28.10.2022, 22:30
Rein persönlich bin ich ein entschiedener Apologet sowohl der Auftragstaktik als auch der Manöver-Kriegsführung bzw. des Bewegungskrieges, wobei man hier Bewegung nicht einfach nur als eine Bewegung von Einheiten durch das Gelände verstehen darf, sondern der Begriff viel weiter gefasst werden muss. So gibt es ebenso eine Bewegung in der Zeit wie auch eine Manöverkriegsführung in einer reinen stationären Defensive usw.
Dessen ungeachtet gibt es im Krieg einfach keine Axiome und die für eine solche extreme Position wie die meine notwendigen Grundlagen und Umstände sind einfach real praktisch sehr oft nicht gegeben bzw. nicht vorhanden. Und was dann?
lime:
Dieses Narrativ - auch wenn es immer wieder wiederholt wird - stimmt genau so wenig wie die Annahme, dass die Wehrmacht in den ersten Operationen (Polen, Frankreich) überlegen gewesen wäre. Das Bild der zahlenmässig und vor allem vom Material her deutlich unterlegenen Wehrmacht, die primär vor allem anderen wegen dieser rein materiellen Unterlegenheit verlor, ist nicht ganz richtig. In den Fällen, wo eine möglichst weitgehende Parität herrschte, erwies sich die Wehrmacht eben nicht per se überlegen, vor allem nicht in der Art wie es Crefeld propagiert hat. Natürlich ist das ein Narrativ dass einem Deutschen schmeicheln muss, aus unserer Perspektive vieles scheinbar erklärt und schlussendlich die Schuld für das militärische Scheitern abwälzt.
Werter Pogu:
Seltenst dass wir mal nicht einer Meinung sind, aber die scharfe Trennung welche du hier zwischen Wehrmacht und Drittem Reich vornimmst teile ich so nicht. Das ist übrigens in keinster Weise eine moralische Wertung. Gerade in einem rein militärwissenschaftlichen Kontext sollte man sich überhaupt moralisch-ethischer Fragen enthalten bzw. diese erst gar nicht aufwerfen.
Im weiteren ist die Kausalkette welche du hier anreißt fragwürdig: wo die Wehrmacht querschnittlich überproportional höhere Verluste beim Feind erzeugte, lag dies an einem ganzen Faktorenbündel und eben keineswegs an der Auftragstaktik allein. Und eine solche höhere militärische Leistung wurde von deutschen Soldaten auch dort erbracht, wo man eben nicht per Auftragstaktik kämpfte.
Zudem sind bei diesen Werten auch Zahlen der Ostfront mit eingerechnet, eben ein Wert über alles. Wenn man sich dann aber nur die Zahlen für bestimmte Abschnitte und Zeiträume der Westfront für sich alleine betrachtet, ändert sich das Bild teilweise schlagartig sofort. Es ist primär das fortwährende Niedermetzeln russischer Soldaten gewesen, welches diese überhöhten Anteilswerte hervor gebracht hat.
Nehmen wir mal als einen begrenzteren Abschnitt nur die Kämpfe in Nordafrika:
Dort verloren die Allierten insgesamt ca. 2000 Panzer, die Deutschen aber ca 2600 Panzer. Es kamen ca. 36.000 britische Soldaten ums Leben, aber es kamen ca 23.000 Italiener um und ca 22.000 Deutsche. Dazu wurden aber noch von den Briten nicht weniger als ca 350.000 italienische Soldaten gefangen genommen und nicht weniger als ca 180.000 deutsche Soldaten.
Die Wehrmacht inklusive der italienischen Verbündeten verlor damit zusammen gerechnet nicht weniger als ca 575.000 Mann. Auf der Gegenseite gingen ca 30.000 Briten in Kriegsgefangenschaft, dazu kann man noch die US Verluste rechnen, in Höhe von ca 3000 Getöteten US Amerikanern.
Wir kommen so auf ein Verhältnis von 575.000 Mann Verluste (Achsenmächte) zu ca 40.000 Mann Verluste (Alliierte).
Die Zahlen sind sicher nicht genau genug, und man kann auch andere Zahlen hernehmen, die Vichy Franzosen mit einrechnen und was weiß ich noch alles, aber dass ändert alles nichts am grundsätzlichen Verhältnis und der grundsätzlichen Tendenz.
Aller Brillianz des Afrika-Korps und Rommels zum Trotz wurde der Krieg in Nordafrika absolut eindeutig und mit einem für die Deutschen katastrophalen Zahlenverhältnis verloren.
