Deutsch/Französische Zusammenarbeit Sicherheit
#1
Kooperationen im Verteidigungsbereich: Wie sich Deutschland von Frankreich entfernt
La Tribune (französisch)
Die Rede von Olaf Scholz in Prag trägt nicht dazu bei, die Positionen zwischen Deutschland und Frankreich im Bereich der Rüstung einander anzunähern. Ganz im Gegenteil. Berlin scheint Paris in entscheidenden Bereichen wie der Luftverteidigung und vor allem bei den Exporten marginalisieren zu wollen.
Michel Cabirol
[Bild: https://static.latribune.fr/full_width/1...guerre.jpg]
(Credits: POOL)

Die am Montag in Prag gehaltene Rede des deutschen Bundeskanzlers ist für die europäische Verteidigung in zweifacher Hinsicht wichtig. Wichtig für das, was Olaf Scholz vorschlägt, aber auch genauso wichtig - wenn nicht sogar noch wichtiger - für das, was er (absichtlich?) nicht sagt.

Der Kanzler fordert eine Rationalisierung der Rüstungsbeschaffungen in Europa. "Wir brauchen in Europa bessere Synergien in Bezug auf unsere Verteidigungsfähigkeiten. Wir müssen unsere Interoperabilität stärken", erklärte er in Prag. Warum?" Im Vergleich zu den USA gibt es in der EU viel mehr verschiedene Waffensysteme. Das ist ineffizient, denn es bedeutet, dass unsere Truppen an unterschiedlichen Systemen trainieren müssen. Auch die Wartung und Reparaturen sind teurer und schwieriger", sagte er.

Die Instrumente zur Umsetzung dieser Rationalisierung existieren bereits, wie die Europäische Verteidigungsagentur (EDA), der Verteidigungsfonds (EEF), der dieses Jahr seine Arbeit aufgenommen hat, und vor allem die OCCAr (Gemeinsame Organisation für Rüstungskooperation), die nach den Wünschen von Olaf Scholz "zum Kern eines Europas der gemeinsamen Verteidigung und Rüstung" werden soll.

Der deutsche Bundeskanzler möchte jedoch auch bei der Koordinierung der Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten einen Schritt weiter gehen. "Wir brauchen einen Rat der Verteidigungsminister", um "eine noch engere Koordinierung auf europäischer Ebene" zu entwickeln und umzusetzen. Dieser Wunsch umfasst auch die operative Ebene. Dies ist eine echte Entwicklung Berlins, das seit dem Krieg in der Ukraine Tabus fallen lässt.

"Deutschland wird mit anderen Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die schnelle Eingreiftruppe der EU 2025 einsatzbereit ist - und wird die für ihren Einsatz erforderlichen Truppen bereitstellen. Dazu wird eine klare Commandment- und Kontrollstruktur erforderlich sein. Wir müssen daher die militärische Planungs- und Führungskapazität der EU - und mittelfristig ein echtes EU-Hauptquartier - mit allen erforderlichen finanziellen, personellen und technologischen Mitteln ausstatten", erklärte er.

Exporte: die Karten auf den Tisch.


Nach diesen offensichtlichen Tatsachen - die Frankreich seit vielen, vielen Jahren ohne jegliches Echo fordert - sind einige der von Olaf Scholz vorgeschlagenen Schwerpunkte den Franzosen ein Dorn im Auge.

Das ist auch logisch. Denn Berlin versucht, bestimmte Regelungen durchzusetzen, die die Souveränität der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) einschränken, und beansprucht die Führungsrolle in bestimmten Bereichen, in denen Frankreich seit langem über Know-how und Expertise verfügt. "Ich bin hier (in Prag, Anm. d. Red.), in der Hauptstadt der Ratspräsidentschaft der Europäischen Union, um Ihnen und unseren europäischen Freunden einige meiner Ideen für die Zukunft unserer Union vorzustellen.

Es handelt sich um Ideen, Vorschläge und Denkanstöße, nicht um vorgefertigte deutsche Lösungen", betonte er.

Um die europäische Verteidigungsindustrie zu rationalisieren, fordert Olaf Scholz die EU-Mitgliedsländer insbesondere auf, "alle unsere nationalen Regelungen zu überprüfen, insbesondere diejenigen, die die Nutzung und den Export von Systemen betreffen, die in Partnerschaft hergestellt wurden".

Dieser Vorschlag ist eine Waffe gegen Länder, die nach bestem Wissen und Gewissen militärische Ausrüstung international exportieren, darunter auch Frankreich. Der Vorschlag zur Harmonisierung von Rüstungsexporten in Europa, ein Dauerbrenner in Deutschland, wurde im Koalitionsvertrag (SPD, Grüne und FPD), der im November 2021 vorgelegt wurde, noch einmal in Erinnerung gerufen.

Sie wird übrigens Gegenstand eines deutschen Gesetzes sein, das restriktiv sein und wahrscheinlich französische Interessen behindern wird, da es das De-minimis-Abkommen von 2019 in Frage stellen könnte (kein deutsches Vetorecht, wenn der Wert der deutschen Komponenten nicht mehr als 20% beträgt).

Dieses neue Gesetz könnte also langfristig bestimmte Märkte für französische Industrieunternehmen schließen, vor allem in den Ländern des Nahen Ostens, in die Frankreich exportiert. Und wenn man bedenkt, dass das Geschäftsmodell der französischen Rüstungsindustrie nur dann tragfähig ist, wenn sie exportiert...

