22.04.2022, 19:23
@Quintus
Aber gut. Jetzt um das Datum herumzudoktern bringt ja uns nicht wirklich etwas. Deshalb: Gehen wir weiterhin von unserem kontrafaktischen Gebilde aus: Polenkrieg, Aufteilung Polens, Deutsches Reich verharrt dann in der Defensive. D. h.: Keine Aktionen in Dänemark und Norwegen, keine seitens von Italien ab Juni 1940 im Mittelmeer, kein Britisch-Somaliland etc., kein deutscher Angriff gegen die Benelux-Staaten. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Ich nehme auch die Atlantikschlacht raus (die England im Spätsommer 1940 - "erste glückliche Zeit" der U-Boote - durchaus große Sorgen bereitete). Das hört sich zunächst nach einem Vorteil für die Alliierten an - ist es aber in unserem Szenario nicht unbedingt. Zwar sind dadurch die Tonnage- und Rohstoffverluste der Alliierten geringer und Truppen können ungehindert aus den Dominions zufließen und müssen auch nicht nach Nahost oder Afrika verteilt werden, aber zugleich haben die Deutschen diese Kapazitäten/Ressourcen, die in die U-Boote fließen würden, frei für die Heeresrüstung. (Ich gehe nachfolgend nur von groben Richtwerten aus, für 1940 wohl um die 20% der gesamten Aufwendungen.)
Schneemann
Zitat:Zunächst mal vorab: ich habe nirgends den Herbst 1940 genannt, und von daher könnte es genau so gut das Frühjahr 1941 sein oder was auch immer. Ganz ursprünglich kam von deiner Seite mal die Aussage: was wenn die Sache dann noch 1 1/2 Jahre länger gedauert hätte. Dies hatte ich so interpretiert: 1 1/2 Jahre ab Mai 1940, damit wären wir dann an der Grenze von 1941 zu 1942.Da liegt dann ein Missverständnis vor. Ich sagte übrigens nicht, dass es 1,5 Jahre länger dauern würde ab Mai 1940. Ich sagte/fragte, was denn gewesen wäre, wenn denn der Sitzkrieg (grob begonnen ab Mitte September 1939) statt ca. acht Monaten eben 1,5 Jahre gedauert hätte? Das wäre dann Herbst 1940 (naja, fairerweise muss man sagen, es wäre der Winter 1940/41). Deswegen bin ich von Herbst 1940 ausgegangen.
Aber gut. Jetzt um das Datum herumzudoktern bringt ja uns nicht wirklich etwas. Deshalb: Gehen wir weiterhin von unserem kontrafaktischen Gebilde aus: Polenkrieg, Aufteilung Polens, Deutsches Reich verharrt dann in der Defensive. D. h.: Keine Aktionen in Dänemark und Norwegen, keine seitens von Italien ab Juni 1940 im Mittelmeer, kein Britisch-Somaliland etc., kein deutscher Angriff gegen die Benelux-Staaten. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Ich nehme auch die Atlantikschlacht raus (die England im Spätsommer 1940 - "erste glückliche Zeit" der U-Boote - durchaus große Sorgen bereitete). Das hört sich zunächst nach einem Vorteil für die Alliierten an - ist es aber in unserem Szenario nicht unbedingt. Zwar sind dadurch die Tonnage- und Rohstoffverluste der Alliierten geringer und Truppen können ungehindert aus den Dominions zufließen und müssen auch nicht nach Nahost oder Afrika verteilt werden, aber zugleich haben die Deutschen diese Kapazitäten/Ressourcen, die in die U-Boote fließen würden, frei für die Heeresrüstung. (Ich gehe nachfolgend nur von groben Richtwerten aus, für 1940 wohl um die 20% der gesamten Aufwendungen.)
Zitat:Nun kommen wir zu einem weiteren wesentlichen Punkt. Der Position der deutschen Rüstungsindustrie. Diese wäre zu entscheidenden Anteilen bei einem breitflächigen massiven französischen Angriff direkt in die Reichweite französischer Waffen gekommen...Einspruch. Weil:
Zitat:Da im vorliegenden Szenario die Holländer und Belgier neutral geblieben wären, können wir diese hier mal rausnehmen, sonst sähe die Lage für das Reich noch hoffnungsloser aus.Damit haben wir nur einen sehr engen Angriffskorridor im südlichen Deutschland - weit ab vom Ruhrgebiet -, grob etwa zwischen Saarlouis und Freiburg im Breisgau. Und wenn sich auf dieser Lücke irgendwo zwischen vier und sechs Mio. Soldaten insgesamt tummeln, so kommt niemand voran, egal ob eine Seite tausend Geschütze mehr hat oder nicht.
