Militärische Lehren aus dem Ukraine-Krieg
Ich habe mit den Atlantic Artikel angesehen. Kommentare dazu wie folgt

Zitat:This is a comforting conclusion for Western defense analysts: If Russian failure is mainly self-inflicted, then the air war in Ukraine does not challenge existing doctrine and expensive modernization priorities. Although comforting, such confidence is misplaced.
Nö isses nun mal halt nicht.
Der Luftkrieg in der Ukraine hat wenig bis nichts mit einem hypotetischen Luftkrieg zu tun, den die Nato-Nationen bzw. die USA führen würden, erst recht auf vergleichbaren Terrain gegen einen vergleichbaren Gegener, sprich halt Russland and er Nato-Ostflanke.
Schlicht weil die Nato-Länder bzw. die USA auch allein ein um mehrere Größenordnungen größeres Luftkriegspotential abrufen können als die Ukrainer - oder die Russen.
Unsere Luftkriegsführung im Rahmen eines uneingeschränktes Konfliktes mit Russland würde nicht in Ansätzen dem entsprechend was aktuell in dieser Konfrontation, die mit Not gegen Elend wahrscheinlich treffend umschrieben ist, stattfindet.
Insofern scheitert der Artikel des Atlantic Council schon im Ansatz.

Zitat:Even if high-end fighters and bombers manage to gain air superiority in the “blue skies,” the airspace below them remains contested. The “air littoral”—that is, the airspace between ground forces and high-end fighters and bombers—then poses the more challenging and important contest for air control.

Ja. Zu der Erkenntnis, dass 'Rot' mit jeder Menge Hardware für die Nahbereichsverteidigung aufwarten kann, kam man irgendwann mal in den Siebzigern. Seit dem ginge eine Menge Zeit ins Land und ganz neue Lösungen für diese grundsätzliche Problematik fanden ihren Weg in den aktiven Dienst.
Überspitzt ausgedrückt: Es wäre 'Blau' mittlerweile vollkommen egal, wass da so an Nahbereichsabwehr rumsteht, zwei F-15E mit je 28 SDB-II zerschlagen jedes Panzerbataillon aus 100km Entfernung.
Oder allgemeiner formuliert: Eine wesentliche Säule der Waffentechnischen Entwicklungen der letzten Dekade ist, die verbringenden Plattformen aus dem Nahbereich komplett herauszunehmen.

Zitat: Ukrainian defenders on the ground have used long-range S-300 series and medium-range Buk-M1 surface-to-air missiles to keep Russian aircraft at bay and under threat in the blue skies. Employing “shoot-and-scoot” tactics, Ukrainian air defense units fire their missiles and quickly turn off the radar and move away—making it difficult for the Russians to find and destroy them. During the 1991 Gulf War, the US-led coalition employed strike aircraft and special forces to hunt Iraq’s truck-mounted Scud missiles, but even with the benefit of air superiority, Iraq’s effective use of maneuver and high-fidelity decoys prevented the Air Force from claiming even a single confirmed kill.

Auch hier wieder der klassische Fehler dem diese Analysten jenseits des Atlantiks nur zu gerne machen - die technologische Entwicklung ist nicht irgendwo zwischen Gulf War und Allied Force stehen geblieben sondern hat gerade in der letzten Dekade Quantensprünge vollzogen - und zwar im Hinblick auf die Technik, die tatsächlich einsatzfähig auf dem Rollfeld steht.
Heute verfügt schon jede einzelne F-35 über eine Sensorsuite, die noch 1999 nicht mal im Verbund abbildbar gewesen ist. Von dem ganzen US-amerikanischen Sensorikkomplex der dann engmaschig vernetzt hinter, vor und neben der F-35 steht bzw. fliegt ganz zu Schweigen. Man muss das doch bitte mal zu Kenntnis nehmen, wir sind dank der Amerikaner in diesem Bereich so unglaublich viel weiter, das sich diese leicht gezogenen Analogien schlicht verbieten.
Und nichts, rein garnichts davon können Russen oder Ukrainer nachahmen.

