(Allgemein) Wiedereinführung einer Wehrpflicht und Personalgewinnung
Auch meiner Meinung nach ist die Bundeswehr nicht deshalb unattraktiv, weil sie schlecht zahlen würde. Ich halte die finanzielle Seite daher für überschätzt und entsprechend würde eine Verbesserung des Sold zwar etwas bringen, aber meiner Einschätzung nach nicht ausreichend Personal generieren. Die Bundeswehr ist mMn aus ganz anderen Gründen als Dienstherr (ich schreibe mal ganz bewusst nicht Arbeitgeber) nicht attraktiv.

Ebenso muss ich einigen meiner Vorredner zustimmen, dass die Wehrpflicht so wie sie früher real durchgeführt wurde keineswegs beliebt war und oft auch nicht sinnvoll war. Man hat die zur Verfügung gestellten Wehrpflichtigen teilweise unwürdig behandelt (gerade weil sie Wehrpflichtige waren), ihre Lebenszeit verschwendet, sie ineffizient ausgebildet (Zeitaufwand im Verhältnis zum tatsächlich erlernten Können) und es gab viele weitere Defizite und bei vielen erzeugte dies einen ziemlichen Unwillen gegen das Militär an sich - auch wenn andere ihre Wehrdienstzeit positiv erlebten. Das hing dann damals sehr stark davon ab, in was für einer Einheit und vor allem unter was für Vorgesetzten man gedient hat. Denn es gab auch damals schon einzelne Vorgesetzte die es geschafft haben Sinn zu stiften, zu motivieren und den richtigen Geist in ihrer Einheit zu schaffen.

Heute kommt noch dazu als Problem, dass die Kultur der allgemeinen Wehrpflicht abgerissen ist. Das war eine Sozialkultur, eine grundsätzliche sozialkulturelle Strömung und diese kann man nicht einfach so per Dekret von oben her verordnen und mittels Verordnung und Gesetz wieder herstellen. Noch darüber hinaus hat sich auch ansonsten die Kultur und Lebensweise deutlich verändert, dass sind heute andere Menschen als damals (wertneutral).

Deshalb und auch noch aus vielen anderen Gründen halte ich es für falsch, einfach die Wehrpflicht wie früher wieder einzuführen - oder wie lime es ausgedrückt hat einfach eine Wehrpflicht wie in den 80er Jahren wiederherzustellen.

Das wird nicht nur nicht funktionieren, erheblichen Widerstand hervorrufen wie auch alphall es mMn richtig angeführt hat, es geht vor allem auch an der Sache selbst vorbei, weil die Bundeswehr insgesamt dadurch militärisch eben kurzfristig nicht gestärkt würde, sondern kurz- bis mittelfristig geschwächt würde. Positive Effekte würden sich erst langfristig einstellen und auch nur dann, wenn die Finanzierung deutlich ausgeweitet würde. Wie ich es einer Rechnung hier schon versucht habe anzureißen, wären die Kosten ganzheitlich betrachtet sehr viel höher als dies die meisten Befürworter einer Wehrpflicht annehmen.

Und ich kann nur meine Aussage wiederholen, dass die Befürworter einer Wehrpflicht für diese sind, aber keinerlei konkrete Zahlen dazu nennen können, keinerlei konkrete real-praktische Konzepte dafür haben, in keinster Weise konkret praktisch sagen können wie das exakt real getan werden soll. Vor allem fehlen jedwede realistische Pläne wie das finanziert werden soll.

Der militärische Mehrwert wäre ganzheitlich gesehen gering, würde man einfach eine Wehrpflicht wie früher einführen. Natürlich gäbe es rein theoretisch extreme und radikalste Konzepte, welche einen militärischen Mehrwert generieren würden, aber sie sind deshalb rein theoretisch, weil sie politisch in dieser Bundesrepublik unter gar keinen wie auch immer gearteten Umständen durchführbar sind. Daran scheitern beispielsweise meiner Meinung nach Ideen wie Schaddedanz sie hier anreißt. Dennoch greift eine seiner Aussagen (in der ihm eigenen unnachahmlichen Art) meiner Überzeugung nach exakt den Kern des Problems auf:

Zitat:Ich kann also frei raus sagen: "Die BRD wird ihre NATO zusagen nur durch Zwang und Repression gegen die eigenen Staatbürger aufbringen." , aber nur zu belehrt mich eines besseren.

Ohne Zwang und Repression wird man keine allgemeine umfassende Wehrpflicht einführen können. Und allein schon dies stellt in Frage, ob diese ausreichend schnell einen militärischen Mehrwert generieren könnte.

