08.10.2022, 14:04
Nurso:
Deine Argumentation ist meiner Meinung nach gar nicht so unproblematisch, denn:
zum einen könnte man genau das aufgreifen und sagen: Exakt, wo ist der Unterschied?
Und zum anderen könnte man dir klassischen russischen What-Aboutism vorwerfen - im Sinne von "But what about Putin....?"
Ich habe die Russen auch hier im Forum schon als Den Feind bezeichnet, als mich jederman dafür noch kritisiert hat. Meine Wenigkeit forderte schon eine massive Aufrüstung wegen der Russen, da wurde Putin von deutschen Politikern noch als lupenreiner Demokrat bezeichnet, dass mal nur am Rande.
Russland versteht nur Stärke und Gewalt. Gerade weil uns beides so sehr fehlte, sind wir in der aktuellen Situation. Das Problem JETZT ist aber nicht, dass Putin "verärgert" werden könnte, sondern dass er Todesangst hat. Und Putin neigte seit jeher dazu immer irrationaler zu handeln, je mehr Angst er hatte. Und er hat berechtigt Todesangst, nicht wegen uns, nicht wegen der Ukrainer, sondern wegen der Innenpolitischen Situation die aktuell in eine Richtung verläuft, bei der er am Ende von einer Dachterasse gestürzt wird.
Schneemann:
Wahre Disziplin kommt vor allem anderen aus der Selbstdisziplin. Deshalb sind Gehorsam und Disziplin nicht dasselbe und können sogar weitgehend auseinander klaffen. Und von Disziplin habe ich in Bezug auf russischen Truppen rein gar nichts geschrieben, solche haben sie nicht.
Sie sind aber davon völlig unabhängig extrem gehorsam!
Es ist beispielsweise so, dass keineswegs alle russischen Soldaten nur plündern, morden und vergewaltigen, sondern es gibt ganze Einheiten die das in keinster Weise tun. Warum? Weil die Offiziere in dieser Einheit es verboten haben. So einfach verhält es sich in der russischen Armee. Das macht die Verantwortung der russischen Führung für die aktuellen Verbrechen noch sehr viel größer! Denn die russische Führung hätte diese Verbrechen in jedem Fall verhindern können. Sie hätten nicht stattfinden müssen. Stattdessen hat man meiner Kenntnis nach in etlichen Fällen die Soldaten noch dazu ermutigt.
Das russische Einheiten derart marodieren liegt an einem ganzen Faktorenbündel. Da wirkt sich beispielsweise aus, dass eine Mehrheit der Soldaten davon ausgeht, dass ohnehin jeder sterben wird, dass extrem Alkohol konsumiert wird (was übrigens auch im Gefecht zunehmend zu einem Problem wird), dass die eigene Führung einen ohnehin in jedem Fall in den Tod führen wird und dass absolut rein gar nichts von dem was man da tut für einen selbst noch irgendwelche Konsequenzen haben wird. Truppen die eine derartige "Verlorener Haufen" Mentalität haben und keinerlei Selbstdisziplin, laufen natürlich Amok und völlig aus dem Ruder.
Pmichael:
Das reicht ja sogar noch über die Taktik hinaus. Wie man den Tagebucheinträgen Shaygas entnehmen kann, war er nur viermal schießen bevor er in den Kampfeinsatz geschickt wurde, und schoss jedes Mal nur 6 Schuss (in Worten Sechs!) aus einem Magazin. Er konnte nach eigenen Worten nicht mal mit der Sicherung seiner AK richtig umgehen. Es gibt einfach gar keine sinnvolle Ausbildung in der russischen Armee. Wie aber hat man überhaupt Soldaten kampffähig gemacht?
