Kontrafaktische Geschichte: Westfeldzug 1940
#9
Helios:

Italien lassen wir bewusst außen vor, ebenso Belgien oder die Sowjets, um die Sache zu vereinfachen und Faktoren heraus zu nehmen.

Zitat:Die Verlustrate der Jagdflieger der Luftwaffe war .......absolut wie insbesondere auch relativ bezogen auf die Zahl der geflogenen Einsätze deutlich niedriger als die der französischen Jagdflieger.

Da habe ich aber andere Zahlen, beispielsweise von Kirkland und anderen. Die Franzosen schossen im Luftkampf mehr deutsche Flugzeuge ab als umgekehrt und zwar erheblich mehr. Ich habe sogar ja schon oben ganz konkrete Zahlen genannt. Das die Verlustrate niederiger war als bei der Luftschlacht um England, kein Vertun. Aber die Zahl der Luftsiege französischer Piloten war ca doppelt so hoch wie umgekehrt die Zahl der Luftsiege deutscher Piloten über französische Flugzeuge. Bei den Briten sah das anders aus, ich weiß, aber da muss man halt auch bedenken welch immenser Anteil der britischen Flugzeuge auf dem Kontinent lediglich Aufklärer etc waren. Mir ging es also nur um Franzosen vs Deutsche im Luftkampf. Und da sah das Verhältnis 306 zu 733 aus, zugunsten Frankreichs.

Zitat:Mit der gleichen Zahl an Maschinen konnte die Luftwaffe deutlich mehr Einsätze pro Tag als die Armée de l'Air durchführen, während im Durchschnitt ein Jagdflieger auf französischer Seite etwa anderthalb Missionen pro Tag flog, kam der deutsche Pilot auf durchschnittlich sieben Einsätze. Auch bei den Bombern sah das Verhältnis ähnlich aus.

Auch da hatte ich bereits konkrete Zahlen genannt, die von deinen hier zwar ebenfalls abweichen, aber von der Kernaussage her das gleiche aussagen. Tatsächlich flogen die Bomber der Franzosen noch sehr viel weniger Einsätze pro Tag, dass schwankt je nach Quelle so um die 0,3 Einsätze pro Tag.

Nun merkst du korrekterweise an, dass hier die Koordination fehlte, aber man hätte auch ohne eine solche bei einem entsprechenden aggressiven Offensivgeist (der natürlich hier fehlte und fehlen musste - aufgrund der Doktrin), viel mehr Bomber gegen die deutschen Kolonnen in den Ardennen einsetzen können. Dazu hätte es keiner Koordination mit irgendwas bedurft, man hätte einfache freie Jagd auf Sicht erklärt, die Maschinen vorgejagt und alles angegriffen was da auf den wenigen bekannten Straßen im schleichenden Verkehr vor sich hin kroch. Allein das hätte schon die komplette Wende gleich zu Beginn bringen können. Aber da es hier ja um eine völig andere Situation geht, noch etwas mehr Konkretisierung zu dieser, denn es bedarf meiner Meinung nach noch weiterer Konkretisierung hier, bevor wir überhaupt tiefer einsteigen können:

Zitat:Ich habe da ehrlich gesagt meine Zweifel, dass solch ein Angriff ohne hinreichende Luftunterstützung wirklich hätte erfolgreich verlaufen können. Und für eine solche Luftunterstützung fehlten den Alliierten meines Erachtens trotz des weiteren Aufbaus die Mittel.

Wir haben ja den Spätherbst 1940 als Angriffszeitpunkt für die Westalliierten festgelegt. Ein Grund (den ich jetzt mal so festlege) warum ein Angriff überhaupt zu diesem Zeitpunkt (ursprünglich von Schneemann einfach willkürlich festgelegt) stattfinden könnte wäre das Wetter und sein Einfluss auf die Luftoperationen.