Zitat:Das deutsche Heer verfügte Anfang Mai über ca 4,2 Millionen Soldaten in über 157 Divisionen. Für die Westoffensive waren dabei 135 Divisionen vorgesehen. Davon waren aber viele überhaupt nicht einsatzbereit oder wurden gerade eben erst aufgestellt. Die Soldaten in mancher dieser Potemkinschen Divisionen hatten nicht einmal Uniformen (ich schrieb bereits darüber). Entsprechend wurde der Angriff auf Frankreich mit 93 Divisionen begonnen, und dass war in Wahrheit das äußerste was die Wehrmacht im Westen an real einsetzbaren Verbänden aufbringen konnte. Das waren gerade mal ca 2,8 Millionen Soldaten.Unbestritten - und ja, stimme ich zu, in etwa die richtigen Zahlen bzw. die korrekte Einschätzung (Abweichungen gibt es leichtere zwar je nach Quelle immer, sie sind aber hier nicht entscheidend). Leider wird ja immer wieder die Wehrmacht als mechanisiertes Ungetüm beschrieben. In Wahrheit war nur ein recht geringer Prozentsatz der Truppen voll motorisiert.
Demgegenüber umfasste das französische Heer zu diesem Zeitpunkt über nicht weniger als 5,5 Millionen Soldaten. Die Ausrüstungslage war querschnittlich wesentlich besser als bei den deutschen drittklassigen Reserve, Landwehr und Landschützen Einheiten die einen erheblichen Anteil der genannten deutschen Truppen ausmachten.
Zitat:Man sollte zudem noch bedenken, dass von den real 93 verfügbaren Divisionen nur 10 Panzerdivisionen waren und nur 6 Motorisierte. Nur diese gerade mal 16 deutschen Divisionen gaben bei der Offensive den Ausschlag, bei einer Defensive aber wären sie keineswegs derartig zur Wirkung gelangt.Das kommt darauf an. Franzosen und Briten haben bekanntermaßen anfangs ihre Tanks verteilt und nicht zusammengefasst. Und bezüglich einer solchen Taktik würden (könnten?) auch nur acht oder zehn Divisionen ein Problem werden. Gleichwohl ist es aber relativ egal, ob ich zusammenfasse oder verteile, wenn ich eh nur auf 200 km Breite antreten kann. In jedem Fall wäre das Risiko, dass Angriffsverbände abgezwickt werden, durchaus real.
Zitat:Bei einer französischen Offensive wäre der französischen Artillerie der Doktrin Frankreichs gemäß eine entscheidende Rolle zugekommen. Um es mal mit Zahlen auszudrücken: Frankreich allein verfügte bereits über mehr als 11.000 Geschütze und weitere tausende waren bestellt. Bis zum Herbst (als von dir genannten Zeitpunkt) hätte Frankreich allein mindestens mehr als 14.000 Geschütze ins Feld führen können, auf gerade mal maximal ca 8000 deutsche Geschütze die dann dem Reich zur Verfügung gestanden hätten. Das Ungleichgewicht der Artillerie war de facto erdrückend und auch deine Relativierungen in Bezug auf die Qualität helfen hier nicht weiter, war auch ein Gros der deutschen Geschütze keineswegs herausragend. Dieses Zahlenverhältnis hätte sich bis zum Herbst noch deutlich weiter zugunsten der Westallierten verändert, wären doch die Briten hier ebenfalls noch mit einer nicht unerheblichen Zahl von Geschützen hinzu gekommen.Diese Zahl meinte ich ja und diese kenne ich - und für mich war sie ehrlich gesagt eher für den Angreifer ein Problem. Ich schrieb, dass ein Drittel der Kanonen im Kaliber 75 mm gewesen seien. Von den 11.000 Geschützen 1940 waren alleine ca. 4.500 75er (also sogar mehr als ein Drittel). Und damit "relativ" unbrauchbar für den Artilleriekampf, eher gut in der Abwehr, wenn ich Sturmangriffe abwehren will (dafür wurde die Canon de 75 mm 1897 ja auch mehr oder minder entworfen) - aber wir wollen ja angreifen. Bei 14.000 Geschützen wären also grob 9.500 Systeme effizient einsetzbar, davon waren aber grob nur ca. 40% (also rund 4.000) über 100 mm im Kaliber gewesen. Dagegen standen den Deutschen in etwa alleine im Sommer 1940 rund 4.700 10,5-cm-Feldhaubitzen und ca. 1.300 15-cm-Feldhaubitzen zur Verfügung (also 6.000 Systeme über 100 mm). Dazu kamen noch rund 350 schwere Geschütze über 21 cm und (hier gehen die Zahlen aber meilenweit auseinander) wohl irgendwo zwischen 2.000 und 3.500 leichtere Geschütze (meistens 75-mm- bzw 77-mm-Infanteriegeschütze). Geschütze des Kalibers 88 mm sind hier übrigens noch nicht mit enthalten. Alleine hier dürften es wohl nochmals ca. 1.000 Stück - Schätzungen gehen von 2.800 8,8-cm-Flak im gesamten Reichsgebiet im Mai 1940 aus, die aber kaum alle an der Front standen - gewesen sein (minimalistische Schätzung). Kurzum: Wenn ich angreifen müsste, würde ich langsam nervös werden. Ich sehe hier eine große Zuversicht deinerseits, die ich so nicht teile.