Die Antwort liegt in dem System, dass die Veteranen von Kampfeinsätzen, die Überlebenden usw. den frisch dazu gekommenen ihre Erfahrungen weiter geben. Die neuen Soldaten werden also nicht durch die offizielle Ausbildung befähigt, sondern durch die gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen innerhalb der jeweiligen Kampfeinheit. Das hat zwei interessante Konsequenzen:
1. Aufgrund der sehr hohen Verluste gerade eben an Kontraktniki in der Ukraine ist immens Wissen und Können verloren gegangen und damit die für die russische Armee so absolut wesentliche informelle Ausbildung nicht mehr in dem Ausmaß möglich das notwendig wäre. Und die formelle Ausbildung ist völlig wertlos. Es fehlen die Ausbilder (alle tot oder im Kampfeinsatz) und das bisherige System der informellen Ausbildung in der Kampfeinheit von den älteren Soldaten zu den neu dazu gekommenen ist zusammen gebrochen.
2. die Fähigkeiten sind sehr uneinheitlich. Weil die informelle Ausbildung de facto in den jeweiligen Einheiten teilweise hoch verschieden ist, und es keine Normung bzw. Anpassung an die offzielle Doktrin durch eine formelle Ausbildung gibt, ist der Fähigkeitsstand, dass taktische Können, ja sogar die Vorgehensweisen und das jeweilige Verhalten im Gefecht extrem uneinheitlich.
So etwas gab es kriegsgeschichtlich gesehen ganz früher auch in manchen Armeen des Ancien Regime - und Davor (!), als die Ausbildung ohne jede Normung einfach immer Regimentsintern erfolgte, und es keine einheitliche Ausbildung gab. Das ist jetzt hier und heute in der russischen Armee wieder so. Von daher kann es sein, dass ein russisches Bataillon völlig anders agiert als ein anderes, und das eine Fähig ist, und das andere völlig unfähig, je nach den Umständen. Diese Uneinheitlichkeit zeigt sich selbst beim taktischen Vorgehen teilweise deutlich.
Völlig unabhängig von der auf dem Papier bestehenden offiziellen russischen Doktrin werden die russischen Truppen in den Kampfeinheiten einfach vor Ort im Kampfeinsatz durch Trial and Error, also durch Versuch und Sterben befähigt. Und was nicht gestorben ist, gibt seine Ansichten weiter (informelle Ausbildung). Nun führt das ukrainische Artilleriefeuer (welches zu überleben eine reine Glückssache und keine von Befähigung ist) zusammen mit den sehr hohen Verlusten insgesamt dazu, dass dieses System der Ausbildung im Kampf durch den Kampf, also der Ausbildung durch den Echteinsatz ad absurdum. Entsprechend sinkt überall die Befähigung der russischen Soldaten rasant ab, gerade weil es überhaupt keine sinnvolle formelle einheitliche und genormte Ausbildung mehr gibt.
Diese rasante Schwächung der russischen Armee durch Fähigkeitsverlust ist umso mehr eine Ironie, als dass das reine Humankapital bei den Mannschaftsdienstgraden, wenigen Unteroffizieren und Fähnrichsdienstgraden in Wahrheit herausragend gut geeignet wäre, daraus die besten Soldaten der Welt zu formen. Man könnte aus dem russischen Rekruten einen herausragend guten Soldaten machen, gerade eben weil er für das Soldatenhandwerk so viele herausragend gute Eigenschaften bereits mitbringt. Stattdessen werden die Soldaten einfach völlig sinnlos und planlos verheizt und ohne Ausbildung und ohne ernsthafte Ausrüstung in Kampfeinsätze gestürzt die weder einen Zweck haben noch irgend etwas für die Gesamtlage bringen. Das ist eine Ironie sondergleichen. Russische Soldaten könnten so dermaßen gut sein, aber sie sind es nicht und das Verschulden dafür liegt allein bei der Führung und bei völlig dysfunktionalen, ja bizarren Fehlstrukturen.
Deine Argumentation ist meiner Meinung nach gar nicht so unproblematisch, denn:
Zitat:Wo ist da der Unterschied zu Wladimir P.?
zum einen könnte man genau das aufgreifen und sagen: Exakt, wo ist der Unterschied?