In keinster Weise aber töteten die Deutschen hier immer 50% mehr als die Alliierten. Und wie die sehr hohen Gefangenenzahlen aufzeigen, sind bloße Verluste (welche von Crefeld überbewertet) eben nicht alles. Und für die Frage der Kampfkraft und des weiteren Kriegsverlaufs spielt es eben gar keine Rolle, ob jemand Gefallen ist oder Gefangen wurde, in beiden Fällen fällt er dauerhaft aus.
Verbleiben noch die ca 600 mehr an Panzern, welche die Alliierten zerstören konnten. Und auch hier sieht man, dass die Deutschen eben in keinster Weise hier immer 50% mehr Verluste anrichteten als sie selbst erlitten.
Die Lehre daraus ist für mich die gleiche wie aus dem aktuellen Ukrainekrieg: man darf gerade eben den bloßen schlichten und stumpfen Abnutzungskrieg in keinster Weise unterschätzen, und man darf die Auftragstaktik eben auch nicht überschätzen. Sie ist ein hervorragendes Werkzeug, aber eben nur eines von vielen und eben nicht eine Pauschallösung für alles.
Noch ein paar vielleicht ganz lesenswerte Ansichten dazu:
https://smallwarsjournal.com/jrnl/art/ca...er-warfare
https://press.armywarcollege.edu/cgi/vie...parameters
https://warontherocks.com/2020/02/from-d...f-warfare/
Und um all dem folgend meine persönliche Position nochmal darzulegen: seit ich 1997 zum ersten Mal das Werk Warfighting des USMC gelesen habe, bin ich in ein überzeugter Anhänger der dort beschriebenen Konzepte und vor allem natürlich auch der Auftragstaktik. Aber: man darf diese eben nicht als Wert überhöhen, sonst fällt man nur umso schmerzhafter, wenn sie aufgrund spezifischer Umstände mal nicht aufgeht.
Und ich sehe rein persönlich nicht einmal einen Widerspruch zwischen Auftrags- und Befehlstaktik und ebensowenig zwischen Maneuver und Attrition. Das geht alles viel fließender ineinander über, man muss beides zugleich beherrschen können und beides ergänzt sich auch perfekt.
Das diese scheinbaren Gegensätze überwunden werden können, und überwunden werden müssen, ist meiner Ansicht nach eine der militärischen Lehres des Ukraine Krieges. Eine wirklich überlegene Armee ist daher nicht eine, welche blind einem Ideal der reinen Auftragstaktik folgt, sondern welche optional beides zugleich anwenden kann und in beidem versiert ist.
Dessen ungeachtet gibt es im Krieg einfach keine Axiome und die für eine solche extreme Position wie die meine notwendigen Grundlagen und Umstände sind einfach real praktisch sehr oft nicht gegeben bzw. nicht vorhanden. Und was dann?
lime:
Dieses Narrativ - auch wenn es immer wieder wiederholt wird - stimmt genau so wenig wie die Annahme, dass die Wehrmacht in den ersten Operationen (Polen, Frankreich) überlegen gewesen wäre. Das Bild der zahlenmässig und vor allem vom Material her deutlich unterlegenen Wehrmacht, die primär vor allem anderen wegen dieser rein materiellen Unterlegenheit verlor, ist nicht ganz richtig. In den Fällen, wo eine möglichst weitgehende Parität herrschte, erwies sich die Wehrmacht eben nicht per se überlegen, vor allem nicht in der Art wie es Crefeld propagiert hat. Natürlich ist das ein Narrativ dass einem Deutschen schmeicheln muss, aus unserer Perspektive vieles scheinbar erklärt und schlussendlich die Schuld für das militärische Scheitern abwälzt.
Werter Pogu:
Seltenst dass wir mal nicht einer Meinung sind, aber die scharfe Trennung welche du hier zwischen Wehrmacht und Drittem Reich vornimmst teile ich so nicht. Das ist übrigens in keinster Weise eine moralische Wertung. Gerade in einem rein militärwissenschaftlichen Kontext sollte man sich überhaupt moralisch-ethischer Fragen enthalten bzw. diese erst gar nicht aufwerfen.
Im weiteren ist die Kausalkette welche du hier anreißt fragwürdig: wo die Wehrmacht querschnittlich überproportional höhere Verluste beim Feind erzeugte, lag dies an einem ganzen Faktorenbündel und eben keineswegs an der Auftragstaktik allein. Und eine solche höhere militärische Leistung wurde von deutschen Soldaten auch dort erbracht, wo man eben nicht per Auftragstaktik kämpfte.