Zitat:Mal als Beispiel: auf die ca 1500 Panzer vom Typ I und II kamen bereits im Mai 1940 nicht weniger als ca 1700 Renault und Hotchkiss (welche du selbst als überlegen bezeichnet hast - macht eine Überlegenheit von 200 Einheiten bei qualitativer Überlegenheit jedes einzelnen Systems). Die Zahl der Somua war größer als die Zahl der Panzer III und es gab 274 Char B auf 278 Panzer IV, aber hier lief die Produktion gerade erst an und wären bis zum Herbst hier deutliche Verschiebungen gewesen. Die deutsche Produktion von Panzer III und IV war demgegenüber langsamer. Insgsamt kann man bis zum Herbst selbst bei einer konservativen Schätzung von einer deutlichen Überlegenheit der Panzer auf alliierter Seite ausgehen, und zwar vermutlich um 1000 Panzer mehr auf allierter Seite und diese in jedem Bereich von Typen qualitativ überlegen.Da gebe ich dem Angreifer ja auch einen Pluspunkt.
Zitat:Zur Luftwaffe muss man anmerken, dass hier gerade die französichen Luftstreitkräfte primär auf eine strategische Luftkriegsführung hin ausgerichtet waren. Wäre diese dann im Herbst so angelaufen wie von der französischen Luftwaffenführung geplant, hätte man von Frankreich aus im Ruhrgebiet und anderen deutschen Industriegebieten erhebliche Schäden anrichten können, entsprechend wäre hier die deutsche Produktion dadurch noch mehr ins Hintertreffen geraten.Das ist nun eine graue Theorie. Ja, man hatte großartige Ideen, und ja, es gab auch den einen oder anderen Vordenker des strategischen Luftkrieges (da gab es viele in vielen Ländern). Im Endergebnis hatte man im Mai 1940 aber gerade mal eine Handvoll schwerer Bomber. Und die waren auch zu langsam und zu schwach bewaffnet. Dass nun innerhalb von einem Jahr ein strategischer Bomber in Erscheinung tritt - zumal in nennenswerter Anzahl -, der wie eine B-17 oder Lancaster das Ruhrgebiet verwüstet (wobei selbst die Schäden, die diese verursachten, teils erstaunlich schnell behoben wurden), ist 1940 und auch Anfang 1941 definitiv nicht wahrscheinlich. Und wie gesagt: Die deutsche Luftwaffe hatte im Mai 1940 mehr Bomber als Franzosen und Briten zusammen. Selbst wenn dieses Verhältnis kippt hin zu einem groben Gleichstand, so kann der Angriff auf die Rüstung des Gegners von beiden Seiten ausgeführt werden. Und: Die deutschen Bomber waren im Querschnitt schneller und konnten eine größere Bombenlast aufnehmen als die Modelle des Gegners 1940 - dies kippte erst mit dem Auftreten der alliierten viermotorigen Bomber -, wenngleich sie auch genauso unzureichend bewaffnet waren.
Zitat:Stichwort 8,8: natürlich hätte dies hohe Verluste bedeutet, aber insgesamt wäre es nicht so relevant geworden. Den der Krieg wäre nicht durch Panzeroffensiven, sondern vor allem durch den Kampf von Infanterie und Artillerie entschieden worden. Das Infanterie - Artillerie Team wäre die dominante Komponente in diesem Kampf gewesen und allein schon die Doktrin und die Dislozierung der Panzer bei den Franzosen hätten dazu geführt, dass die 8,8 in keinster Weise solche Erfolge gehabt hätten wie dann später in Nordafrika et al.Nein, also entweder führen wir nun die große Offensive oder "wühlen" uns voran. Und hier geht es darum, dass die Westalliierten angreifen wie es die Deutschen taten. Mit einer raschen Offensive eben.
Zitat:Stichwort Ju-87: Die Wirkung der Ju-87 war vor allem psychologischer Natur.Nein. Sie war AUCH psychologischer Natur, aber die Wirkung nur jetzt darauf oder vor allem darauf reduzieren zu wollen, wäre verhängnisvoll für dein Gesamtkonzept.
Zitat:Tatsächlich voll einsatzfähig hatte das Heer gerade mal 61 Infanterie-Divisionen. Bis zum Herbst hätte man noch 70 voll einsatzfähig bekommen. Frankreich hatte an der Nordostfront bereits im Mai 1940 nicht weniger als 107 voll einsatzfähige Divisionen, dazu noch die 10 britischen. Bis zum Herbst hätte Frankreich um die 130 Divisionen für eine Offensive aufbringen können und die Briten weitere 5 dazu, man wäre hier von den real vollständig einsetzbaren Divisionen von westalliierter Seite um das doppelte überlegen gewesen...Ja. Und ja. Aber was willst du nun? Den raschen Offensivvorstoß - dann ist das eher zweitrangig. Oder die Abnützungsschlacht in den Vogesen und im Elsass - wo es dann durchaus gewichtig sein kann. (Wobei dann wiederum auch andere Faktoren mit berücksichtigt werden müssten.)
Schneemann