Kontrafaktische Geschichte: Westfeldzug 1940
#10
@Helios
Zitat:Grundsätzliche Frage (rein aus Interesse): wie bewertet ihr (also du und Schneemann) den Faktor Italien? Der Kriegseintritt erfolgte natürlich auch aufgrund von Opportunismus, aber wenn er auch ohne die deutschen Erfolge passiert wäre, hätte das zu einer schwierigen Situation am Mittelmeer führen können. Auf eure Einschätzungen bin ich gespannt.
@Quintus
Zitat:Helios:

Italien lassen wir bewusst außen vor, ebenso Belgien oder die Sowjets, um die Sache zu vereinfachen und Faktoren heraus zu nehmen.
Es wäre die Frage, wie die Frage von Helios gemeint ist. Geht es darum, wie die Italiener a) sich verhalten, wenn, wie in unserem Szenario diskutiert, die Deutschen sich defensiv aufgestellt hätten? Oder ist die Frage eher, wie denn b) in Italien das Empfinden oder Agieren generell war oder gewesen wäre - also unabhängig von deutscher Defensive oder einem deutschen Angriff?
Zitat:Das ist nicht alles, aber natürlich ist eine ganzheitliche Betrachtung im Rahmen von bloßen Forenbeiträgen sehr schwierig.

Noch mal zu den Parametern: Lassen wir die Sowjetunion mal so weit raus, dass Deutschland seine Truppen bis auf irgendwelche irrelevanten Landwehrverbände komplett im Westen einsetzen kann (als rein theoretisches Szenario) und lassen wir im weiteren auch Belgien raus (und alle anderen), es bleibt bei Frankreich + Großbritannien gegen Deusches Reich als einzigen Kriegsteilnehmern. Damit dürfte jetzt jede Ungenauigkeit in dieser Frage endlich geklärt sein. [...]

Man versteht sich in der Kürze und Beschränktheit solcher Foreneinträge fortwährend sehr leicht falsch.
Ja, gerne. Ich denke auch, dass leider immer das Risiko besteht, dass man aneinander vorbeischreibt. Deshalb ist die Festzurrung der Parameter recht wichtig. Und deswegen auch gerne nochmals meine Annahmen:

a) Polenkrieg findet statt, auch die Aufteilung Polens zwischen Russen und Deutschen.
b) Danach frieren die Fronten quasi ein, d. h. ...
c) keine "Weserübung", bestehende Neutralität der Benelux-Länder, keine Atlantikschlacht, keine italienischen Ambitionen...
d) ...und wir haben das "Sitzkrieg-Szenario" von Ende 1939 bis Ende 1940.
Zitat: Ein solcher Angriff wäre seitens der Westalliierten niemals, unter gar keinen wie auch denkbaren Umständen so erfolgt wie umgekehrt der deutsche Angriff auf Frankreich.
Ja, das hatte ich auch so verstanden.
Zitat:Wenn du mal Google Maps ansiehst, und die von mir genannten Angriffsachsen entlang gehst, dann stellst du schnell fest, dass deine Beschreibung der Landschaft unzureichend ist. Das von dir genannte Gelände existiert zwar, aber ich nannte es explizit als eine Bedeckung der jeweiligen Flanken der französischen Angriffsachsen.
Dass nicht das gesamte Gelände im Westen so aussieht, ist mir klar, mir ging es speziell um die Vogesen und die Eifel. Aber selbst die genannten Hauptachsen würden wiederum genau die Kanalisierung notwendig machen, wo ich ja schrieb, dass genau diese wiederum mit den bestehenden Kräften eher aufgefangen werden können.
Zitat:Hier hätten die Franzosen aber um die 40 Infanterie-Divisionen mehr einsetzen können, entsprechend wären die Deutschen Truppen erschöpft und ausgeblutet ohne weiteren Zulauf dagestanden, während die Franzosen immer neue frische ausgeruhte Divisionen ins Gefecht hätten führen können. Da sich Frankreich das ganze ja ohnehin als einen perfektionierten 1WK vorstellte, wäre entsprechend auch ein solches Kriegsbild dabei heraus gekommen. Das betrifft aber nur das Gelände an welches sich die Flanken anlehnen. [...]

