03.06.2021, 20:54
aramiso:
Das ist heutzutage einfach nur noch eine Worthülse. Man verwendet den Begriff, aber er hat genau genommen keinen echten Inhalt. Es fehlt jedwede klare und absolut eindeutige Definition, es fehlt jedwedes realistische Szenario, es fehlt an jeder notwendigen Vorbereitung. Kurz und einfach: Die Bundeswehr behauptet, sie sei für die Landesverteidigung da. Dabei ist sie dies in Wahrheit nicht und selbst unabhängig davon kann sie die Landesverteidigung auch gar nicht gewährleisten. In großen Teilen weiß sie nicht einmal was genau die Landesverteidigung sein soll.
Gemäß dem Grundgesetz und dessen Intention geht es eben keineswegs um die Sicherung von Handelsrouten. In keinster Weise stellt der Bund Streitkräfte zum Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen auf, so steht das nicht im Grundgesetz und so ist der entsprechende Artikel nicht gemeint. Aber mal völlig unabhängig davon und außerhalb des Bodens des Grundgesetzes: die deutsche Marine kann unsere Handelsrouten sie wie sie zur Zeit aufgestellt ist und so wie sie zur Zeit operiert in Wahrheit eben nicht schützen. Sie kann die realen Bedrohungen für diese Routen nur in ganz bestimmten Einzelfällen abwehren und dann meist auch nur im Verbund mit anderen.
In diesem bestimmten Einzelfällen (beispielsweise Piraterie) könnte man unsere Handelsrouten auch sehr viel günstiger, sehr viel effizienter und sehr viel besser schützen als es die Marine hier und jetzt kann. Man braucht keine x-Milliarden Euro Fregatten dafür. Und gegen ernsthafte staatliche Angriffe auf unsere Handelsrouten ist die Marine in ihrer jetzigen Verfassung ungeeignet.
Das ganze was du hier anführst ist aber eigentlich ein sehr gutes Musterbeispiel dafür was ich oben aramiso geantwortet habe: man redet zunächst möglichst nebulös von Landesverteidigung, ohne klar zu definieren was exakt für Szenarien auf was exakt für eine Weise hier gelöst werden sollen. Dem folgend propagiert man ebenso nebulös etwas von Sicherung von Handelsrouten und erklärt daraus folgend dann ganz konkret, dass meine Art Blue Water Navy braucht um diese zu sichern. Zu sichern gegen wen? Wo? Unter welchen Umständen? Auf welche Weise? Und gäbe es andere Wege das gleiche Ziel effizienter zu erreichen? Und ohne eine dieser Fragen tatsächlich zu beantworten, fängt man dann bei den konkreten Einzelsystemen dann damit an ganz bestimmte und präzise definierte Anforderungen zu stellen, während alle eigentlich vorher zu klärenden Fragen gar nicht ausreichend beantwortet sind. Damit hängt die Beschaffung der Systeme de facto in der Luft, sie entbehrt der eigentlich für jede Beschaffung notwendigen Grundlage.
ObiBiber:
Mit einem Wort: Strukturextrapolierung. Den tatsächlich notwendigen Denkumschwung reißt du auch schon an:
Aber beides beantwortet genau genommen nicht die vorher eindeutig zu klärenden Fragen: auf welche Weise genau sollen wo genau diese Systeme wie genau gegen wen genau eingesetzt werden und was soll durch diesen Einsatz bezweckt werden, wie interagiert dieser Einsatz mit anderen Faktoren, was für alternative Möglichkeiten bieten sich und was für andere Szenarien und Einsatzweisen könnten wie von diesen Systemen abgedeckt werden usw usw usf
Systeme im luftfreien Raum. Nun schreibst du ja explizit von Russland / Osteuropa. Aber auch das ist genau genommen zu diffus. Den auch hier sind sehr viele sehr unterschiedliche Szenarien denkbar.
aramiso:
In dieser Bundeswehr wie sie nun einmal so ist, ist Querdenken völlig konträr zu dem was die Führung der Bundeswehr in Wahrheit will und das was sie will hat wenig mit militärischer Schlagkraft zu tun. Das ist eine Beamten-Bürokratie die nebenbei so tut als ob sie eine Armee wäre.
Aber auch Querdenken darf kein Selbstzweck sein. Ständig alles vollkommen ändern zu wollen ist keine Lösung, es ist nur eine Methode. Die eventuell zu einer Lösung wird, oder eben auch nicht. Und genau das hängt eben wieder davon ab, von was genau wir überhaupt reden. Und da die Führung der Bundeswehr nur noch Buzzword-Bingo spielt und Worthülsenkakophonie, wird genau dieser entscheidende Faktor (was genau) auch weiterhin außen vor bleiben.
GMP:
Ich vermute du verwendest hier den Begriff mit einer anderen Bedeutung, aber auch die Frage der Doktrin ist eigentlich erst einer der weiteren Schritte nachdem man vorher bereits eine ganze Reihe anderer Fragen exakt geklärt hat.
Jedes Gefecht, völlig gleich ob konventionell oder unkonventionell ist eben kein Selbstzweck. Es dient einem anderen höheren Zweck. Heute konzentrieren sich selbst innerhalb der Bundeswehr viel zu viele allein auf den Sieg im Kampf, statt auf den Sieg im Krieg. Rein theoretisch könnte man jeden Krieg entscheiden ohne auch nur ein einziges Gefecht zu führen.
Die Bundeswehr hat noch lange vor jeder Doktrin überhaupt gar kein Konzept wie sie überhaupt einen ernsthaften Krieg strategisch führen will. Sie hängt in zu großen Teilen auf der operativen Ebene oder darunter fest, und auch die zivile Politik hat kein wirkliches strategisches Konzept sondern faselt davon dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird und heute von der Sicherung von Handelsrouten als Landesverteidigung und vom Suwalki-Gap.
aramiso:
Ich will noch eine Frage davor anfangen: was genau soll heute Landesverteidigung sein? Was sind überhaupt die echten (militärischen) Gefahren welche die Existenz der Bundesrepublik bedrohen? Gegen was exakt stellt der Bund Streitkräfte zu seiner Verteidigung auf? Und gleich vorab: ich halte allgemein gehaltene Allgemeinplätze ala Russland, Handelsrouten, Interessen für absolut unzureichend. Wenn schon der Beginn einer solchen Kausalkette zu ungenau ist, dann pflanzt sich dass durch die ganze Kette immer weiter fort und kann nie die dann tatsächlich notwendige Ausstattung erreicht werden.
Ansonsten wird es auf:
800 bewaffnete Drohnen und 1600 HIMARS vs. 800 MGCS und 1600 PUMA vs 50.000 JLTV Panzerjäger hinauslaufen. Und dann steht man als nächstes völlig gleich wofür man sich davon dann entscheidet einem Guerillakrieg der russischen Minderheit im Baltikum gegen die Baltischen Staaten gegenüber, oder einem ausgedehnten Seekrieg mit China im Indopazifik oder eine Massenflucht von Millionen und Abermillionen Afrikanern in Richtung Europas, oder was sonst noch.
Zitat:Der Auftrag ist doch eigentlich recht klar: Landesverteidigung.
Das ist heutzutage einfach nur noch eine Worthülse. Man verwendet den Begriff, aber er hat genau genommen keinen echten Inhalt. Es fehlt jedwede klare und absolut eindeutige Definition, es fehlt jedwedes realistische Szenario, es fehlt an jeder notwendigen Vorbereitung. Kurz und einfach: Die Bundeswehr behauptet, sie sei für die Landesverteidigung da. Dabei ist sie dies in Wahrheit nicht und selbst unabhängig davon kann sie die Landesverteidigung auch gar nicht gewährleisten. In großen Teilen weiß sie nicht einmal was genau die Landesverteidigung sein soll.
Zitat:Bei der Landesverteidigung geht es nicht nur um das geographische Gebiet, sondern auch um die Interessen des Volkes, und die sind heute stärker denn je global zu suchen. Was bringt es, sich gegen einen fiktiven Angriff Russlands zu rüsten, wenn es vielerorts eine reale Bedrohung der Handelsrouten gibt, die unmittelbar unseren Wohlstand gefährden?
Gemäß dem Grundgesetz und dessen Intention geht es eben keineswegs um die Sicherung von Handelsrouten. In keinster Weise stellt der Bund Streitkräfte zum Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen auf, so steht das nicht im Grundgesetz und so ist der entsprechende Artikel nicht gemeint. Aber mal völlig unabhängig davon und außerhalb des Bodens des Grundgesetzes: die deutsche Marine kann unsere Handelsrouten sie wie sie zur Zeit aufgestellt ist und so wie sie zur Zeit operiert in Wahrheit eben nicht schützen. Sie kann die realen Bedrohungen für diese Routen nur in ganz bestimmten Einzelfällen abwehren und dann meist auch nur im Verbund mit anderen.
In diesem bestimmten Einzelfällen (beispielsweise Piraterie) könnte man unsere Handelsrouten auch sehr viel günstiger, sehr viel effizienter und sehr viel besser schützen als es die Marine hier und jetzt kann. Man braucht keine x-Milliarden Euro Fregatten dafür. Und gegen ernsthafte staatliche Angriffe auf unsere Handelsrouten ist die Marine in ihrer jetzigen Verfassung ungeeignet.
Das ganze was du hier anführst ist aber eigentlich ein sehr gutes Musterbeispiel dafür was ich oben aramiso geantwortet habe: man redet zunächst möglichst nebulös von Landesverteidigung, ohne klar zu definieren was exakt für Szenarien auf was exakt für eine Weise hier gelöst werden sollen. Dem folgend propagiert man ebenso nebulös etwas von Sicherung von Handelsrouten und erklärt daraus folgend dann ganz konkret, dass meine Art Blue Water Navy braucht um diese zu sichern. Zu sichern gegen wen? Wo? Unter welchen Umständen? Auf welche Weise? Und gäbe es andere Wege das gleiche Ziel effizienter zu erreichen? Und ohne eine dieser Fragen tatsächlich zu beantworten, fängt man dann bei den konkreten Einzelsystemen dann damit an ganz bestimmte und präzise definierte Anforderungen zu stellen, während alle eigentlich vorher zu klärenden Fragen gar nicht ausreichend beantwortet sind. Damit hängt die Beschaffung der Systeme de facto in der Luft, sie entbehrt der eigentlich für jede Beschaffung notwendigen Grundlage.
ObiBiber:
Zitat:wenn man sich genau auf dieses Szenario konzentrieren würde könnte man die Landstreitkräfte entsprechend ausrüsten...
klassisch wären wohl mindestens
800 Leopard 2
1600 SPZ Puma/Lynx
Mit einem Wort: Strukturextrapolierung. Den tatsächlich notwendigen Denkumschwung reißt du auch schon an:
Zitat:man könnte aber auch anders denken.....
mal anders gedacht könnte man auch auf
50.000 JLTV setzen... bewaffnet mit 30mm Kanone und Spike LR oder Spike NLOS
dann hätte man Masse kombiniert mit Feuerkraft und wenigstens gegen mittlere Bedrohungen gepanzert.
Aber beides beantwortet genau genommen nicht die vorher eindeutig zu klärenden Fragen: auf welche Weise genau sollen wo genau diese Systeme wie genau gegen wen genau eingesetzt werden und was soll durch diesen Einsatz bezweckt werden, wie interagiert dieser Einsatz mit anderen Faktoren, was für alternative Möglichkeiten bieten sich und was für andere Szenarien und Einsatzweisen könnten wie von diesen Systemen abgedeckt werden usw usw usf
Systeme im luftfreien Raum. Nun schreibst du ja explizit von Russland / Osteuropa. Aber auch das ist genau genommen zu diffus. Den auch hier sind sehr viele sehr unterschiedliche Szenarien denkbar.
aramiso:
Zitat:Das ist es, was mich am meisten stört: Ich sehe keine "Querdenker", die innovative Ansätze prüfen.
