Kontrafaktische Geschichte: Westfeldzug 1940
#7
@Quintus
Zitat:Ich habe auch nirgends von einem raschen Offensivstoß geschrieben, sondern von einem linearen systematischen langsamen Vorgehen.
Naja, das habe ich aber so verstanden gehabt, da die ursprüngliche Formel schon war: "Was, wenn die Deutschen nicht attackiert, sondern die Westalliierten angegriffen hätten?" Ein langsames Herantasten, ein Vorwühlen, eine Materialschlacht quasi, war so eigentlich nicht unbedingt anzunehmen. Aber nehmen wir die Annahme einfach als gegeben an. Das verändert dann zwar die taktischen Parameter, aber strategisch bleibt die Lage eigentlich recht unverändert. Wobei ein langsames Vorgehen eines Gegners einem Verteidiger auch wieder Vorteile bietet, da er sich auf Veränderungen eher einstellen kann und auch besser Verstärkungen heranführen und ansetzen kann, als wenn er von einem raschen Angriff übertölpelt wird.
Zitat:Da der Vorstoß zwischen Eifel (nördlich) und Hunsrück (südlich) vorwärts gelaufen wäre, hätte die deutsche Panzerwaffe hier kaum flankierend wirken können. Das waldige Gelände der beiden Mittelgebirge wäre zudem ideal für die weit überlegene französische Infanterie gewesen (und auch für die leichtere Artillerie).
Uns ist klar, von welchem Terrain wir hier reden? Dies ist Mittelgebirgsniveau, d. h. Wälder, stark eingeschnittene Täler, Höhenzüge, Flussläufe. Und wenn wir wirklich noch im Winter 1940/41 da herumtaktieren, dann wird es auch noch ziemlich kalt und schneereich. Da ist dann faktisch nichts mehr groß möglich hinsichtlich Panzern. Allenfalls kann ich einige wenige Straßen noch nutzen, die aber schnell gesperrt sind (siehe Ardennenoffensive). D. h. die tapferen Landser und ebenso die tapferen Poilus werden im Schnee und Nebel bei Minusgraden herumstapfen, sich Erfrierungen holen und versuchen, irgendwelche Höhenzüge einzunehmen, während sie zugleich versuchen, ihre MGs und Granatwerfer oder das eine oder andere leichte Feldgeschütz irgendwo hin zu transportieren. Daneben lauern vermutlich - da die Deutschen sich ja seit grob einem Jahr (von September 1939 bis Ende 1940) eingegraben haben - neben den üblichen Drahtverhauen auch noch Minenfelder. Während zugleich Artillerie aus dem Hinterland noch vorne reinschießt - wobei hier die Deutschen den Vorteil der größeren Reichweite hätten -, was bei der Unübersichtlichkeit des Geländes sicherlich noch den einen oder anderen Friendly-Fire-Beschuss mit sich bringt. Da dürfte es dann vermutlich in den Argonnen 1918 noch angenehmer gewesen sein, da es da noch keine S-Minen etc. gab. Kurzum: Das ist ein Alptraum, wo es vielleicht mal ein paar Kilometer hin oder her geht, aber sicher keinerlei Entscheidung fällt.
Zitat:Ein wesentlicher Vorteil der Franzosen wäre hier gewesen, dass sie mit der Maginot-Linie alles südlich vom Pfälzerwald bis hin zur Schweiz hätten entblößen können und damit eine immense zahlenmässige Überlegenheit in diesem Gebiet hätten verwirklichen können, hätte doch die Maginot Linie südlich von diesem Einfallsgebiet verhindert, dass die Deutschen dort offensiv werden.
Also - die Deutschen verhalten sich in unserem Planspiel ja eh defensiv, sie würden also nicht angreifen wollen. Aber selbst wenn: Die Maginotlinie ist bekanntermaßen nicht die "Versicherung" für die sie gehalten wurde (genauso wie andere Festungen allerdings auch). Die reine zahlenmäßige Überlegenheit wäre wohl technisch möglich, aber du musst eine solche ja auch ansetzen können. Wenn sich, was dort durchaus wegen des Geländes denkbar wäre, aber alles hintereinander staut, dann gibt es ein totales Wirrwarr - und die Spitzen könnten mit recht wenig Feuerkraft sogar aufgefangen werden.
Zitat:Damit wäre das ganze linksrheinische Gebiet zwischen Karlsruhe und Koblenz in die Hände Frankreichs gefallen.
Im "worst case" für die Deutschen wäre das tatsächlich so möglich. Die Frage wäre aber, wie lange es dauert und was es kostet. Selbst 1939, als die französische Armee im September einige linksrheinische Gebiete eroberte - was in Warschau als Großangriff gedeutet wurde -, hat man sich wieder zurückgezogen, weil sie bereits nach nur 2 Wochen zu stark vermint waren und über 2.000 Mann Verluste eintraten nur durch Minen. Man stelle sich vor, das Gebiet kann ein Jahr lang vorbereitet werden inkl. Planquadraten für Artillerie etc.?
Zitat:Parallel dazu wäre der strategische Bombenkrieg gegen das Ruhrgebiet durchgehend erfolgt.
