01.12.2022, 13:03
(01.12.2022, 10:59)Quintus Fabius schrieb: Betreiben kann man das zweifelsohne. Aber es macht keinen Sinn und ergibt für sich keine kriegsfähige Struktur. Und wenn die realen praktischen Grenzen dergestalt sind, dass wir uns nicht alles leisten können, dann muss man von unten her die Struktur so aufbauen, dass sie trotz dieser Lücken kriegsfähig ist. (...)
Um ein bewusst übertriebenes / besonders plakatives Beispiel zu bemühen: eine Bundeswehr nur aus Kampfflugzeugen und Sanitätern ist sinnfrei. Sie kann die Sicherheit der Nation allenfalls indirekt über die Unterstützung anderer mitleisten. Eine Bundeswehr nur aus Jägern könnte hingegen dem verfassungsgemäßen Auftrag sogar eher nachkommen als das was ist.
Du sprichst immer wieder von Kriegsfähigkeit, aber mit keinem Wort davon, was für einen Krieg wir überhaupt führen könnten. Um jetzt mal bei den übertriebenen / besonders plakativen Beispielen zu bleiben, wenn Russland beschließt, unsere Wirtschaft mit Abstandswaffen und Schutt und Asche legen zu wollen, und unsere Bündnispartner in NATO und EU wegschauen, nützen dir deine Jäger wenig. Der verfassungsmäßige Auftrag muss immer im Kontext der erwarteten Bedrohungen gesehen werden. Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass wir alleine einen großen, klassischen Landkrieg führen (ähnlich jenem, der jetzt in der Ukraine stattfindet) für verschwindend gering, insofern ist die Ausrichtung auf Basisfähigkeiten in erster Linie die Ausrichtung auf einen Bündniskonflikt. Und an der Stelle fehlt mir die Kohärenz in deiner Argumentation. Auf der einen Seite kritisiert du die Ergänzung von militärischen Grundfähigkeiten anderer Staaten durch deutsche Zusatzfähigkeiten als Auslagerung der Verteidigungskosten anderer auf den deutschen Steuerzahler. Auf der anderen Seite forderst du starke deutsche Basisfähigkeiten als Keim einer europäischen Armee, die primär diesem genannten Szenario der Bündnisverteidigung dient, was letztlich hinsichtlich der Finanzierung nichts anderes ist. Beides bedeutet, dass wir unsere Sicherheit im Bündnis erkaufen, beides bedeutet, dass wir unsere militärischen Fähigkeiten ausbauen, es ist lediglich ein anderer Schwerpunkt.
Ich kann deinem Argument, dass sich kein Bündnispartner auf eine engere Verbindung und damit der Bildung einer echten europäischen Armee einlassen wird, wenn wir selbst nicht unsere Kampfkraft deutlich erhöhen, ja durchaus folgen. Ich sehe es genauso und sah es nie anders. Ich bin aber der Meinung, dass diese Kampfkraft nicht nur auf Basisfähigkeiten aufbauen muss, die bereits jetzt prinzipiell in großer Zahl in Europa vorhanden sind, und dass wir durchaus auch durch andere Fähigkeiten eine entsprechende Stärke generieren können, die andere Nationen zur Zusammenarbeit bewegt. Natürlich braucht es trotzdem einen Kern an Basisfähigkeiten, und natürlich muss politisch und finanziell konsequent die Einsatzfähigkeit der aktuellen Einheiten der Bundeswehr hergestellt werden. Beides habe ich nicht in Abrede gestellt, beides erachte ich als notwendig, aber dies darf nicht gegenüber einer Langzeitentwicklung gegengerechnet werden. Und zu dieser gehört für mich eben nicht der Ausbau der vorhandenen Basisfähigkeiten. Ich bin sogar der Meinung, und lustigerweise waren wir uns hierbei noch vor wenigen Wochen sogar einig, dass mittelfristig sogar eine Reduktion des Heeres und ein Ausbau von Zusatzfähigkeiten ein sinnvoller Weg sein könnte, wenn er entsprechend durch politische und finanzielle Verpflichtungen und Kooperationen gestützt wird.
Zitat:Da haben wir einen vollständigen Dissens. Meiner Überzeugung nach können wir in einer souveränen europäischen Sicherheitspolitik nur dann voran kommen, wenn Deutschland ernsthaft und massiv militärisch aufrüstet und aus einer solchen nationalen militärischen Stärke heraus einen ersten Kondensationskeim für eine europäische Streitmacht bildet.
Da gibt es keinen Dissens. Der Dissens liegt darin, wie diese militärische Stärke aussehen sollte. Wenn man mal von nationale politische Interessen (wie im Fall Polens) absieht, warum geht von den USA eine derartige sicherheitspolitische Strahlkraft aus, dass europäische Nationen eher an einer transatlantischen als an einer paneuropäischen Zusammenarbeit interessiert sind? Es geht dabei vermutlich in der Reihenfolge sogar um die politischen Rahmenbedingungen, um die nukleare Abschreckung, und durchaus auch um konventionelle militärische Stärke. Aber bei letzterer sind es doch nicht militärische Basisfähigkeiten, die hier eine besondere Rolle spielen, sondern exakt jene militärische "Zusatzfähigkeiten", die uns in Europa fehlen. Und der technologische Vorsprung der aktuellen Technik.
Was die Hochtechnologie angeht, ich sehe da nicht zu viele Baustellen, und ich halte gerade die Großprojekte für elementar wichtig sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene. Und gerade aufgrund der Laufzeiten der Entwicklung, aber auch des Betriebs, würden wir hier mit einem Verzicht einzelner Aspekte Jahrzehnte verlieren, in denen sich die Abhängigkeit verstärkt und die europäische Zusammenarbeit erschwert wird. Eine EU-Armee ohne rüstungsindustrielle Souveränität ist ein Trugbild, dabei bleibe ich. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, dass es jeweils der maximale technologische Schritt sein muss. Aber es sollte definitiv eine entsprechende Fokussierung auf der generellen Weiterentwicklung in diesen Bereichen. Wir haben jetzt bereits Probleme, weil wir (Europäer) es in der Vergangenheit nicht geschafft haben, einen gemeinsamen Weg zu definieren. Diesen Fehler dürfen wir nicht immer und immer wiederholen, denn jedes Mal geht ein weiteres Stück technologischer Leistungsfähigkeit verloren, bis am Ende gar nichts mehr übrig bleibt.