In dieser Bundeswehr wie sie nun einmal so ist, ist Querdenken völlig konträr zu dem was die Führung der Bundeswehr in Wahrheit will und das was sie will hat wenig mit militärischer Schlagkraft zu tun. Das ist eine Beamten-Bürokratie die nebenbei so tut als ob sie eine Armee wäre.
Aber auch Querdenken darf kein Selbstzweck sein. Ständig alles vollkommen ändern zu wollen ist keine Lösung, es ist nur eine Methode. Die eventuell zu einer Lösung wird, oder eben auch nicht. Und genau das hängt eben wieder davon ab, von was genau wir überhaupt reden. Und da die Führung der Bundeswehr nur noch Buzzword-Bingo spielt und Worthülsenkakophonie, wird genau dieser entscheidende Faktor (was genau) auch weiterhin außen vor bleiben.
GMP:
Zitat:Und wieder sind wir bei der Frage aller Fragen ... welche Doktrin verfolgt die Bundeswehr.
Ich vermute du verwendest hier den Begriff mit einer anderen Bedeutung, aber auch die Frage der Doktrin ist eigentlich erst einer der weiteren Schritte nachdem man vorher bereits eine ganze Reihe anderer Fragen exakt geklärt hat.
Zitat:In einem konventionellen Gefecht wird sich am Ende immer die Fraktion behaupten, die über massive Feuerkraft in ausreichend quantitativer Anzahl verfügt.
Jedes Gefecht, völlig gleich ob konventionell oder unkonventionell ist eben kein Selbstzweck. Es dient einem anderen höheren Zweck. Heute konzentrieren sich selbst innerhalb der Bundeswehr viel zu viele allein auf den Sieg im Kampf, statt auf den Sieg im Krieg. Rein theoretisch könnte man jeden Krieg entscheiden ohne auch nur ein einziges Gefecht zu führen.
Die Bundeswehr hat noch lange vor jeder Doktrin überhaupt gar kein Konzept wie sie überhaupt einen ernsthaften Krieg strategisch führen will. Sie hängt in zu großen Teilen auf der operativen Ebene oder darunter fest, und auch die zivile Politik hat kein wirkliches strategisches Konzept sondern faselt davon dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird und heute von der Sicherung von Handelsrouten als Landesverteidigung und vom Suwalki-Gap.
aramiso:
Zitat:Aber zur Ausgangsfrage zurück: Welche Befähigung zur Landesverteidigung wollen wir haben und welche Ausstattung wäre dazu notwendig?
Ich will noch eine Frage davor anfangen: was genau soll heute Landesverteidigung sein? Was sind überhaupt die echten (militärischen) Gefahren welche die Existenz der Bundesrepublik bedrohen? Gegen was exakt stellt der Bund Streitkräfte zu seiner Verteidigung auf? Und gleich vorab: ich halte allgemein gehaltene Allgemeinplätze ala Russland, Handelsrouten, Interessen für absolut unzureichend. Wenn schon der Beginn einer solchen Kausalkette zu ungenau ist, dann pflanzt sich dass durch die ganze Kette immer weiter fort und kann nie die dann tatsächlich notwendige Ausstattung erreicht werden.
Ansonsten wird es auf:
800 bewaffnete Drohnen und 1600 HIMARS vs. 800 MGCS und 1600 PUMA vs 50.000 JLTV Panzerjäger hinauslaufen. Und dann steht man als nächstes völlig gleich wofür man sich davon dann entscheidet einem Guerillakrieg der russischen Minderheit im Baltikum gegen die Baltischen Staaten gegenüber, oder einem ausgedehnten Seekrieg mit China im Indopazifik oder eine Massenflucht von Millionen und Abermillionen Afrikanern in Richtung Europas, oder was sonst noch.