(Luft) Nachfolge Kampfhubschrauber Tiger
Helios:

Zitat:weder habe ich von irgendwelchen Durchbrüchen gesprochen, noch irgendwelche Gefährdungspotenziale beim Einsatz von Kampfhubschraubern über feindlichem Gebiet relativiert.

Der erste Teil richtete sich ja explizit an euch beide, und man kann meiner Meinung nach das eine hier vom anderen nicht trennen, weil bei jedem Durchbruch die Frage der Luftraumverteidigung des durchbrechenden Verbandes die entscheidende überhaupt ist - überspitzt könnte man sagen, dass ohne Luftüberlegenheit / eine überlegene Luftraumverteidigung sogar gar keine substanzieller Durchbruch möglich sein wird.

Und bezüglich der zweiten Aussage: auch wenn du nun sagst, dass du die Gefährungspotentiale nicht relativierst, meiner Wahrnehmung nach tust du das aber. Du relativierst die Gefährung der Kampfhubschrauber welche dadurch entsteht, dass diese "Näher" an den Feind heran gehen und die dadurch entsteht, dass die Aufklärung auch im Krieg der Zukunft unzureichend sein wird, und der Nebel des Krieges weiter bestehen wird, denn in diesem Punkt sind wir uns ja beide absolut einig. Selbst in einem mit Sensoren vollgemüllten gläsernen Schlachtfeld wird es weiterhin einen Nebel des Krieges geben, dieser wird allenfalls seine Form ändern (ein Übermaß an Informationen in Echtzeit erzeugt auch den gleichen Effekt durch Informationsüberladung, durch Übernutzung der verfügbaren Bandbreiten für den Informationstransporr, durch feindliche Störmaßnahmen usw usw)

Wenn alles aus Glas ist, so ist dass was man durch dieses Glas sieht dennoch oft ungeeignet um den Krieg so zu führen, wie sich das zu viele heute vorstellen. Das ändert aber rein gar nichts daran, dass Hubschrauber eine größere Gefährdung als anderes Kriegsgerät haben, wenn sie zu nahe am Feind operieren und dies ungeachtet ihrer Geländenutzung, etwaiger Reduzierung der Signatur und etwaiger Panzerung. Eine 50mm Maschinenkanone holt jeden Heli auf der Stelle herunter, und für Cobra und AH-64 reichen auch schon 30mm.

Zitat:Selbst in vielen Streitkräften und den Köpfen hochrangiger Militärs ist inzwischen die Vorstellung eines gläsernen Gefechtsfeldes fest verankert, von einem Sieg der Aufklärung genährt von der kontinuierlichen Fortentwicklung der Sensorik und ihrer Vernetzung. Ich halte das für eine inzwischen sehr gefährliche Blase, in der die tatsächlich vorhandenen Fortschritte (und die sind durchaus enorm in den letzten zwei Jahrzehnten) nur noch auf die Möglichkeiten hin reduziert, während die immer noch vorhandenen Unzulänglichkeiten ignoriert werden.

Da sind wir aber völlig einer Meinung. Diese Aussage tätige ich ganz genau so seit Jahren schon. Und selbst wenn man alle Informationen hätte, selbst dann wird dadurch nicht so viel gewonnen wie meist angenommen wird. Den dadurch entsteht meist nur ein schier unbeherrschbares Kaleidoskop, welches dann mit immer größeren, immer langsameren und handlungsunfähigeren Stäben analysiert und zerlegt wird, um den Krieg rein mathematisch-wissenschaftlich zu führen. Krieg aber ist Kunst, eine Kunstform. Selbst wenn es ein gläsernes Schlachtfeld gäbe, wäre daher die Art und Weise mit welcher man hier Krieg führen will immer noch nachteilig bzw. unterlegen. Entsprechend sinkt seit Jahren schon mit der zunehmenden Informationsflut die Geschwindigkeit in allen Prozessen, obwohl durch Rechner als auch die technischen Möglichkeiten der Systeme die Geschwindigkeit in allem völlig konträr dazu eigentlich rasant zunehmen müsste.