Nehmen wir also mal im weiteren an, der Angriff sei deshalb so spät und in den Frühwinter hinein erfolgt, weil dies die deutsche Luftwaffe erheblich behindert (Wolken, Nebel, Regen, Schneeregen etc) und dass sei der Grund warum die Offensive dann startet. Das würde ganz gut passen zu deiner Aussage.

Schneemann:

Ich kann Helios zustimmen, dass wir beide hier aktuell zu sehr auf den bloßen Produktionszahlen und Zahlen von Systemen herum reiten. Das ist nicht alles, aber natürlich ist eine ganzheitliche Betrachtung im Rahmen von bloßen Forenbeiträgen sehr schwierig.

Noch mal zu den Parametern: Lassen wir die Sowjetunion mal so weit raus, dass Deutschland seine Truppen bis auf irgendwelche irrelevanten Landwehrverbände komplett im Westen einsetzen kann (als rein theoretisches Szenario) und lassen wir im weiteren auch Belgien raus (und alle anderen), es bleibt bei Frankreich + Großbritannien gegen Deusches Reich als einzigen Kriegsteilnehmern. Damit dürfte jetzt jede Ungenauigkeit in dieser Frage endlich geklärt sein.

Zitat:Anm.: Was hier in meiner Rechnung fehlt, sind die Franzosen. Aber alle Zahlen, die ich finde, sind meistens nur grobe Schätzwerte, was ggf. möglicherweise irgendwann gebaut oder importiert werden könnte. Da will ich mich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, da dies sehr vage ist.

Und bleiben wir eingangs noch mal bei den Produktionszahlen:

Laut Kirkland (French Air Strength) oder auch Harvey lag die britische und französische Flugzeugproduktion beim doppelten der deutschen Flugzeugproduktion und hätte sich dieses Verhältnis im weiteren Verlauf sogar noch weiter zuungunsten der Deutschen verschlechtert.

Du schreibst nun hier, dass die Deutschen hätten ca 4200 Bomber produzieren können. Damit hätten die Allierten im gleichen Zeitraum 8400 Bomber produzieren können. Zieht man die von dir genannten ca 5600 britischen Maschinen ab, hätte Frankreich die Zahl seiner Bomber also um ca 2800 Maschinen vermehren können. Frankreich startete mit 1160 Bombern (davon natürlich ein Gros veraltet, aber das waren etliche deutsche Flugzeuge auch), entsprechend wäre die Anzahl der französischen Bomber auf ca 4000 gestiegen.

Bei den Jagdflugzeugen hätte die Sache noch krasser ausgesehen, wenn man hier die französischen und britischen Produktionskapazitäten zusammen nimmt, und entsprechend davon ausgeht, dass die Briten ihre neueren Typen (Spitfire) dann in größeren Stückzahlen eingesetzt hätten. Im übrigen schlugen sich die vorherrschenden Me109e auch gegenüber Typen wie der Bloch 152, Dewoitine 520, Curtis Hawk oder Hurricane keineswegs so überragend wie man das oft annimmt. Das lag auch an der querschnittlich besseren Ausbildung der alliierten Piloten und ihrem Können mit diesen Maschinen, aber auch technisch konnten die durchaus oft mithalten.

Aber an dieser Stelle will ich einen Einschub machen und den Gedanken von Helios aufgreifen dass die Luft hier keineswegs irgendwie entscheidend geworden wäre, und wir könnten den von dir ursprünglich gewählten Zeitpunkt der westalliierten Offensive im Spätherbst 1940 ja auch damit begründen, dass dadurch die deutsche Luftwaffe wetterbedingt eingeschränkt wird und dies ein primärer Grund für diesen Angriffszeitraum ist.

Deshalb will ich im weiteren etwas mehr am Boden bleiben, was wiederum eher mein Gebiet ist.

Zitat:Naja, das habe ich aber so verstanden gehabt, da die ursprüngliche Formel schon war: "Was, wenn die Deutschen nicht attackiert, sondern die Westalliierten angegriffen hätten?" Ein langsames Herantasten, ein Vorwühlen, eine Materialschlacht quasi, war so eigentlich nicht unbedingt anzunehmen.