Und zum anderen könnte man dir klassischen russischen What-Aboutism vorwerfen - im Sinne von "But what about Putin....?"
Zitat:Bloß nicht wehren, der arme Wladi könnte ja verärgert sein.
Ich habe die Russen auch hier im Forum schon als Den Feind bezeichnet, als mich jederman dafür noch kritisiert hat. Meine Wenigkeit forderte schon eine massive Aufrüstung wegen der Russen, da wurde Putin von deutschen Politikern noch als lupenreiner Demokrat bezeichnet, dass mal nur am Rande.
Russland versteht nur Stärke und Gewalt. Gerade weil uns beides so sehr fehlte, sind wir in der aktuellen Situation. Das Problem JETZT ist aber nicht, dass Putin "verärgert" werden könnte, sondern dass er Todesangst hat. Und Putin neigte seit jeher dazu immer irrationaler zu handeln, je mehr Angst er hatte. Und er hat berechtigt Todesangst, nicht wegen uns, nicht wegen der Ukrainer, sondern wegen der Innenpolitischen Situation die aktuell in eine Richtung verläuft, bei der er am Ende von einer Dachterasse gestürzt wird.
Schneemann:
Zitat:Allerdings entbinden Tapferkeit und Zähigkeit etc. nicht von der Disziplin - und da widerspreche ich dem Aspekt des Gehorsams
Wahre Disziplin kommt vor allem anderen aus der Selbstdisziplin. Deshalb sind Gehorsam und Disziplin nicht dasselbe und können sogar weitgehend auseinander klaffen. Und von Disziplin habe ich in Bezug auf russischen Truppen rein gar nichts geschrieben, solche haben sie nicht.
Sie sind aber davon völlig unabhängig extrem gehorsam!
Es ist beispielsweise so, dass keineswegs alle russischen Soldaten nur plündern, morden und vergewaltigen, sondern es gibt ganze Einheiten die das in keinster Weise tun. Warum? Weil die Offiziere in dieser Einheit es verboten haben. So einfach verhält es sich in der russischen Armee. Das macht die Verantwortung der russischen Führung für die aktuellen Verbrechen noch sehr viel größer! Denn die russische Führung hätte diese Verbrechen in jedem Fall verhindern können. Sie hätten nicht stattfinden müssen. Stattdessen hat man meiner Kenntnis nach in etlichen Fällen die Soldaten noch dazu ermutigt.
Das russische Einheiten derart marodieren liegt an einem ganzen Faktorenbündel. Da wirkt sich beispielsweise aus, dass eine Mehrheit der Soldaten davon ausgeht, dass ohnehin jeder sterben wird, dass extrem Alkohol konsumiert wird (was übrigens auch im Gefecht zunehmend zu einem Problem wird), dass die eigene Führung einen ohnehin in jedem Fall in den Tod führen wird und dass absolut rein gar nichts von dem was man da tut für einen selbst noch irgendwelche Konsequenzen haben wird. Truppen die eine derartige "Verlorener Haufen" Mentalität haben und keinerlei Selbstdisziplin, laufen natürlich Amok und völlig aus dem Ruder.
Pmichael:
Zitat:Den Wert eines russischen Soldaten würde ich nach NATO Maßstäben als wertlos bezeichnen. Taktisch de facto nicht ausgebildet, keinerlei taktische Disziplin (so werden simple Dinge wie verbrauchte Munitionskisten nicht weggebracht, damit man auf Luftbilder schön wahrgenommen wird),
Das reicht ja sogar noch über die Taktik hinaus. Wie man den Tagebucheinträgen Shaygas entnehmen kann, war er nur viermal schießen bevor er in den Kampfeinsatz geschickt wurde, und schoss jedes Mal nur 6 Schuss (in Worten Sechs!) aus einem Magazin. Er konnte nach eigenen Worten nicht mal mit der Sicherung seiner AK richtig umgehen. Es gibt einfach gar keine sinnvolle Ausbildung in der russischen Armee. Wie aber hat man überhaupt Soldaten kampffähig gemacht?
