(Luft) Nachfolge Kampfhubschrauber Tiger
#93
(24.03.2023, 14:34)FJ730 schrieb: Das wäre auch politisch der einzig gangbare Weg (allenfalls noch die AW 249) gewesen, sofern man die Fähigkeit hätte aufrecht erhalten wollen.

Es hätte durchaus auch noch andere Wege gegeben, etwa in dem man gemeinsam eine reine Obsoleszenzbeseitigung beim Tiger beschlossen und gleichzeitig ein Nachfolgeprogramm aufgelegt hätte, dass die elementaren Problemfelder angeht. Das mag zwar aufgrund der industriepolitischen Dimensionen und dem fehlenden Vertrauen unrealistisch sein, aber so ein Programm hätte man durchaus bis zum Ende des Jahrzehnts realisieren und zu einem guten Ergebnis bringen können. Man hätte auch aus dem AW249 ein solches Projekt machen können, Italien hat aktiv nach Partnern gesucht die sich auch an Entwicklung und Fertigung beteiligen. Das hätte natürlich bedeutet, dass man sowohl in Deutschland wie Frankreich einen relevanten Teil der nationalen Forderungen aufgibt und die bisherige Auslegung akzeptiert. Das klingt auch unrealistisch, aber durch entsprechende industrielle Anteile hätte man das kompensieren können. Aber hätte hätte hätte. Die Frage ist halt, wie es jetzt weitergehen soll. Um da zu einem sinnvollen Ergebnis zu kommen müssten erstmal alle verstehen, wo die Probleme liegen. Und daran hakt es ja schon beiderseits des Rheins.

Zitat:Bei der Entscheidung für oder gegen ein Muster sind also immer drei Dimensionen zu beachten.
Politische, militärisch sinnvolle und wirtschaftliche.

Diese lassen sich aber nicht isoliert für sich betrachten, sondern sind auch immer miteinander verflochten und wirken sich über unterschiedliche Zeiträume auch unterschiedlich aus. Ohne das jetzt hier groß ausdiskutieren zu wollen, aber wer da auf einfache Antworten kommt, der liegt vermutlich falsch.

Zitat:Für das Ministerium haben offenbar politische und wirtschaftliche Argumente überwogen, die Fähigkeit de facto aufzugeben, das offiziell (typisch deutsch) jedoch nicht zuzugeben. Man versucht sich mal wieder irgendwie durchzuhangeln und einer konsequenten Entscheidung aus dem Weg zu gehen.

Es hat den Anschein, aber ob es so stimmt ist natürlich die wichtige Frage. Denn die Beschaffung einer größeren Zahl an H145M war ja bereits seit einiger Zeit geplant, ebenso wurden damals neben den Ausbildungs- und Betriebsaspekten zusätzliche Rollen angeführt, die wie hier schon mehrfach erwähnt ja auch durchaus Sinn ergeben. Die Entscheidung ist im Zuge der Entwicklungen des letzten Jahres nach hinten gerückt, was auch verständlich ist, die grundlegende Problematik besteht aber weiter fort. Ohne einen Plan für den Tiger bzw. dessen Nachfolge ist es natürlich nur ein Verschieben des Unausweichlichen, aber das eine muss aktuell nicht zwingend etwas mit dem anderen zu tun haben. Nur um hier mal den Advocatus Diaboli zu spielen. Wink

Zitat:Die Administratoren mögen es mir nachsehen, verschieben oder mich gerne rüffeln - wenn sie das für unpassend in diesem Strang erachten, jedoch halte ich die grundsätzliche Frage nach Einsatzmöglichkeiten für moderne Kampfhubschrauber im Zusammenhang mit einem Tiger Nachfolger für wichtig.

Die Frage ist elementar wichtig und wurde von mir hier ja auch schon gestellt, hier sollte sie halt im engen Kontext diskutiert werden. Was deine Beobachtungen zum Einsatz von Hubschraubern in der Ukraine angeht, kann ich dir allerdings nur bedingt zustimmen. So ist etwa die gern gezeigte Angriffstaktik aus dem Tiefflug aufzusteigen und ungelenkte Raketen ballistisch zu nutzen nicht neu entstanden, sondern ein seit gut 40 Jahren eine übliche ehemals sowjetische, nun eben russische bzw. ukrainische Taktik. Davor hat man diese Angriffe aus mittleren Höhen begonnen und im leichten Sinkflug durchgeführt, was in Afghanistan durch schultergestützte Flugabwehrraketen zu einem Fiasko wurde. Ebenso muss man bedenken, dass schon für die Sowjets die Panzerjagd nicht das oberste Ziel beim Einsatz von Kampfhubschraubern lag und man tatsächlich dieser Rolle immer nur ein Nischendasein gestattete. Zwar ging es bei der Ausschreibung, die zu Mi-28 und Ka-50 führte tatsächlich um einen dedizierten Panzerabwehrhubschrauber, beide Muster wurden aber trotzdem auch in die klassischen Rollen als Schlachthubschrauber (so würde ich das nun bezeichnen) gepresst. Daraus entstand dann ein Ka-52, der in der Ukraine vor allem deshalb sein Desaster erlebte, weil man so einen Hubschrauber in einem symmetrischen Krieg tatsächlich nicht einsetzen kann. Die Verlustquote des Mi-28 soll deutlich geringer sein (genaue Zahlen gibt es ja nicht, nur anhand der absoluten Verlustzahlen lässt sich nichts beweisen), auch weil dieser weitaus moderner verwendet wird (also aus der Deckung bzw. dem dauerhaften Tiefflug agierend aus der Distanz).
Was sich im Krieg geändert hat sind die Einsatzräume, während man Anfangs die Kampfhubschrauber noch klassisch als Speerspitze für tiefe Vorstöße verwendet und deutliche Verluste erlitten hat, agieren diese nun deutlich näher zur Front. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass schon vor dem Krieg entsprechende Diskussionen in den USA geführt wurden, mit dem Ergebnis, dass der Apache in seiner klassischen Verwendung (also ebenfalls als hinter der Front agierender Vorschlaghammer) der letzten Jahrzehnte auf einem modernen Schlachtfeld nicht mehr eingesetzt werden kann. Sowohl die theoretischen Überlegungen der USA (die hier im FARA im übrigen die Lösung für derartige Einsätze sehen) als auch die praktischen Erfahrungen aus dem aktuellen Krieg decken sich zumindest in diesem Punkt.