Zitat:The result is a state of mutual air denial: neither Russia’s nor Ukraine’s manned aircraft can operate consistently or effectively near the front lines.
Ja, eben Not gegen Elend, dass so nicht auf unsere Möglichkeiten übertragbar ist. (Vermeintlich) im Gegensatz zu den Ukrainer haben wir einer überbreite Fähigkeitenpalette gegnerische Flugabwehr aufzuklären, niederzuhalten und zu vernichten. Und sind auch hier wieder so unglaublich viel weiter als wir es zu unseren letzten großen Luftkriegseinsätzen vor Jahrzehnten gewesen sind. Allein was sich im Bereich der Abstandslenkwaffen seit den Nullerjahren getan hat stellt SEAD/DEAD früherer Jahre komplett auf dem Kopf.
Aber vermeintlich bezogen auf die Ukraine weil die Ukrainer in den letzten Wochen mit ihren sehr bescheidenen Mitteln eindrucksvoll gezeigt haben, dass die russische Flugabwehr mit bestenfalls einer Handvoll Kampfjets mit Anti-Radar-Raketen von vor zwei Generationen lokal eben doch sehr effektiv niedergehalten werden kann. Das Hauptproblem ist insofern weniger die Effektivität der russischen Flugabwehr, als das die Ukrainische Luftwaffe halt nur über sehr beschränkte Möglichkeiten verfügt taktische Erfolge durch AGM-88Ds auszunutzen.

Zitat:While Kyiv has had to scale back its use of TB2, reserving them largely for high-value strikes in other areas, it has turned to expendable “kamikaze drones,” or “loitering munitions” to strike Russian ground targets from the air littoral.
Übersetzt: Bayraktar wurde selbst vor den russischen Flugabwehr auseinandergenommen als sie nach den planlosen ersten Wochen des Konflikts erst mal in Position und einsatzfähig gewesen ist.
Das kommt nicht überraschend, große konventionelle UAV waren und sind in großen, symmetrischen Auseinandersetzungen nicht überlebensfähig. Dagegen hat der Konflikt tatsächlich einmal mehr das immense Potential von Kleinsdrohnen unterstrichen.
Diese Systeme haben allerdings nur einen sehr mittelbaren Bezug zum Luftkrieg wie ihn westliche Streitkräfte begreifen sondern sind viel eher als velängerte Augen und Arme der Bodentruppen zu sehen - und auf diesem Level auch zu begegnen.


Zitat:The United States and other Western air forces need to prepare for this future now. A strategy of air denial might be the smarter and more economical choice when trying to preserve the status quo on NATO’s eastern flank or across the Taiwan Strait. By employing sufficiently large numbers of smaller, cheaper, unmanned systems in a distributed way, the United States and its allies and partners would increase both the costs and uncertainty of Chinese or Russian efforts to quickly seize territory and present their conquest as a fait accompli. Such a strategy requires moving away from the capable but costly and numerically limited high-end fighters and bombers in favor of more unmanned and autonomous systems. It also requires moving away from penetration and precision strike with manned aircraft to swarming tactics of denial with thousands of cheap small-sized drones. Fighter pilots still capture the Western imagination—this year’s highest-grossing box office hit, Top Gun: Maverick, suggests that the mystique of the fighter pilot holds strong—but that kind of aerial combat is the exception to the rule. The future of air warfare is denial.
Mit ist schleierhaft wie man anhand des Ukrainekriegs zu derartigen Schlüssen kommen kann. Das heißt natürlich nicht, die Schlüsse standen schließlich schon vorher fest und die Realität wird dazu nu in das passende Narrativ gepresst.
Ehrlich gesagt sind die abgeleiteten Forderungen schlicht sinnbefreit.

1. Nach dem Ukrainekrieg ist Russland für die nächsten zwanzig Jahre kein relevanter Gegner dahingehend, dass er die Nato-Ostflanke bedrohen könnte. Vollkommen gleich welche Luftkriegsansätze Europa oder die USA in Zukunft verfolgen. Es besteht insofern überhaupt keine Notwendigkeit für irgendwelche radikalen Wendungen.

