand aus die Ungleichheit in jedem Fall stark reduzieren musste, ohne dass der Unterschied zwischen Arm und Reich in Russland heute gut wäre. Ganz im Gegenteil ist die Ungleichheit immer noch sehr hoch. Eine Verbesserung von lächerlich schlecht auf schlecht ist aber ebenso eine erhebliche Verbesserung, völlig klar.
Spaß am Rande: die USA stehen von der Ungleichverteilung her nochmal deutlich schlechter dar als Russland, aber niemand würde bestreiten, dass die wirtschaftliche und technologische Macht der USA weit über der Russlands stehen. Und damit kommen wir zu einem meiner Meinung nach wesentlichen Punkt:
4. Die Frage der Vermögensverteilung ist wie die Frage ob ein Staat praktisch eine Art OK darstellt oder nicht gar nicht so relevant für die Frage, wie wirtschaftliche erfolgreich ein Staat ist. Die Theorie ist, dass mehr Demokratie und weniger OK und eine geringere Ungleichheit wirtschaftlich immer förderlich sind. Ich bezweifle das. Sowohl die VR China als auch die USA hatten und haben eine größere Ungleichverteilung und sind dennoch wirtschaftlich immens viel erfolgreicher.
5. Die Idee, dass sich der "wirtschaftliche" Erfolg der Oligarchen positiv auf die Bevölkerung auswirkte erinnert mich nun stark an die Auffassungen in den USA, dass man am besten die Reichen bereichert, weil von denen dann das Geld nach unten zu den Armen sickert. Aus eigener Anschauung kann ich dir versichern, dass der wirtschaftliche Aufstieg der unteren Mittelschicht wie auch der Unterschicht in Russland trotz der Oligarchen stattfand, und nicht wegen ihnen. Und bezahlt wurde er vor allem vom Staat mit erheblichen Erlösen aus dem Rohstoffexport. Und da die Oligarchen dabei im Weg waren, ließ der Mafiastaat sie entweder an die Leine legen, oder defenstrieren oder anderweitig um ihr Vermögen bringen. Denn wer sich da nicht in den Mafiastaat einordnete, lernte ganz schnell, dass der Staat und vor allem die Clique um Putin herum schlussendlich eine Art OK sind.
6. Deine These, dass die Korruption über die Schattenwirtschaft dem Volk zugute kam / kommt halte ich für sehr interessant. Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber ich halte das für eine Milchmädchenrechnung. Gesamt, volkswirtschaftlich gesehen war und ist die Korruption in Russland nur ein Schaden für die Wirtschaft. Wenn ich mir an der Uni den Abschluss erkaufen muss (und kann) und dann mit diesem die Führungssstelle im Unternehmen erkaufen kann, und dann dadurch Inkompetente in Führungspositionen kommen, wenn heutige russische "Ingenieure" keine Ahnung mehr haben was sie da tun und jeder nur in den Staatsdienst will um sich ebenfalls zu berreichen, dann führt das eben nicht dazu, dass die Korruption Geld in die Schattenwirtschaft spült, sondern dass alle dadurch wirtschaftlich geschädigt werden.
7. Schwarzarbeit ist in Russland nicht das, was den Russen in den letzten Jahren zu einem sehr bescheidenen Wohlstand verholfen hat. Und wenn man überhaupt bescheidenen Wohlstand erlangen wollte, musste man entweder für den Staat arbeiten um diese Position auszunützen oder sich entsprechend mit dem Staat verbandeln. Dies geht aber nicht über Schwarzarbeit, sondern über ganz offizielle Arbeitsplätze. Die Schattenwirtschaft dreht sich also um ganz normale Arbeitsplätze und Beamtenstellen herum und wie diese dafür eingesetzt und missbraucht werden. Schwarzarbeiter sind demgegenüber irgendwelche Zentralasiaten die brutal ausgenützt und fortwährend betrogen und geprellt werden.
Speziell über die russische Wirtschaft hat übrigens Kamil Galeev (kamilkazani) eine Menge sehr interessante Texte verfasst (findet man u.a. bei Twitter).