Eine wichtige Frage ist also, erwartet man in Zukunft wieder russische Panzerhorden, oder geht es eher um die flexible Unterstützung einer aufgrund der geringen Quantität punktuellen, frontlosen Kriegsführung? Und welche Möglichkeiten werden sich realistisch aus dem Einsatz von UCAVs ergeben? Zumindest letzteres muss man losgelöst vom immer noch vorhandenen Hype betrachten. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren werden wir vermutlich keine autonomen VTOL-UCAVs an der Front erleben, wir werden auch nur begrenzte größere Aufklärungsmittel dieser Art dort antreffen, selbst wenn die Entwicklung nun beschleunigt werden sollte.
Gelenkte Leichtraketen sowie Lenkwaffen mit größeren Reichweiten werden immer wichtiger, das erfordert Einsatzmittel, die mit geringer Signatur und aus der Deckung heraus operieren können. In diesem Bereich werden Hubschrauber rein aufgrund der Topographie auch in zwanzig Jahren noch sinnvoll verwendbar sein, selbst über feindlichem Gebiet, sofern sie über einen ballistischen Schutz, eine geringe Signatur und eine hohe Mobilität verfügen und hinreichende Aufklärungsfähigkeiten mitbringen, um sich den größeren Gefahrenquellen zu entziehen.

Ein umgebauter Zivilhubschrauber könnte für Einsätze auf größere Distanzen unter Nutzung von modernen Lenkwaffen durchaus einen sinnvollen Nutzen haben, insbesondere aufgrund der Flexibilität und Mobilität und den vermutlich geringen Kosten im Vergleich zu dedizierten Kampfhubschraubern. Er braucht aber zwingend eine ausreichende Ausdauer und Zuladung, und entsprechende Aufklärungsmittel. Also entweder die Vernetzung mit externen Aufklärungsquellen (so wie es aktuell beispielsweise der Apache mit MUM-T betreiben kann), oder das mitbringen eigener "teilautonomer" Aufklärungsquellen, also in Form eines Drohnenmutterschiffs, oder durch eine leistungsfähige integrierte Sensorik. Ersteres erfordert eine entsprechende Infrastruktur drum herum, die es aktuell in der Bundeswehr in der Ausprägung nicht gibt. Zweiteres hingegen benötigt ein größeres Muster oder die Verteilung der verschiedenen Rollen auf unterschiedliche Muster, oder den größeren Einsatz von Loitering Munition. Letzteres hingegen muss aus der Deckung heraus funktionieren, wir sprechen also über Sensoranlagen auf dem Rotorkopf. Jetzt kann sich jeder überlegen, wie da der H145M wirklich ins Bild passt.

Für den Einsatz deutlich näher zur Front oder auch hinter den feindlichen Linien braucht es dann wirklich ein dediziertes Muster mit hoher Mobilität, geringer Signatur, hinreichendem Schutz und guter Sensorik. Sowas ist nicht auf ziviler Basis realisierbar, zumindest nicht ohne massive Umbauten.

(25.03.2023, 08:33)Fox1 schrieb: Der AH1 wurde ja ursprünglich aus der UH1 entwickelt, weil man eben für den Kampfhubschrauber die schmalere Silhouette wollte - für verringerten Luftwiderstand/erhöhte Flugleistungen und geringere Sichtbarkeit, vielleicht auch mehr Treibstoffvolumen.

Wäre es nicht vorstellbar, diesen Weg auch bei der H145 M zu gehen, Avionik, etc. aber gleich zu lassen ? Ob man dann eine Kanone integrieren sollte, wäre unabhängig zu beantworten, aus meiner Sicht nach der Diskussion bei Tiger aber zu bejahen.

Das haben wir hier in den letzten Tagen schon angesprochen und auch früher bereits im Forum diskutiert, das große Problem dabei ist, dass die Grundvoraussetzungen deutlich andere sind. Anders als der UH-1 ist der H145 auf Ökonomie optimiert, aerodynamisch deutlich besser und besitzt mit einer Leichtbauzelle bereits ein geringes Gewicht. Das Gewinnpotenzial wäre entsprechend gering, der ballistische Schutz etwa würde jede Gewichtsersparnis wieder auffressen, der Gewinn an Maximalgeschwindigkeit ist nicht entscheidend. Die Kritikpunkte liegen im Bereich der Mobilität bei hoher Zuladung, welche Flugleistungen bietet der Hubschrauber mit einer einsatzangemessenen Waffenlast? Und welche Sensorik könnte wie ins Feld geführt werden? Daran würde ein Hubschrauber mit neuer Zelle genauso kranken wie der H145M jetzt. Wenn man einen solchen Umbau plant, sollte man eher ein anderes, leistungsfähigeres Basismuster wählen. Die Wertschöpfung könnte dabei ja trotzdem noch in Deutschland entstehen.
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