Anfangs wäre es nicht richtig voran gekommen, dass ist völlig korrekt, und ja, es wäre ein Alptraum gewesen, eine Steigerung des Ersten Weltkrieges den exakt das war das Kriegsbild der Westalliierten. Exakt deshalb zögerten sich auch selbst so lange mit der Offensive bis es zu spät war, genau wegen dieser Ansicht. Aber: du lässt hier die ganz grundsätzliche strategische Konzeption des ganzen außer Acht, nämlich in einem Abnutzungskrieg den Feind solange abzunutzen bis er in sich kollabiert. Das ist das Konzept.
40 Divisionen mehr als Grundstock bei den Alliierten ist schon eine relativ gewagte Annahme bzgl. der Größenordnung. Zumal selbst im Mai 1940 - auch wenn der Ausrüstungsstand bei den Alliierten hinsichtlich Infanterieausstattung teils besser gewesen sein mag - die Kräfte relativ ähnlich waren (grob drei bis dreieinhalb Mio. Soldaten je Kriegsseite). Würde heißen, dass bestenfalls die alliierte Seite ein Übergewicht von ca. 15% bei den Mannschaften hätte. Das ist zwar ein leichtes Übergewicht, aber man muss bedenken, dass der Angreifer im Normalfall deutlich stärker sein sollte, zumal wenn a) ich auf die Materialschlacht setze und b) ich im schwierigen Gelände mit einem infanterielastigen Schwerpunkt, so habe ich dich verstanden, angreifen will. Ansonsten blute ich selbst aus und nicht der Angegriffene. Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg zeigen auch, dass die Entente-Mächte im Angriff gegen oftmals deutlich schwächere deutsche Verbände teils schwere Verluste erlitten, die die der Deutschen deutlich übertrafen. Wenn ich also nun der Doktrin folge, die ich 1914 bis 1918 angewendet habe (laut deinen Ausführungen wäre dies die französische Taktik gewesen), dann müsste ich, will ich den Gegner erdrücken und ausbluten lassen, mindestens 50% mehr Kampfkraft besitzen. Das ist aber in unserem Szenario nicht in Sicht.
Zitat:Im übrigen belegt gerade auch die Ardennenoffensive (auch beide wenn man so will), dass dein Gedanke von der Undurchdringbarkeit dieses Geländes für Panzer einfach falsch ist.
Undurchdringlich ist das Gelände nicht. Da hatte ich mich etwas unzulänglich ausgedrückt. Es ist eher einfach nur schwer für Panzer zu nutzen. Im Winter ist das Chaos beinahe vorprogrammiert (Ardennenoffensive 1944), im Frühsommer geht es halbwegs, aber auch da bin ich auf wenige Straßen angewiesen (Sichelschnitt 1940). Auf jeden Fall sind größere Vorstöße aber ein Wagnis - zumal wenn der Gegner entsprechende Luftkräfte besitzt.
Zitat:Die Maginot-Linie wird heute sehr unterschätzt. Sie wurde auch nirgends durchbrochen und dies wäre auch dann nicht geschehen, wenn man es ernsthafter versucht hätte...
Wenn dem so wäre, hätte sich das Konzept eines solchen Walls ja erhalten. Das war aber nicht der Fall. Außerdem: Man schaue sich z. B. wesentliche stärkere oder konzentriertere Festungsanlagen an - sie fielen ebenso, entweder durch heftigen Beschuss (z. B. Sewastopol) oder durch trickreiches Agieren (z. B. Eben Emael). Und auch die Forts der Maginotlinie wären bei einem Angriff mit schwerer Artillerie (oder wenn der Gegner darauf landet) gefallen. Sicherlich war sie logistisch (d. h. damit meine ich die Vernetzung und Untertunnelung der einzelnen Abschnitte) bemerkenswert umfangreich, aber die einzelnen Werke hätten direktem Beschuss nicht widerstanden. Das war auch ein Grund, weswegen die abgeschnittenen Forts 1940 dann nach Androhung von Beschuss rasch kapitulierten.
Zitat:So wie die Franzosen bei Sedan durch das Massenbombardement der Luftwaffe am 13 Mai in ihren Bunkern de facto kampfunfähig wurden, nicht weil die Bunker oder ihre Besatzungen ausgeschaltet gewesen wären, sondern aus psychologischen Gründen und weil jede Führung und Koordination zusammen brach, so hätte der gleiche Effekt umgekehrt auch gegen deutsche Stellungssysteme mit der Artillerie erzielt werden können.

Durch den ganzen Feuerhagel der Luftwaffe bei Sedan gegen die französischen Bunker waren nur 56 französische Soldaten getötet worden. Und trotzdem waren die Bunker weitgehend praktisch ausgeschaltet in ihrem Wert und ebenso die sonstigen Feldbefestigungen und Stellungen der 55. französischen Division.
Nur damit wir uns richtig verstehen (also deine Ausführungen hier sind völlig korrekt, aber darum geht es mir jetzt nicht primär): Gegen diese Luftwaffe willst du also gegen das Ruhrgebiet vorrücken, obgleich anzunehmen ist, dass ihre Schlagkraft eher zunehmen als abnehmen wird (zumindest in unseren Szenario)?
Zitat:Und die französischen und britischen Munitionsproduktions-Kapazitäten waren immens viel höher als die Deutschen (siehe Halders Kriegstagebuch, siehe das Heereswaffenamt in dieser Zeit, siehe die Munitionspanik zwischen Polen und dem Frankreichfeldzug). Es fehlte Deutschland Stahl und die Pulverproduktion war unzureichend.

Das Artillerieduell wäre von deutscher Seite aus Munitionsmangel verloren worden. [...]

Wie Halder (Artillerietruppe!) in seinem Kriegstagebuch vermerkte fehlten Deutschland hunderttausende Tonnen von Stahl pro Monat für das von ihm ebenfalls erwartete 1WK Geschehen in Steigerung an der Westfront.
Hier gibt es einen Denkfehler - nicht nur bei dir, auch bei mir.