Aufklärung und Bekämpfung möglichst weitgehend autark in einer Plattform zu haben, ist daher durchaus ein Argument für Kampfhubschrauber aus genau diesem Aspekt heraus: der Erhöhung der Geschwindigkeit. Simpkins schrieb nicht umsonst von einem Race to the Swift. Aber ich verschließe mich dieser Logik ja gar nicht: sondern mein Argument ist ein ganz anderes:

Aufklärung und Wirkung können heute zunehmend in den Effektor selbst verbaut werden.

Damit müssen sie nicht mehr in der Plattform vorhanden sein und man kann diese anders auslegen. Wir benötigen keine dezidierten konventionellen Kampfhubschrauber mehr, weil man eben die Aufklärung immer weitergehend in den Effektor verbauen kann und damit diese in der Plattform selbst nicht mehr so vorhanden sein muss wie früher. Das gilt für viele Bereiche und Systeme. Beispielsweise bevorzuge ich aus der gleichen Logik heraus Raketenartillerie gegenüber normaler Rohrartillerie und PALR gegenüber einer großkalibrigen BK etc.

Zitat:bin ich der Ansicht, dass wir uns in einem Krieg trotz aller Fortschritte auf ein im Zeitverlauf immer weiter zunehmendes Informationsdefizit einrichten müssen,

Ich will diesen Punkt sogar noch mal steigern, denn meiner Überzeugung nach werden wir schon bei Kriegsbeginn erhebliche Informationsdefizite haben. Diese werden also in meinem Kriegsbild nicht erst mit dem voranschreiten des Krieges entstehen. Und wird sind da absolut einer Meinung und zweifelsohne bin ich technologiefeindlich wie dir gegebenenfalls bekannt sein dürfte. Deshalb ist es hier eigentlich mal eine amüsante Konstellation, dass ich hier eher der Technologie das Wort führe, während du vor ihrer Überschätzung warnst, normalerweise ist das letztgenannte ja eher meine Rolle.

Und ja, eine hohe Gefechtsautonomie ist die zwingende Schlußfolgerung daraus. Diese sehe ich als Notwendigkeit in allen Bereichen, bis hin zur einfachen Infanterie die mir ganz genau so viel zu wenig autonom ist. Aber wie schon oben beschrieben bin ich ja keineswegs gegen eine solche Gefechtsautonomie, sondern ich sehe diese in den Effektoren selbst vorhanden und damit verfügbar. Wenn die Effektoren diese Gefechtsautonomie in sich selbst anbieten können (Zielsuchende Munition / Loitering Munition), dann benötige ich in der Plattform keine so hohe Aufklärungsleistung und muss diese nicht so nahe an den Feind heran:

Zitat:Der Kampf aus der Distanz ist durch eine falsche Wahrnehmung der tatsächlichen Aufklärungsfähigkeiten zu einer heiligen Kuh geworden, die mit Blick auf verschiedene Kriege und Konflikte der letzten Jahrzehnte bis hin in die Gegenwart und durch immer neue Rekorde stetig weiter wächst und so immer mehr Anhänger findet.

Sieh dir beispielsweise mal die Theorien bezüglich RMA in den 90ern an, in welchen dann der Kampf aus der Distanz die primäre Kampfweise aller Einheiten wäre, oder die Planungen der USA zum FCS. Im Prinzip hat man hier bereits sehr vieles was heute zunehmend Realität wird vorweg genommen. Die Tendenz geht daher durchaus in diese Richtung, wie ja auch die praktische Kriegsrealität immer mehr und mehr belegt. Dessen ungeachtet teile ich aber trotzdem deine Kritik an dieser Stelle. Aber das Problem sind hier meiner Ansicht nach nicht primär die technischen Aufklärungsmöglichkeiten, und deren Beschränkungen, sondern wie man überhaupt mit dem Übermaß an Informationen umgeht welches bereits heute vorherrscht. Der menschliche Geist ist bereits jetzt mit der Informationsflut welche die Aufklärungsfähigkeiten bieten so heillos überfordert, dass die konventionellen Strukturen und Vorgehensweisen welche man hier weiter parallel dazu betreiben will nicht mehr funktionieren.

