Französische Sicherheitspolitik (offizel)
#2
Rede von Präsident Emmanuel Macron zur Strategie der Verteidigung und Abschreckung vor den Teilnehmern der 27. Session de l'école de guerre
Französische Botschaft Berlin
7.2.2020
[Video: https://youtu.be/d8mq84ppWZs]

Sehr geehrte Ministerinnen und Minister,

sehr geehrte gewählte Vertreterinnen und Vertreter,

sehr geehrter Herr Generalstabschef der Streitkräfte, sehr geehrte Generalstabsoffizierinnen und Generalstabsoffiziere,

sehr geehrte höhere Stabsoffizierinnen und Stabsoffiziere, Auditorinnen und Auditoren des Centre des Hautes Études Militaires und Offiziersanwärterinnen und Offiziersanwärter der École de Guerre,

sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine wahre Freude, heute in dieser renommierten École de Guerre, die so viele unserer militärischen Führungskräfte ausgebildet hat, unter Ihnen zu weilen.

So seltsam dies auch erscheinen mag, ist doch seit Charles de Gaulle kein Staatschef mehr hier zu Besuch gewesen. Es waren im Übrigen Ihre entfernten Vorgänger in den ersten Tagen der Fünften Republik, denen der General de Gaulle am 3. November 1959 vor nunmehr 60 Jahren in einer berühmt gewordenen Rede die Gründung dessen ankündigte, was er damals als die „Force de frappe“ bezeichnet hatte.

Der strategische Kontext hat sich seitdem natürlich tiefgreifend geändert, und es scheint mir wichtig, mit Ihnen, die Sie in den kommenden Jahren auf die hochrangigsten Posten unserer Streitkräfte berufen werden, einige Überlegungen zu den Grundlagen unserer Verteidigungsstrategie zu teilen.
Ich muss an dieser Stelle nicht daran erinnern, dass der Krieg „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist, wie es ein Autor schrieb, den zu studieren in diesen Reihen dringend empfehlenswert ist.

Ehe ich Ihnen als Oberbefehlshaber der Streitkräfte mein Einsatzkonzept vorstelle, möchte ich daher heute, um Ihre militärische Ausdrucksweise aufzugreifen, eine Lageeinschätzung mit Ihnen vornehmen, also eine Einschätzung der Welt, wie sie ist, und nicht, wie wir sie gerne hätten.
Ich habe schon mehrmals beschrieben, wie ich den Zustand der Welt sehe, und ich muss sagen, dass ich mit dem Schriftsteller Amin Maalouf die Feststellung einer Entregelung der Welt und, ich zitiere, „die Sorge eines Anhängers der Aufklärung, der das Licht dieser Aufklärung schwächer werden und in manchen Ländern fast erlöschen sieht“ teile.

Das vergangene Jahrhundert hat die strategischen, politischen, wirtschaftlichen, technologischen, energetischen und militärischen Gleichgewichte weitgehend infrage gestellt, und wir sehen heute wieder das heraufziehen, was den nach so vielen Dramen gewonnenen Frieden auf unserem Kontinent zunichtemachen könnte.

Zu einem Zeitpunkt, wo die globalen Herausforderungen, mit denen unsere Welt konfrontiert ist, ein Wiederaufleben der Zusammenarbeit und der Solidarität erfordern, stehen wir vor einer beschleunigten Auflösung der internationalen Rechtsordnung und der Institutionen, die die friedlichen Beziehungen zwischen Staaten regeln.

Diese Erscheinungen erschüttern den globalen Sicherheitsrahmen und belasten direkt oder indirekt unsere Verteidigungsstrategie. Die Risiken und die Bedrohungen haben zugenommen und sind vielfältiger geworden. Ihre Auswirkungen zeigen sich schneller und unmittelbarer für uns, bis dahin, dass sie uns in einigen Fällen direkt betreffen.

Kurz nach meinem Wahlsieg war der Kampf gegen den Terrorismus meine oberste Priorität. Er wird es nach wie vor bleiben, denn eine Reihe von Terrorgruppen hat sich selbst zu unserem Feind erklärt. Der Feind, das ist eine Bedrohung, die Gestalt annimmt. Das territoriale Kalifat von Daesch wurde seitdem zerstört, doch die Netzwerke und die terroristisch-dschihadistische Ideologie, gestärkt vom Nährboden der gescheiterten Staaten, suchen weiterhin die Schwachstellen unserer Gesellschaften und stellen damit ein Kontinuum zwischen Verteidigung und Sicherheit her.

Dennoch wäre es naiv und kurzsichtig von uns, die gesamten Verteidigungs- und Sicherheitsprobleme auf eine einzige Bedrohung einzugrenzen, egal wie akut sie auch sein mag.

In Wahrheit verändert sich zur selben Zeit, während sich unsere Mitbürger und wir zu Recht auf den Antiterrorkampf fokussieren, der Lauf der Welt kontinuierlich vor unseren Augen.

So sind wir jeden Tag mit den direkten oder indirekten Auswirkungen der Globalisierung auf unsere Souveränität und Sicherheit konfrontiert.

Die Kontrolle über Ressourcen und Ströme, ob materiell oder immateriell, bildet die Keimzelle für neue Machtstrategien. Die hohe See, der Luft- und Weltraum, die digitale Welt, diese gemeinsamen Räume, die sich gegenseitig durchdringen und unser Verständnis der Probleme erschweren, werden oder werden wieder zu Schauplätzen der Machtverhältnisse und manchmal auch der Konfrontation.

Durch ihre geographische Streuung, ihre Gleichzeitigkeit und ihre Komplexität erweitern diese Entwicklungen de facto den Umfang und die Modalitäten möglicher zwischenstaatlicher Konfrontationen.

Sie sind die Symptome auf dem Grund einer Epoche tiefgreifender Zäsuren, die wir durchleben.

Die erste Zäsur ist strategischer Art.
Eine neue Hierarchie der Mächte zeichnet sich ab, auf Kosten eines ungehemmten globalen strategischen Wettbewerbs, der in Zukunft das Risiko von Zwischenfällen und unkontrollierter militärischer Eskalation birgt. Mehrere starke, unübersehbare Tendenzen sind am Werk.

• Erstens ist der globale Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und China heute eine erwiesene strategische Tatsache, die schon jetzt die internationalen Beziehungen strukturiert und sie auch künftig prägen wird.

• Zweitens erfordert die strategische Stabilität in Europa mehr als den Komfort der transatlantischen Konvergenz mit den Vereinigten Staaten. Unsere Sicherheit hängt daher von unserer Fähigkeit ab, uns gegenüber unseren Nachbarn im Osten und Süden eigenständiger zu engagieren;

• Schließlich ist die Grenze zwischen Konkurrenz und Konfrontation, die es früher erlaubte, zwischen Friedenszeiten und Krisen- oder Kriegszeiten zu unterscheiden, heute stark verwässert. Sie lässt Raum für mehrere Grauzonen, in denen unter dem Deckmantel der Asymmetrie oder Hybridität Maßnahmen der Einflussnahme, Schädigung oder sogar Einschüchterung angewendet werden, die ausarten können.

Diese starken Tendenzen können von uns, der Gesamtheit der Europäer, nicht ignoriert werden, während andere Mächte an Aufrüstungsprogrammen, einschließlich der nuklearen Aufrüstung, beteiligt sind und in den letzten Jahren eine Beschleunigung dieser Programme zu verzeichnen war.

In diesem Bereich ist die derzeitige nukleare Multipolarität nicht mit der Logik, die während des Kalten Krieges vorherrschte, vergleichbar. Im Gegensatz zu Frankreich und seinen Verbündeten entscheiden sich einige Staaten wissentlich für eine undurchsichtige, ja sogar aggressive nukleare Haltung, die erpresserisches Verhalten und die Suche nach vollendeten Tatsachen einschließt. Die auf Abschreckung basierenden Machtverhältnisse sind dadurch instabiler geworden.

Mit der Verbreitung von technologisch fortschrittlicheren Raketen sind wir auch mit einer noch nie dagewesenen Situation konfrontiert, in der regionale Mächte in der Lage sind oder sein werden, direkt europäisches Territorium zu treffen.

Schließlich wurde das Tabu gegen den Einsatz chemischer Waffen in Syrien, Malaysia und sogar in Europa selbst wiederholt gebrochen.

Es ist klar, dass dieser strategische Bruch die Bedingungen unserer künftigen militärischen Engagements noch anspruchsvoller machen wird. Insbesondere dann, wenn sie zur Abschreckung potenzieller Angreifer oder zur Erhöhung der Kosten ihrer Aktionen eingesetzt werden, werden unsere Armeen mit einer erheblichen Verschärfung ihres Einsatzumfelds konfrontiert sein.

Die zweite Zäsur ist politischer und rechtlicher Natur, wie ich es eben in meiner Einleitung indirekt erwähnt habe: Es ist die Krise des Multilateralismus und der Rückzug des Rechts angesichts der Machtverhältnisse.

Die Idee einer multilateralen rechtsbasierten Ordnung, in der die Anwendung von Gewalt reguliert wird, in der Verpflichtungen eingehalten werden und in der Rechte Verpflichtungen schaffen, die für alle gelten, wird heute zutiefst in Frage gestellt.

Diese Dekonstruktion internationaler Normen ist Teil einer angenommenen Logik des Wettbewerbs, bei der nur das Gesetz des Stärkeren und die Realität der Machtverhältnisse im Vordergrund stehen. Die größten Zyniker gehen so weit, sich in Rechtmäßigkeit und eine fadenscheinige Verbundenheit mit der internationalen Ordnung zu hüllen, um sie besser ungestraft zu verletzen.

Diese Verhaltensweisen werfen natürlich grundlegende Fragen für unsere Demokratien auf. Können wir die Einzigen sein, die sich auf die Spielregeln einlassen, die Einzigen, deren Unterschriften unter internationale Verpflichtungen noch einen Wert haben? Wäre dies nicht heutzutage schon von unverzeihlicher Naivität?

Tatsache ist, dass diese Fragen für die große Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten, denen das Recht Schutz und Stabilität bietet und die eine internationale Ordnung anstreben, die Sicherheit und Frieden stärkt, weiterhin von wesentlicher Bedeutung sind.

Kein Volk kann Interesse daran haben, den universellen Charakter der Menschenrechte zu schwächen. Kein Volk kann Interesse daran haben, die Autorität des humanitären Völkerrechts oder der verschiedenen Nichtverbreitungsregime oder des Seerechtsübereinkommens oder des Weltraumvertrags infrage zu stellen.

Europa selbst ist den Folgen dieser Dekonstruktion unmittelbar ausgesetzt. Schauen wir uns die aktuelle Situation an: Seit Anfang der 2000er Jahre ist die gesamte Sicherheitsarchitektur in Europa, die nach 1945 während des Kalten Krieges nur mühsam zu errichten war, nach und nach zerbrochen und dann Stein für Stein bewusst demontiert worden. Nach dem Stillstand bei den Verhandlungen über konventionelle Waffen ist das Ende des INF-Vertrags im Jahr 2019 ein Symbol für diesen Zerfall.

Die Europäer müssen sich nun gemeinsam darüber bewusst werden, dass sie sich in Ermangelung eines rechtlichen Rahmens schnell der Wiederaufnahme eines konventionellen oder sogar nuklearen Wettrüstens auf ihrem Boden ausgesetzt sehen könnten. Sie können sich nicht nur auf eine Zuschauerrolle beschränken. Es wäre nicht hinnehmbar, wieder zum Schauplatz einer Konfrontation zwischen außereuropäischen Atommächten zu werden. Ich zumindest akzeptiere dies keinesfalls.

Die dritte Zäsur schließlich ist technologischer Art.

Die Technologie ist zugleich ein Streitthema, ein Störfaktor und ein Schlichter für die strategischen Gleichgewichte. Der Einsatz von 5G, die Cloud zur Speicherung von Daten sowie Betriebssysteme sind strategische Infrastrukturen in der heutigen Welt. In den letzten Jahren haben wir diese zweifellos allzu oft als kommerzielle Lösungen betrachtet, als rein industrielle oder gewerbliche Angelegenheiten, wo es sich doch eigentlich um strategische Infrastrukturen sowohl natürlich für unsere Volkswirtschaften als auch für unsere Streitkräfte handelt.

Das Aufkommen neuer Technologien, wie künstliche Intelligenz, Anwendungen der Quantenphysik oder synthetische Biologie, bringt viele Möglichkeiten mit sich, aber kann zukünftig auch für Instabilitäten sorgen.

Die digitale Technologie ist die Grundlage für grenzenlose Innovation und betrifft alle physischen Umgebungen. Sie ist selbst zu einem eigenständigen Konfrontationsfeld geworden und die Kontrolle über sie verschärft die Rivalitäten zwischen den Mächten, die in ihr ein Mittel zur Erlangung strategischer Überlegenheit sehen. Sie bietet auch beispiellose Möglichkeiten für die Massenüberwachung von Bevölkerungen und die Ausübung von digitalem Autoritarismus.

In Krisenzeiten werden diese technologischen Durchbrüche unsere Analyse- und Entscheidungskapazitäten weiter belasten, die zwischen dem Anspruch auf Vollständigkeit, Richtigkeit und Reaktionsfähigkeit hin und her gerissen sind. In diesem Sinne erhöhen sie das Risiko für Entgleisungen und untermauern die Notwendigkeit, robuste und transparente Mechanismen zur Konfliktvermeidung zu schaffen.

Wie Sie sehen, zwingen uns die großen Zäsuren auf dieser Welt dazu, ohne Tabus darüber nachzudenken, wie die Kriege von morgen aussehen könnten, wobei wir uns sehr wohl bewusst sind, dass zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts „weder Männer noch Staaten sich von den Waffen verabschiedet“ haben, wie Raymond Aron sagte.

Zunächst einmal gibt es zwischenstaatliche Konflikte, bei denen Drittstaaten, die zur Unterstützung der verschiedenen kriegführenden Parteien involviert sind, einander gegenüberstehen können. Dies ist heute in Libyen, Irak oder Syrien der Fall. Die Operation Hamilton, die 2018 mit den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich durchgeführt wurde, um den verbotenen Einsatz chemischer Waffen durch das syrische Regime zu sanktionieren, war ein konkretes Beispiel für diese zunehmende Verflechtung, die Eskalationsrisiken und die Notwendigkeit ständiger Dialogmöglichkeiten, um sie zu begrenzen.

Es kommt auch zu einer Zunahme von Reibungen zwischen den Mächten, wenn diese sich in bestimmten Regionen an demonstrativen Militärmanövern beteiligen, manchmal an der Grenze zur Machtprobe. Dies ist auf See in mehreren umstrittenen Gebieten der Fall, vom Mittelmeer bis zum Chinesischen Meer und dem Persischen Golf. Dies ist an Land der Fall, wenn dort massive Übungen ohne Vorwarnung durchgeführt werden. Dies ist unter der Meeresoberfläche, aber auch in der Luft der Fall, wo wieder strategische Bomber aktiv sind, um die Luftabwehr zu testen. Und schließlich ist dies im Weltraum der Fall, der ebenfalls zu einem mehr oder weniger sichtbaren, aber ganz realen Konfrontationsgebiet geworden ist, sowie, immer deutlicher, im digitalen Raum.

Die Eskalation im Irak Anfang Januar zeigt in dieser Hinsicht deutlich, dass diese verschiedenen „Kontakt“-Situationen jederzeit zu einer offenen Krise zwischen Staaten führen können, die den Grund für das „Nie wieder Krieg!“ vergessen und sich einem hypothetischen „Warum eigentlich kein Krieg?“ angenähert zu haben scheinen.

Heute sind die Krisenherde in der Levante und in Libyen aufgrund der soeben beschriebenen Phänomene auch eine echte Bewährungsprobe für den Zusammenhalt der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, die, das wünsche ich mir, zu einem Gipfeltreffen zusammenkommen und ihre Fähigkeit unter Beweis stellen sollten, ihr Mandat für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in vollem Umfang wahrzunehmen. Ebenso handelt es sich um eine Bewährungsprobe für die Solidarität innerhalb des Atlantischen Bündnisses. Deshalb habe ich einige harte Worte gesprochen, die wie ein Weckruf klangen, und so konnten wir nach dem Gipfel vom Dezember letzten Jahres eine strategische Überprüfung der NATO einleiten, von der ich mir verspreche, dass sie sowohl mit dem nötigen Ehrgeiz als auch mit viel Einsatzbereitschaft durchgeführt wird.

Wie immer, wenn wir mit historischen Herausforderungen konfrontiert sind, muss unsere Antwort die gleiche sein: Mut und neuer Ehrgeiz. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen.

Wir stehen vor der Wahl, ob wir unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen oder uns unter Verzicht auf eine eigene Strategie in die Hände irgendeiner anderen Macht begeben wollen.