Im weiteren ist meiner Überzeugung nach das primäre Problem, dass die Bundeswehr keine echte wirkliche Berufsarmee ist. Sie ist eine Freiwilligen-Armee, die Zeitsoldaten ihr prägendstes Element und genau deshalb hat sie Personalprobleme, auch wenn das in der Bundeswehr selbst anscheinend niemand hören möchte. Sie ist in einem ganz seltsamen Zwischenzustand, in welchem sie so tut als ob sie eine Berufsarmee wäre, aber gleichzeitig Zeitsoldatentum und freiwillige Wehrpflicht anstrebt. Würde man die Bundeswehr zu einer echten reinen Berufsarmee entwickeln, und würde man die Personalgewinnung und vor allem auch die Personalverwendung und -Entwicklung effizienter gestalten, dann bin ich der festen Überzeugung, dass es dann kein Personalproblem mehr gäbe und eine Bundeswehr im Bereich von um die 200.000 bis 250.000 Mann realisierbar wäre.

Im weiteren müsste man dann überdenken, was genau man der NATO und noch viel wesentlicher: was genau man den europäischen Verbündeten im Rahmen der EU zur Verfügung stellt. Man müsste und sollte daher seine Zusagen ändern, weil diese teilweise falsch sind, oder weil sie teilweise für uns so nicht sinnvoll leistbar sind (Stichwort Kampfhubschrauber).


veut:

Zitat:Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzugehen wäre ein katastrophaler Schritt!

Da schließe ich mich an, sehe ich ebenso. Der Wehrdienst sollte stattdessen sogar ein Privileg sein.


Broensen:

Zitat:Wie meinst du das in diesem Zusammenhang? Meinst du damit eine WDL-Truppe für den Heimatschutz, die gegen irreguläre Bedrohungen im eigenen Land eingesetzt wird oder denkst du daran, all die Soldaten auf Verwaltungs- und Selbstrechtfertigungsposten abzulösen, damit diese als Sicherungsverbände an die Front können? Denn eigentlich sollten ja im (B)V-Fall alle Soldaten der BW ersatzlos in den Einsatz gehen können. Das ist ihre Aufgabe, dafür existiert die BW. Alles andere dient nur diesem Zweck.

Selbst wenn alle BS / ZS der Bundeswehr ins Ausland ziehen würden (mal rein theoretisch) gäbe es ja auf dem Gebiet der Bundesrepublik immer noch jede Menge Aufgaben und Arbeit, einige nannten hier schon den Host Nation Support, dann sind jede Menge militärische Einrichtungen zu sichern (Militärischer Objektschutz - Stichwort Luftwaffeninfrastruktur usw), ebenso kritische Infrastruktur, dann benötigt man darüber hinaus auch noch einen starken Zivilschutz usw.

Das hatten wir hier ja alles schon ausführlichst. Man benötigt meiner Ansicht nach dafür eigene Kräfte, welche am besten getrennt von der Bundeswehr in eigenen Einheiten vorgehalten werden und der dafür notwendige Kräfteansatz wird meiner Meinung nach stark unterschätzt. Wenn man in der Bundesrepublik selbst dann außerhalb der BS / ZS Struktur dafür Wehrpflichtigenverbände / Reserve hätte (natürlich mit einem gewissen notwendigen kleinen Anteil BS / ZS auch in dieser Parallelstruktur), dann würde dies die Bundeswehr in vielen Bereichen frei machen und damit einsatzfähiger machen. Dann könnte man in der Bundeswehr mehr Kampftruppe vorhalten und hätte entsprechend auch mehr Kampfkraft beim Einsatz im Ausland. Aber das hatten wir hier ja schon alles ausführlichst.

Zugleich würden die Wehrpflichtigeneinheiten nicht die Verbände der Kampftruppe mit BS "stören", da diese dann unter sich bleiben.

Und für den extremen Fall der LV hätte man dann zusätzlich eine immense Masse welche für den Gegner ein kaum händelbares militärisches Problem darstellt, einfach aufgrund der Quantität (Stichwort Netzverteidigung - in welcher dann zusätzlich die mobilen Truppen der BS mit ihren Großkampfverbänden agieren).

Schlussendlich wäre das ein System nicht unähnlich dem des spätrömischen Heeres mit den Commitatenses (Bewegungsheer) und den Limitanei (stehendes Heer / Grenztruppen). Das waren zwei getrennte Militärorganisationen und exakt so müsste man die Wehrpflichtarmee an die Seite der Berufsarmee stellen. Mit jeweils anderen Aufgaben.


OlafM:

Zitat:die Masse hatte schlicht keinen Bock auf Bund

Ergänzend: das wäre heute meiner Einschätzung nach nicht anders, zumal der Wert derjenigen welche bereit wären dieses Land mit der Waffe zu verteidigen auf einem historischen Niedrigststand ist. Wenn man aber hier komplett neue Wege gehen würde, die Wehrdienstleistenden lokal da ihren Dienst leisten wo sie her stammen, und dieser mehrheitlich in Richtung Zivilschutz, Logistik, Unterstützung geht und sinnvoll gestaltet wird, mit der Option auch in einer Kampfeinheit von Wehrpflichtigen zu dienen wenn man will, könnte man meiner Meinung nach die Motivation einen solchen Dienst zu leisten durchaus erhöhen.
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