Wir gehen beide von einem statischen deutschen Verhalten aus. D. h. die Deutschen machen einfach von Herbst 1939 bis Herbst 1940 einmal gar nichts, außer sich eingraben und ein paar Minen legen. Das wäre aber irrig anzunehmen. Als die deutsche Blitzkriegsstrategie Ende 1941 vor Moskau stecken blieb und klar wurde, dass der Krieg nicht rasch gewonnen werden kann, wurden enorme Rüstungsanstrengungen zur Massenproduktion umgesetzt. Man bezeichnete sie später auch als das Wunder Speers. Das ist nicht ganz richtig, die Weichen wurden von seinem Vorgänger, Fritz Todt, gestellt (der aber Anfang 1942 bei einem Flugzeugabsturz starb).

Man stelle sich vor (nun ein Planspiel):

Ende 1939 - eine fiktive Besprechung auf dem Berghof. Schlechte Stimmung. Anwesend: Hitler, Heß, Brauchitsch, Halder, Keitel, Raeder, Reichswirtschaftsminister Funk, Walther Darré, dazu Generalleutnant Manstein (Stabschef Heeresgruppe A), Erhard Milch vom RLM, General der Panzertruppe Guderian, General Kesselring u. a.

Reichsmarschall Göring ist auf Jagdausflug und lässt sich entschuldigen.

Der "Führer" ist der Meinung, man könne im Westen unmöglich angreifen. Gegner zu stark. Keitel stimmt dem natürlich sofort zu, Frankreich sei ja die stärkste Macht des Kontinents. Halder und Manstein sind sich ausnahmsweise mal einig: Man könne mit Panzern nicht durch die Ardennen angreifen, Gebiet zu undurchdringlich. Und selbst wenn man es riskiert, würde der Gegner einen Sichelschnitt aus dem Süden heraus gen Norden führen und die deutschen Panzer abschneiden. Ein totales Fiasko in Belgien drohe. Auch Guderian neigt zur Vorsicht, Frankreich habe ja auch mehr Panzer. Angriff auf die Maginotlinie wird zudem als zu gefährlich angesehen. Defensive sei vorzuziehen.

Reichswirtschaftsminister Funk wendet ein, dass die Rüstung des Gegners aber jene des Reiches aktuell übertreffe, die Zeit arbeite also gegen Deutschland. Halder stimmt zu, die aktuellen Rüstungsbemühungen reichen nicht aus, um mit den Westmächten auf Dauer mitzuhalten. Zudem seien noch nicht alle Heeresverbände wirklich einsatzbereit. Hitler fragt nach aktuellen Produktionsperspektiven. Staatssekretär Milch vom RLM erklärt, man könne mit bestenfalls 10.000 bis 11.000 Maschinen im Laufe des Jahres 1940 rechnen. Steigerungen nach aktuellem Stand nicht möglich, es sei denn, man stelle die Rüstung auf neue Beine.

Guderian, Funk und Brauchitsch erklären, dass die bisherige deutsche Wehrwirtschaft, die auf einen schnellen Blitzsieg gesetzt hatte und entsprechend auf niedrigem Niveau produziere, nun eine Massenproduktion brauche, da mit einem schnellen Sieg nicht mehr zu rechnen sei. Eher weisen die Zeichen in Richtung einer Wiederholung der Materialschlachten des Ersten Weltkrieges. Funk und Darré erklären, dass die Rohstofflage gut sei.

Im Gegensatz zur Blockade im Ersten Weltkrieg habe man Erz aus Skandinavien und ausreichend Erdöl, Zinn, Phosphat, Holz, Mangan, Vieh und Getreide aus Russland. Allenfalls Sorgen sind da wegen Gummi - aber man wolle die Synthesekautschuk-Produktion in Buna hochfahren, was aber dennoch nicht ausreichen würde. Da man den U-Boot-Krieg sowieso einstellen wolle (zur stillen Freude Raeders) und außerdem den Z-Plan nicht weiter verfolge (dieses Mal zur Empörung Raeders), könnten zudem noch rund 150.000 bis 250.000 Tonnen Material und 30.000 bis 40.000 Arbeitskräfte auf die Schnelle freigemacht werden, so Funk.

Trotz betrüblicher Zahlen, reift ein Plan...

Januar 1940: Berlin - Führererlass Nr. 6 - Weisung für die Kriegführung / Kriegswirtschaft. Hitler befiehlt die Schaffung eines "Hindenburgprogramms wie 1917" für das Jahr 1940, wobei hier erstmals massive Einschnitte in den Alltag der Deutschen geplant sind. Schwerpunkte: Luftrüstung, Panzer, Artillerie. Im Februar 1940 wird Fritz Todt, Generalinspektor für das Straßenwesen, zum neuen Reichsminister für Bewaffnung und Munition ernannt...


Und spätestens jetzt wären unsere ganzen Zahlengegenüberstellungen hinfällig, zumindest was die deutschen Zahlen betrifft...

Schneemann
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RE: Kontrafaktische Geschichte: Westfeldzug 1940 - von Schneemann - 24.04.2022, 08:40

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