(Luft) Nachfolge Kampfhubschrauber Tiger
(28.03.2023, 16:57)Broensen schrieb: Ich sehe den Fokus auf die hohen Reichweiten und Geschwindigkeiten bei FLRAA/FARA äußerst kritisch und halte diesen insbesondere für europäische Belange für nicht sinnvoll. Die sich zwangsläufig ergebenden Einschränkungen beim Design sind aus deutscher Sicht mMn nicht gerechtfertigt für einen Leistungszuwachs, der in dieser Form gerade bei einer LV/BV-Betrachtung keine entscheidende Rolle spielen dürfte.

Das meinte ich nicht, mir geht es um die Willkürlichkeit mancher Forderung. Nach dem von mir bereits erwähnten Angriff auf Kerbela wurde festgelegt, dass der neue unterstützende Aufklärer zwingend in Städten operieren muss und daher nicht größer als der Kiowa sein darf; dieser hat einen Rotordurchmesser von 35 Fuß. Das ist aber zu klein um die anderen festgelegten Leistungsparameter zu erreichen, insbesondere Geschwindigkeit und Reichweite bei festgelegter maximaler Zuladung. Aus dem Grund hat man dann den Rotordurchmesser auf 40 Fuß erhöht, ohne dass es für diese Zahl eine konkrete Ableitung gab. Man wählte eine Grenze ohne Substanz, die für das gesamte Muster entwicklungsprägend wurde. Ähnlich verhält es sich etwa auch bei der Geschwindigkeit.

Das Problem dabei ist die technische Fokussierung. Wenn für 100% Leistung 100% Aufwand notwendig sind, dann sind es für 90% Leistung nur 70% Aufwand. Umgekehrt werden es für 110% Leistung 150% Aufwand. Die Zahlen sind jetzt natürlich fiktiv, es geht nur um das Prinzip. Anstatt den Herstellern grundsätzliche Entwicklungsschwerpunkte zu benennen, so dass diese eine ihrer Meinung nach optimale Lösung in Bezug auf Größe, Gewicht, Geschwindigkeit und Reichweite anbieten, gab man diese selbst vor und sorgte so dafür, dass die Optimierung nicht einsatzbezogen erfolgt, sondern nur technische Vorgaben erfüllt. Für die Kriegstauglichkeit ist es in den allermeisten Fällen völlig egal ob der Rotordurchmesser 40 oder 42 Fuß beträgt, oder ob die maximale Geschwindigkeit bei 205 oder 195 Knoten liegt. Technisch ist es aber tatsächlich ein enormer Unterschied. Das tatsächliche Schlimme ist, dass am Ende das Produkt die technischen Vorgaben erfüllen mag und so der Eindruck entsteht, dass das Programm erfolgreich war - was aber hinsichtlich der Leistungsfähigkeit hätte sein können, also die Opportunitätsverluste, die lassen sich nur herleiten.

Wenn man sich die beiden FARA-Finalisten anschaut, dann hat Bell es anscheinend geschafft, die komplexen Anforderungen tatsächlich mit einem konventionellen Design zu erfüllen. Das funktioniert aber auch nur, weil man mit der Bell 525 ein gerade so passendes technisches Basisdesign entwickelt hatte und einen Trick zur Auftriebskompensation verwendet, in dem man die Geschwindigkeit des Hauptrotors ab dem mittleren Geschwindigkeitsbereit reduziert und den Auftrieb durch die Flügel erzeugt. Wie sich das letztlich auf die Agilität und den niedrigen Geschwindigkeitsbereich auswirkt bleibt abzuwarten, aber eine vergleichsweise elegante technische Lösung für diese schwierigen Bedingungen. Die Lösung von Sikorsky ist dahingehend technisch brachial weil deutlich komplexer, und in meinen Augen eben entsprechend "furchtbar" (man könnte es auch "verkopft" nennen).

Zitat:Wenn man mal alle subjektiven Abneigungen und die zu erwartenden medialen Reaktionen außen vor lässt: Wie wäre es denn eigentlich mit einem Tiger Mk.IV?
Darunter verstehen würde ich den Neubau einer nationalen Variante, bei der alle bisherigen Fehleranalysen und Weiterentwicklungen einfließen können und bei der man sich darauf konzentriert, ein einsatzbereites Gerät abzuliefern. Somit würden sich die Leistungsvorgaben an diese neue Version kaum von den bisherigen unterscheiden. Die darüber hinaus gehenden neuen Vorgaben würden sich beschränkten auf Verfügbarkeitswerte, Instandhaltungsintervalle, Wartungsaufwand etc.

Die Frage ist, ob sich der Aufwand der Entwicklung einer solchen Variante letztlich lohnt und in wie weit man diesen von einer kompletten Neuentwicklung basierend auf bestehenden kommerziellen Komponenten differenziert. Als Vergleichsmaßstab könnte beispielsweise der AW249 dienen, bei dem ja insbesondere auch die Ökonomie im Vordergrund steht und der deshalb bewusst auf komplette Eigenentwicklungen in den kritischen Bereichen eines solchen Musters verzichtet.
Um da ein Beispiel zu nennen, die Triebwerke des Tigers werden nur von diesem verwendet und müssten diesen grundsätzlichen ökonomischen Nachteil durch eine entsprechend optimierte Auslegung ausgleichen, was allerdings real nicht passiert. Lohnt es sich, weit auf dieses Design zu setzen, sollte man es hin zu einer ökonomischeren Lösung verändern, oder sollte man es ersetzen?
Ersteres würde bedeuten, dass man hier größeres Optimierungspotenzial verschenkt, zweiteres bedeutet einen erhöhten zeitlichen und finanziellen Aufwand, und letzteres eine deutlich stärkere Überarbeitung der bestehenden Komponenten. Zudem stellt sich die Frage, wie die Differenzierung zum Mark III wirklich aussehen würde, und was die dann zwei Typen wieder für eine höhere Zusatzkosten verursachen.

Ich will damit jetzt solch einen Weg nicht gleich absägen, aber es fällt mir schwer in einem solchen Weg einen Vorteil gegenüber anderen "europäischen" Lösungen zu finden.

Zitat:Ein wichtiger Aspekt bei einem solchen Mk.IV wäre das Signal, trotz des Verzichts auf den Mk.III nicht aus dem Konzept eines gemeinsamen europäischen Kamphubschraubers auszusteigen und somit einen vollwertigen Tiger-Nachfolger im Rahmen von, bzw. zwischen MGCS und FCAS wieder ins Spiel zu bringen. Auch wenn ich weiß, dass viele hier genau das nicht haben wollen, würden mich die Meinungen zum Vorschlag "Mk.IV" interessieren.

Das Update zu Mark III wird ja nicht nur in Deutschland kritisch gesehen. Es stellt sich auch die Frage, warum der Entwicklungsumfang von Mark III davon abhängt, wie viele zahlende Partner man vereint. Vielleicht wäre es jetzt der richtige Zeitpunkt, um gemeinsam über eine Nachfolgeentwicklung zu sprechen anstatt diese weiter nach hinten zu schieben? Wie hier bereits erwähnt, wenn man jetzt beginnen auf ein auf zivilen Hauptkomponenten aufbauendes Projekt aufbaut, neue Sensorik und funktionierende Effektoren verwendet und für die neuen Komponenten auf Entwicklungen für den Tiger zurück greift, ohne sie direkt zu übernehmen, könnte bis Anfang der dreißiger Jahre durchaus ein funktionierendes, effektives und effizientes System entstehen - theoretisch. Praktisch ist das natürlich unrealistisch. Wink
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