Deshalb ist ein Umschwung notwendig, und die Neugestaltung der Weltordnung im Dienste des Friedens muss unser Kurs sein. Frankreich und Europa kommt hierbei eine historische Rolle zu.

***
Meine Damen und Herren,

unser gesamtes Handeln muss im Dienste eines einzigen Ziels stehen, nämlich des Friedens, der sich auf einen starken und wirksamen Multilateralismus auf der Grundlage der Rechtsstaatlichkeit stützt.

Diese Strategie besteht meiner Ansicht nach im Wesentlichen aus vier Säulen: der Förderung eines funktionierenden Multilateralismus, der Entwicklung strategischer Partnerschaften, dem Streben nach europäischer Autonomie und der nationalen Souveränität. Diese vier Elemente bilden ein Ganzes, das unserer Verteidigungsstrategie ihre Gesamtkohärenz und ihren tiefen Sinn verleiht.

Zunächst einmal brauchen wir, wie ich sagte, einen funktionierenden Multilateralismus. Durch den Multilateralismus werden wir gemeinschaftlich auf die Probleme reagieren, vor denen wir alle stehen.

Frankreich bedroht niemanden. Frankreich will Frieden, einen stabilen Frieden, einen dauerhaften Frieden. Frankreich verfolgt nirgendwo ein expansionistisches Ziel. Seine Sicherheit und die Europas setzen voraus, dass die internationalen Beziehungen weiterhin einer Rechtsgrundlage unterliegen, einer von allen anerkannten und respektierten Rechtsgrundlage.

Daher erwarten wir, dass sich die wichtigsten Partner Europas für die Wahrung und Stärkung des Völkerrechts einsetzen, nicht für dessen Schwächung. Transparenz, Vertrauen und Gegenseitigkeit sind die Grundlage der kollektiven Sicherheit.

Denn die strategische Stabilität, die durch das Streben nach einem Kräftegleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau zustande kommt, ist heute nicht mehr gewährleistet. Infolge der Krise der wichtigsten Rüstungskontroll- und Abrüstungsinstrumente steht auch die Sicherheit Frankreichs und Europas auf dem Spiel.

Diese entscheidende Debatte darf nicht über die Köpfe der Europäer hinweg im Rahmen einer direkten und exklusiven Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und China geführt werden. Und ich sehe sehr wohl, dass darin die Versuchung für einige wenige, manchmal sogar die wichtigsten betroffenen Akteure besteht.

Für die Europäer muss ein neu durchdachter Multilateralismus im Dienste der kollektiven Sicherheit gemäß unseren Gründungsprinzipien zwei Anforderungen miteinander verbinden, die sich nicht widersprechen, wenn wir den Frieden gewährleisten wollen: erstens die Förderung einer erneuerten internationalen Agenda für Rüstungskontrolle und zweitens spürbare europäische Investitionen in die Verteidigung.

Diese Anforderungen ergeben sich unmittelbar aus dem Ziel der Souveränität und Handlungsfreiheit, auf das ich seit meiner Wahl für Europa hinarbeite. Es ist das Gegenstück zu einer neu ausbalancierten transatlantischen Beziehung, einem Bündnis, in dem die Europäer glaubwürdige und effiziente Partner sind. Die Europäer müssen in der Lage sein, sich gemeinsam zu schützen. Sie müssen in der Lage sein, selbstständig zu entscheiden und zu handeln, wenn es notwendig ist. Dies müssen sie tun, ohne dabei zu vergessen, was die Geschichte sie gelehrt hat: Demokratie und Recht überdauern ohne ordnende Gewalt nicht lange! Schließlich müssen sie sich daran gewöhnen, die Mechanismen zu nutzen, die ihre Geschlossenheit gewährleisten.

Deshalb bin ich überzeugt, dass die Europäer zuallererst gemeinsam definieren müssen, was ihre Sicherheitsinteressen sind, und souverän entscheiden müssen, was gut für Europa ist.

Somit kann es kein Verteidigungs- und Sicherheitsprojekt für die Bürger Europas geben, wenn es keine politische Vision gibt, die die allmähliche Wiederherstellung des Vertrauens zu Russland fördert.

Dieses Projekt treibe ich mit hohen Erwartungen voran. Ich erwarte von Russland, dass es ein konstruktiver Akteur in unserem gemeinsamen Sicherheitsgefüge ist. Doch wir können nicht mit der gegenwärtigen Situation vorliebnehmen, in der die Kluft immer größer und der Dialog immer schwächer wird, während gleichzeitig die mit Moskau zu besprechenden Sicherheitsfragen weiter zunehmen.

Das Hauptziel – darauf bin ich mehrfach zurückgekommen - meiner Annäherung an Russland ist die Verbesserung der Voraussetzungen für kollektive Sicherheit und Stabilität in Europa. Dieser Prozess wird mehrere Jahre dauern. Er wird Geduld und ein hohes Anspruchsdenken erfordern und mit unseren europäischen Partnern durchgeführt werden. Aber wir haben kein Interesse daran, einen solchen Dialog jemand anderem zu überlassen oder uns in der gegenwärtigen Situation einzuschließen.

In diesem Rahmen müssen die Europäer auch in der Lage sein, gemeinsam eine internationale Rüstungskontrollagenda vorzuschlagen. In der Tat bedeuten, wie ich soeben sagte, das Ende des INF-Vertrags, die Unsicherheiten über die Zukunft des New-START-Vertrags und die Krise des konventionellen Rüstungskontrollregimes in Europa, dass bis 2021 die Möglichkeit eines rein militärischen und nuklearen Wettrüstens ohne Einschränkungen besteht, wie wir es seit den späten 1960er Jahren nicht mehr erlebt haben. Ich beschreibe hier kein unmögliches Szenario oder eine ferne Zukunft, sondern einfach das, was sich seit einigen Jahren vor unseren Augen abspielt. Die Europäer müssen endlich wieder die verschiedenen Eskalationsdynamiken verstehen und versuchen, sie durch klare, überprüfbare Normen zu verhindern oder zu vermeiden. Denn hier muss die Rechtsordnung unserer Sicherheit dienen, indem sie darauf abzielt, die Waffen und Verhaltensweisen mit dem höchsten Destabilisierungspotenzial auf Seiten möglicher Gegner einzuschränken und zu begrenzen.

Wir brauchen eine sehr klare europäische Position zu diesem Thema, die sowohl die Entwicklung neuartiger Rüstungsgüter, insbesondere russischer, die unseren Boden erreichen könnten, als auch die Interessen der Europäer – aller Europäer, auch in Nord- und Mitteleuropa – berücksichtigt. Man muss klar feststellen, dass selbst die Verträge, die vor einigen Jahren noch in Kraft waren, einige unserer Partner nicht mehr geschützt haben.

Schließlich müssen wir die Abrüstungsprioritäten überdenken. Zu lange dachten die Europäer, es reiche aus, als Vorbild voranzugehen und sich zu entwaffnen, sodass die anderen Staaten folgen würden. Doch so ist es nicht! Abrüstung kann kein Selbstzweck sein: Sie muss zunächst einmal die internationale Sicherheitslage verbessern.

Zu diesen Fragen wird Frankreich die am meisten betroffenen europäischen Partner mobilisieren, um die Grundlagen für eine gemeinsame internationale Strategie zu schaffen, die wir in allen Foren, in denen Europa aktiv ist, vorschlagen können.

Und Frankreich, eine vom Atomwaffensperrvertrag anerkannte Atommacht und ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, wird seine Verantwortung insbesondere im Bereich der nuklearen Abrüstung wahrnehmen, wie es dies schon immer getan hat.

Auf der Suche nach Frieden fühlt sich Frankreich der Logik der Abrüstung verpflichtet, die der globalen Sicherheit und Stabilität dient. In dieser Hinsicht kann Frankreich eine weltweit einzigartige Bilanz vorweisen, die seiner Verantwortung und seinen Interessen entspricht, denn es hat seine landgestützte Nuklearkomponente, seine Nukleartestanlagen und seine Anlagen zur Herstellung von spaltbarem Material für Waffen unumkehrbar rückgebaut und sein Arsenal reduziert, das heute weniger als 300 Atomwaffen umfasst. All diese Entscheidungen stehen im Einklang mit unserer Ablehnung jeglichen Wettrüstens und der Beibehaltung der Größenordnung unserer nuklearen Abschreckung auf einem absolut ausreichenden Niveau.

Diese beispielhafte Bilanz verleiht Frankreich die Legitimität, von den anderen Atommächten konkrete Maßnahmen zugunsten einer globalen, schrittweisen, glaubwürdigen und überprüfbaren Abrüstung zu fordern.