Zudem sind bei diesen Werten auch Zahlen der Ostfront mit eingerechnet, eben ein Wert über alles. Wenn man sich dann aber nur die Zahlen für bestimmte Abschnitte und Zeiträume der Westfront für sich alleine betrachtet, ändert sich das Bild teilweise schlagartig sofort. Es ist primär das fortwährende Niedermetzeln russischer Soldaten gewesen, welches diese überhöhten Anteilswerte hervor gebracht hat.
Nehmen wir mal als einen begrenzteren Abschnitt nur die Kämpfe in Nordafrika:
Dort verloren die Allierten insgesamt ca. 2000 Panzer, die Deutschen aber ca 2600 Panzer. Es kamen ca. 36.000 britische Soldaten ums Leben, aber es kamen ca 23.000 Italiener um und ca 22.000 Deutsche. Dazu wurden aber noch von den Briten nicht weniger als ca 350.000 italienische Soldaten gefangen genommen und nicht weniger als ca 180.000 deutsche Soldaten.
Die Wehrmacht inklusive der italienischen Verbündeten verlor damit zusammen gerechnet nicht weniger als ca 575.000 Mann. Auf der Gegenseite gingen ca 30.000 Briten in Kriegsgefangenschaft, dazu kann man noch die US Verluste rechnen, in Höhe von ca 3000 Getöteten US Amerikanern.
Wir kommen so auf ein Verhältnis von 575.000 Mann Verluste (Achsenmächte) zu ca 40.000 Mann Verluste (Alliierte).
Die Zahlen sind sicher nicht genau genug, und man kann auch andere Zahlen hernehmen, die Vichy Franzosen mit einrechnen und was weiß ich noch alles, aber dass ändert alles nichts am grundsätzlichen Verhältnis und der grundsätzlichen Tendenz.
Aller Brillianz des Afrika-Korps und Rommels zum Trotz wurde der Krieg in Nordafrika absolut eindeutig und mit einem für die Deutschen katastrophalen Zahlenverhältnis verloren.
In keinster Weise aber töteten die Deutschen hier immer 50% mehr als die Alliierten. Und wie die sehr hohen Gefangenenzahlen aufzeigen, sind bloße Verluste (welche von Crefeld überbewertet) eben nicht alles. Und für die Frage der Kampfkraft und des weiteren Kriegsverlaufs spielt es eben gar keine Rolle, ob jemand Gefallen ist oder Gefangen wurde, in beiden Fällen fällt er dauerhaft aus.
Verbleiben noch die ca 600 mehr an Panzern, welche die Alliierten zerstören konnten. Und auch hier sieht man, dass die Deutschen eben in keinster Weise hier immer 50% mehr Verluste anrichteten als sie selbst erlitten.
Die Lehre daraus ist für mich die gleiche wie aus dem aktuellen Ukrainekrieg: man darf gerade eben den bloßen schlichten und stumpfen Abnutzungskrieg in keinster Weise unterschätzen, und man darf die Auftragstaktik eben auch nicht überschätzen. Sie ist ein hervorragendes Werkzeug, aber eben nur eines von vielen und eben nicht eine Pauschallösung für alles.
Noch ein paar vielleicht ganz lesenswerte Ansichten dazu:
https://smallwarsjournal.com/jrnl/art/ca...er-warfare
https://press.armywarcollege.edu/cgi/vie...parameters
https://warontherocks.com/2020/02/from-d...f-warfare/
Und um all dem folgend meine persönliche Position nochmal darzulegen: seit ich 1997 zum ersten Mal das Werk Warfighting des USMC gelesen habe, bin ich in ein überzeugter Anhänger der dort beschriebenen Konzepte und vor allem natürlich auch der Auftragstaktik. Aber: man darf diese eben nicht als Wert überhöhen, sonst fällt man nur umso schmerzhafter, wenn sie aufgrund spezifischer Umstände mal nicht aufgeht.
Und ich sehe rein persönlich nicht einmal einen Widerspruch zwischen Auftrags- und Befehlstaktik und ebensowenig zwischen Maneuver und Attrition. Das geht alles viel fließender ineinander über, man muss beides zugleich beherrschen können und beides ergänzt sich auch perfekt.
Das diese scheinbaren Gegensätze überwunden werden können, und überwunden werden müssen, ist meiner Ansicht nach eine der militärischen Lehres des Ukraine Krieges. Eine wirklich überlegene Armee ist daher nicht eine, welche blind einem Ideal der reinen Auftragstaktik folgt, sondern welche optional beides zugleich anwenden kann und in beidem versiert ist.