Andererseits wird dieses Gesetz deutsche Exporte innerhalb der NATO-Länder begünstigen, wo Frankreich bislang wenig erfolgreich war. Und was Deutschland zu Hause umsetzen wird, möchte es auch auf EU-Ebene umsetzen. Das wäre eine tödliche Kriegsmaschine für die französische Industrie. Zumal diese Entscheidungen in der EU mit Mehrheitsbeschluss (und nicht mehr einstimmig) getroffen werden könnten, wie Olaf Scholz befürwortet :

"Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, Mehrheitsentscheidungen in Bereichen einzuführen, in denen es besonders wichtig ist, dass wir mit einer Stimme sprechen. In unserer Sanktionspolitik zum Beispiel oder bei Menschenrechtsfragen", erläuterte er.
Luftverteidigung: Paris wird von Berlin ins Abseits gedrängt

"Neben der gemeinsamen Herstellung und Beschaffung werden unsere Unternehmen bei Rüstungsprojekten noch enger zusammenarbeiten müssen", betonte Olaf Scholz.

Aber auch hier schont er Frankreich wirklich nicht, wenn er von künftigen europäischen Kooperationen spricht. Das fängt schon bei den Luftverteidigungssystemen an. "Deutschland wird die künftige Luftverteidigung so gestalten, dass unsere europäischen Nachbarn bei Bedarf einbezogen werden können - wie die Polen, die Balten, die Niederländer, die Tschechen, die Slowaken oder unsere skandinavischen Partner", sagte er.

Seltsamerweise werden weder Frankreich noch Italien erwähnt, obwohl diese beiden Länder mit dem SAMP/T-System, das eine Reichweite von über 100 km hat und mit acht Aster 30-Überschallraketen bewaffnet ist, ernsthafte Referenzen in diesem Bereich haben.

Es ist also verdammt dreist, ein solches Argument vorzubringen und darüber hinaus zu erklären, dass Europa "bei der Verteidigung gegen Bedrohungen aus der Luft und dem Weltraum großen Nachholbedarf" hat.

Und es ist umso dreister, als Deutschland die Tür für MBDA (Deutschland und Italien) und seinen amerikanischen Partner Lockheed Martin zugeschlagen hat. Die beiden Industrieunternehmen hatten Berlin das MEADS-Programm als Grundlage für ein zukünftiges deutsches Boden-Luft-Luftverteidigungssystem vorgeschlagen: German Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS). Am Ende entschied sich Berlin für ein israelisches Raketenabwehrsystem Arrow 3 Iron Dome.

"In Deutschland werden wir in den nächsten Jahren sehr stark in unsere Luftverteidigung investieren. All diese Fähigkeiten können im Rahmen der NATO eingesetzt werden", argumentierte er in Prag.

Und schließlich ist es noch mehr als dreist, wenn Olaf Scholz meint, dass "ein gemeinsam in Europa entwickeltes Luftverteidigungssystem nicht nur effizienter und kostengünstiger wäre, als wenn jeder von uns seine eigenen teuren und hochkomplexen Systeme bauen würde, sondern auch ein Sicherheitsgewinn für Europa als Ganzes und ein hervorragendes Beispiel dafür, was wir unter der Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der NATO verstehen".

Kooperationen: Wie beispielhaft ist Deutschland?

In Bezug auf die europäische Zusammenarbeit, insbesondere mit Frankreich, erweist sich Deutschland als ein sehr... vielseitiger Partner. Trotz der Versprechungen des deutsch-französischen Rates in Toulouse im Juli 2017 hat Berlin mehrere in Zusammenarbeit mit Paris gestartete Projekte aufgegeben (MHT-Rakete, Modernisierungsprogramm für den Tiger, Projekt für ein Seepatrouillenflugzeug...).

Im Übrigen nannte Olaf Scholz in Prag keines der in Zusammenarbeit mit Frankreich gestarteten Programme, wie den Panzer der Zukunft (MGCS) oder auch das SCAF (Luftkampfsystem der Zukunft), ein Programm, in das auch Spanien eingestiegen ist. Die Zeiten, in denen der Bundeskanzler im Februar erklärte, dass "es mir wichtig ist (...), dass wir die nächste Generation von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit europäischen Partnern bauen", scheinen lange vorbei zu sein.

Schließlich plant Deutschland mit seinem Sonderfonds, der mit 100 Milliarden Euro ausgestattet ist, die Bundeswehr durch den Kauf von teurer, insbesondere amerikanischer Ausrüstung von der Stange aufzurüsten: 35 F-35 (8,4 Milliarden Dollar), 60 CH-53-Hubschrauber (5,6 Milliarden Euro), bis zu acht P-8-Seepatrouillenflugzeuge, Modernisierung des Patriot-Raketenabwehrsystems.

"Die 100 Milliarden Euro, mit denen wir die Bundeswehr in Deutschland in den kommenden Jahren modernisieren werden, werden auch die europäische und transatlantische Sicherheit stärken", erklärte er.

Es ist wahr, dass Deutschland auf die NATO schwört: Sie "bleibt der Garant unserer Sicherheit". Das ist das Alpha und Omega von Berlin und Olaf Scholz, der absichtlich (?) vergaß, in seiner Rede die französische nukleare Abschreckung zu erwähnen. Um die Rolle des Schutzes Europas zu schmälern, während Deutschland die F-35 gekauft hat, um die nukleare Mission (B61-Bomben) der NATO fortzusetzen?
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Deutsch/Französische Zusammenarbeit Sicherheit - von voyageur - 01.09.2022, 14:05

Gehe zu: