Leichte Infanterie
#95
Zitat: Zitat:
Selbst die meisten unserer Zeitsoldaten dürften zudem schwerlich während ihrer Dienstzeit auf das "handwerkliche" Niveau zu bringen sein, welches ein burischer Farmer oder ein Apache schlichtweg bereits mit "zum Dienst" brachte. Dafür würde es eine Wehrerziehung benötigen, die selbst die der Südkoreaner und Israelis noch weit übertrifft.

Eigentlich nicht. Genau genommen sind die dafür notwendigen Fähigkeiten in wenigen Monaten erlangbar, dafür müsste man aber die Ausbildung und das ganze heutige militärische Theater ändern. Die Ausbildung bei der Bundeswehr - wie auch anderen Armeen - ist überfüllt mit unsinnigem Ballast, endloser Zeitverschwendung und extremster Ineffektivität. Vor allem aber ist das auch eine Mentalitäts- und Einstellungsfrage. Wenn ich von vornherein den Unteren Ebenen ein sehr großes Vertrauen entgegen bringe, ihnen Selbstständigkeit nicht nur zutraue sondern ihnen selbst nach Fehlern weiter gewähre, dann entsteht ein ganz anderer Typ von Kämpfer. Das mangelnde Vertrauen der Führung in die Geführten und die sich daraus ergebenden negativen Entwicklungen prägen diese Armee viel zu stark. Um das Gegenteil zu erreichen, ist auch eine Struktur notwendig, in der die Führung diesen absoluten Kontrollanspruch innerhalb des C4 nicht praktisch umsetzen kann und daher gezwungen ist andere Wege zu gehen.

Ich glaube, du unterschätzt das, was bei den Buren und Apachen an kriegerischer Kultur geherrscht hat. Ich will nicht bestreiten, dass die Ausbildung verbessert und damit auch bessere Ergebnisse eingeholt werden können - aber bestimmte Sachen lernt man dennoch nicht eben so. Nehmen wir einen durchschnittlichen burischen Farmersjungen, etwa achtzehn Jahre alt. Vermutlich konnte er reiten, bevor er sechs Jahre alt war und hat sein erstes Kleinwild erlegt, bevor er zwölf wurde. Mit Vierzehn hat er dann sehr wahrscheinlich schon zusammen mit seinem Vater und seinen Brüdern Vieh gehütet und ist auf Jagd gegangen. Als ihn die Gesellschaft (also in diesem Falle eher die calvinistische Kirche als der Freistaat) zu den Waffen ruft, hat er also bereits mehrere Jahre Erfahrung darin, sich im Gelände zu bewegen, aus dem Lande zu leben, zu schießen, zu reiten und sich mit anderen dabei zu koordinieren. Passenderweise zieht er jetz auch noch genau an der Seite dieser Leute in den Kampf. Kann ich diese Fähigkeiten auch im Nachhinein noch erlernen? Natürlich. Werde ich darin die gleiche Meisterschaft erreichen wie jemand, der schon in frühester Kindheit begonnen hat? Die Sportwissenschaft sagt für die Masse der Fälle etwas anderes. Hinzu kommt noch der eigentliche kulturelle Aspekt des unbedingten Wehr - und Unabhängigkeitswillens.


Zitat: Leichte Infanteristen hatten deshalb in großen konventionellen Kriegen eine derart geringe Überlebensdauer, weil sie völlig falsch eingesetzt wurden. Darüber hinaus ist echte leichte Infanterie in einem solchen Krieg ein Spezialist der ganz am Rande und meistens mit weniger Bedeutung für das Gesamtgeschehen agiert. Tatsächlich wären die Verluste geringer als bei den mechanisierten Einheiten, den diese fallen heute Abstands-Waffen noch mehr zum Opfer als bloße leichte Infanterie.

Der primäre Schutz heute gegen das Flächenfeuer von Abstandswaffen ist erstens eine ständige ununterbrochene Verlegung - diese muss aber so getarnt wie möglich erfolgen und sie muss vollständig überall querfeldein möglich sein und zweitens die Tarnung selbst. Gerade deshalb, gerade weil Abstandswaffen heute das Schlachtfeld zunehmend dominieren ist die Tarnung und die absolut uneingeschränkte Querfeldeinbeweglichkeit der alles bestimmende Teil. Und gerade deshalb keine Fahrzeuge und Ultraleichte Ausrüstung für die Infanterie. Statt Schutzwesten und Helmen - Tarnmittel. Statt schweren Militär-Stiefeln ultraleichte Halbstiefel. Statt Fahrzeugen eine bewusste Bewegung zur Fuß Querfeldein.

Fahrzeuge der Infanterie, insbesondere Transportpanzer auf Rädern sind das allererste Opfer der von dir genannten Abstandswaffen. Die Infanterie fällt dann mit ihnen oder überlebt getrennt von ihnen. Je weniger Fahrzeuge, desto überlebensfähiger der Infanterie-Verband.

An die Stelle eines Dreiecks von Panzerung, Geschwindigkeit und Feuerkraft treten im modernen Krieg Tarnung, Geländegängigkeit und Dislozierung.

Grundsätzlich lässt sich leichte Infanterie besser tarnen als mechanisierte, keine Frage. Die Wälder und Sümpfe Osteuropas sind auch nicht umsonst so lange die Heimat von Partisanen geblieben. Um also getarnt hinter feindlichen Linien zu operieren kann man leichte Infanterie zweifellos gebrauchen. Das wäre allerdings auch die realistischste Einsatzmethode, denn für den Bewegungskrieg ist man zu langsam und logistisch nicht gut genug aufgestellt - und den Stellungskampf könnte man bestenfalls in urbanem Gelände aufnehmen. In diesem Fall würden wir allerdings (im klassischen deutschen Jargon) eher von Fernspähern oder klassischen Sondereinsatztruppen sprechen als von eigentlichen "Jägern." Für diese Kampfweise würde ich im übrigen eine Verstärkung der Minenkampffähigkeit vorschlagen, und zwar sowohl offensiv als auch defensiv. Schützenminen sind eine Geißel der Menschheit, aber solange der Gegner sie einsetzt, bringt es uns überhaupt nichts, wenn nur unsere eigenen Kräfte von ihnen zerfetzt werden - zumal Schützenminen die billigste und effektivste Methode sein dürften, den Bewegungsradius derartiger leichter Infanteristen radikal einzuschränken.

Zitat:
Die zu erwartenden hohen Verluste sprechen zudem für ein Miliz-System, wie von Pogu ja schon mal angerissen, und gerade in dieser Miliz würde der Gros der Jäger-Verbände stehen.

Im übrigen ist eine solche Kampfweise kein Hexenwerk. Sie ist schnell erlernbar, wenn das Ausbildungssystem effizient ist und darauf ausgerichtet. Was Bundeswehr-Soldaten hier und heute innerhalb von ca. 1 Jahr lernen könnte man alles sehr viel schneller und sehr viel effizienter beibringen.

Idealerweise würden wir jetzt unsere Reserven massiv vergrößern - ob wie es jetzt nach schweizerischem Vorbild Miliz nennen oder eine extensive Wehrpflich nach koreanischen oder israelischem Vorbild aufbauen. Nur: Wir haben momentan eine Berufsarmee. Allen ist klar, dass diese Berufsarmee im Krisenfall zu einer Wehrpflichtsarmee wird werden müssen - so ist es den Briten und Amerikanern im 20. Jahrhundert bereits zweimal ergangen. Mir schwebt daher eine Kaderarmee vor (am ehesten vergleichbar mit der Reichswehr), die auf eine rasche Aufblähung vorbereitet ist und in der die Dienstgerade bereits für wesentlich höhere Aufgaben geschult und vorbereitet werden. Die Alternative wäre natürlich eine Berufsarmee von adäquater Größe - aber die ist politisch bestenfalls dann zu erreichen, wenn wir da nicht Bundeswehr, sondern Europäische Armee dranschreiben.


Zitat: Das hängt davon ab wie man diese Kolonialscharmützel führt. Die Aufgabe von Jägern in solchen Auslandseinsätzen wäre es nicht, sich auf freiem Feld mit Tacticals herum zu schlagen, wobei die genannten Waffensysteme von den SMG bis zu den Raketenwerfern selbst für diese völlig ausreichend wären und in etlichen Fällen sogar eine höhere effektive Reichweite erzielen würden. Die Einsatzweise wäre eine völlig andere. Primär geht es um tatsächliche Kontrolle von Terrain, wozu wir heute nicht mehr in der Lage sind und um unentdeckte Bewegung über beliebiges Gelände sowie ein verdecktes Agieren. Solange wir diejenigen sind welche ständig überall sichtbar sind und der Feind ist nach belieben unsichtbar, und solange wir nicht die nötige Menge an Truppen haben um tatsächlich die Zivilbevölkerung zu kontrollieren, ist es egal ob wir mit irgendwelchen Panzern jederzeit irgendwelche Tacticals wegräumen könnten. Das kann jeder Kampfhubschrauber vor Ort ganz genau so.