Nein. Ich lese hier etwas irritiert immer von strategischem Bombenkrieg. Mit was denn? Farmans? Whitleys? Es standen nur mittlere Bomber zur Verfügung, die insgesamt zu langsam und zu schwach bewaffnet waren und deren Bombenlast (unter Ausnahme der Wellington und der Whitley) hinter jener der deutschen Maschinen schlicht zurückstand. Zumal auch die Frage wäre: Steigen die Flugzeugbestände auf beiden Seiten kontinuierlich an, so wie wenn es also keinen Krieg gäbe, oder gehen wir von aus, dass wir doch von September 1939 bis Ende 1940 über die Frontlinie hinweg Luftkrieg führen, was "Abnutzungserscheinungen" bedingen dürfte?
Zitat:Zunächst mal hätte das Reich bei einem längeren Abnutzungskrieg zumindest einen Teil seiner Truppen im Osten gegen die Sowjets stehen lassen müssen, da sonst ein sowjetischer Angriff in den Rücken der Deutschen einfach ein zu hohes Risiko dargestellt hätte.
Ich denke eher nicht, dass man hiermit spekulieren würde. Stalin war nach dem Finnland-Abenteuer voll mit der Restrukturierung beschäftigt und wollte mit den Deutschen eigentlich nur zusammenarbeiten. Und Barbarossa stünde ja auch nicht zur Diskussion. Ich will ja hier nun kein weiteres Fass aufmachen, aber wenn wir die Sowjetunion ins Spiel bringen, dann könnte man daran erinnern, dass Franzosen und Briten 1940 nur um ein Haar nicht die Sowjetunion wegen Finnland angriffen (Bombardierung Bakus etc.), was dann auch eine Dislozierung von alliierten Kräften bedeuten würde... Wink
Zitat:Aber hätte man angesichts der deutschen Truppenmassen in diesem Raum durchbrechen können? Die ganze Fragestellung ist schon falsch, weil sie gar nicht das Kriegsbild gewesen wäre. Es wäre gar nicht um Durchbrüche gegangen. Im weiteren hätten die ca 6000 Geschütze mehr (und nicht 1000 wie du schreibst) hier sehr wohl einen erheblichen Unterschied ausgemacht. Das französische Trommelfeuer wäre in dem bereits oben skizzierten Raum so dicht und massiv geworden, dass es dem Äquivalent taktischer Nuklearwaffen entspreochen hätte,
Also zunächst mal ist der Hinweis auf das Äquivalent hier übertrieben bzw. ist im Vergleich nicht hilfreich. Taktische Nuklearwaffen hätten einfach eine wesentlich größere Sprengkraft und auch Wirkung am Punkt. Die Trommelfeuer des Ersten Weltkrieges (auch z. B. am Hartmannswillerkopf im Ersten Weltkrieg, nur um grob in "unserer" Spielwiesen-Region zu bleiben) wurden oftmals von halbwegs guten Befestigungen überstanden - während sie einer Atomexplosion nicht widerstanden hätten. Abgesehen davon, dass ich die Zahl der Geschütze anzweifele, muss ich dann noch in unserem Szenario das dann auch noch alles logistisch erfassen. Auch ist nicht mit zu rechnen, dass ich die Geschütze wie die Russen an der Oder 1945 fast Holm an Holm abstellen und durchgehend feuern lassen kann (zumal der Gegner ja auch noch da ist, der hier bei weitem eben nicht geschwächt wäre). Das ist alles also sehr gewagt...
Zitat: Nur 61 Infanterie-Divisionen waren vollumfänglich verwendbar. Das sind keine 4 bis 6 Millionen Mann.
Da liegt ein Missverständnis vor. Mit vier bis sechs Mio. Soldaten meinte ich die Zahl der Deutschen und der Alliierten, die sich auf 200 Kilometern Frontbreite in den Vogesen quasi auf den Füßen stehen. Aber da war die Annahme meinerseits zuvor, dass die Benelux-Staaten ja nicht mitmachen, was du oben eher gekippt hast.
Zitat:Aber dessen ungeachtet sind wir bis jetzt nur bei der französischen Artillerie. Du lässt hier dann mal die britische welche noch dazu gekommen wäre außer Acht.
Nein, ich hatte die britische Artillerie erwähnt, aber sie eben als recht schwach eingestuft.
Zitat:Und nun zu noch einem Aspekt: den Munitionsreserven. Die beschriebene Art der Kriegsführung ist immens Munitionsintensiv. Tatsächlich aber hakte es genau hier bei den Deutschen. Bereits nach dem Polenfeldzug waren die Munitionsvorräte derart erschöpft, dass regelrecht Panik ausbrach was den jetzt geschehen solle, wenn die Franzosen angreifen würden. Entsprechend wurde auf Führerbefehl und mit allerhöchstem Druck hektisch daran gearbeitet die Munitionsvorräte wieder aufzufüllen. Dies gelang genau genommen nicht ausreichend für das hier skizzierte Szenario.
Das ist richtig, zumindest was Polen angeht. Aber: Erstens haben wir ein Jahr Zeit zum Aufstocken und zweitens hatten die Alliierten ebenso anfangs Engpässe - das war auch einer der Gründe, warum die Franzosen im September 1939 so zögerlich waren -, weil man eben nicht wirklich auf den Krieg vorbereitet war. Insofern ist die Munitionsfrage für unser Szenario eher zweitrangig.
Zitat:Die westallierte Flugzeugproduktion insgesamt lag 1940 beim doppelten der Deutschen. Das heißt, jeder denkbaren Verstärkung der Luftwaffe wäre die doppelte Verstärkung auf Alliierter Seite entgegen gestanden.

