08.04.2023, 11:45
(07.04.2023, 18:29)Broensen schrieb: Auf moderne Systeme übertragen wäre das ja vermutlich eher ein MUM-T bzw. Loyal-Wingman-Konzept. Oder eben die fliegende Raketenartillerie (MALE-UAV oder Transporthubschrauber mit NLOS-LFK) mit vorgeschobenem Beobachter (Aufklärungshubschrauber). Das funktioniert natürlich nur, wenn der Aufklärer auch im Zielgebiet agieren kann, wozu es wiederum eines entsprechenden Musters bedarf und man dann wieder beim Kampf(aufklärungs)hubschrauber landet. Was ja auch -wenn ich das richtig verstanden habe- der Grundgedanke hinter dem Comanche war.
Das Konzept des Comanche war in der Hinsicht durchaus zukunftsweisend, hat aber nicht in die Zeit gepasst und war noch immer auf die Kooperation mit dem Apache ausgelegt. Interessant ist das deshalb, weil man jetzt mit FARA ein ähnliches System konzipiert, dass allerdings völlig anders und losgelöst von den Apachen verwendet werden soll. Insofern war der Comanche eher ein bewaffneter Aufklärer, während FARA ein echter Kampfaufklärungshubschrauber wird (auch wenn der Begriff noch etwas sperrig ist), der sehr stark auf Einsätze "hinter den Linien" hin optimiert wird. Es ist die Frage, wie zielführend das tatsächlich ist.
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@Quintus:
Ich weise abermals auf die Grundproblematik hin, deine Vorstellungen einer Luftraumverteidigung basieren auf den Argumenten der Vernetzung und Autonomie, weil ohne diese weder die Choreographie noch die Reaktionsgeschwindigkeit sichergestellt werden kann, die für einen derartigen Verbund benötigt wird. Und diese Argumente sind abermals absolute Hochtechnologie, absehbar extrem aufwändig, teuer und mit neuen Risiken verbunden.
Sicher gibt es die Grundentwicklungen bereits was die Vernetzung angeht (typische Hunter-Killer-Fähigkeiten etwa), und mit fernbedienbaren Waffenstationen ist der Schritt zu einer integrierten Kurzstrecken-Flugabwehr über spezialisierte Fahrzeuge hinaus ausgedehnt auf alle Fahrzeuge eines Verbandes durchaus logisch. Aber dies hat mit meiner Aussage hinsichtlich der Zieltypen wenig zu tun, weil daraus noch immer kein Generalist entsteht, sondern nur ein schnell reagierendes, koordiniertes System der Systeme, deren Auslegung sich noch immer an die verschiedenen Erfordernisse richten wird.
Und was deine Luftabwehrartillerie betrifft, so befürchte ich, ist der zusätzliche Aufwand den Gewinn nicht wert. Das sollte aber besser anderswo diskutiert werden.
Zitat:Es gibt also nicht nur Front, feindliches Gebiet und eigenes Gebiet, sondern auch weitestgehend truppenfreies Gebiet.
Zum einen habe ich darauf schon mehrfach hier im Strang hingewiesen, zum anderen betrachtest du das nur aus Sicht der Kräfte am Boden. Man muss es aber ganzheitlich sehen und so auch den Luftraum mit in diese Aufstellung hinein nehmen. Man kann dann darüber diskutieren, was nun "feindliches Gebiet" genau bedeutet, oder "eigenes Gebiet", oder wie man "Front" definiert, usw.. Das ist für mich alles nicht zielführend, es lenkt von der eigentlichen Fragestellung ab, in welchen Räumen ein Kampfhubschrauber in Zukunft sinnvoll agieren kann. Und da ist die Situation für mich relativ klar, es geht um die Bedrohung durch feindliche Luftstreitkräfte und die Konzentration von feindlicher Kurzstrecken-Flugabwehr. Wenn man von den zuvor genannten Begriffen los kommen möchte könnte man auch von sicherem, zweifelhaftem und unsicherem Gebiet sprechen. Defensiv eingesetzt wird der Kampfhubschrauber primär in sicherem Gebiet oder am fließenden Übergang zum zweifelhaftem Gebiet agieren, und da ist er meines Erachtens sowohl Überlebens- wie auch Duellfähig. Offensiv verwendet kann man ihn durchaus über zweifelhaftem Gebiet einsetzen, wenn er ein gutes Situationsbewusstsein besitzt um die größten Gefahrenquellen umgehen zu können, auch wenn das Risiko natürlich ansteigt.
Die ganze Diskussion ist schwammig, weil das alles immer fließende Übergänge sind und es unzählige unterschiedliche Situationen gibt, gerade weil auch die Topographie eine große Rolle spielt und damit der konkrete Einsatzraum relevant ist. Das betrifft auch jeden Begriff, was bedeutet nun "Duellfähigkeit" beispielsweise? Auge in Auge mit massiven feindlichen Kräften auf kurzer Distanz ganz sicher nicht, das war aber auch vor fünfzig Jahren schon Irrsinn.
Es ging hier um meine Aussage hinsichtlich der Überlebensfähigkeit, und zu keinem Zeitpunkt habe ich davon gesprochen, dass ein Kampfhubschrauber beispielsweise direkt über feindlichen Truppenkonzentrationen agieren könnte - im Gegenteil habe ich auch die typischen "Raids" der siebziger Jahre als heute selbstmörderisch ausgeschlossen. Mehr habe ich dazu ehrlich gesagt nicht mehr zu sagen, schon weil ich meiner Meinung nach immer nur den gleichen Standpunkt wiederhole (auch wenn der offensichtlich manchmal missverstanden wird).
Zitat:Das Argument das du hier oft für Kampfhubschrauber bringst, gilt daher ganz genau so für Bodeneinheiten und dann ist der Rest eine ganz einfache Rechnung: querschnittlich sind die Kampfhubschrauber vulnerabler als die Bodeneinheiten und werden daher schneller abgenutzt. Sie sind damit militärisch ineffizienter und sinken unterhalb die militärische Gewinnschwelle. Dies gilt unabhängig von den Kosten des Einzelsystems und damit auch für deutlich günstigere Kampfhubschrauber.
Ja, das wiederholst du, und nein, dem stimme ich weiterhin nicht zu.
Zitat:Meiner Meinung nach blickst du hier zu sehr auf die Frage des gegenwertigen Zustandes, ein Umstand auf den auch Schaddedanz hier schon hingewiesen hat. Du bewertest meiner Meinung nach hier den Status Quo zu hoch und verkennst die Möglichkeiten die man bereits hier und heute mit der aktuellen Technologie hätte, wenn man nicht so sehr in der bloßen Strukturextrapolierung und dem Strukturkonservatismus gefangen wäre. Bereits hier und heute könnte man ganz andere Streitkräfte aufstellen, deren grundsätzliche Auslegung ihre Kampfkraft sowohl gegen Bodenziele wie auch gegen Kampfhubschrauber gleichermaßen steigern würde, so dass letztgenannte gar nicht mehr agieren könnten.
Aufgrund der zu erwartenden autonomen roboterisierten Kriegsführung benötigt man aber eine solche – andere – Auslegung der Bodenstreitkräfte in jedem Fall. Und man kann nicht davon ausgehen, dass unsere Feinde immer so weiter machen werden und diese bevorstehenden Veränderungen, welche in Bezug auf die Abwehrfähigkeiten bereits hier und heute technologisch möglich sind, nicht wahrnehmen werden.
Deshalb ist es meine Schlußfolgerung, dass die Duellfähigkeit von Kampfhubschraubern hier und heute noch gegeben ist, aber eben nur hier und heute, und nur deshalb, weil die meisten Armeen viel zu Konservativ sind, und viel zu sehr Strukturextrapolierung betreiben. Es gab aber immer in der Kriegsgeschichte militärische Umbrüche. Diese werden auch in naher Zukunft wieder stattfinden. Entsprechend werden Kampfhubschrauber auf dem Schlachtfeld der Zukunft eben nicht mehr Duellfähig sein.
Meiner Meinung nach ist der ganze Abschnitt ein reines Totschlagargument basierend auf Kaffeesatzleserei. Niemand von uns weiß jetzt, wie in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren (symmetrische) Kriege ausgefochten werden. Wir stellen hier Prognosen gegenüber, die auf unseren persönlichen Einschätzungen basierend auf unserer Betrachtung der Vergangenheit und Gegenwart beruhen, und natürlich auf den eigenen Ideen zur Gestaltung der Zukunft. Ich teile deine Erwartungen nicht, ich teile deine Einschätzung hinsichtlich der Möglichkeiten zur Technologieentwicklung und -entfaltung zumindest auf absehbare Zeit nicht, ich teile deine impliziten Gedanken zu Kosten und Risiken nicht und habe auch ein Problem damit, deine hier geäußerte Ansicht einer technologischen Reife mit deinen Gedanken zur kurzfristigen hochtechnologischen Entwicklung zu vereinen. Meine Gründe habe ich hier dargelegt, sie haben rein gar nichts mit irgendwelchen Sentimentalitäten hinsichtlich der bestehenden Strukturen zu tun oder sind ein Ausdruck von mangelndem Reformwillen, und ich halte auch nichts davon, eine Diskussion auf diesem Niveau zu führen (weil es dann nicht mehr um Inhalte geht). Wir haben hier einfach einen Dissens hinsichtlich der Bewertung der weiteren Entwicklung, der sich auch darauf auswirkt, was für Systeme und Fähigkeiten wir in der nahen Zukunft abbilden wollen. Hinterher werden wir schlauer sein, vielleicht werden wir uns in zwanzig Jahren über die Diskussion hier amüsieren (so wie ich mich heute über manchem Beitrag amüsiere, den ich hier vor zwanzig Jahren geschrieben habe).