Ich verstehe nicht so ganz, was du mit Terrainkontrolle meinst. Eine rein zu Fuß agierende Truppe hat doch niemals den nötigen Bewegungsradius, um sich in einem Flächenland wie Mali oder Afgahnistan auch nur ansatzweise die Herrschaft über das Terrain sichern zu können - erst recht nicht, wenn der Gegner selbst motorisiert ist.

Zitat: Beispielsweise war in Vietnam eines der erfolgreichsten COIN Programme das des USMC, wo Einheimische und Marines gemeinsam in Dörfern lebten und dort und in der Gegend dieser Dörfer verblieben. Statt umherzuziehen und Geister im Dschungel mit überzogen großer Treibjagden stellen zu wollen. Diese Einsatzweise wurde Combined Action Platoons genannt und ich habe mich recht lange damit beschäftigt. Sie war einer der in Vietnam erfolgreichsten Ansätze und die von mir skizzierte Jägertruppe wäre dafür besonders gut geeignet.

Vom Ansatz her sicherlich spannend, hochinteressant und erfolgsversprechend - aber warum können Jäger das besser als, sagen wir, Panzergrenadiere?


Zitat:
Demgegenüber war die Gesamtmasse des eingesetzten Sprengstoff früher wesentlich größer und richtete sich gegen ganze Flächen als solche. Schon im Ersten Weltkrieg wurden Äquivalente taktischer Nuklearwaffen eingesetzt und hat Infanterie in diesem Feuer überlebt wenn das Gelände das hergab. Heute ist die Wirkung genauer auf den Punkt, verteilt sich aber die Infanterie im Gelände (Dislozierung) und tarnt sich, dann greift diese skalierte präzise Feuerkraft leichte Infanterie weniger als jede Art von Fahrzeugen.

Nur weil Präzision jetzt erzielt werden kann und wir uns vornehmlich auf Präzision konzentrieren, bedeutet das nicht, dass auch der Gegner die Wirkung in der Fläche verloren hat. Ein russischer BM-30 bringt mit einer Salve 864 Submunitionskörper ins Ziel, die der Wirkung einer durchschnittlichen Feldartilleriegranate des 1. Weltkriegs in etwa entsprechen. Können die Russen damit aus dem Stand ein Artilleriebombardent wie bei der Somme auf die Beine stellen? Nein. Aber das konnte auch keiner der Kriegsteilnehmer im Jahr 1914. Ein von dir beschriebenes, disloziertes und getarntes Infanteriebataillon würde die Artilleristen des Jahres 1916 vor keinerlei Herausforderungen stellen: Entweder, die Feuerwalze erledigt das Problem - oder die Jäger sind zu weit von der Front entfernt, um der eigenen vorrückenden Infanterie auch nur nahe zu kommen. Erst, wenn sich deine Jäger auch noch zusätzlich eingraben (und das dürfen sie natürlich gerne disloziert tun), dann sieht die Sache anders aus.

Zitat: Und gerade deshalb auch die Aufgabe des hierarchischen Führungsprinzipes. Fällt nämlich dann ein Führer oder eine Führungsebene aus, ist der Verband trotzdem nicht eine Sekunde lang dadurch gelähmt oder beeinträchtigt. Starre Hierarchien und Befehlsketten werden im nächsten großen konventionellen Krieg untergehen.

Grundsätzlich: Flexibilität und Redundanz sind für alle Einheiten wichtig, und gerade hier kann die Tradition der Auftragstaktik sehr viel herausreißen, wenn man sie denn richtig anwendet. Hier würde ich den Schwerpunkt (sprich die Bestenauslese und meinetwegen gerne "auf römische Weise", also weitgehend Laufbahndurchlässig) aber auf den Generalstab fokussieren. Schlechte Führung auf taktischer Ebene verliert mir ein Gefecht - schlechte Führung auf Armeeebene den Krieg.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema

Gehe zu: