Chile
#28
Warten wir es mal ab - jung, eloquent, links: Das liest sich erstmal nach Aufbruch. Aber die Vergangenheit zeigt auch, dass Chile mit linken bzw. sozialistischen Regierungen nicht immer gut gefahren ist. Chile stand bislang recht gut da, was die Wirtschaftszahlen angeht, was aber auch rechten Regierungen (auch der Pinochet-Diktatur) zuzurechnen war.

Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitslosenquote und Inflationsrate liegen aktuell in internationalen Statistiken im sehr guten Mittelfeld oder im oberen Viertel. Der neue Präsident wird sich daran messen lassen müssen, ob er das Land weiter auf diesem guten Kurs hält oder es mit idealisierenden Konzepten überschuldet (und, dies ist eine Schwäche, das Land hängt immer noch stark auch von seiner Bergbauindustrie ab).
Zitat:STICHWAHL UMS PRÄSIDENTENAMT

Chile vollendet den Linksrutsch

Der 35 Jahre alte Gabriel Boric gewinnt die Präsidentenwahl in Chile. Der Linke steht für die in den vergangenen Jahren laut gewordenen sozialen Forderungen. [...] Mit fast 56 Prozent der gültigen Stimmen ist der Sieg des früheren Abgeordneten und einstigen Studentenführers vom Linksbündnis „Breite Front“ in der Stichwahl am Sonntag deutlicher ausgefallen als die letzten Umfragen hatten erwarten lassen. Schon bevor das Endresultat feststand, telefonierte der unterlegene rechte Kandidat José Antonio Kast mit Boric und übermittelte ihm seine Glückwünsche. Auf den Straßen der Hauptstadt Santiago und in anderen Städten versammelten sich derweil Zehntausende Anhänger des 35 Jahre alten Kandidaten zu Freudenfeiern. [...]

Vor zehn Jahren stand er an der Spitze massiver Studentenproteste, die sich für einen gerechteren Zugang zu den Universitäten des privatisierten Bildungswesens einsetzte. Zusammen mit anderen Anführern der Bewegung wurde Boric daraufhin in den Kongress gewählt. Unterdessen ist sein einst wildes Haar einer Scheitelfrisur gewichen, sein Bart ist säuberlich getrimmt, und die Tätowierungen sind unter dem Hemd verschwunden. Zum Lesen setzt Boric eine Hornbrille auf, die ein wenig an den früheren sozialistischen Präsidenten Salvador Allende erinnert. [...]

Nach dem Ende der Militärdiktatur war Chile über 30 Jahre von gemäßigten Kräften links und rechts der Mitte regiert worden. Die Verfassung aus der Zeit der Diktatur und das darin festgehaltene liberale Wirtschaftsmodell Chiles, das viele Ökonomen als die Basis für den Reichtum und die wirtschaftliche Stabilität des Landes sehen, wurden beibehalten. Boric vertritt eine neue Linke, in der sich die Abkehr vieler Chilenen von der traditionellen politischen Klasse widerspiegelt. Er verkörpert die Ende 2019 entstandene Protestbewegung, die „soziale Explosion“, die ein Land mit mehr Sozialstaat und sozialer Gerechtigkeit fordert und deren Druck zur Wahl eines Verfassungskonvents geführt hat, der im kommenden Jahr ein neues Grundgesetz vorlegen wird. [...]

Einer der umstrittensten Pläne von Boric betrifft die Einführung eines staatlichen Rentensystems und den Abbau der privaten Pensionsfonds, die ein wichtiges Fundament der lokalen Kapitalmärkte bilden. Reiche Personen und Unternehmen, insbesondere im für Chile wichtigen Bergbausektor, will Boric künftig stärker besteuern. Das Modell des chilenischen Minimalstaates ist dem Ende geweiht. Eine neue Verfassung, welche den Chilenen im kommenden Jahr zur Abstimmung vorgelegt werden soll, dürfte den Wandel untermauern, denn der Verfassungskonvent wird von einer absoluten Mehrheit linker und unabhängiger Mitglieder kontrolliert.
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausl...93064.html

Schneemann
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