Die Antwort liegt in dem System, dass die Veteranen von Kampfeinsätzen, die Überlebenden usw. den frisch dazu gekommenen ihre Erfahrungen weiter geben. Die neuen Soldaten werden also nicht durch die offizielle Ausbildung befähigt, sondern durch die gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen innerhalb der jeweiligen Kampfeinheit. Das hat zwei interessante Konsequenzen:
1. Aufgrund der sehr hohen Verluste gerade eben an Kontraktniki in der Ukraine ist immens Wissen und Können verloren gegangen und damit die für die russische Armee so absolut wesentliche informelle Ausbildung nicht mehr in dem Ausmaß möglich das notwendig wäre. Und die formelle Ausbildung ist völlig wertlos. Es fehlen die Ausbilder (alle tot oder im Kampfeinsatz) und das bisherige System der informellen Ausbildung in der Kampfeinheit von den älteren Soldaten zu den neu dazu gekommenen ist zusammen gebrochen.
2. die Fähigkeiten sind sehr uneinheitlich. Weil die informelle Ausbildung de facto in den jeweiligen Einheiten teilweise hoch verschieden ist, und es keine Normung bzw. Anpassung an die offzielle Doktrin durch eine formelle Ausbildung gibt, ist der Fähigkeitsstand, dass taktische Können, ja sogar die Vorgehensweisen und das jeweilige Verhalten im Gefecht extrem uneinheitlich.
So etwas gab es kriegsgeschichtlich gesehen ganz früher auch in manchen Armeen des Ancien Regime - und Davor (!), als die Ausbildung ohne jede Normung einfach immer Regimentsintern erfolgte, und es keine einheitliche Ausbildung gab. Das ist jetzt hier und heute in der russischen Armee wieder so. Von daher kann es sein, dass ein russisches Bataillon völlig anders agiert als ein anderes, und das eine Fähig ist, und das andere völlig unfähig, je nach den Umständen. Diese Uneinheitlichkeit zeigt sich selbst beim taktischen Vorgehen teilweise deutlich.
Völlig unabhängig von der auf dem Papier bestehenden offiziellen russischen Doktrin werden die russischen Truppen in den Kampfeinheiten einfach vor Ort im Kampfeinsatz durch Trial and Error, also durch Versuch und Sterben befähigt. Und was nicht gestorben ist, gibt seine Ansichten weiter (informelle Ausbildung). Nun führt das ukrainische Artilleriefeuer (welches zu überleben eine reine Glückssache und keine von Befähigung ist) zusammen mit den sehr hohen Verlusten insgesamt dazu, dass dieses System der Ausbildung im Kampf durch den Kampf, also der Ausbildung durch den Echteinsatz ad absurdum. Entsprechend sinkt überall die Befähigung der russischen Soldaten rasant ab, gerade weil es überhaupt keine sinnvolle formelle einheitliche und genormte Ausbildung mehr gibt.
Diese rasante Schwächung der russischen Armee durch Fähigkeitsverlust ist umso mehr eine Ironie, als dass das reine Humankapital bei den Mannschaftsdienstgraden, wenigen Unteroffizieren und Fähnrichsdienstgraden in Wahrheit herausragend gut geeignet wäre, daraus die besten Soldaten der Welt zu formen. Man könnte aus dem russischen Rekruten einen herausragend guten Soldaten machen, gerade eben weil er für das Soldatenhandwerk so viele herausragend gute Eigenschaften bereits mitbringt. Stattdessen werden die Soldaten einfach völlig sinnlos und planlos verheizt und ohne Ausbildung und ohne ernsthafte Ausrüstung in Kampfeinsätze gestürzt die weder einen Zweck haben noch irgend etwas für die Gesamtlage bringen. Das ist eine Ironie sondergleichen. Russische Soldaten könnten so dermaßen gut sein, aber sie sind es nicht und das Verschulden dafür liegt allein bei der Führung und bei völlig dysfunktionalen, ja bizarren Fehlstrukturen.