Man versteht sich in der Kürze und Beschränktheit solcher Foreneinträge fortwährend sehr leicht falsch. Die ursprüngliche Formel war meinerseits durchaus: was wenn die Westalliierten angegriffen hätten!? Das hast du schon richtig geschrieben, Aber: man darf dabei nicht die grundsätzliche Doktrin der französischen Armee dann einfach außer Acht lassen. Ein solcher Angriff wäre seitens der Westalliierten niemals, unter gar keinen wie auch denkbaren Umständen so erfolgt wie umgekehrt der deutsche Angriff auf Frankreich. Das hätte dann nichts mehr mit kontrafaktorischer Geschichte zu tun, dass wäre dann einfach nur noch wertlose völlige Phantasterei.

Jeder denkbare Angriff der Westalliierten wäre eine systematische Materialschlacht gewesen, ein stückweises Vorwühlen, den exakt darauf waren ihre Armeen ausgerichtet und im Falle der französischen Armee de facto überspezialisiert. Jede Offensive der Franzosen wäre exakt so durchgeführt worden, und auf keinen Fall anders, gerade deshalb ignorierte man ja beispielsweise de Gaulle derart extrem. Man wollte im Endeffekt eine perfektionierte Form des Ersten Weltkrieges führen, entsprechend war dies das angestrebte Kriegsbild. Alle Ausrüstung, alle Ausbildung, alle Doktrin, alle Strukturen und jedwedes militärische Vorgehen waren darauf hin ausgerichtet.

Bei einer Offensive der Westalliierten hätten diese nun den Deutschen exakt diese Kampfweise aufzwingen können, weil die Deutschen in der Defensive ihre wesentlichsten Stärken gar nicht hätten zum Einsatz bringen können, und erst recht nicht in dem von mir genannten Gelände.

Zitat:Uns ist klar, von welchem Terrain wir hier reden? Dies ist Mittelgebirgsniveau, d. h. Wälder, stark eingeschnittene Täler, Höhenzüge, Flussläufe. Und wenn wir wirklich noch im Winter 1940/41 da herumtaktieren, dann wird es auch noch ziemlich kalt und schneereich. Da ist dann faktisch nichts mehr groß möglich hinsichtlich Panzern. Allenfalls kann ich einige wenige Straßen noch nutzen, die aber schnell gesperrt sind (siehe Ardennenoffensive).

Wenn du mal Google Maps ansiehst, und die von mir genannten Angriffsachsen entlang gehst, dann stellst du schnell fest, dass deine Beschreibung der Landschaft unzureichend ist. Das von dir genannte Gelände existiert zwar, aber ich nannte es explizit als eine Bedeckung der jeweiligen Flanken der französischen Angriffsachsen. Die von dir genannten Faktoren hätten also verhindert, dass deutsche Panzerverbände seitlich vorbei durchbrechen und dann die französischen Verbände einkesseln, ebenso wäre jedes Schlagen aus der Nachhand dadurch verhindert. Das von dir beschriebene Gelände wäre also perfekt dafür die französischen Armeen daran anzulehnen, während man dieses selbst mit Infanterie nimmt.

Weite und breite Teile der von mir explizit genannten Bewegungsachsen sind keineswegs so wie du es hier beschreibst. Die Flüsse liegen nun im weiteren hier oft auch nicht quer, sondern gerade die größeren Flüsse liegen längs der Bewegungsrichtung, dass ganze wird dann sogar zum Vorteil dahingehend, dass man hier sogar den Wasserweg für logistische Versorgung andenken könnte.

Zitat:D. h. die tapferen Landser und ebenso die tapferen Poilus werden im Schnee und Nebel bei Minusgraden herumstapfen, sich Erfrierungen holen und versuchen, irgendwelche Höhenzüge einzunehmen, während sie zugleich versuchen, ihre MGs und Granatwerfer oder das eine oder andere leichte Feldgeschütz irgendwo hin zu transportieren. Daneben lauern vermutlich - da die Deutschen sich ja seit grob einem Jahr (von September 1939 bis Ende 1940) eingegraben haben - neben den üblichen Drahtverhauen auch noch Minenfelder.