2. Es ist grober Unfug, tatsächliche oder vermeintliche Lehren eines Landkrieges in Osteuropa zwischen zwei ehemaligen Sovietnationen auf einen Seekrieg zwischen den USA und China in den Weiten des Pazifiks übertragen zu wollen. Die Luftkriegspotentiale der beiden potentiellen Konfliktparteien sind nicht in Ansätzen mit dem Vergleichbar was sich gerade in der Ukraine abspielt und der Theater leich zehnmal so groß.

3. Es ist seit jeher ein Grundfundament der Luftkriegsführung, dass man den Gegner den Zugriff auf relevante Lufträume verweigert ('air denial'). Hierfür setzen die Taiwanesen auf eine robuste Palette von bodengestützten Luftabwehrfähigkeiten. Die man natürlich deutlich ausbauen muss.

4. Kleinstdrohnen so wie sie zu tausenden (naja) in der Ukraine eingesetzt werden haben für gewöhnlich eine Reichweite von mehreren Dutzend Kilometern. Derartige Systeme mögen nach chinesischen Landungen in Taiwan oder der First Island Chain eine gewisse Relevanz entfalten, wären ansonsten in diesem Konflikt nahezu komplett unbrauchbar.

5. Drohnensysteme müssen über eine hohe Reichweite und Stehdauer verfügen um in den Weiten des Pazifiks sinnvoll eingesetzt werden. Damit geht es dann schnell um Systeme die einen logistischen Fußabdruck mit sich bringen, der dem eines Kampfjets zumindest nicht unähnlich ist. Siehe Loyal Wingmann und Konsorten. Insofern sind Ideen hinsichtlich 'thousands, smaller, cheaper' im Pazifik schlicht nicht darstellbar.

6. Es wäre grob falsch im Pazifik auf eine Strategie zu setzen die in irgendeiner Art und Weise auf mehr Systeme setzt als weniger. Die verfügbaren Luftwaffenbasen, zivilen Flughäfen und Flugplätze werden schon über Gebühr belastet werden, wenn auch nur wenige Hundert amerikanische Kampfflugzeuge in die Region verlegen. Hier noch mit hunderten/tausenden UAVs mit relevanten Reichweiten agieren zu wollen ist noch viel weniger darstellbar.

7. Der Königsweg ist genau das Gegenteil und das was ich seit Jahren vertrete: Weniger Plattformen mit dafür größerer Reichweite und höherer Waffenplattformen. Der Artikel hat insofern recht, dass Kampfjets nicht das geeignete Werkzeug im Pazifik sind. Die Antwort sind aber nicht irgendwelche Drohnen die irgendwie 'smart' mit 'swarming tactics' irgendwie 'air denial' (was für eine bekloppte Aneinanderreihung von BS) darstellen sollen (wie auch immer), sondern Bomberplattformen von denen jede einzelne die Fähigkeiten mehrerer Kampfjets abbilden kann.

8. Die Idee Fähigkeiten aufzugeben im Falle eines Konflikts mit China auch innerhalb der durch die Chinesen verteidigten Räumen zuschlagen zu können und stattdessen halt den Luftraum über Taiwan und Okinawa mit tausenden Drohnen zu fluten (die dann was bitte erreichen sollen?) ist hervorragend wenn man den Krieg mit Pauken und Trompeten verlieren will.

Zitat:Was ist die Meinung der Experten im Forum für dieses Thema und die Schlussfolgerung / Handlungsempfehlung für die Bundeswehr daraus, wenn das Geschriebene auch zutreffen solte?
Das Geschriebene trifft nicht zu, die Bundeswehr sollte F-35 und SDB-II beschaffen, sich weit hinten einreihen und sich nicht über Dinge den Kopf zerbrechen die für Deutschland nicht einmal mittelbar irgendeine Relevanz haben.
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