Nehmen wir mal ein rein theoretisches Beispiel: die Deutschen hätten bis zum Herbst 1000 Flugzeuge mehr gehabt. Dann hätten die Westalliierten 2000 Flugzeuge mehr gehabt. Der Vorsprung von um die 1000 Flugzeugen im Mai 1940 wäre auf 2000 Flugzeuge mehr auf Seiten der Westalliierten angewachsen. Und so wäre das immer weiter gegangen.

Noch ein wenig beachteter Aspekt: die Ausbildung der französischen Piloten war querschnittlich besser als die der Luftwaffenpiloten. Das zeigte sich sogar im Mai 1940 bei den Abschusszahlen. Die Franzosen schossen im Luftkampf 733 deutsche Flugzeuge ab, verloren aber selbst im Luftkampf nur 306 Flugzeuge.

Aber nicht mal deine Angabe dass die deutschen mehr Bomber gehabt hätten stimmt so ganz:

Die Deutschen hatten im Mai 1940 an der Westfront 1406 einsatzbereite Bomber (inklusive StuKa). Die französische Luftwaffe verfügte über 1160 Bomber, die Briten hatten auf dem Kontinet selbst 224 Bomber stationiert und weitere 310 wurden von England aus eingesetzt. Zusammen 1694 Bomber. Und es wird wenig beachtet wie stark die Royal Airforce tatsächlich war, den ein Gros aller britischen Einheiten wurde ja zurück gehalten. [...]

Keineswegs also hätte bei einem Krieg im Herbst 1940 ff die Luftwaffe mehr Bomber gehabt als die Westalliierten, sondern in jedem Fall wäre dies anders herum gewesen.
Im Mai 1940 war die Überlegenheit an mittleren Maschinen durchaus gegeben. Aber ja, Ende 1940 wäre die reine Anzahl - wenn wir das mal so gegenrechnen wollen - tatsächlich dann zugunsten der alliierten Seite gekippt. Indessen jedoch wäre es, auch bei zahlenmäßiger Überlegenheit, nicht zwingend auch eine qualitative gewesen. Ich habe es mal versucht aufzudröseln...

Wenn wir mal rein theoretisch von gar keinen Verlusten zwischen Ende 1939 und Ende 1940 ausgehen, dann laufen der RAF rund 1.200 Wellingtons zu (gute Bombenlast, gute Mehrzweckfähigkeit), dazu 900 Hampdens (kein schlechtes Flugzeug, aber auch nicht wirklich ein strategischer Bomber, zudem recht schwach bewaffnet), dazu 500 bis 600 Armstrong Whitworth Whitleys (gute Bombenlast, aber zu langsam und schwerfällig, allenfalls noch Nachtbomber). Den größten "Posten" stellt die Bristol Blenheim dar (ca. 3.000 Exemplare), aber das ist mit max. 500 kg Bombenlast eher ein leichter und etwas veralteter Bomber. Wir hätten also ca. 2.600 mittlere und 3.000 leichtere Bomber, deren Kampfqualitäten und Leistungsparameter aber sehr unterschiedlich gewesen wären.

Dem gegenüber hätten die Deutschen ca. 4.200 Bomber produziert, davon 1.800 Ju 88 und 1.200 He 111 sowie rund 700 Sturzkampfbomber und 500 leichtere Do 17. D. h. also 3.000 mittlere Modelle - d. h. mehr mittlerer Bomber als die Briten, die den britischen mittleren Modellen tendenziell zudem überlegen waren (die Abwehrbewaffnung war ebenso zu schwach) - und 1.200 leichtere Bomber bzw. Erdkampfflugzeuge (wobei die Do 17 immer noch eine fast doppelt so große Bombenlast wie die Blenheim tragen konnte). Ich sehe hier also nicht wirklich einen Vorteil bei den Briten.

Anm.: Was hier in meiner Rechnung fehlt, sind die Franzosen. Aber alle Zahlen, die ich finde, sind meistens nur grobe Schätzwerte, was ggf. möglicherweise irgendwann gebaut oder importiert werden könnte. Da will ich mich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, da dies sehr vage ist.

Schneemann
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RE: Kontrafaktische Geschichte: Westfeldzug 1940 - von Schneemann - 23.04.2022, 16:09

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