(Zweiter Weltkrieg) Unternehmen Barbarossa
#25
@Rudi
Zitat:Der russ. Historiker Igor Bunitsch hat ja den so genannten Vorbefehl vom 11.6.41 vorgestellt, allerdings ohne Quellenangabe, weshalb dieser strittig ist. In diesem soll stehen: ... haben zum 1.7.41 zur Durchführung von Angriffsoperationen bereit zu sein...
Abgesehen davon, dass es i. d. T. keine Quelle gibt, wäre ein solcher Befehl nicht zwingend ein Beleg für eine Angriffsabsicht. Man muss bedenken, dass es in totalitären Staaten gerne auch gesehen wird, wenn man etwas herbeizaubert, was irgendwie nach einem gewissen Aktionismus aussieht (angesichts der Lage der Roten Armee im Sommer 1941 könnte man in diesem Befehl statt "Durchführung von Angriffsoperationen" auch "Durchführung der ersten Marsmission" schreiben - realistischer wird der geforderte Umstand dadurch allerdings nicht). Heißt: Völlig egal, auf wen dieser Befehl nun möglicherweise zurückgeht, gilt es festzuhalten, dass die Rote Armee 1941 in keinster Weise angriffsbereit war. Ich hatte es auf der vorangegangenen Seite geschrieben: Anfang Juni 1941 meldeten sich rund zwei Dutzend Divisionskommandeure bei Schukow und sagten faktisch, dass ihre Divisionen nicht einsatzbereit seien - von Angriffsbereitschaft ganz zu schweigen. Und um diese Einsatzbereitschaft überhaupt befehlen zu dürfen, mussten Schukow und Timoschenko (die beide die Gefahr witterten) Stalin geradezu belagern - und dies taten sie über Monate hinweg, da sie immer mehr Hinweise bekamen, dass die Deutschen munter einen Aufmarsch zelebrierten.
Zitat:Nun wird aber die Existenz dieses Befehls durch zahlreiche weitere Befehle und Direktiven gestützt. Bspw. wurde der Seekriegsflotte der UdSSR am 11.6. die Aufgabe gestellt, die vollständige Kampfbereitschaft herzustellen.
Korrekt. Das war aber nur "Alarmstufe 3". Und man sollte hinzufügen, dass die Seekriegsflotte noch am ehesten wusste, dass die Deutschen was im Schilde führten. Admiral N. G. Kusnezow, Volkskommissar der Marine, hatte zuvor laufend Nachrichten erhalten, dass deutsche Schiffe in den sowjetischen Küstengewässern aktiv sind und teils schon Minen geworfen hatten (!). Er war auch einer der Führungsoffiziere - neben Schukow u. a. -, die die Tatenlosigkeit der politischen Führung angesichts von Hitlers Aufmarsch mit großer Sorge sahen, aber er hatte sich nach einem Streit mit Stalin 1939 über den Bau von Großkampfschiffen (und es konnte durchaus sehr gefährlich sein, sich Ende der 1930er Jahre mit Stalin zu streiten) aus existenziellen Gründen verständlicherweise mit Widerspruch seitdem zurückgehalten. Aufgrund dieser Meldungen gab er am 19. Juni 1941 für die ihm unterstellten Flottenkommandos die "Alarmstufe 2" und am 21. Juni, um 23.37, Uhr die "Alarmstufe 1" (hohe Kriegsgefahr) aus. Einen Befehl zur Bereitmachung zum Angriff gab es aber nie.

Übrigens beschreibt dies auch Steigleder - dieser ist auch ehem. DDR-Offizier, aber im Gegensatz zu Schwipper nicht in den revisionistischen Bereich gegangen, sondern eher stramm auf der SED-Linie geblieben. Sonderlich glaubwürdig wird Steigleder dadurch übrigens nicht, da er einige fachliche Fehler in seinem Buch hat.
Zitat:Es gibt eine Weisung, ebenfalls v. 11.6., zum Vorziehen der Verbände der operativen Staffeln der Militärbezirke sowie der Fliegergeschwader aus der Tiefe auf grenznahe Plätze bis zum 25.6.
Ja, aber das entspricht der sowjetischen Doktrin (und entspringt den technischen Unzulänglichkeiten [Reichweite] der damaligen Flugzeugmuster).

Um das zu erläutern: In dem "Entwurf der Felddienstordnung 1939" (ich habe mir diese aktuell nochmals herangezogen) der sowjetischen Streitkräfte wird die These aufgestellt, dass ein Krieg im Regelfall sehr überraschend beginnen würde, sehr wahrscheinlich ohne eine Kriegserklärung (da lagen die Planer in Bezug auf "Barbarossa" durchaus richtig). Da man insofern den genauen Angriffszeitpunkt nicht sicher vorhersagen könnte, aber von einem Überfall ausging, ging man in der Annahme, dass man die Angriffsabsichten frühzeitig erkennen und durch einen eigenen Gegenschlag negieren müsste. Hierzu war es aber notwendig, entsprechend Truppen bereit zu halten und notfalls in die Bereitstellungsräume des Gegners vorzudringen.

Es gab intern übrigens starke Kritik an diesem Konzept, vor allem daran, dass es keine Pläne gab, wie defensiv vorgegangen werden sollte. Angesichts der stalinistischen Säuberungen hielten sich aber führende Offiziere mit allzu deutlicher Kritik zurück. D. h. man drehte ein mögliches defensives Konzept um in ein rein offensives bzw. nahm an, sich mit einem rein offensiven Konzept defensiv verhalten zu können. Und das ist natürlich nur unter optimalsten Bedingungen möglich, wenn man grob weiß, wann der Angriff kommen soll, wenn alle Truppen in Bereitschaft sind, wenn alle Truppen entsprechend gut ausgebildet und ausgestattet sind, wenn die Ziele der eigenen Operation klar definiert sind, wenn die Führungsoffiziere erfahren sind, wenn der Gegner nicht eine hervorragende Armee heranführt, die zudem noch technisch, in der Führung und im Verbund überlegen ist...

Wenn...

In der Realität standen die Truppen zwar in der Landschaft, waren aber faktisch nicht einsatzbereit, oftmals unterbesetzt, waren schlecht versorgt, hatten veraltetes Gerät (davon aber sehr viel), hundsmiserable Verbindungen, wurden durch unerfahrene Offiziere geführt und sahen sich einem hochprofessionellen Gegner gegenüber, der im Sommer 1941 vermutlich den Spitzenpunkt seiner militärischen Führungskunst erreicht hatte. Ach ja, und sie hatten noch eine Führung, die von einem Angriff der Wehrmacht nichts wissen wollte.

Ergo: Die sowjetischen Bewegungen 1941 waren Teil einer Defensivstrategie, sie waren darauf ausgelegt, mit eigenen Gegenstößen zu reagieren, wenn man angegriffen werden würde. Eine direkte, eigene Angriffsvorbereitung waren sie aber nicht. Abgesehen davon wären die sowjetischen Truppen 1941 zu einer Angriffsoperation überhaupt nicht fähig gewesen. Bzw. eine solche wäre zum Fiasko geworden, wenn man mit diesem Wanderzirkus in die "Tiefe des Raumes der Wehrmacht" hätte vorstoßen wollen.

Schneemann
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