19.09.2021, 21:53
Zitat:Das ist ja, was ich meine: Im Fall eines plötzlichen Angriffes wären die polnischen Truppen nicht so stark exponiert, während man bei einer gewissen Vorwarnung noch genug Zeit hätte, diese rechtzeitig nach Osten zu verlegen, falls das sinnvoller erscheint.
Exakt das war die Argumentation eines polnischen Soldaten mir gegenüber. Das Problem das ich damit habe ist folgendes:
Von den meisten polnischen Kasernen mit entsprechend kampfstarken Einheiten sind es zwischen 300 und 500 km in das Gebiet in welches die Russsen eindringen würden und wo man dann die Schlacht gegen sie suchen könnte. Heutige moderne mechanisierte Verbände könnten angesichts des noch umstrittenen Luftraumes und der Anforderungen des modernen Krieges in einem solchen Szenario allenfalls 30 bis 50 km pro Tag voran kommen. Das mag jetzt vielen als sehr langsam vorkommen, ist aber extrem schnell. Die polnischen Verbände würden also nach ungefähr 10 Tagen in das Kampfgeschehen eingreifen können. Das dauert zu lange.
Umgekehrt wird immer von polnischer Seite ein russischer Einmarsch in Polen befürchtet. Wenn Weißrussland nicht aktiv in den Krieg eintritt, dann hätten die Russen von ihrem nächst gelegenen Aufmarschgebiet in gerader Linie nach Suwlaken ungefähr 600 km Strecke zurück zu legen und auch sie kämen nur so ca 30 bis 60 km pro Tag voran, würden also je nach den Umständen 10 bis 20 Tage benötigen bevor sie überhaupt in Polen präsent werden. Zudem bedeutet dass eine 600 km lange Flanke quer durchs Baltikum, welche unmöglich gesichert werden kann - womit die entsprechenden russischen Verbände in Nordostpolen de facto ohne Treibstoff und ohne Nachschub verenden würden.
Es ist eher davon auszugehen, dass der ganze Krieg zu diesem Zeitpunkt bereits ein derartiges Risiko geworden ist, dass man alles daran setzen wird ihn zu beenden. Die polnischen Bodeneinheiten sind also so disloziert, dass sie in vielen Szenarien mal schlicht und einfach zu spät kommen würden um die Schlacht um das Baltikum noch entscheidend prägen zu können. Hat man hingegen eine Vorwarnung, dann ist ein Krieg für Russland ohnehin eigentlich nicht gewinnbar, weshalb man in jedem Fall hier von einem Überraschungsschlag ausgehen sollte.
Verbleibt das Problem der Dislozierung der Luftstreitkräfte der NATO in Ost- und Mitteleuropa, insbesondere auch der polnischen Luftwaffe, welche besser so weit westlich wie möglich sein sollte und welche man beim geringsten Anzeichen in Richtung Frankreich evakuieren sollte, wie auch viele deutsche Luftwaffensysteme.
Und schließlich die Wildcard Weißrussland. Nehmen wir einmal wieder erwarten an, dass die Weißrussen aktiv in den Krieg mit eintreten. Dann stehen die Polen vor dem Problem dass die russischen-weißrussischen Verbände Warschau erreichen könnten bevor ausreichend polnische Bodeneinheiten nach Ostpolen gelangt sind. Natürlich gibt es dort auch Verbände, Kasernen usw, aber die sind im Endeffekt zu schwach, würden sich auch nicht absetzen können und wären damit verloren. Von beiden Seiten gäbe es dann einen Wettlauf nach Warschau mit unklarem Ausgang. Entsprechend wäre dann auch die lange Flanke durchs Baltikum kein Problem mehr. Das primäre Problem wäre aber erneut überhaupt genügend westliche Truppen nach Ostpolen zu bringen. Infrastruktur, Brücken, Versorgung, alles wäre weg oder extrem schwierig.
Meiner Meinung nach spricht das für eine gewisse Umverteilung der polnischen Verbände in Osteuropa. Man kann sie ja gegen Überraschungsangriffe trotzdem ausreichend verteilen und natürlich sollten sie nicht unmittelbar an der Ostgrenze stehen, aber eine gewisse Schwerpunktbildung im Zentrum und im Nordosten wäre mehr als notwendig. Den beschließend hat man noch das Problem Kaliningrad, welches primär die polnische Armee idealerweise gleich im Auftakt beseitigen müsste. Dazu muss sie aber so stehen, dass ein Schlag gegen Kaliningrad aus dem Stand überhaupt gelingen kann.
Beschließend also: meiner Meinung nach sollte das polnische Heer konzentrierter stehen, im Idealfall nordöstlich von Warschau und sollte die polnische Luftwaffe fortwährend auf dem Absprung so weit südöstlich wie möglich stehen und teilweise ohnehin in anderen Ländern Europas auf Übung etc unterwegs sein. Und auch die Polen brauchen meiner Meinung nach viel mehr unkonventionelle Methoden:
Das dürfte schlicht und einfach nicht möglich sein, wenn man konventionell denkt.
Exakt so ist es. Gerade deshalb müsste man im Baltikum aber insbesondere natürlich auch in Polen sehr viel unkonventioneller rüsten und unkonventionellere Konzepte verfolgen. Und gerade deshalb schrieb ich eingangs zu Beginn der Diskussion, dass polnische Kampfpanzer nicht so relevant sind wie das die meisten annehmen. Relevanter wäre eine weitgehend auf unkonventionelle Kriegsführung optimierte polnische Armee, die zugleich auch effizienter wäre (Schlagkraft im Verhältnis zu den Kosten). Das schließt aber Kampfpanzer nicht aus, ich nannte ja schon ihre Bedeutung beispielsweise für den Orts- und Häuserkampf, Stellungskampf usw und ein primäres Ziel wäre hier sicher beispielsweise zeitnah Kaliningrad einzunehmen und zugleich die russische Zivilbevölkerung dort als Schutz gegen entsprechende russische Entlastungsangriffe aus der Luft oder mit weitreichender Artillerie zu verstehen. Die polnischen Kampfpanzer könnten sich dabei regelrecht in die russische Zivilbevölkerung hinein retten.
Für das Baltikum gilt eigentlich ein Primat der irregulären unkonventionellen Kriegsführung noch viel mehr, aber auch Polen könnte wesentlich mehr in diese Richtung entwickeln. Den die Infrastruktur und Versorgungsprobleme die einen Gegenangriff von uns so stark behindern, würden eine entsprechende russische/weißrussische Offensive natürlich ganz genau so oder noch mehr einschränken.
Ottone:
Zitat:Aufgrund der enormen Grösse Russlands ist ein „totaler Zusammenbruch“ nicht zu erwarten.
Die Umstände sind heute einfach ganz andere. Auch robustere Gesellschaften wie die russische sind dennoch vom Vorliegen und Funktionieren ganz bestimmter Grundlagen massiv abhängig. Ein größerer Krieg mit Russland würde sowohl in Europa wie in der RF immense Schäden verursachen und Unzählige Tote, und dass selbst in einem moderarten Schlagabtausch, und zwar nicht direkt durch die Waffenwirkung, sondern indirekt durch deren Folgen.
Stell mal der Hälfte der deutschen und russischen Großstädte den Strom ab und die Trinkwasserversorgung in einem heißen Sommer (ein äußerst moderates und vom Niveau her unterstes Schadenslevel) und dann hast du noch wenige Tag bis alles wie eine Reihe von Dominosteinen in einer Katastrophe mündet. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann dann durch den Staat innerhalb weniger Tage nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Wir haben uns insgesamt zu abhängig gemacht und sollten anfangen mehr über Ent-Digitalisierung, Dezentralisierung und Redundanz nachzudenken.
Zitat:Auch muss Russland damit rechnen, dass die NATO nach einem Überfall ihren Nachteil im Baltikum durch Eröffnung einer zweiten Front wettmacht bzw. glaubhaft androht.
Zweifelsohne und das basiert darüber hinaus auch auf Gegenseitigkeit: Nord-Norwegen in Richtung russischer Hafen von Murmansk, eine russische Besetzung von Island, die Unbrauchbarmachung von Meeresengen durch Seeminen, eine weitgehende Unterbrechung der Transsib usw usf