An den Flanken der Hauptvorstöße wäre das tatsächlich das Kriegsbild gewesen. Hier hätten die Franzosen aber um die 40 Infanterie-Divisionen mehr einsetzen können, entsprechend wären die Deutschen Truppen erschöpft und ausgeblutet ohne weiteren Zulauf dagestanden, während die Franzosen immer neue frische ausgeruhte Divisionen ins Gefecht hätten führen können. Da sich Frankreich das ganze ja ohnehin als einen perfektionierten 1WK vorstellte, wäre entsprechend auch ein solches Kriegsbild dabei heraus gekommen. Das betrifft aber nur das Gelände an welches sich die Flanken anlehnen.

Im übrigen belegt gerade auch die Ardennenoffensive (auch beide wenn man so will), dass dein Gedanke von der Undurchdringbarkeit dieses Geländes für Panzer einfach falsch ist.

Und auch die Franzosen hatten sowohl in den Ardennen als auch bei Sedan Bunker und Befestigungsanlagen. Diese zu knacken dauert für die Deutschen gerade mal den 13 Mai. Es ist eben nicht so, dass eine Armee nur weil sie sich einige Monate lang eingegraben hat dadurch nicht mehr aus ihren Stellungen geworfen werden kann. Entsprechend hätten auch deutsche Feldbefestigungen, Bunker, Minenfelder etc von den Franzosen durchaus auch genommen werden können. Das hängt dann von vielen Umständen ab.

Zitat:Während zugleich Artillerie aus dem Hinterland noch vorne reinschießt - wobei hier die Deutschen den Vorteil der größeren Reichweite hätten

Um es korrekter auszudrücken: die Reichweite ist zwar gleich, aber die Deutschen hätten im Bereich der größeren Reichweiten eine größere Quantität gehabt. Nur: da ist wieder die Munitionsfrage. Nach dem Polenfeldzug war bei manchen Kalibern der schweren Artillerie ein Fehlbestand von über 80%. Diesen konnte man bis zum Frankreichfeldzug gerade wieder auffüllen.

Und die französischen und britischen Munitionsproduktions-Kapazitäten waren immens viel höher als die Deutschen (siehe Halders Kriegstagebuch, siehe das Heereswaffenamt in dieser Zeit, siehe die Munitionspanik zwischen Polen und dem Frankreichfeldzug). Es fehlte Deutschland Stahl und die Pulverproduktion war unzureichend.

Das Artillerieduell wäre von deutscher Seite aus Munitionsmangel verloren worden.

Zitat:was bei der Unübersichtlichkeit des Geländes sicherlich noch den einen oder anderen Friendly-Fire-Beschuss mit sich bringt.

Das noch dazu, und hier wäre die wesentlich zahlreichere leichte französische Artillerie wieder ein Vorteil gewesen.

Zitat:Da dürfte es dann vermutlich in den Argonnen 1918 noch angenehmer gewesen sein, da es da noch keine S-Minen etc. gab. Kurzum: Das ist ein Alptraum, wo es vielleicht mal ein paar Kilometer hin oder her geht, aber sicher keinerlei Entscheidung fällt.

Anfangs wäre es nicht richtig voran gekommen, dass ist völlig korrekt, und ja, es wäre ein Alptraum gewesen, eine Steigerung des Ersten Weltkrieges den exakt das war das Kriegsbild der Westalliierten. Exakt deshalb zögerten sich auch selbst so lange mit der Offensive bis es zu spät war, genau wegen dieser Ansicht. Aber: du lässt hier die ganz grundsätzliche strategische Konzeption des ganzen außer Acht, nämlich in einem Abnutzungskrieg den Feind solange abzunutzen bis er in sich kollabiert. Das ist das Konzept. Das ist nicht elegant, dass ist nicht Bewegung und Manöver, aber es ist ein funktionierendes Konzept.