Im Bereich der nuklearen Abrüstung fordere ich daher alle Staaten auf, gemeinsam mit uns in Anwendung von Artikel VI des NVV eine einfache Agenda mit den vier Punkten aufzustellen, die uns schon bekannt sind:

I/ Strikte Einhaltung des zentralen Normenwerks des Atomwaffensperrvertrags und die Wahrung seines Primats anlässlich seines 50. Jahrestags im Jahr 2020. Der NVV ist der universellste Vertrag der Welt. Er ist der einzige Vertrag, der es ermöglicht, einen Atomkrieg zu verhindern, und gleichzeitig alle von den Vorteilen der friedlichen Nutzung der Kernenergie profitieren lässt.

II/ Die Aufnahme von Verhandlungen in der UNCD über einen Vertrag zum Verbot der Produktion von spaltbarem Material für Waffen und die Erhaltung und Universalisierung des Vertrags über das vollständige Verbot von Nuklearversuchen. Daran arbeiten wir.

III/ Die Fortsetzung der Arbeiten zur Verifikation der nuklearen Abrüstung, die wir insbesondere mit Deutschland durchführen, denn jedes Abrüstungsabkommen ist wertlos, wenn es nicht zuverlässig verifiziert werden kann.

IV/ Schließlich die Einleitung konkreter Arbeiten zur Verringerung strategischer Risiken, da das Ausufern eines lokalen Konflikts zu einem großen Krieg heute eines der beunruhigendsten Szenarien ist, das jedoch durch eine Reihe einfacher und vernünftiger Maßnahmen wirksam abgewendet werden könnte.

Im Übrigen vernehme ich auch Forderungen nach der "Trilateralisierung" oder Multilateralisierung von Vereinbarungen zur nuklearen Rüstungskontrolle bzw. zum Rüstungsabbau.

Die bilateralen russisch-amerikanischen Verträge sind Ausdruck einer Geschichte – der des Kalten Krieges –, aber auch einer heute noch aktuellen Realität, nämlich jener der beträchtlichen Größe der noch immer von Moskau und Washington gehaltenen Arsenale, die in keinem Verhältnis zu denen der anderen Kernwaffenstaaten stehen. In dieser Hinsicht ist es von entscheidender Bedeutung, dass der New-START-Vertrag über 2021 hinaus verlängert wird.

Nach dem Zusammenbruch des INF-Vertrags wünscht Frankreich seinerseits, dass umfassende Diskussionen eingeleitet werden, in denen Europa sich Gehör verschaffen und sicherstellen muss, dass seine Interessen bei den Verhandlungen über ein neues Instrument, das die strategische Stabilität auf unserem Kontinent gewährleisten kann, berücksichtigt werden. Lassen Sie es uns klar sagen: Wenn Verhandlungen und ein weitreichenderer Vertrag möglich sind, dann wollen wir sie auch. Wenn der Vertrag von einigen blockiert wird, werden wir keine Ruhe geben. Und die Europäer müssen Akteure und Unterzeichner des nächsten Vertrags sein, denn es handelt sich um unseren Boden und um eine Diskussion, die nicht über unsere Köpfe hinweggehen darf.

Im Rahmen seiner eigenen Verantwortung ist Frankreich auch bereit, sich an Diskussionen zu beteiligen, die die fünf Kernwaffenstaaten im Sinne des NVV gemeinsam über die vorrangigen Ziele der nuklearen Abrüstung sowie über die Stärkung des Vertrauens und der Transparenz bezüglich der Arsenale und der Nuklearstrategien jedes Einzelnen führen würden. Diese Diskussion sollte darauf abzielen, die Stabilität in den Beziehungen der Kernwaffenstaaten zu stärken und das Risiko einer unbeabsichtigten Eskalation im Konfliktfall zu verringern.

Dieses Ziel Frankreichs als ausgleichende Macht im Dienste des Friedens und der Sicherheit kann nicht ohne ein dichtes Netzwerk von Freundschaften, strategischen Partnerschaften und Allianzen sowie ohne umfassende diplomatische Fähigkeiten umgesetzt werden, denn unsere Verantwortung und unsere Sicherheitsinteressen sind weltumspannend. Dies ist für mich die zweite Säule, die ich eben erwähnt habe und auf die ich schnell zurückkommen möchte.

Ja, Frankreich ist Teil eines Beziehungsgeflechts, das sich aus der Geschichte und der Geographie ergibt. In diesem Rahmen wird das Land weiterhin strategische Partnerschaften auf allen Kontinenten aufbauen und vertiefen.

Es beteiligt sich derzeit an allen großen Koalitionen in der Levante und in Afrika. Aber wir haben in den letzten Jahren auch neue regionale Strukturen aufgebaut. In der Sahelzone bekämpft Frankreich mit seinen internationalen und afrikanischen Partnern der G5 im Rahmen der Operation Barkhane entschlossen den Terrorismus. Der Gipfel von Pau am 13. Januar hat den Rahmen unserer Operationen deutlich gemacht und das Engagement jedes Einzelnen von uns bekräftigt. Deshalb habe ich beschlossen, 600 zusätzliche Soldaten zu entsenden, um das Engagement Frankreichs für Frieden und Sicherheit in dieser Region zu stärken. In Pau haben wir eine echte Koalition aufgebaut, deren Rückgrat die Barkhane-Truppe und die Partnerschaft mit der G5 Sahel sind. Doch wir werden nach und nach befreundete Mächte für die kollektive Sicherheit in der Region einsetzen. Wir sind das Herzstück dieser neuen Koalition. Sie ist von strategischer Bedeutung für Afrika, ebenso wie für unsere Sicherheit.

Als eine Anrainermacht des Indopazifiks unterhält Frankreich auch besondere Beziehungen zu Australien, Indien und Japan, um die Hoheitsrechte und die Freiheit der Schifffahrt in diesem geographischen Gebiet zu erhalten. Frankreich hat seine Kooperationen im Verteidigungsbereich und seine Solidarität mit seinen Partnern am Persischen Golf, im Mittelmeer und in Südostasien im Alltag verankert. Diese indopazifische Achse, die wir in den letzten zwei Jahren eingerichtet, verdeutlicht und entwickelt haben, festigt unsere Geographie, die Realität der vielfältigen militärischen Verpflichtungen, die wir seit mehreren Jahren eingehen, und die militärischen Übungen, die wir in der Region erstmals durchführen, aber auch eine Lesart der Welt, die wir uns aneignen müssen. Wir sind auch eine indopazifische Macht, mit Staatsangehörigen, Stützpunkten und Interessen. Unsere Fähigkeit, diese Freiheit in der Region zu gewährleisten, unsere Interessen zu verteidigen und die großen Energie- und Technologierouten zu schützen, hängt auch von dieser neuen Achse und diesen neuen Formen der Zusammenarbeit ab.

Im Zentrum dieses globalen Netzwerks haben natürlich all unsere europäischen Partner und unsere nordamerikanischen Verbündeten einen ganz besonderen Platz, auf den ich später noch zurückkommen werde.

Wenn ich von diesen strategischen Bündnissen und Partnerschaften spreche, möchte ich schließlich unsere Verantwortung innerhalb unseres gemeinsamen Handlungsrahmens, dem der Vereinten Nationen, und die vorrangige Rolle der friedenserhaltenden Operationen hervorheben.

Die dritte Säule unserer Strategie ist neben der Rüstungskontrolle und den Netzwerken von Allianzen, Partnerschaften und diplomatischen Beziehungen die Gesamtheit der konkreten Zielsetzungen, die wir für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik formulieren wollen.

Europa wird noch lange Zeit seine Stärke in Verteidigungsfragen nur aus nationalen Armeen beziehen können. Das ist eine Gewissheit, und die Sanierung der Haushalte sowie die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit dieser nationalen Armeen muss Priorität haben.

Andererseits haben wir Europäer damit begonnen, konkrete Instrumente zu entwickeln, die es uns ermöglichen, ein gemeinsames Bewusstsein hervorzubringen, gemeinsame Interessen zu verteidigen und eigenständig und solidarisch zu handeln, wann immer es notwendig ist. Dieser Weg ist der des Aufbaus einer europäischen Handlungsfreiheit, die jede einzelne nationale Souveränität ergänzt und stärkt.

In dieser Hinsicht müssen wir ein Missverständnis ausräumen: Für die Europäer stellt sich nicht die Frage, ob sie sich mit oder ohne Washington verteidigen sollen, und auch nicht, ob über die Sicherheit der Vereinigten Staaten in Asien oder auf unserem Kontinent entschieden wird. Frankreich ist wie eh und je Teil der Gemeinschaft verbündeter Anrainerstaaten des Nordatlantiks, deren Werte, Prinzipien und Ideale es teilt. Frankreich bleibt seinen Verpflichtungen im Atlantischen Bündnis treu, das seit 70 Jahren für Stabilität und für die kollektive Sicherheit seiner Mitglieder und Europas sorgt. Und diesbezüglich höre ich mitunter viele Gerüchte. Aber ich ziehe es vor, die Tatsachen zu betrachten: Frankreich ist ein glaubwürdiger militärischer Akteur, der im Kampf vor Ort präsent ist und den Preis des Blutes bezahlt, wie unlängst in der Sahelzone einmal mehr unter Beweis gestellt wurde. Frankreich ist ein zuverlässiger und solidarischer Verbündeter, auch in schwierigen Zeiten. Das hat es erneut erst vor kurzem in Syrien und im Irak bewiesen. Schließlich ist Frankreich davon überzeugt, dass die langfristige Sicherheit Europas von einem starken Bündnis mit den Vereinigten Staaten abhängt. Dies habe ich auf dem NATO-Gipfel in London noch einmal betont, und Frankreich erlebt es jeden Tag bei seinen Einsätzen.

Unsere Sicherheit hängt unweigerlich aber auch von einer größeren Fähigkeit zum autonomen Handeln der Europäer ab. Dass das zu sagen, dazu zu stehen, dafür zu sorgen, so viele Reaktionen, so viele Zweifel hervorruft, überrascht mich wirklich. Um es mit den Worten von General de Gaulle zu sagen, "kann kein Bündnis von den Anstrengungen getrennt werden, die jedes seiner Mitglieder in seinem eigenen Namen, auf seine eigenen Kosten und entsprechend seinen eigenen Interessen unternimmt". Ja, die wahren Fragen für die Europäer sind im Grunde die Fragen, die sie sich selbst stellen müssen und nicht den Amerikanern: Warum haben sie ihre Verteidigungsausgaben seit den 1990er Jahren so stark reduziert? Warum sind sie nicht mehr bereit, die Verteidigung zu einer ihrer Haushaltsprioritäten zu machen und die dafür notwendigen Opfer zu bringen, obwohl die Risiken zunehmen? Warum führen wir heute so komplizierte Debatten über die Höhe der Beträge, die für den jüngst eingerichteten Europäischen Verteidigungsfonds bereitgestellt werden sollen – weil es sich um etwas Nebensächliches handelt, um das sich andere für uns kümmern würden? Warum gibt es solche Diskrepanzen zwischen den Verteidigungshaushalten und -kapazitäten der europäischen Staaten, obwohl die Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, uns weitestgehend alle betreffen?

All dies sind Fragen, denen wir Europäer uns stellen müssen. Europa muss noch besser in der Lage sein, seine eigene Sicherheit zu gewährleisten und in seiner Nachbarschaft handlungsfähig zu sein. Im Übrigen: Die Europäische Union hat sich dieses Ziel des autonomen Handelns bereits gesetzt. Stellen Sie sich vor, es war auf dem Europäischen Rat von Köln, im Jahr 1999! Und dieses Ziel ist heute wie schon vor zwanzig Jahren vollkommen mit dem Wunsch vereinbar, dass sich die Europäer wieder engagieren und in der NATO glaubwürdiger und effektiver werden. Diese Neugewichtung wird im Übrigen von den Vereinigten Staaten gewünscht.

Deshalb müssen die Europäer heute mehr Verantwortung für dieses Europa der Verteidigung, diesen europäischen Pfeiler innerhalb der NATO, übernehmen. Ich stehe voll und ganz dahinter, ohne zu zögern! Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich betrachte es als eine meiner Aufgaben, dass dies nicht wie nach 1999 nur auf dem Papier stehen bleibt. Die NATO und die europäische Verteidigung sind die beiden Säulen der kollektiven Sicherheit Europas. Übernehmen wir dafür die Verantwortung! Sehen wir den Tatsachen ins Auge, hören wir auf die Vereinigten Staaten von Amerika, die uns sagen: "Geben Sie mehr für Ihre Sicherheit aus, denn ich werde auf lange Sicht nicht mehr Ihr Garant der letzten Instanz sein, Ihr Beschützer." Lasst uns endlich Verantwortung übernehmen!

Aber die europäische Handlungsfreiheit, die europäische Verteidigung und Sicherheit, kann nicht auf einem rein militärischen Ansatz beruhen.

Um das Europa von morgen aufzubauen, dürfen unsere Normen nicht von Amerika kontrolliert werden, dürfen unsere Infrastrukturen, unsere Häfen und Flughäfen nicht von chinesischem Kapital abhängen und unsere digitalen Netzwerke nicht unter russischem Druck stehen.

Auf europäischer Ebene müssen wir unsere maritimen, energetischen und digitalen Infrastrukturen selbst kontrollieren. Auch hier haben wir uns stark geirrt. In den 1990er und 2000er Jahren kamen wir schließlich zu der Überzeugung, dass Europa zu einem großen, komfortablen Markt geworden war, zu einem Schauplatz von Einfluss und Raubbau um jeden Preis. Wir haben uns sogar unter uns Europäern im Stich gelassen und so viele Länder im Süden unserer Europäischen Union dazu gedrängt, Investoren das zu überlassen, was wir nicht selbst zu kaufen wussten, wir haben zur Privatisierung gedrängt, obwohl diese Infrastrukturen von strategischer Bedeutung waren.

Ein verhängnisvoller Fehler! Wir müssen für diese kritischen Infrastrukturen auf europäischer Ebene wieder zu einer echten Politik der Souveränität finden!

Dies ist der Fall bei 5G-Infrastrukturen, bei der Cloud, die für die Datenspeicherung von entscheidender Bedeutung ist, bei Betriebssystemen, bei den Seekabelnetzen, die eine zentrale Rolle in unserer globalisierten Wirtschaft spielen Wir müssen auf europäischer Ebene auch selbst über unseren Zugang zum Weltraum ebenso wie über die Standards entscheiden, die wir unseren Unternehmen auferlegen.

Diese Normungspolitik, diese strategische Infrastrukturpolitik ist von wesentlicher Bedeutung. Und sie ist es auch für unsere kollektive Sicherheit, für unsere Handlungsfähigkeit. Wir leben in einer Welt der Interoperabilität, mit zunehmend digitalisierter Ausrüstung. Das auszugeben, was wir für eine perfekte Ausrüstung ausgeben, und die Infrastrukturen, die zur Vernetzung unserer Ausrüstungen und Länder nötig sind, ohne Garantien anderen zu überlassen, wäre dabei selten naiv. Sie werden mir erlauben, mich nicht daran beteiligen zu wollen.

Die europäische Handlungsfreiheit hängt von dieser wirtschaftlichen und digitalen Souveränität ab. Europäische Interessen, die nur sie allein festlegen können, müssen Gehör finden. Es ist Europas Aufgabe, den notwendigen Regulierungsrahmen zu definieren, denn es geht um den Schutz der individuellen Freiheiten, der Wirtschaftsdaten unserer Unternehmen, die das Herzstück unserer Souveränität bilden, und unsere konkreten operativen Fähigkeiten, ebenfalls autonom zu handeln.

Wir müssen auch die technologische Unabhängigkeit Europas stärken und seine Fähigkeit, den nächsten strategischen Sprunginnovationen vorzugreifen. Dazu bedarf es einer autonomen und wettbewerbsfähigen Verteidigungsindustrie, entschlossener und massiver Innovationsleistungen, der Beherrschung unserer Sicherheitstechnologien und der Kontrolle unserer Verteidigungsexporte.

All dies setzt heute ein Aggiornamento des europäischen Ansatzes, dieser wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Ansätze voraus, damit jeder die Konsequenzen daraus ziehen kann. Wir leben nicht mehr in der Welt der 90er Jahre!

Der richtige Einsatz dieser Instrumente der gemeinsamen Souveränität erfordert natürlich in erster Linie Investitionen, eine Industriepolitik, Standards für eine stärkere und ehrgeizigere Souveränität, aber auch den Aufbau einer gemeinsamen strategischen Kultur, denn unsere Unfähigkeit, gemeinsam über unsere souveränen Interessen nachzudenken und gemeinsam überzeugend zu handeln, stellt unsere Glaubwürdigkeit als Europäer jeden Tag in Frage. Sie liefert den anderen Mächten die Möglichkeit, uns zu spalten, uns zu schwächen.