Das ist nicht nur eine Frage der bloßen Datenverarbeitung und Dateninterpretation, und entsprechend auch nicht mit Rechnern, KI usw lösbar - wie das viele erhoffen und sich vorstellen, sondern dass ist inzwischen auch eine Frage der militärischen Kultur, der ideelen Werte in einer Armee, der Doktrin, der Strukturen und der Organisation. Der Kampf aus der Distanz funktioniert, aber er bedarf zunehmend einer komplett anderen Art und Weise und er hakt vor allem auch dort, wo die überkommenen Formen der Streitkräfte nicht mehr den Anforderungen der Kriegsführung entsprechen. Die Aufklärung stellt damit meiner Ansicht nach die bisherigen Konzepte der Kriegsführung in Frage. Nicht weil sie das Schlachtfeld gläsern macht, und man damit alles wüsste, sondern weil man stattdessen von einem Zentrum aus gelähmt in das Kaleidoskop der Informationen starrt und weiter versucht zentralisiert und in konventionellen Hierarchien zu agieren.

Bezüglich Kampfhubschraubern wirft das meiner Meinung nach die Frage auf, wie frei solche Verbände agieren können und sollen, und wie es mit der tatsächlichen realen Gefechtsautonomie in einer vernetzten Kriegsführung aussieht, in welcher die Vernetzung der Einheiten für ein Übersteuern der geführten unteren Ebenen und zu viel Mikromanagement führt.

Zitat:Wenn man dieses Informationsdefizit mit den tatsächlichen Quantitäten kombiniert, insbesondere wenn du hier eine nationale Verteidigungsfähigkeit als Ziel ausgibst, dann steht für mich unzweifelhaft fest, dass wir in einem echten Krieg immer wieder und zunehmend in Situationen geraten werden, in denen es eine “Feuerwehr” braucht.

Selbstverständlich, dass steht außer Frage. Du könntest auch noch viel einfacher von einer hochmobilen, sehr schnellen und sehr kampfstarken Reserve sprechen, dass wäre meiner Meinung nach noch präziser.

Zitat:Und für eine solche gibt es durchaus verschiedene Ansätze, denn die Notwendigkeit eines Kampfhubschraubers ist kein Axiom, es muss aber eine ganzheitliche Ausrichtung dahinter stehen.

Ebenso, sind wir hier absolut einer Meinung. Gerade aber weil der Kampfhubschrauber hierfür eben kein Axiom ist, sollte man ihn viel kritischer hinterfragen.

Keine Alternative sind in meinen Augen auch deshalb schon bewaffnete Transporthubschrauber mit selbstaufklärenden Abstandswaffen, die im Endeffekt nur die gleichen Fähigkeiten aus der Distanz abbilden sollen und eine vermeintlich höhere Flexibilität versprechen.

Da kommen wir nicht zusammen, denn die Flexibilität ist aufgrund der größeren Gesamttransportkapazität und der sonstigen Möglichkeiten dieser Helis meiner Überzeugung nach nun mal sehr viel größer.

Und selbstaufklärende Abstandswaffen, spezifisch also zielsuchende Munition, bieten nun mal faktisch die gleichen Fähigkeiten, insbesondere die Gefechtsautonomie in der Kombination von Aufklärung und Wirkung in einem System und stellen damit den Kampfhubschrauber gerade eben deshalb in Frage. Verbleibt dann nur die Frage der effektiven Gesamtreichweite, und deshalb die Verbringung der zielsuchenden Munition per Transporthubschrauber. Damit würde ich diese nicht einmal unbedingt als bewaffnete Transporthuschrauber bezeichnen und die Frage einer etwaigen zusätzlichen Bewaffnung derselben kann und sollte unabhängig von der Frage des Einsatz zielsuchender Munition auf diese Weise stehen.

Ich schrieb ja auch schon explizit, dass die Transporthelis entsprechend auch Einheiten am Boden absetzen können. Entsprechend können vielfältige Wirkmittel dann auch vom Boden aus eingesetzt werden können, nicht nur vom Helis aus. Das reicht von leichten Panzerjägern mit PALR bis hin zu Minen, und auch die Steuerung der Loitering Munitions und anderer Effektoren muss eben nicht zwingend vom Helis aus erfolgen (wie es bei einem Kampfhubschrauber ja immer der Fall ist), sondern diese Systeme werden optional auch entsprechend vom Boden aus gesteuert.

Das war mal gerade Teil 1, ich hab leider einfach zu wenig Zeit.
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Nachfolge Kampfhubschrauber Tiger - von Helios - 18.03.2023, 10:45
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