Die Wehrmacht hätte diese Materialschlacht gar nicht so lange führen können. Sie wäre sowohl von ihren Infanterie-Divisionen her (die zu diesem Zeitpunkt noch unzureichend waren im Vergleich) bis hin zu ihrer Artillerie diese Abnutzung nicht durchgehalten und dann wäre die ganze Front ins Rutschen gekommen.

Exakt so einen Alptraum zu produzieren war das Konzept der französischen Armee. Deshalb die ganze lineare Systematik, die Verteilung der Kampfpanzer auf die Infanterie, das Übermaß an Artillerie usw

Zitat:Die Maginotlinie ist bekanntermaßen nicht die "Versicherung" für die sie gehalten wurde (genauso wie andere Festungen allerdings auch).

Die Maginot-Linie wird heute sehr unterschätzt. Sie wurde auch nirgends durchbrochen und dies wäre auch dann nicht geschehen, wenn man es ernsthafter versucht hätte. Wie ich es schon schrieb wäre die ganze Sache eine neue gigantische Schlacht von Leuthen geworden, eine Schiefe Schlachtordnung. Ermöglicht gerade eben durch die Maginot Linie die ironischerweise für eine Westalliierte Offensive wesentlich mehr geleistet hätte als sie in der Defensive je hätte leisten können.

Zitat:Die reine zahlenmäßige Überlegenheit wäre wohl technisch möglich, aber du musst eine solche ja auch ansetzen können. Wenn sich, was dort durchaus wegen des Geländes denkbar wäre, aber alles hintereinander staut, dann gibt es ein totales Wirrwarr - und die Spitzen könnten mit recht wenig Feuerkraft sogar aufgefangen werden.

So ist das Gelände dort aber nicht insgesamt beschaffen, sondern nur in bestimmten begrenzten Anteilen.

Und der Frontabschnitt in welchen die westalliierte Offensive hinein geführt worden wäre, hätte eine Breite von ca 180 Kilometern gehabt (gerade abgemessen). Das zuerst vor dem Angriff ins Ruhrgebiet einzunehmende Gebiet hätte eine Ausdehnung von 180 km (Front bei Beginn) auf 210 km. Dies wäre zuerst zu nehmen. Da kann man natürlich nicht nach belieben Truppen reinstopfen, aber darum geht es in der ersten Phase ja noch nicht einmal. Da werden Divisionen eingeschoben, werden erschöpft, heraus gelöst und neue eingeschoben usw. Entsprechend relevant sind hier fortwährende Reserven. Und diese hätte man in diesem Gelände auch bewegen können, sie wären keineswegs in einem totalen Wirrwarr hintereinander aufgereiht gewesen.

In der entstehenden Ausbuchtung von ca 40.000 quadratkilometern hätte man eine frontale Abnutzungsschlacht geführt und diese hätten die deutschen Infanterie-Divisionen nicht durchgehalten. Den beide Seiten hätten hier ungefähr die gleichen Versorgungsprobleme gehabt, nur dass die Franzosen immer neue Großkampfverbände ausgeruht in den Angriff hätten schicken können, während den Deutschen hierfür die Reserven gefehlt hätten und eine Entlastung in die Flanken auch nicht möglich gewesen wäre, da der Angriff hier sehr gut an das bergigere Gelände bzw an den Rhein angelehnt hätte werden können.

Zitat:Die Frage wäre aber, wie lange es dauert und was es kostet. Selbst 1939, als die französische Armee im September einige linksrheinische Gebiete eroberte - was in Warschau als Großangriff gedeutet wurde -, hat man sich wieder zurückgezogen, weil sie bereits nach nur 2 Wochen zu stark vermint waren und über 2.000 Mann Verluste eintraten nur durch Minen. Man stelle sich vor, das Gebiet kann ein Jahr lang vorbereitet werden inkl. Planquadraten für Artillerie etc.?