Frankreich arbeitet bereits an der Entwicklung dieser gemeinsamen europäischen strategischen Kultur auf der Grundlage der in etwas mehr als zwei Jahren erzielten signifikanten Fortschritte, die meiner Meinung nach die 1999 gesetzten Ziele greifbarer machen: der Europäische Verteidigungsfonds, die verstärkte Zusammenarbeit und die europäische Interventionsinitiative, die von uns vorgeschlagen, vorangetrieben, gewünscht und bereits auf den Weg gebracht wurde.

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Meine Damen und Herren,

Damit Frankreich seiner europäischen Bestrebung und auch seiner Geschichte gerecht wird, muss es souverän bleiben oder selbst über die Souveränitätsübertragungen entscheiden, denen es zustimmt, anstatt sich ihnen unterwerfen zu müssen; ebenso über die verpflichtenden Kooperationen, die es eingehen würde. Und dies ist der vierte Pfeiler der Strategie, die ich für unser Land anstrebe: eine echte französische Souveränität.

Dieser Wunsch nach nationaler Souveränität ist in keiner Weise unvereinbar mit unserem Wunsch, die europäischen Fähigkeiten auszubauen. Ich würde sogar sagen, dass dies eine wesentliche Voraussetzung ist. Man kooperiert am besten, wenn man sich durch eine souveräne Entscheidung für die Kooperation entscheidet.

Als Grundlage jeder politischen Gemeinschaft ist die Verteidigung das Herzstück unserer Souveränität.

Unsere Verteidigungsstrategie definiert sich deshalb in erster Linie über ihre Fähigkeit, unsere Bürger zu schützen und zur Sicherheit und zum Frieden in Europa und in der Nachbarschaft beizutragen.

Aber das ist noch nicht alles. Sie muss uns auch dazu befähigen, weltweit unsere souveränen Interessen zu verteidigen, in Verbindung mit unseren Übersee-Departements und der Fülle an engen strategischen Partnerschaften. Sie soll es uns ermöglichen, unserer Verantwortung bei der Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gerecht zu werden. Sie muss uns vor Erpressung schützen und damit unsere Entscheidungsautonomie bewahren. Sie muss uns dazu verhelfen, unseren Rang und unseren Einfluss unter den Nationen aufrechtzuerhalten. Kurz gesagt, sie muss uns die Kontrolle über unser Schicksal garantieren.

In der Zeit nach dem Kalten Krieg hat eine idealistische Vorstellung den Glauben gefördert, dass die Welt weniger gefährlich geworden sei. Dies hat dazu geführt, dass der Anteil für Verteidigung an unserem Bruttoinlandsprodukt sukzessive reduziert wurde. Es war im Grunde genommen die Zeit der Friedensdividende.

Diese Entscheidung, diese Neuordnung der Haushaltsprioritäten, schien gerechtfertigt, obwohl auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs beträchtliche Waffenarsenale angehäuft worden waren. Aber der große Fehler Europas bestand zweifellos darin, diese Entscheidung über die letzten 20 Jahre beizubehalten bzw. sie während der Finanzkrise sogar noch zu beschleunigen, während andere große oder regionale Mächte ihre Verteidigungsanstrengungen aufrechterhielten oder sogar noch verstärkten.

Im Grunde haben die letzten zehn Jahre zu einem tiefgreifenden Wandel geführt. Die Europäer haben weiter reduziert, reduziert, reduziert, während andere damit aufgehört bzw. sogar reinvestiert haben, um den technologischen Wandel zu beschleunigen und ihre eigenen Fähigkeiten auszubauen.

Das Format und die Fähigkeiten unserer Armeen wurden direkt beeinflusst. Gleichzeitig wurden sie jedoch auch zunehmend ersucht, sich an regionalen Krisenbewältigungseinsätzen zu beteiligen, die immer vielfältiger wurden und immer weiter entfernt waren. Die Notwendigkeit, die Verteidigungsinstrumente an die viel größeren, "am oberen Ende des Spektrums angesiedelten" Herausforderungen anzupassen, wurde damals oft ignoriert.

Dieser doppelte Schereneffekt hat zu einer wachsenden Kluft zwischen unseren militärischen Fähigkeiten und der Realität des sich verändernden internationalen Umfelds geführt, die ich Ihnen gerade beschrieben habe.

Um die langsame Abnahme unserer militärischen Fähigkeiten aufzuhalten und sie an dieses neue strategische Umfeld anzupassen, habe ich beschlossen, dass im Verteidigungsbereich eine beispiellose haushaltspolitische Anstrengung unternommen wird. Es geht um eine große und dauerhafte Aufgabe, der ich mich vollumfänglich für die Nation annehme.

Ich sage es Ihnen heute noch einmal ganz deutlich. Ich vernehme, mitunter, Erstaunen, Zweifel, Fragen, Wünsche nach Veränderung. Aber lassen Sie uns klar feststellen: Die Themen, über die wir sprechen, sind zu strategisch und wichtig. Wir müssen den Worten Taten folgen lassen, und zwar auf lange Sicht, denn wir sprechen hier von langfristigen Programmen. Das, was ich für unsere Nation angestoßen habe, wird mit Nachdruck auf lange Sicht umgesetzt. Niemand sollte Energie auf den Versuch verschwenden, dies neu zu definieren.

Aber das Budget ist nur ein Indikator für die unternommenen Anstrengungen. Bei der Verteidigung, wie auch in anderen Bereichen des öffentlichen Handelns, sollten wir uns nicht in erster Linie vom Haushalt leiten lassen. Denn diese Anstrengung ist nichts wert, wenn sie nicht im Dienste einer strategischen Vision unternommen wird.

Wovon wir uns leiten lassen müssen, sind die aktuellen und künftigen Bedrohungen für Frankreich und die Franzosen sowie für Europa und die Europäer; ist die Wahrung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen; ist ein vorausschauendes Handeln hinsichtlich künftiger Bedrohungen und die ständige Anpassung an neue Konfliktformen; ist das, was wir auf nationaler Ebene bewahren wollen und was wir freiwillig in Zusammenarbeit mit unseren Partnern tun wollen.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, braucht Frankreich ein umfassendes, modernes, leistungsfähiges und ausgewogenes Verteidigungsinstrument, das von anpassungsfähigen und zukunftsgewandten Streitkräften genutzt wird.

Und wir können stolz sein auf unsere Streitkräfte. Unsere Verteidigung muss in der Lage sein, drei große Herausforderungen zu bewältigen:

- Es geht zunächst natürlich um den Schutz unserer Mitbürger, unseres Territoriums sowie unseres Luftraums und der Meeresgebiete gegen jede Form der Bedrohung und des Angriffs. Das ist die wichtigste Grundlage unserer Existenz als Nation und die Essenz selbst unserer Souveränität.

Tagtäglich eint dieses Ziel die Soldaten der Operation Sentinelle, der Überwachungsfregatte und der Luftabwehrpatrouille. Ferner sorgt die stille Überwachung durch die Besatzung unserer atomgetriebenen U-Boote mit ballistischen Flugkörpern und unserer strategischen Luftstreitkräfte im Rahmen der permanenten Abschreckungsmaßnahmen jeden Tag aufs Neue für den Schutz unseres Territoriums und der Bevölkerung und darüber hinaus unserer lebenswichtigen Interessen.

Da ich gegenüber der Nation die Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes und seiner Zukunft trage, obliegt mir auch die Verantwortung für den Schutz Frankreichs und der Franzosen vor jeglicher staatlich ausgelösten Bedrohung unserer lebenswichtigen Interessen, unabhängig ihrer Herkunft und Art.

Diese letztendliche Verantwortung, die im Mittelpunkt der Arbeit eines Präsidenten steht, übernehme ich jeden Tag mit größter Entschlossenheit. Dies geschieht über die nukleare Abschreckung. Diese Abschreckung sowie die Transparenz und das Vertrauen, die wir der internationalen Gemeinschaft als „über Nuklearwaffen verfügender Staat“ im Sinne des NVV schulden, bedürfen eines streng defensiven, klaren und vorhersehbaren Grundsatzes, an dessen wichtigste Grundlagen ich hier erinnern möchte.

Sollte ein Staatsoberhaupt das tief verwurzelte Engagement Frankreichs für seine Freiheit unterschätzen und vorhaben, unsere lebenswichtigen Interessen, welche auch immer, anzugreifen, sollte er darauf gefasst sein, dass unsere nuklearen Streitkräfte in der Lage sind, seinen Machtzentren, d.h. seinen wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zentren, erheblichen Schaden zuzufügen.

Unsere Nuklearstreitkräfte wurden dafür mit der notwendigen Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit ausgestattet. Sollte die Entschlossenheit Frankreichs für den Schutz seiner lebenswichtigen Interessen unterschätzt werden, müsste der staatliche Aggressor mit einer einzigen und einmaligen nuklearen Warnung rechnen, um eindeutig klar zu machen, dass sich der Konflikt verändert hat, und die Abschreckung wiederherzustellen.

In diesem Rahmen stützt sich Frankreich tagtäglich auf die beiden komplementären Komponenten seiner Nuklearstreitkräfte. Ich habe die notwendigen Entscheidungen getroffen und werde sie auch weiterhin treffen, um ihre operative Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten und zwar in dem Maße, wie es das internationale Umfeld erfordert.

- Aber unser Territorium, genau wie das Europas, ist nicht von der Welt isoliert. Dies ist in meinen Augen die zweite Herausforderung, auf die ich hier eingehen wollte. Denn wir leben im Rhythmus der Krisen, die unsere direkte Umgebung beeinflussen. Wir leiden unter den Folgen dieser Krisen, die weiter entfernte Regionen oder Meere erschüttern, die durch Wirtschaftsströme und den menschlichen Austausch immer näher rücken.

Um unsere Sicherheitsinteressen zu verteidigen, müssen wir deshalb die zweite Herausforderung annehmen, die sich einerseits aus dem Scheitern von Staaten ergibt, die ganze Gesellschaften der Gewalt und bewaffneten Banden ausliefern, und andererseits aus dem Chaos, das sich auf gemeinsame Räume ausbreitet, sei es im Meer, in der Exosphäre oder im Cyberspace.

Deshalb tragen unsere Streitkräfte im Einklang mit dem Völkerrecht und unserer Verantwortung als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen durch ihre Präsenz in Übersee sowie durch unsere Außeneinsätze täglich zur Krisenprävention und zur Stabilisierung von Regionen bei, in denen das Chaos voranschreitet.

Frankreich soll auch seine Fähigkeiten in den neuen Konfrontationsbereichen stärken. Neben dem Nachrichtendienst und der Cyberabwehr, in die langfristig investiert wird, wird die Weltraumverteidigung im Rahmen eines neuen, der Luftwaffe angegliederten Weltraumkommandos verstärkt und neu organisiert. Was die künstliche Intelligenz betrifft, so gehört sie zu den Schwerpunktthemen der neuen Agentur für Verteidigungsinnovation.

Bestimmte regionale Krisen, in denen die strategische Rivalität zwischen Staaten zum Ausdruck kommt, stellen heute glaubwürdige, aber nicht ausschließliche Hypothesen dar, bei denen wir uns zum ersten Mal seit langem mit einer dritten Herausforderung konfrontiert sehen könnten, nämlich der, dass wir uns in einer unkontrollierten Eskalation direkt mit einer feindlichen Macht auseinandersetzen müssen, die möglicherweise selbst über Atomwaffen verfügt oder mit einer Macht verbündet ist, die Massenvernichtungswaffen besitzt.

Diese dritte Herausforderung ist das sehr konkrete Ergebnis der bereits erwähnten Veränderungen der Bedrohungslage.

Die Erhebung territorialer Ansprüche, die Destabilisierung eines unserer Verbündeten oder strategischen Partner, das Infragestellen ganzer Grundlagen des Völkerrechts sind nicht mehr nur Szenarien aus der Vergangenheit. Sie könnten künftig den Einsatz unserer Land-, See- oder Luftstreitkräfte an der Seite unserer Verbündeten in einem größeren Konflikt zur Verteidigung der kollektiven Sicherheit, der Achtung des Völkerrechts und des Friedens begründen.

In dieser Hinsicht ist unsere Verteidigungsstrategie ein kohärentes Ganzes: konventionelle und nukleare Streitkräfte unterstützen sich ständig gegenseitig. Sobald unsere lebenswichtigen Interessen bedroht sein könnten, können die konventionellen Streitkräfte in die Abschreckung eingebunden werden. Die Anwesenheit starker konventioneller Streitkräfte ermöglicht es dann, strategische Überraschungen zu vermeiden, die rasche Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern oder die Entschlossenheit des Gegners so schnell wie möglich zu testen, indem er gezwungen wird, seine wahren Absichten de facto zu offenbaren. In dieser Strategie bleibt unsere nukleare Abschreckungsmacht als letztes Mittel der Grundpfeiler unserer Sicherheit und der Garant unserer lebenswichtigen Interessen. Damals wie heute garantiert sie unsere Unabhängigkeit, unseren Ermessens-, Entscheidungs- und Handlungsspielraum. Sie verhindert, dass der Gegner auf den Erfolg von Eskalation, Einschüchterung oder Erpressung setzen kann.

Als Staatsoberhaupt bin ich der Garant für die Zukunft, denn meine Verantwortung als Oberbefehlshaber der Streitkräfte besteht darin, unsere Nation vor Bedrohungen zu schützen, indem ich den Fahrplan auf mehrere Jahrzehnte festlege.

Die nukleare Abschreckung hat eine grundlegende Rolle bei der Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit gespielt, insbesondere in Europa. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Abschreckungsstrategie alle ihre stabilisierenden Vorteile beibehält, und in einer Welt des Wettbewerbs zwischen den Mächten, des enthemmten Verhaltens und der sich heute vor unseren Augen abspielenden Aushöhlung von Normen von besonders unschätzbarem Wert ist.

Die französische Nuklearstrategie, deren Grundlagen ich vorhin erwähnt habe, zielt im Wesentlichen auf die Verhinderung eines Krieges ab.

Unsere Nuklearstreitkräfte richten sich nicht gegen irgendein Land, und Frankreich hat sich stets geweigert, Atomwaffen als Kampfmittel gelten zu lassen. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass Frankreich sich niemals auf einen Kampf mit Nuklearwaffen oder irgendeine Art von Flexible Response einlassen wird.

Darüber hinaus spielen unsere Nuklearstreitkräfte eine eigene Abschreckungsrolle, insbesondere in Europa. Sie stärken die Sicherheit Europas durch ihre bloße Existenz und haben in dieser Hinsicht eine wahrhaft europäische Dimension.

In diesem Punkt ist unsere Entscheidungsfreiheit voll und ganz mit einer unerschütterlichen Solidarität gegenüber unseren europäischen Partnern vereinbar. Unser Engagement für ihre Sicherheit und Verteidigung ist ein natürlicher Ausdruck unserer immer stärker werdenden Solidarität. Um es deutlich zu sagen: Die lebenswichtigen Interessen Frankreichs haben inzwischen eine europäische Komponente.

In diesem Sinne möchte ich mit unseren europäischen Partnern, die bereit sind, die Rolle der französischen nuklearen Abschreckung für unsere kollektive Sicherheit zu diskutieren, einen strategischen Dialog entwickeln.

Die europäischen Partner, die diesen Weg gehen möchten, können an Übungen der französischen Streitkräfte zur Abschreckung beteiligt werden. Dieser strategische Dialog und dieser Austausch werden natürlich zur Entwicklung einer echten strategischen Kultur zwischen Europäern beitragen.

Unsere Nuklearstreitkräfte tragen neben den britischen und amerikanischen Streitkräften natürlich ebenfalls wesentlich zur allgemeinen Stärkung der Abschreckung des Atlantischen Bündnisses bei. Frankreich beteiligt sich nicht an den Mechanismen zur Nuklearplanung des Bündnisses und wird sich auch in Zukunft nicht daran beteiligen. Es wird jedoch weiterhin auf politischer Ebene Denkanstöße geben, um die nukleare Sicherheit des Bündnisses zu stärken.

Bereits 1995 machten die einzigen europäischen Atommächte, Frankreich und Großbritannien, deutlich, dass sie sich keine Situation vorstellen können, in der die lebenswichtigen Interessen eines der beiden Länder bedroht werden könnten, ohne dass die des anderen ebenfalls bedroht werden.

Dies möchte ich heute feierlich bekräftigen. Das hohe Maß an gegenseitigem Vertrauen, das in den Verträgen von Lancaster House aus dem Jahr 2010, dessen zehnten Jahrestag wir in diesem Jahr feiern, verankert ist, spiegelt sich täglich in einer beispiellosen Zusammenarbeit in Nuklearfragen wider. Wir werden es entschlossen aufrechterhalten, und der Brexit wird daran auch nichts ändern.

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Meine Damen und Herren,

Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich mir noch einen Moment Zeit nehmen, um hier die Überlegungen zur Bedeutung der Abschreckungsstrategie in der heutigen Welt zu vertiefen.

Zunächst muss uns klar sein, dass es eine ethische Debatte zum Thema Atomwaffen gibt, die nicht neu ist, und zu der Papst Franziskus erst kürzlich bei seinem Besuch in Hiroshima beigetragen hat.

Es gibt auch eine rechtliche und strategische Debatte: Angesichts eines sich verschlechternden internationalen Umfelds verfolgen einige, auch in Europa, seit Kurzem einen prohibitionistischen Ansatz, der weitgehend auf einer absolut zwingenden Notwendigkeit und einer einfachen strategischen Argumentation beruht: Um die Angst zu nehmen und um jeden Krieg zu verhindern, würde es ausreichen, die Atomwaffen zu beseitigen!

Ich habe zutiefst Verständnis für die geäußerten Überlegungen. Aber Frankreich, einem über Nuklearwaffen verfügenden Staat, das Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit trägt, teilt diese Sicht auf die Realität unserer Welt nur teilweise. Ich möchte Ihnen meine Meinung über die Gleichgewichte darlegen, auf denen der Nichtverbreitungsvertrag beruht, und über die ethischen Überlegungen, die zur Erhaltung des Friedens zum Tragen kommen müssen.

Das oberste Ziel der vollständigen Beseitigung von Atomwaffen im Rahmen der allgemeinen und vollständigen Abrüstung ist in der Präambel des NVV aufgeführt. Aber in der Realität können Fortschritte zur Umsetzung dieses Ziels nur allmählich und auf der Grundlage einer realistischen Wahrnehmung des strategischen Kontexts erzielt werden.

Da es kein Rezept für die schnelle Beseitigung von Atomwaffen aus unserer Welt gibt, greifen die Befürworter der Abschaffung ganz grundsätzlich die Legitimität der nuklearen Abschreckung an, und zwar vor allem dort, wo es am einfachsten ist, nämlich in unseren europäischen Demokratien.

Ich glaube jedoch nicht, dass die Wahl zwischen einem moralischen Absolut, das von den strategischen Realitäten abgekoppelt ist, einerseits und einer zynischen Rückkehr zu den alten rechtsfreien Machtverhältnissen andererseits zu treffen ist.

Ich für meinen Teil werde nicht in die Falle dieser falschen Alternative tappen. Sie wirkt sich destabilisierend auf die internationale Sicherheitsarchitektur aus und wird Frankreichs Bestrebungen nach Frieden, Multilateralismus und Rechtsstaatlichkeit nicht gerecht.

Meine Aufgabe ist es, die Sicherheit unseres Landes im Einklang mit seinen internationalen Verpflichtungen, insbesondere denen des NVV, zu gewährleisten.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Frankreich die ethischen Fragen zu den Atomwaffen ignoriert. Eine Demokratie muss sich der Frage nach den Zielen ihrer Politik der nuklearen Abschreckung stellen, die moralische Dilemmata und Paradoxa birgt.

Dies erfordert ein Verständnis der Abschreckung unter all ihren Gesichtspunkten, was bedeutet, dass sie in einen breiteren politischen Kontext zu stellen ist, der unsere Sicht auf die Weltordnung berücksichtigt.

1945 führten Atomwaffen die Menschheit in ein neues Zeitalter. Sie hielt damit die Mittel für ihre eigene Zerstörung in der Hand und wurde sich so bewusst, dass sie ein und dasselbe Schicksal teilt. Ihre Verbreitung wurde 1968 mit dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag begrenzt – einer Art Momentaufnahme der damaligen nuklearen Welt, in der fünf Staaten ermittelt wurden, die über Kernwaffen verfügen –,der bisher, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gehalten hat. Durch den Besitz von Atomwaffen kommt den politischen Entscheidungsträgern der betreffenden Länder eine in der Geschichte beispiellose moralische Verantwortung zu. Für Frankreich übernehme ich die volle Verantwortung.

Wir haben keine andere Wahl, als uns der Unvollkommenheit der Welt zu stellen und den sich daraus ergebenden Problemen mit Realismus und Ehrlichkeit zu begegnen.

Angesichts von Mächten oder sogar Diktaturen, die ihre Atomwaffen behalten oder weiterentwickeln wollen, kann ich für Frankreich nicht das moralische Ziel der Abrüstung der Demokratien formulieren.

Eine einseitige nukleare Abrüstung würde für einen Staat mit Kernwaffen, wie den unseren bedeuten, sich und seine Partner der Gewalt und Erpressung auszusetzen oder sich zur Gewährleistung seiner Sicherheit auf andere verlassen zu müssen.

Das lehne ich ab. Und seien wir nicht naiv: Ein Rückzug Frankreichs, dessen Waffenarsenal in keiner Weise mit dem der Vereinigten Staaten oder Russlands zu vergleichen ist, hätte nicht die geringste Beispielwirkung auf die anderen Atommächte.

In diesem Sinne wird Frankreich auch keinem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Dieser Vertrag wird für Frankreich keine neuen Verpflichtungen schaffen, weder für den Staat noch für öffentliche oder private Akteure auf seinem Territorium.

In der Realität macht Abrüstung nur dann Sinn, wenn sie Teil eines historischen Prozesses der Gewaltbegrenzung ist.

Die Strategie der Abschreckung trägt bereits dazu bei, sogar paradoxerweise. Bei der Abschreckung, so wie sie von Frankreich betrieben wird, führt bereits die Möglichkeit eines unannehmbaren Schadens für einen potentiellen Gegner dazu, dass die tatsächliche Gewaltbereitschaft, auch ohne ausgesprochene Drohung, abnimmt.

Uns sollte jedoch bewusst sein, dass diese abschreckende Rationalität nicht ausreicht, um Frieden im eigentlichen Sinne zu schaffen, d.h. einen Zustand, der nicht nur die bloße Eindämmung von Gewalt umfasst, sondern vielmehr eine echte Zusammenarbeit und Eintracht zwischen allen schafft.

Unser Ziel muss es sein, für eine andere internationale Ordnung einzutreten, mit einer effektiven Global Gouvernance, die in der Lage ist, Recht zu schaffen und dieses durchzusetzen.

Dieses Ziel der Umgestaltung der internationalen Ordnung ist nicht nur ein Ideal. Es weist bereits jetzt einen politischen und strategischen Weg, mit dem wir konkrete Fortschritte erzielen können.

Dazu ist es unerlässlich, die Rolle der Abschreckung auf die äußersten Umstände der Selbstverteidigung zu beschränken.

Kernwaffen dürfen nicht als Instrumente zur Einschüchterung, Nötigung oder Destabilisierung entwickelt werden. Sie müssen Instrumente der Abschreckung bleiben, um einen Krieg zu verhindern.

Frankreichs Nukleardoktrin fällt vollumfänglich in diesen Rahmen.

Ich fordere die Staatsoberhäupter der anderen Atommächte dazu auf, die gleiche Transparenz in ihrer Abschreckungsdoktrin an den Tag zu legen und jeder Versuchung zu widerstehen, diese Strategie zur Nötigung oder Einschüchterung zu instrumentalisieren.

Dies, meine Damen und Herren, wollte ich Ihnen heute über Frankreichs Platz in der Welt, über seine europäischen Zielsetzungen, seine Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie sagen.

Lassen Sie uns mit Besonnenheit und Entschlossenheit in unsere Zukunft blicken.

Mit Besonnenheit, weil wir nicht so tun können, als ob die Globalisierung und die technologischen Fortschritte die aus der Vergangenheit stammenden Modelle nicht grundlegend verändern würden. Unser strategisches Denken muss sich mehr denn je an die großen Umwälzungen unserer Umwelt anpassen und gleichzeitig langfristig ausgerichtet sein. Wir sollten den Mut haben, die Welt so zu sehen, wie sie ist und wie sie sich entwickeln wird. Nichts ist unabänderlich, aber es kann ein historischer Fehler sein, das zu ignorieren.

Und mit Entschlossenheit: Entschlossen, das Frankreich zu bleiben, das stolz auf seine Geschichte und seine Werte ist und seinen Verpflichtungen nachkommt. Frankreich ist fest entschlossen, in einem für das Gemeinwohl neu gestalteten Europa, Herr seines eigenen Schicksals zu bleiben.

Es lebe die Republik, es lebe Frankreich!
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RE: Französische Sicherheitspolitik (offizel) - von voyageur - 23.10.2021, 17:21

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