Wenn auch nicht alle Bunker stundenlangem Artillerietrommelfeuer zum Opfer fallen, Minenfelder sind dann meist kaum noch welche da. Und der beschränkte Angriff auf linksrheinische Gebiete war eher ein symbolischer Vorstoß, ein rein politisches Zeichen und wurde auch nicht wegen der Minen oder der Verluste abgebrochen, sondern weil er ja von Beginn nur mit völlig unzureichenden Kräften geführt wurde.

In unserem Szenario aber ist es ja eine absolute Großoffensive mit allem was man hat und mit einem strategischen Ziel, der Zerstörung des Ruhrgebietes. Weil damit im Abnutzungskrieg dann alles dauerhaft gesichert kippt, zugunsten der Westalliierten.

Zitat:Also zunächst mal ist der Hinweis auf das Äquivalent hier übertrieben bzw. ist im Vergleich nicht hilfreich. Taktische Nuklearwaffen hätten einfach eine wesentlich größere Sprengkraft und auch Wirkung am Punkt. Die Trommelfeuer des Ersten Weltkrieges (auch z. B. am Hartmannswillerkopf im Ersten Weltkrieg, nur um grob in "unserer" Spielwiesen-Region zu bleiben) wurden oftmals von halbwegs guten Befestigungen überstanden - während sie einer Atomexplosion nicht widerstanden hätten.

Auch eine taktische Atomwaffe zerstört halbwegs gut Befestigungen nur in einem recht kleinen Bereich. Natürlich kann Trommelfeuer dann auch in diesem noch Befestigungen übrig lassen, aber darum geht es bei einem immer weiter andauernden Trommelfeuer auch gar nicht. Dieses wird vor allem auch dazu geführt die aktive Verteidigung der Befestigungen zu unterdrücken und daher so nahe an die eigenen Kräfte heran geführt durchgehalten bis diese de facto schon inmitten der feindlichen Stellungen stehen. Das war das Konzept, exakt darauf haben sich die Franzosen dann im weiteren ausgerichtet. Gerade dafür war auch das Übermaß leichter Artillerie dar (mal abgesehen von deren Defensivwert), weil man ja die Geschütze nicht alle direkt "Schulter an Schulter" nebeneinander stellen konnte, so stellte man sie nach Reichweiten sortiert hintereinander und es kam dann dabei auch auf die bloße Anzahl der Schüsse und Einschläge an.

Die psychologische Wirkung dieses Trommelfeuers war immens und wird selbst heute noch drastisch unterschätzt. So wie die Franzosen bei Sedan durch das Massenbombardement der Luftwaffe am 13 Mai in ihren Bunkern de facto kampfunfähig wurden, nicht weil die Bunker oder ihre Besatzungen ausgeschaltet gewesen wären, sondern aus psychologischen Gründen und weil jede Führung und Koordination zusammen brach, so hätte der gleiche Effekt umgekehrt auch gegen deutsche Stellungssysteme mit der Artillerie erzielt werden können.

Durch den ganzen Feuerhagel der Luftwaffe bei Sedan gegen die französischen Bunker waren nur 56 französische Soldaten getötet worden. Und trotzdem waren die Bunker weitgehend praktisch ausgeschaltet in ihrem Wert und ebenso die sonstigen Feldbefestigungen und Stellungen der 55. französischen Division.

Die psychologische Wirkung von endlosem Artilleriefeuer wurde gerade von den Franzosen und Briten aufgrund des 1WK systematisch untersucht und sogar explizite Theorien daraufhin aufgestellt, wie man das Feuer durchführen muss, um diese Wirkung maximal zu steigern.

Die Wirkung wäre aus all diesen Faktoren heraus auch deutlich größer gewesen als im 1WK, und entsprechend wären deutsche Stellungssysteme zumindest so weit niedergehalten worden, dass entlang der von mir explizit beschriebenen Achsen die mit schweren Panzern verstärkten französischen und britischen Divisionen frontal immer wieder und wieder in die deutschen Stellungen hätten einbrechen können.

Im weiteren mal ein reales Beispiel wie das dann ausgesehen haben könnte (aus dem 2WK)

https://wavellroom.com/2020/08/18/the-ps...e-support/

Zitat:The Op Veritable fireplan was arguably the most intense of the war. It opened with 1,852 guns, from 40mm Bofors to 240mm super-heavies, all firing indirect fire support onto a 10-kilometre front. In the first 14 hours close to 700,000 shells were fired 5. By comparison, Alamein’s famously heavy fireplan was rather tame, with 1,000 guns firing a million shells, but taking more than a week to do it and on a 32-kilometre front6. Veritable’s fireplan included five and a half hours of preparation and counter-battery fire, at least one false start to prompt defensive fire, a vast smoke screen and a pepperpot programme where mortars, tanks, anti-tank and anti-aircraft guns rotated their indirect engagement of forward strongpoints.

This was followed by the barrage, a wall of fire 4,500 metres wide and 450 metres deep, where 6,500 shells fell in every grid square every hour. As the barrage stepped forward at 25 metres a minute, it was followed by 12 British and Canadian battalions supported by 400 heavy AFVs, including Churchill infantry tanks, Sherman Flails, AVREs and flame-throwing Crocodiles. By the end of the day, the British and Canadian troops in 30 Corps had fought through seven kilometres of the forward defensive line, almost collapsed the German 84 Infantry Division, destroyed four of its battalions and taken 1,100 prisoners. As the attacking units paused at the edge of the Siegfried Line there was no formed defence between them and the Rhine bridges at Wesel, 40km further east. All observers agreed that the key to Veritable’s opening success was the psychological effect of the fireplan, with close to 20 prisoners for every German casualty, and the casualties on both sides below five percent.

Auch wenn es in Swanns Studie und dem vernetzten Artikel explizit darum geht ein Beispiel für absoluten Overkill zu präsentieren, so wäre doch genau dieser Overkill das primäre Ziel der französischen Armee dieser Zeit gewesen.

Speziell dazu war sie aufgestellt, ausgerüstet, ausgebildet, von ihrer ganzen Doktrin her ausgerichtet. Exakt diese Effekte über möglichst lange Zeiträume herzustellen, systematisch, linear, maschinenhaft, stumpf. Das hätten weder die deutschen Infanterie-Divisionen mit ihrer querschnittlich wesentlich schlechteren Qualität noch die durch Munitionsprobleme beschränkte deutsche Artillerie durchgehalten.

Wie Halder (Artillerietruppe!) in seinem Kriegstagebuch vermerkte fehlten Deutschland hunderttausende Tonnen von Stahl pro Monat für das von ihm ebenfalls erwartete 1WK Geschehen in Steigerung an der Westfront.

Zusammenfassung:

Jede denkbare Westalliierte Offensive gegen ein Defensiv agierendes Deutschland wäre eine systematische Materialschlacht geworden, mit dem einzigen Ziel in einem Abnutzungskrieg die deutschen Truppen eben abzunutzen. Diese Rechnung wäre für die Westalliierten in jedem Fall aufgegangen. Das Reich verfügte nicht über die für einen solchen Abnutzungskrieg notwendigen Voraussetzungen.

Das wurde damals so auch von absolut jedem in der deutschen Führung selbst ganz genau so gesehen. Man ging damals beispielsweise im Frühjahr 1940 im deutschen Oberkommando davon aus, dass die Briten und Franzosen bei weiterer Rüstung in 6 bis 8 Monaten bereits ein Übergewicht erlangen könnten, dass dann nicht mehr überwindbar gewesen wäre.

Die deutsche Führung teilte also exakt meine Auffassungen welche ich hier wie ich hoffe halbwegs lesbar dargelegt habe.

Jeder Abnutzungskrieg der sich in endlosen Materialschlachten ausgelassen hätte, wäre von Deutschland verloren worden. Eine westalliierte Offensive hätte exakt zu einem solchen Abnutzungskrieg geführt.
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RE: Kontrafaktische Geschichte: Westfeldzug 1940 - von Quintus Fabius - 23.04.2022, 22:40

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